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Donnerstag, 20. September 2012

Schlesak Übersetzungen aus dem Italienischen


Giancarlo Micheli
NICHTS ANDERES DENN ALS SEIN zu sagen
Nichts anderes denn als Sein zu sagen
Heute im Sterben des Sommers
Innen im konkaven Arm des Himmels
Nichts anderes
Denn in den ersten klaren Abenden des Herbstes
Wenn sich der Mond hinein biegt
In die Wolken Formen
Und ringsum  wie ein Vorgefühl
Die vage Angel des Ungewissen
Wie ein Flattern von Faltern
Sind angedockt an Gräserspitzen
Bis hin zur aufsteigenden Straße
Wo die Mauer der Schritte
Versinkt.

BEUGUNG ZWISCHEN ZAHL UND FALL

Das Erscheinen der Wahrheit
Braucht alle Augen
Dal so  im Wahren
Viel Nichtwissen ist
Und daher muss ein Zusammen
Führen mit der Liebe sein.

WUNSCH NACH LEICHTIGKEIT
In einem Rundtanz  der Übergangenen kommt es vor
Umwege zu nehmen  unerquicklicher Zölle wegen
Bei sublimen und miserablen Schndtaten
Um eine Mauteinschätzung zu betteln
Da es keinen gib der es sagt
Keinen der sich zum Sagen aufschwingt.
Verschwinden wir doch zusammen
In ein Exil der Träume
Um etwas Boden zum Laufen zu haben
Auf einem Weg mit uralten Steinen
Spuren von Liebe zu hinterlassen
Sich einzugravieren entlang des Wanderns.

Schmerzhaiku  (Haiku del dolore)

Es ist der größere Schmerz
Und ein einziger Körper fasst ihn nicht
Den Schmerz da zu Sein
Eingeschlossen in einen einzigen Körper.

(Dieter Schlesak)


Eine bessere Welt ist möglich (Un mondo migliore è possibile)

Wenn das Entzücken der Anima
möglich wäre
Wenn der Same aus Licht
möglich wäre
Wenn die Frucht der Ejakulation
Möglich wäre
Dann würde  ich die Wahrheit
von jenem Ast pflücken
Den ich die Liebe nenne


(Dieter Schlesak)


(Le prime tre poesie sono pubblicate nel volume La quarta glaciazione (Campanotto, 2012) e le ultime due da Canto senza preghiera (Baroni, 2004).



Armando Rudi

ZUSAMMENFALL (Coincidenza, aus: Divagazioni, 2012)

Ich trage immer Gestreiftes
Und dieses vielleicht
Weil ich ein Sträfling bin?


ZUR ZAHL DER UNBEKANNTEN DICHTER (Sul numero die poeti ignoti)

Wie viele unbekannte Dichter
Sind an diesem Tag verstorben?
Nicht nachverfolgbare Rechung.
Doch machen wir uns keine Sorgen:
Mit dem weltweiten Anwachsen
Der menschlichen Bevölkerung
Ist es sicher daß täglich
Unbekannte Dichter geboren werden
Mehr als unbekannte Dichter sterben.


DIE ALLGEMEINVERSPÄTUNG (Ritardo generale)

Ich verspäte
Alle verspäten
Verspätet auch Gott?


WESHALB LEBT MAN (Perché si vive)

Weshalb lebt man eigentlich?
Um eine Karyatide zu mimen?
Im Gehege der Schlauen
Am Pfahl der Mächtigen
Dem Balkon der Starken
Am Wagen der Sieger?


GELD (Soldi)

Geld war für mich nie wichtig,
Doch spürte ich stets seinen Mangel.


BEIM VERLASSEN EINER AUSSTELLUNG VON MIRÓ
(Uscendo da una mostra di Mirò)

Wenn Miró ein Ästhet ist,
Sucht einen anderen Namen für mich:
Da ich dachte, ein Ästhet sei auch ich.

Wenn Miró ein Virtuose ist,
Sucht einen anderen Namen für mich:
Da ich dachte, ein Ästhet sei auch ich.

Wenn Mirò ein  Sänger ist,
Sucht einen anderen Namen für mich:
Da ich dachte, ein Ästhet sei auch ich.



Stefano Busellato
GEDICHTE
(aus „Chi non muore“, Campanotto 2012)

FÜR DIETER SCHLESAK

Die Stunden bieten
synchrone Kadenzen
m Anderswo
es verfällt
die geliebte Zeit
ist vergangen.

Eolische Synkope
Der  Hoffnung
Öffnet und schließt
Das Tor
Der rote Himmel  
Ist schwarz
Der Himmel  
Und das gestirnte Nichts
Das die Schrift fordert
Die im Reim ist
Und wie am Anfang
Der Reim  die Angst ist.

(Zwei schneidende Augen
Hinter den Läden
Ein Licht heute Nacht:
Ein Mann der
Bleibt bis zum Licht
Das wartet und sein wird
Schreiben wird:
Mehr als Eines
Mit dem Dunkeln
Wurde keiner/ verletzt
Und keiner geheilt.



DER ÜBERLEBENDE (Il sopravissuto)
(E.C.)
Die von der Zeit verminderten Tage
Dunkel mit wenig Licht auch
Am Morgen, wenn heiser
Ein Hahn eins zweimal kräht,
Und dann schweigt
Von Kräften verlassen,
Auch wenn er gefiedert erinnert
Wie es viele versuchten.
Keiner hat es bis heute
außer dem niemals geborenen
Engel, geschafft nicht zu sterben,
.

HINFÄLLIGKEIT (Caducità)

Man geht ein und Aus
Wie nächtliche
Blitze
In taghellem
Sein.

BRÜDER (Fratelli).
Wir sind alle
Die wir sind
Alle im gleichen
Boot.


VORWÄRTS
Und jetzt
Da wir
Einsam sind
Nehmen wir uns/ doch
An der Hand




DER SCHLAF (Il sonno)

Ich schlafe weil es
Nur im Schlaf möglich ist
Zu träumen es möglich ist
Verständigt zu werden zurückzukehren
Zu sehen nur schlafend ists möglich
Zu wünschen sich vorzustellen
Dass wir eines Tages wirklich
Aufwachen könnten.



(Dieter Schlesak)




Alfonso Gatto
Pensieri inediti sulla poesia e altro

Nulla è più solo di un nome, di una storia morta. Ma che serena tristezza camminare per i viali deserti del cimitero di Boulevard Quinet: tra la mamma e il patrigno c'è anche Baudelaire, in una tomba piccola come quelle d'un bambino.






Alfonso Gatto

(Paraphrase und Variation  nach: Pensieri inediti sulla poesia e altro)

Nichts ist einsamer als der Name
Niemand einer toten Geschichte.
Lebend noch und schon eines der Opfer
glücklich die vergangene Zukunft
ja die alte Grenze zu schauen
himmelnd


Klein bleibt auch Baudelaires Grab in Paris
eine Grube wie ein Tor  türgroß nur wie ein
neues Kind und kinderleicht mit dem letzten Atemzug
entkommen wer nur das Loch sieht von
der Seite des Blickes vergißt jeden Ausgang
den die Opfer doch alle genommen

Einer zitierte Charles in der Kammer noch
wie ein letztes Gebet auf den Lippen schon Rauch.

Uns aber bleibt nur verspätet zu widerstehen:
die Armut sie gräbt sich nach innen
nur sie erreicht noch den Ausgang
im letzten Verzicht fest zu schließen
die gierigen Lippen

Erinnert den Sinn Tod von damals
atmend erstickt im Müll.

(Poesia, 94, p. 15)






Franco Fortini

L'esame

Mi presento all'esame. Non ricordo più nulla.
Le cose che avevo credute non le credo più.
Come posso difendere, maestri, le mie tesi?
Esaminatore, di chi sono le parole che dico?




Franco Fortini


Prüfung
(L´ esame)

Ich stelle mich der Prüfung. Und weiß nichts mehr.
Was ich bisher glaubte, glaube ich nicht mehr.
Wie, meine Lehrer, kann ich noch meine Thesen verteidigen?
Ihr Prüfer, vom wem sind die Worte, die ich sage?



Vittorio Sereni

Ahimè come ritorna

Ahimè come ritorna
sulla frondosa a mezzo luglio
collina d'Algeria
di te nell'alta erba riversa
non ingenua la voce
e nemmeno perversa
che l'afa lamenta
e la bocca feroce

ma rauca un poco e tenera soltanto...

(Saint-Cloud, luglio 1944)



PARAPHRASEN

Für
Vittorio Sereni
[ Totenstimme. Nach dem Motiv von: Ahimè come ritorna]

Ach, wie er  hier wiederkehrt
auf den gewendeten  Blätten sein Reichtum
mitten im Juli algerische Hügel erinnert
auch deiner im hohen Gras verkehrt
geschrieben, gesagt die Stimme Nie
und nicht unschuldig  oder pervers
wie sie  flimmernde Hitzeschleier beklagt er
wild gräbt sich durch  der Mund
nur etwas heiser doch zärtlich
am Ende

Saint-Cloude, Juli 1944

(Poeti italiani,  Mondadori, 1978 p. 755)


Franco Buffoni

Vittorio Sereni

Il sentiero scendeva sulla fronte d Armio,
Lago d'inverno stropicciato solo.
Se ne andava con profondi squarci
Nel ritratto d'acqua dell'acqua che indossava
E il suo cavallo sollevava onde di polvere
Nello sguardo semplice del cielo.
I pini salivano nel buio
- ripeteva a nascondersi
  tra stelle decenti
  coi soli sorrisi -
E adesso erano proprio tutti uguali.




Franco Buffoni
       Vittorio Sereni

Ein Pfad im Abstieg auf der Stirn des Armio
Wintersee  allein zerstäubt   getäuscht
Verschwand und hinterließ die tiefen Schneisen
Im Bild des Wassers: er im Wasserkleid
Und  im Naturblick  eines Himmel-Spiegels 
In Wellen Wasserstaub stieg auf: Galopp  des Pferdes
Die Pinien stiegen  noch ins Dunkel hoch
- Immer wieder ein Versteck
  zwischen den Sternen leidlich
  still ists allein  ein reines Lächeln -
Jetzt  waren sie wirklich alle gleich.

(ADIDAS, 1993, p. 44)





Franco Buffoni
O da un Sant'Antonio paralizzato

O da un Sant'Antonio paralizzato
Picchiato dai diavoli del Sassetta
Lo stantio fetore di bontà
A contrastare l'allegria dei diavoli
La loro vanità. Poi il viso a terra
Volge piano il santo e gli occhi
Rassegnati ma non vinti
Sono quelli in preghiera di una foto
Di Lager. Sono quelli che avevo da bambino.


Le morti

Le morti sono capricciose non arrivano
Quando le desideri o le aspetti,
Imprevedibili balzano sui tram
E sono già arrivate
Oppure ai capolinea se li lasciano
Partire tutti, irascibili
Fingono di leggere.




Franco Buffoni

  ( Le morti)
Die Tode sperren sich sie kommen nicht an,
Wenn du sie ersehnst oder erwartest
Unberechenbar springen sie auf die Trambahnen
Und sind schon angekommen oder
An der Endstation wenn sie alle aussteigen lassen,
Täuschen sie zornig vor zu lesen.



( O Sant´Antonio)
Oder ein gelähmter Heiliger Antonius
Verprügelt von den Teufeln des Sassetta
Der ranzige Leichengeruch der Güte
als Kontrast zur Fröhlichkeit der Teufel
Schnellerer Nichtigkeit Kontur. So schlägt
Der Heilige langsam seine Augen nieder
Resignierte aber nicht besiegte Augen sind
Augen im Gebet auf einem Lagerfoto.
Es sind die Blicke meiner Kinderaugen.

(Poesia 96. p. 44, 45)








Elisabetta Robert

NOSTRA SIGNORA DI LOURDES

Während sich die Augen senken
und die Lippen das Wort  fürchten

hebst Du
Mutter der Mütter
die Gesichter

Das dauernde Wunder wird erneuert

(Vivere significa, p. 42)

IM ANFANG WAR DAS WORT
(In principio era il Verbo)

Im Anfang
das Wort.
Am Ende war
das Schweigen.

(Vivere significa, p. 43)



Elisabetta Robert
Nostra Signora di Lourdes

Mentre gli occhi s'abassano
e le labbra temonno le parole,
Tu,
Madre delle Madri
sollevi i volti...
Si rinnova il miracolo perpetuo.


In principio era il Verbo

In principio
era il Verbo.
Alla fine
fu il Silenzio.



Dieter Schlesak
Grenzen Los. Notturno
("Autoritratto al chiaro di luna")

Der Übergang als wärs
der Tod erlebt, die Form, die Aus
dem Sterben kommt: Notturno jedes Leben.
Der Mond, der Mund Endymions,
zerschweigt die Welt, verzittert
wie unter Wasser Jetzt ist alles, was
du sahst veschwunden, Hier und dunkelt schon
der Übergang in blauer Schattenfarbe.

Hörst du Musik, im Hirn das Delta T,
in dir das Kind, das Weinen, denn über alle
Dächer  geht die Mondsucht Ruh, du wachtest
schliefst seit vielen Jahen deinen Tod,
du weißt, bald ruhst du hinter jeder Form,
zerfällst sie, wie Terralba. OPUS Reife
Trancechemie, wo Nichts mehr ist nur NULL
das unsichtbare Gold im Mond verzittert
jeden Mann und Schatten löst uns auf, der Schein
verliert aus sich den Traum, den jedes Ding
Musik in sich verschwingt und selber ist
gedankenhell sich weiß,  berührt in mir
den Innenraum, der fließt, Essenz, der Mondschein
klopft die Scheibe auf, das Draußen hat so
ausgedient im Duft der Transzendenz



Oltrelimite
("Autoritratto al chiaro di luna")

Trasmutare, come
fosse la morte vissuta, la forma che dal
morire viene: Notturno d'ogni vita.
La luna, la bocca di Endimione,
scioglie il mondo in silenzio, ora
come dissolta in un tremito d'acqua è ogni cosa, che
vedesti svanita, qui è già s'oscura
la trasmutazione nel turchino colore dell'ombra.

Odi la musica, nel cervello il Delta T,
in te il bambino, il pianto, poiché so ogni
tetto va la sonnambula quiete, tu da ottant'anni
la morte vegliasti e dormisti,
tu sai, presto dormirai dietro ogni forma,
come Terralba la decomporrai. OPUS maturità
chimica d'arte, dove il nulla altro diviene, e il cerchio dello zero
in un tremito scioglie l'invisibile oro
nel silenzio lunare,
in ogni uomo, e l'apparente bagliore
da sé dilaga il sogno, musica pulsante
di ogni cosa, che in limpido pensiero si conosce, ed in me sfiora
l'intimo, fluente, spazio, essenza, il lunare bagliore
apre e dilarga l'disco, l'esteriore si compie
nel trascendente aroma.

(Traduzione italiana: Mario Pezzella)




Dieter Schlesak,   Pieve/Agliano 327, I-55041 Camaiore,   ITALIA, 
Tel./Fax  0039 584 951214

Prof. Franco Buffoni


Lieber Franco Buffoni,
Sie sehen , ich habe mich intensiv mit Ihrem sehr aufrgnden Band "Adidas" ausinandergesetzt, denn ich habe Deutungsfragen.
            Eine Fassung neuer Übersetzungen lege ich bei.  Denn so  wie ich es auch bei meinen eigenen Gedichten Fragenden immer wieder sage, daß der Text nur der Anstoß sei, ein eigenes Gedicht im Leser in Bewegung zu setzen, so sehe ich  (mit Walter Benjamin) auch die Übersetzung, vor allem die "Paraphrase", und lasse mich im flash vom fremden Gedicht "berühren", genau wie auch bei Erregungen  in Ausstellungen, oder im Falle der Sixtinischen Kapelle,  über die ich viele Bildgedichte geschrieben habe, (drei Bände sind erschienen: "Das Neue Licht Michelangelos" 89-91), so  lasse ich diese Erregungen zu emotionalen Assoziationen werden, die ein neues Gedicht bestimmen.
            Ihr schönes enigmatisches Gedicht und auch jenes von Sereni, das ich mit Ihrem "zusammen-sehe" gibt trotzdem einige Fragen auf:

            - Gehört "Le figlie" und  "Vittorio Serni" zusammen? So scheint es mir, und ih müßte auch jenes übesretzen. Dabei dachte ich an "Erlkönigs Töchter", wie ich auch bei VS an Erlkönig, aber auch an Christus und das Rote Meer dachte, jenenfalls an einen Todes-flash, eine Todesstunde. Ist das so?
            Weiter an ein In-Eins-Setzen von Todesreiter und Landschaft im Prozeß, bios endlich alles Eins (in der Transzendenz)  ist in der letzten Zeile.
            Ist das so?

-  Ist Arminio ein Berg oder ein Mensch? Und inweiweit hat es mit Sereni zu tun? Überhaupt der ganze flash? Ist es seine Todesstunde? Oder ist es ein Epiaph?

-  Hat  Le figlie ebenfalls ein Todesgedicht?
- Kann man mit dem Nußbaum/ Nuß das hebräische Pardem assozieren oder Dantes vierfache Art einen Text zu deuten? Die 4 Textschichten  der mittelalterlichen Schrift. (Vgl. Curtius).
- Kann seme und lacrima  im Sinne Celans etwa mit Hierogamos zusammengebracht werden? Also mit dem geistigen Samen, der aber auf "Sperma" beruht?
- Und kann der "fertige" Nußbaum als Zukunfstbld des im Samen enthaltnden Zeitgeheimnisses gedeutet werden?

            Ich lege Ihnen auch die anderen Übersetzungen bei, samt Diskette.
            Ebenso einen Kurzessay zu meiner Übersetzertheorie, freilich auf Deutsch.
            Und auch ein "Autorirtatto del Traduttore" in einem "einfachen" Italienisch..
            Wenn es mit der Veröffentlichung wirklich klappt, dann könnte der theoretische Text übrsetzt werden, der auch zum "Autorittrato" gehört.
.
            Ich habe nicht ganz verstanden, soll diese Aufstellung in "Testo a Fronte" erscheinen, oder in Ihrer "Collana", wo  auch Raimund (Nr. 17) erschienen ist?

Mit den vielen guten Gedanken und schönen Grüßen

Ihr




                                   AUTORITRATTO  DI TRADUTTORE
            Da ich mit meiner Muttesprache Deutsch immer zwischen Fremdsprachen gelebt  gelebt habe, zuerst in Transsylvanien, wo ich in der alten siebenbürgisch-sächsischen Stadt Sighisoara-Schäßburg  geboren wurde, das bis 1919 zur "kaiser-königlichen" Donau­monarchie, dem kafkaesken Kakanien gehört hatte: Ungarisch, Rumänisch, Jiddisch waren die Sprachen des Alltags; dann in Bukarest, wo ich  (Germanistik) studiert habe,  10 Jahre Redakteur einer deutschen Zeitschrift gewesen  war und in einer rumänischen Familie gelebt hatte. Hier unterhielten sich bis in meine Träume hinein die Sprachen (und auch die Literaturen) miteinander, und  es wäre erstaunlich gewesen, wenn ich in disem hochsensiblen Zustand, dazu noch in einer Diktatur, mich nicht in die Sprache und in die Übersetzung gerettet hätte; früh schon aus starker innerer Bindung an meine rumänischen Kollegen und ihren Stil (sehr oft des Widerstandes!).
            So entstanden vor allem Lyrikübersetzungen  der Generationskollegen: Nichita Stánescu, Cezar Baltag, D. Tsepeneag, Nina Cassian, Ion Caraion,  Mazilescu, G. Pitut, Marin Sorescu, Petre Stoica, Magdalena Constantinescu, Ana Blandiana  u.v.a.
            Dann die Klassiker der Moderne: Tzara, Eugène Ionesco, Urmuz, Lucian  Blaga,  Tudor Arghezi (viele "Paraphrasen"), Ion  Barbu, Ion Vinea, Virgil Teodorescu u.a. Vor allem auch B. Fundoianu ( den rumänisch-französischen Essayisten und Lyriker, der in Auschwitz umgekommen ist.) In Deutschland habe ich seit  meiner Übrsiedlung  1969 viel vermittelt und  an Anthologien mitgewirkt, bzw. selbst Antholigien zusammengestellt.
            Prosa  habe ich von  Eminescu, Francisc Munteanu und in letzter Zeit von Norman Manea übrtragen. Zur Zeit arbeite ich an den Briefen E.M. Ciorans, einer Edition für Suhrkamp in deutscher Sprache. Und dann an  Texten Constantin Noicas.

            Extreme Lagen bringen im Schock Erkenntnisgewinn, und wir, ein­mal davon geprägt, können uns lebenslang nicht mehr entziehen; es ist nicht nur ein Schatzhaus der Sprache und der Erfahrung, es ist ein Mehr an Unentrinnbarkeit: Unter Druck  wird erkennbar, was in der Gegenwart verdeckt, Geschichte macht, die neue Bodenlosigkeit, die  mit einem, wenn auch Verlorenen umgehen muß, einmal doch "Boden" war, der noch so gehaßt, dann im Exil nicht auf­gibt, beispielhaft zu sich auflösenden Menschengestalten Dörfern und Städten, Häusern und Gassen zu werden, glänzend klein beigibt im Ge­dächtnis, als nichtendenwollender Abschied erkennbar wird: wie Ster­bende meist, vom Verschwinden erhöht werden und gereinigt.
            Schon durch die Diktatur war  das "Wohnen kein Ort" mehr: Christa Wolf nannte es für die DDR: "Kein Ort. Nirgends". Verhindertes, vergeudetes Leben.  Securitate, Stasi erzeugten einen permanenten Ausnahmezustand; etwas Irres; wo öffentliche Formen zerstört waren, entstand wider staatli­che Unterwelten die Solidarität der Angst.  Die Revolution 89 hat sie noch radikaler aufgelöst. "Stehende Zeit", Täuschungen des Raumes.  Als wäre Realität - das Stück eines irren Poeten, Plagiat, Fälschung gewesen. Doch der Sprachsinn wurde außerordentlich geschärft:
         Nur im Negativ, als Paradox war zu sagen, was ist.  Sie  zeigten und zeigen nun aufs Neue wieder, daß es sich um eine gestundete, künst­lich aufgehaltene Zeit gehandelt hat. Wahr sind dagegen Hypostasen des Fremden, wo auch die Sprache sich von Satz zu Satz wundert, daß sie noch da ist, und es sagt. Das sind Röntgenblicke in die Gegenwart aus ei­ner noch  sinnlich erlebbaren Abschiedssituation, Modell auch für die üb­rige Welt, wo dieses freilich so scharf nicht mehr wahrnehmbar ist, es sei denn in der Naturkatastrophe oder der Pychiatrie.
            Noch in Bukarest habe ich eine Anthologie österreichischer Prosa auf Rumänisch in zwei Bänden (1300 Seiten) herausgebracht, die aber auch dm gleichen Prinzip der Sprachspannung und der Interlinearversion diente.
                Bruch-Erfahrungen verdichten sich in dieser Literatur;  epo­chale Wahr­heiten: Illusionen des Raumes, der Zeit, Illusionen der Sprachlo­gik werden entlarvt. Dieser Bewußt­seinszustand ist für westliche Leser schwer nachvollziehbar, doch er betrifft den End­zustand Westen genau so;  und bedingt eine neue Ästhetik  paradoxer Logik. Diese Erfahrung ist seit 1989 nicht mehr exotisch, abschiebbar, aber unsere Erfahrung   ist radikaler als die ostdeutsche, doch mit ihr verwandt. Heute, wo der sichtbare Gegner verschwunden ist, wird alles unübersichtlich töd­lich:  Wenn jeder ein Schattenriß seiner selbst ist, muß die Form des Abschieds, die Elegie, aber auch alle andern Formen  verändert werden, da seit 1945  Geschichte die Erfahrung überholt.
            Aus dem Italienischen  habe ich  recht spät zu übersetzen begonnen, erst ab 1975   ( ich lebe in  abwechselnd in Stuttgart und  in Camaiore/ Lucca seit  Mai 1973). 1975 habe ich ein Buch "Sozialisation der Ausgeschlossenen"  über die geöffneten Heilanstalten in Italien bei Rowohlt  eine Originalausgabe aus dem Italienischen herausgebracht. Um wieder zu versuchen etwas zu vermitteln: ein Modell zu übertragen. Und laufend dann haben ich vor  Lyrik  für deutsche Zeitschriften  und den Funk übersetzt: Michelangelo,  Dino Campana, Giuseppe Ungeretti,  Carlo Michelstaedter.
            Dann Amelia Rosseli, in letzter Zeit: Sinsigalli, Rebora,  Sereni. Fortini, Buffoni
            Doch auch jüngere oder unbekannte Kollegen, wenn der "Funke" sprang: Luciano Fintoni, Robert , Maura del Serra, Giuliana Lucchini u.a.
            Und ich habe weiter vor, vor allem "Paraphrasen" zu schreiben, auf den Namen nicht zu achten, sondern auf das Gedicht, das mich berührt: wobei mich vor allem Gedichte über die Grenze, an der Grenze, dort, wo das Undenkbare, vor allem die Todeserfahrung in der Metapher gerade noch faßbar, im inneren Takt noch hörbar wird, aufhorchen lassen.

Oktober 1996


Dieter Schlesak
                                                           Mimesis

             Meine Gedanken zum Übersetzen gehen von Walter Benjamin[1] aus und von Rudolf Pannwitz: "Jene  reine Sprache, die in fremde gebannt ist, in der eigenen zu erlösen, die im Werk gefangene in der Umdichtung zu befreien, ist die Aufgabe des Übersetzers." So daß "die Grenzen des Deutschen erweitert"  etwa um das Fremde, hier des Italienischen  erweitert wird. Wie in der Tangente, berührt die Über-Setzung das Original  nur flüchtig, und im heißen Berührungspunkt, der ein flash sein muß, um dann "nach dem Gestz der Treue (aber im Innersten der angestoßenen Sprachphantasie) in der Freiheit der Sprachbewegung ihre eigenste Bahn zu verfolgen,  um sie als "Bruchstück einer größeren Sprache erkennbar zu machen". So erst wird der sehr unterschiedliche "Gefühlston" der Sprachen, der etwa "Brot", "pane" bestimmt, erst in jener Ursprache  der Phantasie im Geistigen aufgehoben und in-eins-gesetzt.
            Denn so  wie ich es auch bei meinen eigenen Gedichten Fragenden immer wieder sage, daß der Text nur der Anstoß sei, ein eigenes Gedicht im Leser in Bewegung zu setzen, so sehe ich  (mit Walter Benjamin) auch die Übersetzung, vor allem die "Paraphrase", und lasse mich im flash vom fremden Gedicht "berühren", genau wie auch bei Erregungen  in Ausstellungen, oder im Falle der Sixtinischen Kapelle,  über die ich viele Bildgedichte geschrieben habe, (drei Bände sind erschienen: "Das Neue Licht Michelangelos" 89-91), so  lasse ich diese Erregungen zu emotionalen Assoziationen werden, die ein neues Gedicht entstehen lassen, das dem Original so nahe geht, ja zu Liebe rückt, bis es sich selbst verändert. Das schaft eine wörtliche Übersetzung nie, die von Konserven ausgeht und solche auch herstellt.
            Die wortlose Ursprache ist vielleicht am besten vorstellbar in jener Sphäre, wo alles-eins wird, einer undenkbaren, aber emotional im Sprach-Zwischenraum und dem meta-pherein Mitvibrieren am Rande des Ganz Anderen, der Perspektive etwa der Toten, der wir uns nur intuiitiv, wie Rilke etwa in seinen "Duineser Elegien" annähern können.
            Bei den vergangenen, also körperlich unerreichbaren Poeten etwa, wie Baudelaire, stehen die Toten noch in den Synästhesien als "Literatur" unbeweint, aber fühlbar da im Zwischenraum der Zeilen, ja, der große Franzose maß an diesem kultischen Element, das ihm das Zeitvergehen erträglicher mach­te, den Grad des Zeit-Zusammenbruches und seinen eignen, so daß er fast Lust daraus schöpfen konnte, damals. Man kann dieses Zusammenbrechen als Prinzip sogar ins Übersetzen  einführen, nämlich alles zuerst auszulöschen und einen neuen kreativen, ja existentiellen Akt zu "be-gehen", was heißt, daß der Gedichtübersetzer nur solche Texte übertragen darf, die ihn zutiefst, also in einer Sprachschicht des Unbewußten berühren, wo alle Sprachen eine sind.

         Dazu aber gehört eine besondere Art von Kraft: Liebe, oder besser, ein Schuldgefühl, wenn diese heute im Alltag nicht so da ist, wie es sien müßte, wenn wir uns an jenem Zustand messen, der jeden Augenblick als intensio, als intensivstes Leben, das vergeht, anpeilt. Im Rumänischen gibt es ein besonderes schönes Wort für Schwäche. "Slab de îngeri." Engelsschwäche. Kein Engel, keine Sub­stanz, kein Gefühl, kein durchwachsenes starkes Leben. An der Wand meines Bukarester Schreibtisches hatte ich eine Abschrift von Korinther 13 angebracht: "Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle." Und wie oft klingt diese Schelle, wenn ich leer bin und  ich nur intellek­tuell oder assoziativ rede. Und lebe.
            Ich fand genau diese Stelle auf der Wartburg als Beispiel aus Lu­thers Bibelübersetzung. Und noch ein wichtiges Wort, das meine Poetik genau wiedergibt: "Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Wort; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ichs stück­weise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin.".
            Und beim Schreiben ist es so: Da wir sonst jeden normal gelebten Augenblick im Selbstvergessen verlieren, ist es wie beim Gedichtschreiben selbst auch beim Übersetzen, ein ver-rückter, ein beglückend  ekstatischer Zustand: Im Augenblick des Sturzes (und des Ich-Verlustes, ja, des Sprachverlustets zuerst in der fremden Sprache!) leuch­tete es hell auf, wo ein Schrei sein sollte, ist seltsames Glück, ja, Tri­umph, daß das Sichtbare als Schönheit auch im fremden Wort eingekehrt, besiegt wor­den war, als "ein Appell," wie Walter Benjamin diese Auferstehung im Selbstauslöschen wunderbar definiert, "Appell zu denen sich zu ver­sam­meln, die es früher bewundert haben. Das Ergriffenwerden vom Schönen ist ein ad plures ire, wie die Römer Sterben nannten." Dies Eingedenken, diese correspondences, wie Baudelaire dieses nannte, hat bei jemandem, der zwischen allen (verlorenen) Sprachen und (verlorenen) Ländern lebt, noch den Ne­beneffekt, das unwiederbringlich Verlorenes nur als ein Nichts vergangen zu sein scheint, das jenseits des Denkbaren  wieder rettbar ist (also sowohl Länder, als auch Sprachen!)  Nun rettbar in der fremden Sprache, die es "aufhebt". Das Gewesene, auch vor unserem Leben gewesene, hebt  auch im Übersetzen, wie im Gedichtschreiben, die Todesangst auf, da es "gesättigt mit allen Reminiszenzen, die während des Verweilens im Un­bewußten in seine  Poren gedrungen waren", uns neu berühren, Gegen­wart werden kann, wie Benjamin treffend sagt.
            Genau dieses heißt es auch jedes Gedicht nun in die eigene, hier in meinem Fall in die deutsche Sprache (und ihr großes geistiges Erinnerungsgewebe) zu bringen:  heißt einen völlig neuen kreativen Akt begehen und nicht ein fast gedanklenloses Abschreiben, wie viele Übersetzungen, eine Mimesis, wie sie Platon wirklich meinte, nicht wie sie etwa B.Auerbach in seinem berühmten Buch vor-schrieb:  Daß ich die mar­xistische Ästhetik mit ihrem primitiven Realismus, ihre Wieder­spiegel­ung­stheorie in meiner ehemaligen östlichen Heimat abgelehnt hatte, und in allen heute grassierenden Realismuskonzepten weiter ablehne, geht ja auch in diese Richtung: Es war die falsche Ver­wendung des al­ten Begriffes "Mimesis", was keineswegs Realitätsspiegelung heißt, sondern Sichineinssetzen mit der "Ebenbildlichkeit", die "Apriorität des Individuellen"  zu entdecken (Omoisis to theo,  bei Platon: Angleichung an das Göttliche im Menschen. Dazu gehört, den Schein, das soge­nannte "Wirkliche", die Hülle zu zerbrechen, zu entlarven; in der Moderne mit sprachlichen Mitteln; meta-phérein -Metapher-  heißt ja hinüber-tragen, anderswohin tragen.)  Und genau so im fremden Gedicht diesen Kern zu entdecken, ihn zu enthüllen,  die Bilder in die Tiefe führen, wo sie mich berühren, dann erst wieder auftauchen lassen als neues Sprachbild im Deutschen. Also etwa als Beispiel hier:
            Mich haben z.B. die Rilke-Übertragungen von Michelangelos Sonetten sehr angerührt, während mich alle anderen textgenauen "Übersetzungen" völlig kalt ließen! Ebenso Ungaretti von Celan, alle anderen waren "textgenau" und hatten doch mit Ungaretti wenig (oder gar nichts)  zu tun!
            Paraphrase also, sie erlaubt den Berührungsfreiraum, der so ist wie in der Existenz die Zeit: nach Plotin "Zeit ist das Leben der Sele", dieser Freiraum ist also mehr als nur eine "Übertragung", sondern ein Hinübertragen, und so nenne ich meine Übertragungen lieber "Paraphrase". "Paraphrase": wobei das griechische "Daneben-reden", nicht als "Daneben­sein" der Übersetzung heißen soll, sondern wirklich "Hinzufügung zu einer Rede", erwei­ternde Umschreibung,  d.h. abwandelnde Wiedergabe einer Textvorlage. (Vgl, Otto F. Best,  Handbuch literarischer fachbegriffe", 9. Auflage Frankfurt/Main 1980.)
            Über die Notwendigkeit der ekstatischen Paraphrase also wäre viel zu sagen, vor allem aber die Unübersetzbarkeit des Unsichtbaren, das in jedem  "guten" Gedicht, auch in der "fremden" Sprache umkreist wird, sich aber in dem trifft, was wir das "Eine" nennen können, eben nicht das sichtbare "Ding" oder "Wesen".
            Moderne Literatur ist undenkbar ohne radikale Sprachskepsis;  heute weiß sie mehr denn je davon, daß  sich der Baum wundern würde, wüßte er, daß wir ihn "Baum" nennen; und doch glauben wir immer noch daran,  wir hätten in diesen vier Buchstaben  etwas WIRKLI­CHES,  und wir bilden uns etwas darauf ein, wenn wir "Bewußtsein" oder gar "Gott" sagen.   Wittgenstein empfiehlt als Alternative Schweigen, Benjamin die unsichtbare, aber spürbare "Aura" und den "Schock", Joyce die "Epi­phania"; und George Steiner meint - weit zurück­greifend - all dies kul­miniere in  Arnold Schön­bergs Oper  "Moses und Aaron", dem Auf­schrei des Erweckerpatriarchen Moses: "Oh Wort, du Wort, das mir fehlt." Das Feh­lende also erst sage aus, was ist.
            Ausgerechnet der Stotterer ( der Sprachverhinderte) Moses erhielt am Sinai von dem "Einen Gott"  die  Tafeln, Mutationen des Namens (JHWH); ein Sinngeflecht, das wie ein "Baum" angeordnet gewesen sein soll, die sogenannte schrift­liche Thora - oder die fünf Bücher Mose SCHRIFT - aber das Sinai-Er­eignis ist unbeschreiblich,  wie auch die deutsche Bi­belübersetzung, viel mehr als jede andere normale Übersetzung,  nur eine Annäherung, eine sehr approximative Deu­tung sein kann, da die hebräi­schen Worte zugleich auch Zahlen sind, also Ausdruck von Proportionen, das riesige Sinngeflecht eines Gesamtzusammenhan­ges, das eine Struktur ausdrückt, keine willkürliche, vom Gesche­hen abgetrennte Wort-Semantik ist.nen, also auch nicht zur "Ursprache" gehören.
 September 1996









            Dieter Schlesak

            ÜBERTRAGUNGEN UND PARAPHRASEN/  TRADUZIONI E PARAFRASI



Dino Campana

O poesia tu più non tornerai

O poesia tu più non tornerai
Eleganza eleganza
Arco teso della bellezza.
La carne è stanca, s'annebbia  il cervello, si stanca
Palme grigie senza odore si allungano
Davanti al deserto del mare
Non campane, fischi che lacerano l'azzurro
Non canti, grida
E su questa aridità furente
La forma leggera dai sacri occhi bruni
Ondulante portando il tabernacolo del seno:
I cubi degli alti palazzi torreggiano
Minacciando enormi sull'erta ripida
Nell'ardore catastrofico



Dino Campana
O GEDICHT DU WIRST NICHT WIEDERKEHREN
(O poesia tu più non tornerai)

O Gedicht du wirst nicht wiederkehren
Du elegante Eleganz
Gespannter Bogen der Schönheit
Das Fleisch ist müde
vernebelt das müde Hirn
Palmen grau gefächert
Geruchlos gereiht
Vor der Öde des Meeres
Es sind nicht die Glocken, nein Pfiffe
Zerrissen das Blau
Keine Lieder, Schreie.
Und oben die Ödnis wild
Gewichtslos eine Silhouette
Mit dem Braun zweier Augen geheiligt
Tragen sie fort wie die Wellen Tabernakel der Brust
Kubische Hochhäuser getürmt
An der steilen Kurve
Katastrophaler Erregung.



Dino Campana
Bastimento iin viaggio  (Già: frammento)

L'albero oscilla a tocchi nel silenzio.
Una tenue luce bianca e verde cade dall'albero.
Il cielo limpido all'orizzonte, carico verde e dorato dopo la burrasca.
Il quadro bianco della lanterna in alto
Illumina il segreto notturo: dalla finestra
Le corde dall'alto a triangolo d'oro
E un globo bianco di fumo
Che non esiste come musica
Sopra del cerchio coi tocchi dell'acqua in sordina.




Dino Campana
(Bastimento in viaggio. Già: frammento)
Der Mast vibriert im Tastsinn des Schweigens.
Ein schwaches weißes Licht fällt vom Mast in ein grünes.
Klar Himmel am Horizont lädt Grün und Gold nach dem Sturm.
Weißer Rahmen der Laterne über dem Deck
Beleuchtet Geheimnisse der Nacht: durch ein Fenster -
Taue von oben das goldene  Dreieck
Eine rauchweiße Kugel
Die nicht klingt
Über dem  Kreis dumpf pochenden Wassers.





Giuseppe Ungaretti
Tutto ho perduto

Tutto ho perduto dell'infanzia
E non potrò mai piú
Smemorarmi in un grido.

L'infanzia ho sotterrato
Nel fondo delle notti
E ora, spada  invisibile.
Mi separa da tutto.

Di me rammento che esultavo amandoti,
Ed eccomi perduto
In infinito delle notti.

Disperazione che incessante aumenta
La vita non mi è piú,
Arrestata in fondo alla gola,
Che una roccia di gridi.



Giuseppe Ungaretti
(Tutto ho perduto)
Ich habe alles verloren  von der  Kindheit
nie mehr  werd ich  mich vergessen können
im Schrei.

Begraben die Kindheit
im Abgrund der Nächte
ein Jetzt, unsichtbares Schwert
es trennt mich von allem.

Noch erinnere ich mich meiner da ich dich liebte
jubelnd und sieh mich nun: verloren
in  nächtlichen Unendlichkeiten.

Es steigt Verzweiflung unaufhörlich hoch
am Leben das Nie ist
in die Kehle gedrückt
ein  steinerner Schrei.





Giuseppe Ungaretti
Ultimi cori per la terra promessa, 1

Agglutinati all'oggi
I giorni del passato
E gli altri che verranno.

Per anni e lungi secoli
Ogni attimo sorpresa
Nel sapere che ancora siamo in vita,
Che scorre sempre come sempre il vivere,
Dono e pena inattesi
Nel turbinîo continuo
Dai vani mutamenti.

Tale per nostra sorte
Il viaggio che proseguo,
In un battibaleno
Esumando, inventando
Da capo a fondo il tempo,
Profugo come gli altri
Che furono, che sono, che saranno.



Paraphrasen und Gedichte nach  Motiven von Giuseppe Ungaretti

(Ultimi cori per la terra promessa, 1)

Vom Heute unablösbar
Vergangenheit Tage und
die kommenden  alle.

Lang der Augenblick
Überraschung: da zu sein.
Daß immer dieses Leben
nachläuft/ das Geschenk
meist eine Qual
und Wirbel Wandel des Umsonst.

Die Tiefe ein Geschick
hat uns die Folge (diese Pein)
hinab in die Reise grab ich
Zeit aus erfinde sie neu
Flüchtling wie alle die waren
die sind und die kommen werden.






Clemente Rebora
Se Dio cresce

Se Dio cresce
il diavolo aumenta,
vetta che al cielo più riesce
scavando una voragine tremenda.

E merito non è, non è peccato,
se in noi le ascese cadon paurose,
come chi sogni, agitato
al senso delle cose.

Ma chi si sveglia nel gran giorno ha fede:
scorge cader la luce al nostro fondo
per rivelarci il sol che attende
sul culmine del mondo.




Clemente Rebora
Wenn Gott  wächst
(Se dio cresce)

Wenn Gott  wächst,
nimmt der Teufel zu,
gelingt  der Gipfel  dem Himmel  zunächst,
gräbt er dann furchtbar den Abgrund der Ruh.

Kein Verdienst und keine Schuld ist´s,
wenn der Aufstieg in uns  fällt,
erregt die Angst, die du bist,
vom Sinn der Ding träumt und hält.

Die am Jüngsten Tage erwachen, die glauben!
Licht, das zu uns in die Tiefe fällt,
zu entschleiern den Scheitel der Welt,
wo die Sonne wartet, aufsteigt und hält.


(Le Poesie 1913-1957, Milano 1961.
Italienische Lyrik, p. 86)



Leonardo Sinisgalli
Vidi le muse

Sulla collina
Io certo vidi le Muse
Appollaiate tra le foglie.
Io vidi allora le Muse
Tra le foglie larghe delle querce
Mangiare ghiande e coccole.
Vidi le Muse su una quercia
Secolare che gracchiavano.
Meravigliato il mio cuore
Chiesi al mio cuore meravigliato
Io dissi al mio cuore la meraviglia.





Leonardo Sinisgalli
Ich sah die Musen
(Vidi le muse)

Auf dem Hügel sah ich
Ja ganz sicher Musen
Zwischen den Blättern kauernd,
uns die Stange haltend.
Ich sah also damals die Musen
Zwischen der Breite von Eichen Blättern,
Eicheln verspeisend und Beeren.
Und sah freilich die Musen auf einer Eiche,
hundertjährig rabenkrächzend.
fragte ich mein verwundertes Herz,
und erzählte meinem Herzen
das Wunder.

(Aus: Poesia 71, p. 24 )




Alfonso Gatto
Pensieri inediti sulla poesia e altro

Nulla è più solo di un nome, di una storia morta. Ma che serena tristezza camminare per i viali deserti del cimitero di Boulevard Quinet: tra la mamma e il patrigno c'è anche Baudelaire, in una tomba piccola come quelle d'un bambino.






Alfonso Gatto

(Paraphrase und Variation  nach: Pensieri inediti sulla poesia e altro)

Nichts ist einsamer als der Name
Niemand einer toten Geschichte.
Lebend noch und schon eines der Opfer
glücklich die vergangene Zukunft
ja die alte Grenze zu schauen
himmelnd

Klein bleibt auch Baudelaires Grab in Paris
eine Grube wie ein Tor  türgroß nur wie ein
neues Kind und kinderleicht mit dem letzten Atemzug
entkommen wer nur das Loch sieht von
der Seite des Blickes vergißt jeden Ausgang
den die Opfer doch alle genommen

Einer zitierte Charles in der Kammer noch
wie ein letztes Gebet auf den Lippen schon Rauch.

Uns aber bleibt nur verspätet zu widerstehen:
die Armut sie gräbt sich nach innen
nur sie erreicht noch den Ausgang
im letzten Verzicht fest zu schließen
die gierigen Lippen

Erinnert den Sinn Tod von damals
atmend erstickt im Müll.

(Poesia, 94, p. 15)






Franco Fortini

L'esame

Mi presento all'esame. Non ricordo più nulla.
Le cose che avevo credute non le credo più.
Come posso difendere, maestri, le mie tesi?
Esaminatore, di chi sono le parole che dico?




Franco Fortini


Prüfung
(L´ esame)

Ich stelle mich der Prüfung. Und weiß nichts mehr.
Was ich bisher glaubte, glaube ich nicht mehr.
Wie, meine Lehrer, kann ich noch meine Thesen verteidigen?
Ihr Prüfer, vom wem sind die Worte, die ich sage?



Vittorio Sereni

Ahimè come ritorna

Ahimè come ritorna
sulla frondosa a mezzo luglio
collina d'Algeria
di te nell'alta erba riversa
non ingenua la voce
e nemmeno perversa
che l'afa lamenta
e la bocca feroce

ma rauca un poco e tenera soltanto...

(Saint-Cloud, luglio 1944)



PARAPHRASEN

Für
Vittorio Sereni
[ Totenstimme. Nach dem Motiv von: Ahimè come ritorna]

Ach, wie er  hier wiederkehrt
auf den gewendeten  Blätten sein Reichtum
mitten im Juli algerische Hügel erinnert
auch deiner im hohen Gras verkehrt
geschrieben, gesagt die Stimme Nie
und nicht unschuldig  oder pervers
wie sie  flimmernde Hitzeschleier beklagt er
wild gräbt sich durch  der Mund
nur etwas heiser doch zärtlich
am Ende

Saint-Cloude, Juli 1944

(Poeti italiani,  Mondadori, 1978 p. 755)


Franco Buffoni

Vittorio Sereni

Il sentiero scendeva sulla fronte d Armio,
Lago d'inverno stropicciato solo.
Se ne andava con profondi squarci
Nel ritratto d'acqua dell'acqua che indossava
E il suo cavallo sollevava onde di polvere
Nello sguardo semplice del cielo.
I pini salivano nel buio
- ripeteva a nascondersi
  tra stelle decenti
  coi soli sorrisi -
E adesso erano proprio tutti uguali.




Franco Buffoni
       Vittorio Sereni

Ein Pfad im Abstieg auf der Stirn des Armio
Wintersee  allein zerstäubt   getäuscht
Verschwand und hinterließ die tiefen Schneisen
Im Bild des Wassers: er im Wasserkleid
Und  im Naturblick  eines Himmel-Spiegels 
In Wellen Wasserstaub stieg auf: Galopp  des Pferdes
Die Pinien stiegen  noch ins Dunkel hoch
- Immer wieder ein Versteck
  zwischen den Sternen leidlich
  still ists allein  ein reines Lächeln -
Jetzt  waren sie wirklich alle gleich.

(ADIDAS, 1993, p. 44)





Franco Buffoni
O da un Sant'Antonio paralizzato

O da un Sant'Antonio paralizzato
Picchiato dai diavoli del Sassetta
Lo stantio fetore di bontà
A contrastare l'allegria dei diavoli
La loro vanità. Poi il viso a terra
Volge piano il santo e gli occhi
Rassegnati ma non vinti
Sono quelli in preghiera di una foto
Di Lager. Sono quelli che avevo da bambino.


Le morti

Le morti sono capricciose non arrivano
Quando le desideri o le aspetti,
Imprevedibili balzano sui tram
E sono già arrivate
Oppure ai capolinea se li lasciano
Partire tutti, irascibili
Fingono di leggere.




Franco Buffoni

  ( Le morti)
Die Tode sperren sich sie kommen nicht an,
Wenn du sie ersehnst oder erwartest
Unberechenbar springen sie auf die Trambahnen
Und sind schon angekommen oder
An der Endstation wenn sie alle aussteigen lassen,
Täuschen sie zornig vor zu lesen.



( O Sant´Antonio)
Oder ein gelähmter Heiliger Antonius
Verprügelt von den Teufeln des Sassetta
Der ranzige Leichengeruch der Güte
als Kontrast zur Fröhlichkeit der Teufel
Schnellerer Nichtigkeit Kontur. So schlägt
Der Heilige langsam seine Augen nieder
Resignierte aber nicht besiegte Augen sind
Augen im Gebet auf einem Lagerfoto.
Es sind die Blicke meiner Kinderaugen.

(Poesia 96. p. 44, 45)








Elisabetta Robert

NOSTRA SIGNORA DI LOURDES

Während sich die Augen senken
und die Lippen das Wort  fürchten

hebst Du
Mutter der Mütter
die Gesichter

Das dauernde Wunder wird erneuert

(Vivere significa, p. 42)

IM ANFANG WAR DAS WORT
(In principio era il Verbo)

Im Anfang
das Wort.
Am Ende war
das Schweigen.

(Vivere significa, p. 43)



Elisabetta Robert
Nostra Signora di Lourdes

Mentre gli occhi s'abassano
e le labbra temonno le parole,
Tu,
Madre delle Madri
sollevi i volti...
Si rinnova il miracolo perpetuo.


In principio era il Verbo

In principio
era il Verbo.
Alla fine
fu il Silenzio.



Dieter Schlesak
Grenzen Los. Notturno
("Autoritratto al chiaro di luna")

Der Übergang als wärs
der Tod erlebt, die Form, die Aus
dem Sterben kommt: Notturno jedes Leben.
Der Mond, der Mund Endymions,
zerschweigt die Welt, verzittert
wie unter Wasser Jetzt ist alles, was
du sahst veschwunden, Hier und dunkelt schon
der Übergang in blauer Schattenfarbe.

Hörst du Musik, im Hirn das Delta T,
in dir das Kind, das Weinen, denn über alle
Dächer  geht die Mondsucht Ruh, du wachtest
schliefst seit vielen Jahen deinen Tod,
du weißt, bald ruhst du hinter jeder Form,
zerfällst sie, wie Terralba. OPUS Reife
Trancechemie, wo Nichts mehr ist nur NULL
das unsichtbare Gold im Mond verzittert
jeden Mann und Schatten löst uns auf, der Schein
verliert aus sich den Traum, den jedes Ding
Musik in sich verschwingt und selber ist
gedankenhell sich weiß,  berührt in mir
den Innenraum, der fließt, Essenz, der Mondschein
klopft die Scheibe auf, das Draußen hat so
ausgedient im Duft der Transzendenz



Oltrelimite
("Autoritratto al chiaro di luna")

Trasmutare, come
fosse la morte vissuta, la forma che dal
morire viene: Notturno d'ogni vita.
La luna, la bocca di Endimione,
scioglie il mondo in silenzio, ora
come dissolta in un tremito d'acqua è ogni cosa, che
vedesti svanita, qui è già s'oscura
la trasmutazione nel turchino colore dell'ombra.

Odi la musica, nel cervello il Delta T,
in te il bambino, il pianto, poiché so ogni
tetto va la sonnambula quiete, tu da ottant'anni
la morte vegliasti e dormisti,
tu sai, presto dormirai dietro ogni forma,
come Terralba la decomporrai. OPUS maturità
chimica d'arte, dove il nulla altro diviene, e il cerchio dello zero
in un tremito scioglie l'invisibile oro
nel silenzio lunare,
in ogni uomo, e l'apparente bagliore
da sé dilaga il sogno, musica pulsante
di ogni cosa, che in limpido pensiero si conosce, ed in me sfiora
l'intimo, fluente, spazio, essenza, il lunare bagliore
apre e dilarga l'disco, l'esteriore si compie
nel trascendente aroma.

(Traduzione italiana: Mario Pezzella)



WAS NICHT IST. Rascheln und Umblättern
meiner Bilder im
                        Hirn nur
noch sich auf
                        hält
an nichts fest, als an der verrotteten
                        Sehnsucht.

Unverlierbar ist die Frau, nur
gedacht. Liebe, die nie war
und  mich um-
                        garnt
Pnelope, in Immer, Geschriebene -
                                   kein Brief
als mein Abschied.    




Dieter Schlesak

CIÒ CHE NON È

Solo il fruscio  e lo sfogliarsi
delle immagini
                        nel cervello
ancoa solo
                        è fedele

al desiderio disfatto, a nient'altro.
Mai si perde la donna
che è solo pensiero.
Amore mai stato
che pur mi seduce
Penelope. Sempre Scritta -
                       nessuna lettera
oltre al mio  addio.


(Traduzione italiana: Mario Pezzella)



GIORGIO CAPRONI
Pronomina der Person versprochen

SO wünsch ich mir die Ich-Variante
zu jeder angeblich sichern Nachricht
die der Beweis des Todes ist

Wie Er auch Ich
sollten wir nie wiederkehren
könnt ihr mit Sicherheit wissen
daß Er hier überlebt:

Er war nie fort

Und dieses lange Reisen
von meinem Anfang an sagt er:
"war nur ein Bleiben dort
wo ich nie war"







Dieter Schlesak

GIORGIO CAPRONI
Pronomi, promesso alla persona

Invoco le varianti dell'Io
ad ogni notizia che si dice certa
ed è prova di morte

più  di sempre
per noi pericolosa
anche se ormai traspare
che non si può provare
nè l'ES nè il mai stato.

Come Lui anch'io
se mai non dovessimo tornare
sappiate con certezza:
qui Lui sopavvive:

nè mai fu lontano.

E lui dice il lungo viaggio
dal mio inizio:
" sono tornato là
dove non ero mai stato."


(Traduzione italiana. Mario Pezzella)



[1]  Walter Benjamin, Die Aufgabe des Übersetzers, in: Illuminationen, Frankfurt/Main 1977, S. 50

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