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Sonntag, 24. Juni 2012

Schlesak: Meine Vita im KLASSENBUCH 2002


DIETER SCHLESAK: SO NAH, SO FREMD. Zum „Klassenbuch“.

Es fällt mir schwer, diese Wahnsinnsepoche, in die wir mit unserem Leben hineingerisssen wurden, die unsere Generation miterlebt hat, in einem solch abgekürzten Verfahren und auf einigen Seiten wie eine Abbreviatur abzuhaken; ich habe tausende von Seiten dazu geschrieben, Rundfunksendungen, Essays, Zeitungsaufsätze, Vorträge,  Erzählungen, Romane, Gedichte, Übersetzungen, viele Bücher dazu veröffentlicht, und so versucht, das Erlebte, Erfahrene, Erlittene  auch „stellvertretend aufzuarbeiten“, zu begreifen und zu begreifen helfen, was uns, auch unseren Eltern und Großeltern  zugestoßen ist; anders hätte ich nicht leben und überleben können! Galgenhumor, zumindest Sarkasmus, Satire wäre vielleicht angebracht, ich habs in meinen Büchern versucht; das Lachen jedenfalls ist mir vergangen, und  die Lust, Witze zu reißen auch.  Die Semzeit jedenfalls ist eine kleine Episode, sicher nicht die wichtigste, wahrscheinlich die am wenigsten typische für diese Zeit!

Womit soll ich beginnen? Vielleicht mit dem ersten größeren, aber so harmlosen Kinderschrecken meines Lebens: dem Erdbeben am 9.November 1940, das wie ein symbolisches Erdbeben war, wie sich später herausstellte: ich weissnoch wie die Lampen wackelten und wir voller Panik in den Garten liefen; wir wohnten damals in der Kokelgasse,  vis á vis von der Löwischen Tuchfabrik im Hausenblaszhaus; exakt an dem Tag, am 9. November  aber, und das trifft   sich:  wurde in der Mediascher „Traube“ auch  die „Volksgruppe“ der Lümmelgarde des Andreas Schmidt gegründet, die an jenem Tag die „Macht“ übernahm. Meiner Mutter  gefiel dieses nun angeordnete „Forsche“ und „Stramme“, und wenn ich mit ihr in die Stadt ging, wir in der Baiergasse der Fikkatante begegneten oder gar dem Essig­fabrikanten, dem Nazivordenker und Ortsgruppenleiter Pomarius, und ich nur schlapp „Sgett, sgett“ murmelte, fuhr sie mich an: „Sag doch nicht immer wie ein Maku, Sgett, sondern heb dein Ärmchen wie ein deutscher Junge und sag Heil Hitler“. Natürlich rannten wir damals auch hinter der Blasmusik der deutschen Lehrtruppen her „Wenn die Soldaten durch die Stadt marschieren, öffnen die Mädchen Fenster und die Türen, Hei warum, hei darum, und nur wegen TschimborassaBumborassa. Bumm“; und jeder hatte stolz seinen „Soldaten“ bei sich einquartiert, ich durfte zum erstenmal auf dem Rappen eines deutschen Hauptmanns reiten; und meine Großmutter schrieb ihrem Sohn Ali, der in Berlin-Charlottenburg Hoch- und Tiefbau studierte: „Hier ist ein Jubel. Jetzt flaggen wir mit Staats- und Hakenkreuzfahne. Unser Götzi versteht schon alles, er hebt das Ärmchen und ruft: Heil Hiker! Servus, sei umarmt, ich mussaber jetzt baden gehen!“ Niemand merkte, was sich da zusammenbraute; alle, nicht nur wir Sechsjährigen waren naiv. Und lebten in unserer Kinderwelt:  Im Kindergarten aber, ähnlich wie „draußen“  schon erste Machtkämpfe, wo ein gewisser Helmut Konradt sich mit dem Winter Rick um den  Titel des „Stärksten“ prügelte, Rick, der nachher ein roter Capo wurde, mich als UTM-Sekretär piesackte und verhörte, als ich Lehrer in Denndorf war, meinen Bruder  als „pui de burghez“ mit einer  „origine nesánátoasá“ nicht studieren ließ, Rick, der mal  als ZK-Sekretär von Ceausescu zusammengestaucht wurde, einen Schock bekam, im Rollstuhl landete, und kurz darauf elend starb, war  einer von den Kindergartengenossen, der es am „weitesten gebracht hatte“. Nun ja, als Vierjährige feierten wir schon mit der „Tante“ „Führers Geburtstag“, sein „Heldenleben“ wurde uns eingetrichtert, und sein großes Foto hing an der Frontseite des Spielzimmers.
In der Schule, der Knabenschule mit dem großen Hof und der Turnhalle, der steilen Treppe in die Klassenzimmer, beim Lehrer Sattler „Finf“, so genannt, weil der „jetzt alle finf“ kommandierte, und uns mit dem Rohrstock die „Kniewel“ heissschlug, Au, Au. Bitte, bitte nicht!, glänzte ich nicht, hatte mein schlechtestes Zeugnis der ganzen Schulkarriere, so dassmeine Mutter heulte, weil sie solch ein Idiotenkind als Ältesten zur Welt gebracht hatte! Ja, ich war immer absent, nie dabei, wußte nie worum es ging, verträumt, weggetreten. Eben ein Maku! Und meine Kniewel waren oft rohrstockheiß. 1941 war einer der kältesten Winter des Jahrhunderts, - 35°, mein Vater im Krieg in Russland, er kam mit seiner rumänischen Autokolonne bis nach Stalingrad.
„Heilig Vaterland in Gefahren, Deine Söhne sich um dich scharen.
Heilig Vaterland, Heilg Vaterland“… Mein Vater war zwar wie alle in der DM (Deutsche Mannschaft!)gewesen, aber überzeugt von der Sache war er nicht. Und er war genau so entsetzt, wie viele, als die jüdischen Freunde und Bekannten eines Tages das Trottoir schrubben mußten.Und als er einmal im Gassenhaus, meinem Geburtshaus, wo inzwischen die jüdische Familie Baruch eingezogen war, merkte, wie sie „Feindsender“ hörten, schwieg er. Auch das „Kauft nicht bei Juden“ brachte er nicht an der Tür unseres  Geschäftes an. Doch es gab damals brutale „Juden­ver­klopfer“ unter uns, auch Väter meiner Kinderfreunde, die in der Konditorei Martini  Juden blutig schlugen. All das erinnere ich noch,es sind dunkle eigene Erinnerungen … Baruch.. Feindsender… Kondi Martini… Heilig Vaterland… Tschimborassa etc. Und auch jene „schwere Zeit“, wo es WHW und Eintopf und schwarz­umränderte Traueranzeigen gab, und Heldenmütter und Heldensöhne, lässt sich aus meinem Gedächtnis nicht mehr löschen. Meine Mutter und  eine Tante, deren Mann als rumänischer Oberleutnant auch an der Front war, zwurnten, weinten oft, und sangen in der Küche: „Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei!/ Nach jedem Dezember kommt wieder ein Mai!“ Vater muss1943 auf Heimaturlaub gewesen sein, ich sehe ihn noch am gelben „Blanken“ stehen, vor mir ein schmaler sommersprossiger Junge, der Nachbarssohn Kurt Kuales, und Vater sagt, „also Kurti, Sie sollten sich doch nicht freiwillig melden, Sie sind  noch zu jung!“ Kurti aber konterte:“Das geht nicht, die ganze Klasse meldet sich geschlossen, da darf keiner ein Drückeberger sein!“ Ich hörs noch heute, und wir sangen  das Lied in der „Kindergruppe“ „Vorwärts, vorwärts, es schmettern die hellen Fanfaren/ Vorwärts, vorwärts Jugend kennt keine Gefahren!“    
Ja, da machten  ganze Klassen ihr Notabitur, kamen zur SS, bekamen eine Schnellausbildung, und mußten gleich ins Feuer, der „Blutzoll“ für „Führer und Reich“ war schrecklich hoch. Kurti fiel 1944 in der Schlacht von Budapest. Andreas Schmidt, Schwiegersohn des Obergruppenführers und Leiters des SS-Hauptamtes  Gottlob Berger, hatte uns dies eingebrockt, seinem Schwieger­vater 55000 Banater und Siebenbürger Wehrpflichtige „geschenkt“, die durch einen Vertrag zwischen Berlin und Bukarest automatisch als „Freiwillige“ zur SS kamen, viele zu den „Wachmann­schaften“ in die deutschen Vernichtungslager.  Und ich höre es noch heute, wie die Väter meiner Schüler in Denndorf, baumlange Kerle,  zu mir sagten: „Herr Liehrer, sängt ech dat do gesähn hun, kan ech nemmi schloofen!“
Vier meiner männlichen Verwandten haben Ähnliches erlebt. Vor allem der unglückselige Ali, Bruder meiner Mutter, der Weihnachten nach Hause kam, mal ein tanzendes Plüscheselchen aus Berlin mitbrachte, dann wieder einen feuerspeienden Panzer mit eisernem Kreuz. Stille Nacht, Heilige Nacht. Deutsche Weihnachten, dazu die Glocken aus dem „Reich“.  Und „Wenn tief im Tal erloschen sind am Weihnachtsbaum die Kerzen.“ Unser Michael Albert.
In Berlin aber wurde Ali mit Briefen von seinem Vater, seiner Mutter, seiner Liebsten bombardiert, dasser sich „melden müsse“, nicht zaudern dürfe. Und dann tat er es, gehorchte. Und kam nach Neuengamme, dann nach Buchenwald bei Weimar, wo er am 13. April 1945 beim Häftlingsaufstand erschlagen wurde. „Heilig Vaterland …“ Er liegt in Hottelstedt begraben. Ich habe als einziger der Familie Buchenwald und  sein Grab besucht. Ein anderer, Roland Albert, der Enkel Michael Alberts, kam, nachdem ihm bei Moskau die Finger abgeschossen worden waren, nach Auschwitz, und „er fiel wie aus allen Himmeln“… ! „Auf dem Wachturm  habe ich andauernd Wachvergehen begangen“, hat er mir erzählt, „um das dort unten nicht sehen zu müssen, steckte ich die Nase in ein Buch, Nietzsche, Hölderlin…“ Er wurde Offizier, er holte, „sonst hätte ich es nicht aushalten können“ seine Frau  ins Lager nach, seine Söhne sind in Auschwitz geboren. Er war Religionslehrer (man stelle sich das vor!) dort in der „deutschen Schule“, seine Frau Gesanglehrerin. Und angesichts rauchender Kamine feierten die Auschwitzoffiziere mit dem Kommandanten Höss „Deutsche Weinachten“, Stille Nacht, Heilige Nacht. Roland spielte mit seinen Fingerstummeln dazu Klavier. Ein Freund meiner Eltern war „dort“ Apotheker. Von 1500 SS-Leuten waren „dort“ im Dienst 300 Banater und Siebenbürger. Mehrere Verwandte und Bekannte von mir sind darunter.  Onkel Roland, der Albert-Enkel, war nach der Räumung des Lagers im Winter 45  Kommandant in  Flossenbürg, wo Canaris und  Bonhoeffer 1945 hingerichtet wurden.
(Ich habe mehrere Ehemalige befragt und mit dem Tonband aufgenommen, ein unglaubliches Dokument!)
 Als unsere Leute 1945 noch in den Lagern Wachdienst schoben, war bei uns in Siebenbürgen Gottseidank das Unvermeidliche längst passiert:  der „Zusam­menbruch“, der 23. August 44. Ich aber sollte ausgerechnet an jenem Tag „ins Jungvolk-Lager“, sollte Pimpf werden, hatte ja Braunhemd, Koppel, Knoten etc. die vielen Säckchen mit den vorgeschriebenen Gramm Mehl, Zucker usw. schon gewogen und eingepackt! Und ich wälzte mich wütend am Boden, der „tapfere deutsche Junge“, der „kämpfen“ wollte, als man mich nicht ins Lager ziehen ließ,  deutsche Panzer hatte auf dem „Neuen Weg“  Stellung bezogen,  und Vater sagte, dass jetzt die Russen kämen. „Vin rusii“ hatte der Milchmann in der Früh schon verkündet, der König habe es gesagt in einer Rede „An mein Volk“, dass jetzt die Deutschen die Feinde seien. Vom Batullapfelbaum fiel dumpf ein Apfel. Und im September zogen unendliche Kolonnen von Panjewägen durch die Albertstraße. Die „Großen“ wagten sich nicht auf die Straße. Die Gerdatante wurde vor den Augen ihrer Eltern von zwei Rotarmisten vergewaltigt, weinend und zähneklappernd erzählte das die Magd, die flüchten konnte. Doch es war ja für die Russen eigentlich Freundesland, es gab auch Rotarmisten, die an die Wand gestellt wurden. Und das hatten wir den so oft ungerecht verurteilten „Blochen“ zu verdanken, denn  unsere Männer kämpften in der SS  an der Front gegen die Russen. Die Rumänen aber waren ihre Verbündeten.
Vater rüstete ab. Kam nach Hause. Er war beim rumänischen Militär geblieben, hatte sich geweigert, „zu denen“ zu gehen,“die kenn ich!“
Im Januar 45  dann der Schwarze Sonntag, die „Aushebungen“. Vater , der einen Meniskusrisshatte, „brinzte“ sich das Knie raus, und wurde von Dr. Cãpãtânã im Spital aufgenommen. Mutter versteckte sich.
 Eines aber sollten wir bei all der Trauer nicht vergessen, wir, nicht die Rumänen waren  nach dem 23. August 1944 die Feinde der Russen. Auch hatten die Deutschen den Krieg angezettelt, Rußland verwüstet, und die Russen hatten ausschließlich Deutsche als Arbeitskräfte angefordert, die rumänische Regierung hatte damals dagegen protestiert, dassrumänische Staatsbürger zur Zwangsarbeit deportiert werden sollten! Das alles steht in den Dokumenten, die Prof. Georg Weber,  in einem dreibändigen Werk zusammengetragen hat. (Die Deportation von Siebenbürger Sachsen in die Sowjetunion 1945—1949, Böhlau Verlag Köln, Weimar, Wien 1995, 3 Bände).
 Die unmittelbare Nachkriegszeit, auch nach 45, war schlimm, 46 die Hungersnot, wir verkauften das Klavier, erstanden dafür ein Schwein. Und bis 1948 waren wir vogelfrei, kollektiv Unperson, ausweislos, aus den Ämtern und Arbeitsstellen geworfen. Allerdings gab es schon ab 1946 doch irgendwie wieder das „Bischof Teutsch Gymnasiusm“. Aber 1948 mit der Schulreform wurde das Gymnasium aufgelöst und in die „Pädagogische Schule“, unser Sem, umgewandelt. Ich weissnoch, wie wir bei uns zuhause um den Tisch saßen und berieten. Ich hatte keine Lust, Lehrer zu werden, eher Ingenieur, denn ich war technisch begabt. Las freilich auch viel, führte Tagebuch, schrieb, hatte den ganzen Bücherschrank durchwühlt und manches  „ausgelesen“, viele „Klassiker“. So kam ich aufs Sem nur, weils am Ort war, es war ja weiter meine alte Schule. Oben auf dem vertrauten Schulberg, jetzt erst recht der Realität enthoben, Ideale pflegend mit Lehrern, die sich in der neuen Wirklichkeit kaum zurechtfanden, klammheimlich auch noch in den „alten Idealen“ weitermachten, wie Lang Rikki oder Eckard Hügel, der ja Leiter des „Sippenamtes“ in Hermann­stadt gewesen war. Jedenfalls war es eine merkwürdige Idylle über dem Abgrund in voller stalinistischer Schreckenszeit.
Abgesperrt irgendwie von der Außenwelt, nicht nur von der unmittelbaren in Rumänien, sondern natürlich auch von der Großen Welt, wie privat war alles, „schön“, ziemlich unbehelligt von dem, was in der Welt wirklich vorging. Weder von den vergangenen Verbrechen, noch von den gegenwärtigen war etwas zu spüren, jedenfalls von uns Schülern nicht. Die Lehrer hatten einiges mitgemacht, auch neues Lager, ich glaube Hollitzer war in Tg. Jiu gewesen, aber auch andere.
Die einzigen Misstöne in der „Harmonie“  waren die „neuen“ proletarischen Lehrer, wie der zwanzigjährige Russe Novicikow, die Russischlehrerin Buruianã, der Rumänischlehrer Giurgiu.  Oder die Überzeugten wie Hans Liebhardt, Hans Schuller etc. Doch die UTM (der kommunistische Jugendverband)  war ein müder Verein.
Ich wickelte in Russischstunden Transformatoren, fiel wie aus allen Himmeln wenn ich aufgerufen wurde. War überhaupt kein guter, beflissener oder  gar bewusster Schüler. Es ist Eckardt Hügel,  an dessen philosophische Naturkundestunden im Naturkundesaal ich gerne zurückdenke, genau wie an die der weißhaarigen Persönlichkeit Heinrich Höhr („Als ich noch zu Füßen des großen Haeckel saß!“). Ausgerechnet Hügel  erwischte mich beim „Kluzzen“ während der Matura, und ich weissnoch, wie ich rausfliegen und das Jahr wiederholen sollte!
Und freilich an Ernst Irtel und seine Komponistenstunden im Festsaal erinnere ich mich gern, seinen schiefgelegten Kopf beim Klavierspiel, und die sensible, etwas altjüngferliche Ausstrahlung. Seinen kindlichen Enthusiasmus mochte ich, er konnte sehr freundschaftlich sein. Und ich reparierte ihm zuhause sein Radio, erklärte ihm, wie das Wunderwerk der Technik funktioniert, so dasser in helle Begeisterung ausbrach.  Freilich fällt mir auch seine komische moralische Belehrung (eine Art Sexualauf­kärung oder das Gegenteil davon) ein, die Sache mit der Frigga, wie die einher­schreitet mit der Schale voller kostbarem Gebräu (Nektar und Ambrosia, nein   Met?), und keinen Tropfen verlieren darf, um es dann dem Auserwählten, dem Einzigen zu schenken, der dann da kommen wird! So also dassman/frau nichts von der Kraft und Liebeskraft verzetteln darf, ja nicht! Wir hielten uns daran, das war unsere Erziehung, und die Jungen heute würden sich darüber krummlachen! Man konnte uns Jungen und Mädchen tatsächlich blind vertrauen, man hätte uns  in der Nacht wohl auch nackt zusammenlassen können, es wäre nichts passiert!  So wars bei allen meinen Semlieben.  In unseren Kränzchen auch. Nein, nein, stimmt nicht ganz! Ich hatte eine Semliebe, Kränzchenliebe, sie 14, ich 15 zur Zeit der Aufführung von Gogols „Revisor“, wir spielten beide im Stück („bedankt sich in der Stille und schweigt.“) Ja, und diese Theaterereignisse, von Machat und der Margot Göttlinger ins Leben gerufen, werde ich auch nie vergessen, Wallensteins Lager, Kabale und Liebe („Halten zu Gnaden!“  Und Irtel als Sekretär Wurm, Florescu als Ferdinand, Hiltrud als Luise. )  Doch unser „Revisor“ stand mir noch näher. Die Kathi und die Helga. Und dieser fade Duft nach Puder und alten Kleidern. Und jene furchtbare Nacht, und der letzte Abend von Kötsch, der sich in die Kathi unglücklich verliebt hatte, und der noch Unsinn trieb, den Schauspielern einen Stuhl in den Arm packte, so dassdie in der Aufregung damit auf der Bühne standen. Kötsch ging auf den nächtlichen Bergfriedhof, und erschosssich noch am gleichen Abend am Grab seines Vaters, und auf dem Schulweg über den Neuen Weg kam ich da vorbei …
Aber bei einer dieser  Revisorproben  trafs sich, dasswir beide, meine Liebste und ich, wir hatten ja bisher noch keinen Kussgewechselt, nur Briefchen, die wir uns in den Pausen in die Hand drückten, und draußen auf dem Gang, dann vor dem Klo trafen wir uns  nun bei so einem Fest, vielleicht dem Abschluß-Theaterfest? „zufällig“, und sie, sie war es, zog mich in die leere Klasse rein, auf einer Schulbank fielen wir ineinander, wie eine Frühlingsgewalt brach es  aus uns, zum erstenmal diese atemlose, besinnunslose Urlust, und ich barg meinen Kopf in ihrem Schoß… wir stammelten unsere Namen… aber, nein, nein nichts geschah, wir rissen uns los, jaja, die Frigga wohl rissuns los, und draußen waren wir, nein ich war es, der floh, hastig wieder ins schützende Licht!
         Wer fällt mir da noch ein, ja  der distinguierte Prof. Donath , dann der schweigsame Brandsch, schließlich Oskar Pastiors Vater und der Zeichensaal, gleich nebenan der Schuldiener und die Schuldienerin („Ech uch der Herr Direktor hun beschlossen!“) Oder die Chemielehrerin Grete Heitz, jung timid. Fast bemitleidenswert. Was wir mit der, vor allem die älteren Schüler anstellten! Dann Prof. Reich nicht zu vergessen und seine Pädagogik, die weniger amüsant und witzig war als seine schönen sächsischen Gedichte. Die Übungsschullehrerinnen und  die eigenen Stunden erinnere ich kaum, nicht mal die Aufregung. Ach, ja, dann noch unser Stieglitz und seine Erdkunde. „Wo waren wir geblieben“? Kaum Animation für Fernreisen.
Da waren unsere Schulausflüge, vor allem die Gebirgsausflüge doch was anderes! Die waren erlebnisträchtiger; ich spür den Buleasee, die Hütten, diese wunderbare Rauchluft und Frische.
Und vergessen wir den schlaksigen Doktor, den Markus Pitz mit seiner Hygiene, mit seinem erlösenden Krankschreiben nicht. Hab ich jemanden vergessen? Den Hellwig, nein. Bloos? Die Deutschlehrer Machat? Hollitzer? Gab es auch noch den Turnlehrer Kraus. Frau Zickeli. Roth Selma? Mathe, mit wem hatten wir Mathe? Den alten Heinz Brandsch gab es doch nicht mhr? Oder? Und wenn ich jetzt mit den Schülern anfangen wollte, etwa meinem Banknachbarn… dem armen Hocke, dem Horst Löw, und den vielen anderen, an die ich mich viel farbiger und mit viel mehr Emotionen erinnere als an die Lehrer, dann müßte ich unendlich so weiterschreiben, und dann erst kämen die wirklichen plastischen Erinnerungen hoch…!
Auch gubt es heute kleine Wunder, daß bei einigen Klassenkollegen auch über die vielen Jahre hinweg die Beziehung und die Freundschaft geblieben ist, wie vor allem bei Wilfried (Bielz), unsere Studien – und Bukarester Jahre kamen da freilich noch hinzu und verstärkten das Gefühl der Zusammengehörigkeit, mit Hans (Böhm) gebe ich seit zehn Jahren eine Zeitschrift heraus; mit Grete (Wellmann, Schobel), der ich meine Bücher zugeschickt hatte, entwickelte sich ein schöner freundschaftlicher Briefwechsel. Anderen begegnete ich zufällig, auch bei meinen Lesungen, so Mitzi (Feinweber) in Würzburg  oder Inge (Lingner)  und (Mantsch) Heinrich in Düsseldorf, Karl (Martini)  und Treni  in München bei einer Lesung; und bei einer Lesung im Festsaal der Bergschule sah ich auch Vierzig nach Jahrzehntn wieder; sie kam mit einem riesigen selbstkomponierten Blumenstrauß. Habe ich jemanden vergessen? Sogar im Internet bin ich Schulkollegen begegegnet. Leider haben nicht alle Jugendfreunde und Schulkameraden, die ich angeschrieben und denen meine Bücher zugeschickt hatte, darauf reagiert, was für mich eine tiefe Enttäuschung war.

Fast glaube ich, ich habe vieles aus dem Sem „verdrängt“. Aber immer wieder träum ich, dass ich vor einer Prüfung stehe, nicht vorbereitet bin, und ich wache dann in Schweissgebadet auf!

Aber ich muss mich vom Sem jetzt trennen, obwohl noch viel zu erzählen wäre, von den Kränzchen, dem Nachhausebegleiten, den Schulwegen und langen Diskussionen mit Fuge und Paitz (Kostendt und dem armen Müller Fritz), und der Blasia, dem Erich Bergel, der mit Mundstücken nach uns warf bei falschen Tönen, und den es auch nicht mehr gibt, dem Jakobi, dem Hermann Ließ, den Maifeiern, dem Porniti înainte tovarãs und den Hymnen, dann Polkas und Walzern, Märschen, und unseren Dorffahrten, blasen auf Hochzeiten und anderen Festen mit viel Wein (Bulkesch) und Besäufnissen.
(Oder der Sport im Internat, Hochspringen, Skilanglauf etc.)

Ich wollte studieren, das durfte ich aber nicht  wegen meiner „origine nesanatoasa“ – und zur Bewährung wurde ich hinter Gottes Angesicht nach Denndorf (15 km von Schäßburg) „repartisiert“.   Wenn es regnete, schleppte ich mein Fahrrad auf dem Rücken durch den Dreck!  Aber es war die schönste Zeit meines Lebens, als ich „Herr Liehrer“ und „Herr Rekter“ war, und damals noch alle Leute von den Bänken vor ihren Häusern aufstanden, wenn ich durch s Dorf ging, das war 1952/54!!!. Eine Zwergschule mit 4 Klassen hatte ich zu betreuen, ich allein, erst nach einem Jahr kam noch eine Leherin hinzu. Und ich war ahnungslos, wußte nicht, wie man  4 Klassen  gleichzeitig unterrichtet  (das hatten wir im Sem nicht gelernt!). Grete Lienerth und ihr Mann, die Vorgänger wiesen mich ein, hielten sich diskret zurück bei meinem Lernprozeß. Es ging bald ausgezeichnet, die Schüler waren außerordentlich wohlerzogen und ruhig. Ja da herrschte wirklich noch Ordnung. In der ersten Klasse  mußte ich die Kinder, die nur sächsisch sprachen, Deutsch lehren, die Kleinen sagten  „bisch“ zum Wald „jäpp“ zur Hosentasche. Es gab freilich auch kleine Dorfidioten, alte Erziehungsmethoden hatten mitgeholfen, ja , sagte einer der Schüler, „mein Vater schmeißt mich bis an Gebin und läßt mich wieder herunterfallen! Wenn er Dresche gibt!“;  ich war aber auch schmallippig, verlangte „eiserne Disziplin“ und gab gern Strafen. Än det Saal hielt ich Reden über unsere achthundertjährige Geschichte, und dasswir  jetzt „überstehen“ müßten, eine Art Altsachs mit 18, kaum glaublich. Ich war mir kaum der wirklichen Lage bewußt. War das die Enklave der Bergschule in mir?Was ich mit Begeisterung trieb: -  die zahlreiche Jugend zum Singen und Theaterspielen zu animieren, ich hatte einen großen Chor, ich stellte eine Blasmusik auf, und lehrte die Jungen  Noten und auch die Instrumente. Sie verehrten mich deshalb alle sehr! Und ich scheine auch heute bei den Denndörfern noch „eine Legende“ zu sein. Und das ging oft bis drei Uhr früh mit Proben , ohne Murren machten sie alle mit, obwohl sie schon ganz früh aufstehen und arbeiten mußten! Und wir gewannen  einige Wettbewerbe.
Doch argwöhnisch wurde ich beäugt von UTM, Parteisekretär (alles Zigeuner) und  dem „Sef de post“ (ein Sachs). Und von meinem guten UTM-Freund Winter Rick oft nach  Schäßburg zitiert.  Und beim Tode Stalins am 5. März 53 passierte es dann:  Ein Poltern an meiner Tür, ich wohnte in der Lehrerwohnung, „deschide“! Zwei Polizisten mit aufgeplanztem Bajonett führten  mich ab. Die Leuten machten eine hohle Gasse, staunten. Ich mußte die ganze Nacht stehen, Gesicht zur Wand, wurde verhört, ich hätte mit dem chiabur Radio gehört und bereite mit der Jugend einen Komplott vor. Es war mein erstes Erlebnis dieser Art, ich zitterte tagelang, „aber Härr Rektr, was is mit Ihnen, sind Sie krank?“ sagte die Anna, die ortsfremde Schuldienerin, die mit dem Bürgermeister, einem Zigeuner, schlief und sich für mich „einsetzen“ wollte.
Doch das Ganze blieb folgenlos. Im Gegnteil, ein Jahr später bekam ich für meine Tätigkeit die „Medalia muncii“ von der Großen Nationalversammlung und 500 Lei Prämie, und durfte   studieren! Ein Jahr vorher am „Institut de limbi straina“ hatten sie mich noch nicht angenommen. Ich fuhr ziemlich schwach vorbereitet direkt von einem Wettbewerb mit meinem Chor im wahnsinnig heißen August zusammen mit einer Denndorfer Gymnasiastin und Liebe zur Aufnahmeprüfung nach Bukarest, wurde nun diesmal angenommen, meine Herkunft war also mit meiner “medalia“ gelöscht?! Ich durfte Germanistik studieren.
Aber ich sehe, mein Leben dauert schon sehr lang, ich bin ja im Augenblick des Erzählens erst  21 Jahre alt, wann komme ich zu meinen 66? Ich überspringe die Jahre, sie rasen sowieso nur so dahin: Nur soviel, ich wurde an der Hochschule mit dem Marxismus-Bazillus infiziert, aber ehrlich: das machte mich auch bewußter, denn nun konnte ich meine Herkunft, meine Erfahrungen auch von außen sehen. Ich dachte, auf die andere Seite der Front zu kommen, nach dem Schock der Naziverbrechen! (Eine Kommilitonin fiel bei einem Film über die Lager in Ohnmacht, sie war als Kind in Auschwitz gewesen und nur wie durch ein Wunder mit dem Leben davongekommen!).
Doch ich lud auch Schuld auf mich, ich schlug einen hochnäsigen Studienkollegen und Nietzscheanhänger zur Kritik in der Vollversammlung vor, die Gruppe akzeptierte sogar. Wir Ahnungslosen. Das hiessunter Umständen Ausschluß. Und wenn damals  1955/56 jemand ausgeschlossen wurde, stand um 4 Uhr morgens die Securitate vor der Tür. Ein jüdischer Assistent rettete unsern Kollegen.
Andererseits wars so, dassgerade wir „Überzeugten“ die gefährlichsten Leute für das Regime waren, da wir alle mit Ungarn sympathisierten, um den wirklichen, nicht den verdorbenen Sozialismus einzuführen. Meinste. Viele wurden verhaftet, verschwanden für  Jahre. So  Paul Goma. Ich wurde wie durch ein Wunder verschont! War freilich auch zu ungefährlich-verträumt und nicht aktiv.
   Ich wäre gern an der Uni geblieben; nix da, zwar erwählte mich „das Katheder“ der Lehrstuhl, doch die Partei legte ihr Veto ein, wieder dieses  „origine nesánatoasá.  So wars ein Glück, dassich durch Hans Liebhardt, der beim „Neuen Weg“ bleiben wollte, eine Stelle bei der neuen „Neuen Literatur“ als Redakteur erhielt. Aber auch das war ein gefährliches Unternehmen im Jahre 1959. Schriftstellerprozeß, Verhaftungen. Überwachungen.
Ich durfte als Redakteur in sämtlichen Giftschränken der Bibliotheken Bücher konsultieren. Las Antikommunistisches, wie den Bochenski, aber auch Celan, der zu meinem Lieblingslyriker wurde. Lernte Alfred Kittner und Sperber kennen. Brühwarm las mir Sperber, wenn ein Brief von Paul Celan aus Paris eintraf, diese Briefe vor. Ich bekam Sehnsucht nach dem Westen, nach der großen Welt, wollte endlich Deutschland kennenlernen. Schrieb ja deutsch!
Als Siebenbürgen-Deutscher und als Mensch mit "ungesunder Herkunft" arg­wöhnisch  von den "Organen" beäugt, ab 1960 auch von der Securitate wöchentlich "bestellt", da ich verdächtigt wurde, satirische Manuskripte eines rumänischen Kollegen (Mircea Palaghiu) "versteckt" zu halten etc., der inzwischen in Einzelhaft war: er beging nach sieben Jahren Gefängnis in der "Freiheit" dann Selbstmord, durfte ich natürlich nicht in den Westen reisen! Keine Einladung annehmen (es gab viele!). Ich war mit den Nerven am Ende, jedesmal wenn das Telefon läutete, und in Redaktionen läutet es ständig, konnten "sie" es sein! Mein Freund Paul Goma, hat es einmal deutlich gesagt: "Freiheit" unter diesen Bedingungen ist schlimmer als der Knast.
1962 heiratete ich Magdalena Constantinescu, eine rumänische Poetin. Dies auch, um das Vorurteil meiner Familie, der Sachsen generell gegen alles „Fremdvöl­kische“ zu konterkarieren.
So gingen die Jahre dahin. Ich arbeitete viel, sowohl in der Redaktion als auch als Herausgeber von Büchern, die erste Michael-Albert-Ausgabe nach 44 etwa, aber auch deutsche Literatur, so Rilke, Schiller u.a.
Als Redakteur der "Neuen Literatur" für Lyrik habe ich  zwi­schen 1964 und 68 versucht gegen eine doppelt verlogene Heile-Welt und ihr Stilkonzept anzukämp­fen,  versucht, den  Stil der Moderne als wich­tigstes Angebot, diese Abgründe und Kata­strophen darzustellen, in unsere Nachkriegslyrik einzuführen, wobei ich nicht  nur mit der Zensur, der Chefredak­tion, sondern auch mit den  sächsischen und schwäbischen Lesern  und den Traditiona­listen Schwierigkeiten hatte, oder sie mit mir. Es war also eine Auseinan­dersetzung an  zwei Fronten!  Dassich die mar­xistische Ästhetik mit ihrem primitiven Realismus, ihre Wider­spiegel­ung­stheorie längst ablehnte, geht ja auch in diese Richtung. Es war eine absurde Lage,  wir waren eingesperrt  zwi­schen  Vaterland und Muttersprache und nur im Bodenlosen "beheimatet"  - oder eben in einer Spra­che, deren Hellhörigkeit und Verletzlichkeit aus  zutiefst erleb­ten Gefahrenzonen kamen, wo Sprechen, Schreiben vor allem, äußerst gefährlich waren, im Gedicht oft "Versteckspiel in der Metapher". Dieses "Versteckspiel" hatte ich sogar als Ästhetik und Theorie für mich erarbei­tet: nämlich mit brisanten Inhalten zum Leser zu kommen, ohne dasses die Zensur merkte, oder die so gut versteckt waren, dasssie es "durch-lassen" konn­te. Zensoren waren irgendwo auch Komplicen. Ich schrieb damals: "Weh dem , der überschrei­tet!/Wer aber kennt den Raum,/ wo die Grenze täglich sich verschob?/ Wer mißt ihn?/ Wer traut ihr?/ Wir strecken die Arme aus bis in die Nähe des Blitzes, -/ aus der Erinnerung wird scharf geschossen." ( Dieses Gedicht und andere brisante Verse sind in meinem Band "Grenzstreifen," 1968 in Bukarest   erschienen.)
 Diese Lyriksprache war und ist eine explosive Mischung aus Sprach­komplexen des Minderheitendeutschs und des geschärften Sprachsinns in der Diktatur. Später kam im We­sten noch die schmerzliche Erfahrung des Weltwechsels und Heimatverlustes hinzu, dann die Ablehnung einer abgemagerten Mediensprache und Warensprache, viele sich über­kreuzende Bewußtseinszustände, die zu sich überkreuzenden Sprachzuständen führten.

Es kam der 21. August 1968, Ceausescus Balkonrede.  Wir waren dabei. Wir rannten zum Schriftstellerverband, um uns in die Partei und in die Patriotischen Garden einzuschreiben, um das Land "gegen die Russen" zu verteidigen! (Allem bisherigen Drängen, uns einzuschreiben,  hatten wir  unter Risiken widerstanden!) Das Resultat: 1968, im Oktober, "durfte" ich zum erstenmal in meinem Leben ausreisen (ausreißen?), mit 34 diese verfluchte Grenze überschreiten, nach  Europa und in das Land meiner Sprache und Kultur einreisen. Mit Furcht und Zittern, weil ich Angst vor der Konfrontation und den Enttäuschungen hatte. Zu grosswaren die West- und Deutschlandillusionen eines Mannes aus der totalitären Zelle.
Unsere offizielle Delegation bestand aus Ion Caraion und Veronica Porumbacu, wir fuhren nach Mondorf/ Luxemburg zu einem Schriftstellersymposion, wo ich auch  wichtige deutsche Autoren: Bernhard, Handke u.v.a. kennenlernte und in meiner Übersetzung die beiden rumänischen Lyriker vorstellte! Ich kann hier den traumatischen Eindruck einer ersten Westbegegnung nicht schildern, ich hab es mehrfach in meinen Büchen, in "Visa ost west Lektionen" (1970), dann in meinem Roman "Vaterlandstage", 1986 (rumänisch „Zile acasá,“ 1995, Editura Fundatiei) getan.  Wir kamen von einem anderen Planeten, gingen wie auf dem Mond spazieren. Caraion nach 8 Jahren Haft! Ich sehe jetzt noch seine großen erstaunten Augen!
Doch ich will es kurz machen.  Ich fuhr  (aus Angst) nicht nach  Deutschland (berührte jenen "Boden" nur mit den Fußspitzen im Dreiländereck: Luxemburg/Frankreich/ Deutschland) - sondern  nach Paris. Noch ein Detail: als ich in Mondorf am Bahnhof abgeholt wurde, hörte ich die beiden jungen Leute Letzeburgisch reden. Das war genau mein  transsylvanischer Dialekt (mit einigen französischen Brocken), schließlich waren meine Vorfahren vor 850 Jahren (in der Barbarossa-Zeit) aus dieser Gegend nach Siebenbürgen eingewandert! Ich übergehe meine Pariserfahrungen (dort mit Nina Cassian, meine und auch Celans Freundin, Celan ... er war am Ende und in der Heilanstalt.)  Durch Inter Nationes kam ich dann nach Bonn. Der Schock West-Deutschland. Die dreifach zuerstörten Städte, wie Böll sagte, durch die Nazis, durch den Krieg und Bomben, durch die gräßliche Architektur des "Wirtschaftswunders" - keine Zeit mehr in den Mauern, auch die Natur künstlich, alles hinter Mattscheiben, Hetze, menschliche  Kälte. (Auch dieses habe ich in meinen Büchern  beschrieben, und meine Gedichte sind ein Versuch, wenigstens mit Hilfe der deutschen Sprache so zu überleben.)
Ich beging den Wahnsinn: nach 6 Monaten fuhr ich wieder zurück, mit allem Risiko, nie mehr rauszukönnen.  Dabei hatte ich schon meine spätere Lebensgefährtin in Frankfurt beim S. Fischer Verlag, wo sie Lektorin war, kennen- und lieben gelernt. Aber das Heimweh war tödlich. Der Westen ein  Haßobjekt. Meine spätere Frau war der Ansicht, ich müsse zurück, die Rückkehr wagen, um mein Heimweh zu „exorzieren“.  Ich fuhr von Station zu Station: Frankfurt, Heidelberg, München, Wien, Bratislava, Budapest - dann die Grenze. In Budapest wollte ich noch aussteigen… ein Ruck - und ich war "zu Hause".  Dieses ceausistische Zuhause. Ihr könnt euch vorstellen, was dann geschah: Tägliches Warten auf die Securitate. Sie kam nicht, oh Wunder, sie liessmich in Ruhe. Ich war ja "vertrauenswürdig! Doch der Rest: ich konnte es nun hier "zu Hause" (Zensur, innere Zensur: Redaktion, Spitzelatmosphäre) Elend, nicht mehr aushalten, tat alles, um wieder rauszukommen. Nun hatte ich gleich zwei Länder verloren - und hatte keines mehr. Egal. Das kleinere Übel war der Westen.  Mit Nichita Stãnescu, dem wichtigsten Poeten unserer Generation, mit dem ich befreundet war, und mit Virgil Teodorescu kam es zu einer zweiten Dienstpass-Reise. In Frankfurt und Bonn  stellte ich die beiden  mit meinen Übersetzungen und einem Vortrag  vor. - Und blieb! Die beiden verstanden es sogar, und machten mir kaum Vorwürfe! Nichita sagte, nachdem er Linde, meine jetzige Frau, kennengelernt hatte: „Da, mãi bãtrâne, acum te inteleg, trebuie sã rãmâi, e clar!“ Kleines symptomatisches Detail: Nichita wollte unbedingt das Hofbräuhaus in München sehen, erleben, wir gingen in diese grässliche Bierkirche und tranken die "Maß", ein Liter, Nichita trank zwei-drei und bekam einen Anfall von Verzweiflung, er hatte links und rechts und auch auf der Straße gefragt, niemand kannte ihn, den großen und in Rumänien von allen gekannten Poeten, niemand kannte ihn in diesem Land, ihn, den großen Nichita! Ich war da besser dran, denn ich hatte  zu Hause in Rumänien erst nach 1968 zu veröffentlichen begonnen, und eben nur einen Gedichtband "Grenzstreifen" und die "11 elegien"  von Nichita auf Deutsch herausgebracht, dazu eine riesige Anthologie österreichischer Literatur in der BPT (über 1000 Seiten, 50.00 Exemplare!).

Es ist sicher nicht schwer zu verstehen, warum ich dann nach drei-vier Jahren West-Deutschland, (in Frankfurt und Bensberg/bei Köln hatte ich gelebt) genug hatte und zum zweitenmal, nämlich  zusammen mit meiner Lebenspartnerin (wir heirateten erst nach zwanzig Jahren Zusammenleben!) in ein romanisches  und unzerstörtes Land, nämlich nach Italien, in die Toskana, emigrierte! In Deutschland dachte ich, meine Sinne zu verlieren, sogar das Essen schien mir künstlich.

Es war jedoch viel mehr, was mich damals (1973) aus Deutschland vertrieben hatte. Nur oberflächlich war es die Schönheit Italiens, die mich  diese Fremde hat wählen lassen; tieferer Grund war die Natürlichkeit dieses Landes, dann die Sprache und die gewohnte fremdsprachige Umgebung. Doch der eigentliche Grund waren meine "Achtuhrschmerzen" nach meiner Aussiedlung in Deutschland, wie ich den täglichen innern Druck genannt hatte, der sich zur Uhr-Zeit der "Tagesschau" ins Unerträgliche steigerte. Die Ursache dafür war mir von Anfang an kein Rätsel. Ich gebe zu, die Wahl eines neutralen Ortes und einer neutralen Lebensumgebung hing mit jener erwähnten Lebensauseinandersetzung zusammen, die mir nach der Aussiedlung aus dem Osten in Deutschland zu nahe kam, quälend nahe: Sei es ganz unmittelbar der die Sinne verarmende Umgebungsverlust in den von Krieg und Nachkrieg kaputten deutschen Städten, der Künstlichkeit in einer Mattscheibenwelt, wo auch die Natur und die Seelen zu frieren schienen, sei es das Gefühl des Verrates, mein Land, meine Heimat, mein bisheriges  Leben verlassen zu haben, sei es das erst in Deutschland eintreffende  starke Mit-Schuldgefühl, das eng mit meiner Herkunft, ja, mit meiner siebenbürgisch-deutschen Familie zusammenhing und zu einer schmerzhaften Korrektur meiner Erinnerungen und Kindheitserin­nerungen, meiner Landschaftsgefühle und meiner bisherigen Selbstgewißheit führte, die bis hin zur deutschen Sprache bodenlos wurde. Der Fakt nämlich war nicht aus der Welt zu schaffen:  fast alle meine männlichen Verwandten waren in der SS gewesen und hatten zu den Wachmannschaften deutscher KZs gehört. Aus dem näheren Freundeskreis meiner Eltern stammte sogar der Auschwitzapotheker Victor Capesius. Ihn und andere habe ich in Deutschland und Österreich tagelang befragt und mit dem Tonbandgerät aufgenommen. Die Protokolle dann in meinem Roman "Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens" in einem zehn Jahre dauernden Schreibprozessverarbeitet, der mir zugleich im so problematischen Weltwechsel von Ost nach West, dann von Deutschland nach Italien in einer Sinn- und Spracharbeit überleben half. Sowohl die Protokolle, als auch die Analyse dieses Schreibprozesses und die geschichtlichen Hintergründe der siebenbürgischen Nazizeit, das seltsame Faktum, dassdie Siebenbürger Sachsen zugleich Opfer und Täter waren, dassMitschuld und Tragik zwischen den Mühlen zweier Diktaturen zu  erkennen und zu verkraften waren. All dies ist historisch und existzentiell, gedacht und gelebt zugleich:

1973/74 beging ich einen neuen „Wahnsinn“, ich fuhr wieder zurück nach Bukarest, allerdings mit deutschem Paß, um meinen 1970 geborenen Sohn und seine Mutter rauszuholen. Meine Schuldgefühle waren erheblich, ich machte mir nicht nur Vorwürfe, das Land verlassen, sondern auch meinen Sohn im Stich gelassen zu haben! Ich fuhr als Journalist, meldete mich zuerst beim Außenministerium, kam im Auftrag der Frankfurter Rundschau, des Süddeutschen Rundfunks etc. Ich hatte 8000 DM im Brustbeutel mit, um den Sohn „abzukaufen“, doch das Geld wurde entrüstet zurückgewiesen (welche Heuchelei!). Ich rannte von Pontius zu Pilatus, drohte, wenn sie meine Leute nicht rausließen, würde ich darüber schreiben, denn das sei ja „Sippenhaft“. Einmal  fuhr mich ein Oberst beim Passamt, glaube ich an: „Stii ce esti, trãdãtor in vecii vecilor!!“ Das war im Februar, im Juni waren die beiden in Nürnberg und meine Schwester auch!
Ab 1975 durfte ich nicht mehr nach Hause fahren, da es seither ein Gesetz gab, nach dem alle, die mit Dienstpassweggeblieben waren (zwanzig Passobristen hatten 1975 die Rückkehr vergessen!) von einem Militärgericht zu 7 Jahren Haft verurteilt wurden. Und mir erging es so, in Abwesenheit. Und 7 Jahre hinter Gittern – auch in der süßen Heimat - das war zuviel.  So konnte ich erst nach 89 wieder zurückfahren, im März 1990, und es war ein Schock. Seither bin ich ein Emigrant in Pension, als hätte ich die bisherige klare Orientierung verloren, und ich steh da wohl nicht allein.
Zu den schwersten Erlebnissen gehören im Bereich der Nähe: der Tod meines Vaters (1979) und meine eigene Krankheit.
Doch eines ist mir geblieben: Ohne die rumänische Kultur kann ich mir mein geistiges Dasein nicht vorstellen, ich bin von ihr geprägt! Und hab auch versucht, Brückenbauer zwischen meinen beiden Kulturen zu sein!   Von Anfang an, seit 1965, als ich meine erste Gedichtaufstellung "Junge rumänische Poesie" in der "Neuen Literatur" veröffentlichte. Doch jetzt habe ich eine Riesen-Anthologie rumänischer Poesie  herausgebracht (430 Seiten, 110 Autoren, über 30 Übersetzer,  von mir stammt ein Drittel der Übertragungen, vor allem der Jungen und Jüngsten, die ich großartig und wie ein weltliterarisches Lebenszeichen empfinde! Kein okzidentaler, sondern ein erlittener origineller tiefer "Post-Histoire-Modernismus")  für die Leipziger Buchmesse (Schwerpunkt: Rumänien)habe ich dieses Buch fertiggstellt, meine größte Arbeit im Bereich dieses Brückenbaus.
Doch dieses gehört schon in den Bereich der Resignation, des Rückblickes, der Kompensation; wie leben Emigranten, indem sie sich aufsparen, an die endgültige „große Heimkehr“ glauben. Nichts da, sie ist unmöglich geworden, wie so vieles.
Ja, was jene zweite Nostalgie, jenes zweite Heimweh (Himwieh), der tiefere Grund von Heimat betrifft, der diesen Begriff auch im obigen Sinn rechtfertigt, ja, rettet: Ernst Bloch schließt sein großes Werk "Das Prinzip Hoffnung" mit der Überzeugung, der Mensch lebe "noch überall in der Vorgeschichte", und erst wenn er sich erfasst habe, "und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung  in realer Demokratie begründet, entsteht in der Welt etwas, das allen in der Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat."

Zum Schluß möchte ich noch einen rumänischen Schüler und nachmaligen Lehrer der Bergschule, Andrei Zanca, der  inzwischen zu einem der wichtigsten Lyriker der sogenannten „achtziger Generation“ geworden ist, sprechen lassen; seine Worte gehen mir sehr zu Herzen, sie stammen aus dem Vorwort zu meinem eben im „Weltliteraturverlag“ Editura Univers in Bukarest erschienen Gedichtband „Poeme“, den Andrei in Rumänische übersetzt hat, es ist die treffendste Analyse, die je über mich geschrieben worden ist (und inzwischen gibt es zwei Bücher über mein Leben und mein Werk), hier aber erklingt das altvertraute Rumänische und es gehört in unser Buch:

„La Dieter Schlesak, se pot astfel decanta - ca la orice creator autentic - obsesii mereu reluate: timpul, granita (unul din infinitele chipuri ale timpului, de altfel), dorul (în cazul sãu Himwih, varianta dialectului sãsesc, ori Heimweh, corespondentul aproximativ al lui din germanã), meleagul natal (ca sursã reluatã a acestui dor, dar si ca imagine a paradisului pierdut), moartea (dobîndind aici valentele unei tranzitii într-un nou si încã nebãnuit spatiu)…
La el poate fi vorba de o centrare misticã nesentimentalã, cum am mai spus, în care eul nu este mai importante decît diversitatea aparitiilor, "jocurilor" lumii. In acest teritoriu al limitei în care trãieste si-n care vrea sã fie un Nemest (Nimeni, în dialectul sãsesc), el realizeazã gingasa delimitare dintre lumi, vãlul înselãtor dintre experienta abia aburitã a supranaturalului si experienta senzualã, mediatã a realitãtii în frumusetea dar si în grozãviile ei, coplesitoare în linistea si tãcerea de colinã natalã a cuvîntului si gîndului. In acest sens el poate fi considerat ca un urmas în linie dreaptã al romanticilor germani, atît de iubiti de el: Novalis, Hoelderlin, însã paradoxal, si al stãruitoarei fermitãti si ordonãri kantiene - dar si al îndîrjirii într-o anume aurã a unui alchimist medieval - pînã înspre totala deschidere cãtre vraja poematicã a de nedelimitatului Rilke.
Propria sa viatã, deschizîndu-se, dar si absorbind lumea, îi pare lui Schlesak o nepoveste peste care se apleacã cu lãcomia,deschiderea si neîncorsetarea unui copil, pe care lumea l-a silit a îmbãtrîni, cãci în fond chiar si în Agliano, el este acelasi copil transilvan de odinioarã, dintr-o Sighisoarã, ce tinde sã-si creeze o mitologie proprie prin obsesiva înturnare a copilului "silit" sã devinã poet, Schlesak. Da, sã spui ceea ce e de nespus…. De aceea pentru el, teoria filozoficã, o adîncã cugetare, au aceeasi fascinatie ca si înflorirea unui cires, înfrunzirea si mireasma mãslinilor toscani, a prunilor si teiului transilvan, a cîntatului unic al cocosului în zorii unei nesfîrsite veri sighisorene din copilãrie.
 Sã glumesti, sã te întristezã, sã rîzi, sã fii ironic, sã fii de-o naivitate dezarmantã, încît sã faci pînã si femeia sã dispere, în uluirea si nedumerirea-i furioasã: am de-a face cu un copil ori cu un bãrbat? Cu amîndoi, pe rînd si deodatã, pare a spune Schlesak, zîmbind cum numai în calmul si molcomia sa ancestralã, o poate face un ardelean, un "Siebenbuerger" veritabil, "asezat" - la care însã sentimentele si amintirea sînt inextricabil întretãsute - cu luciditatea, dublatã de o stiintã a administrãii, ordonãrii si culmea, cu o apetentã a sistemului, a sistematicului!
Prin nivelul stilistic, el se-ncadreazã net în primele rînduri ale scriitorilor germani, a celor de bastinã si-n acelasi timp mult în fata baricadei celor de "gradul doi" ori "trei", prin declararea fãtisã a nostalgiei, dorului si iubirii sale fatã de meleagul natal, pe care multi altii se "forteazã" sã-l uite, considerîndu-l un adevãrat handicap, un obstacol, un impedimeent în fata succesului, a cerintelor "vestice" în ceea ce priveste arta, a "adevãratei" valori.
Intreaga creatie a lui Schlesak, poartã cu sine o impregnare esticã, fapt care-i dãruie stilului sãu prospetime, însã si o vigoare, a cãrei sorginte cred cã nedumereste colegii sãi germani; spiritul valaho-transilvan s-a impregnat si a devenit inerent unei creatii aflate ea însãsi într-o anume intermediaritate.
Schlesak este însã constient de avantajul divin al trãirii si cunoasterii a douã sisteme atît de diferite. El stie cã noutatea sa constã în asumarea esticã si nu în desprinderea de ea, de ruperea de ea Cãci e o iluzie, cã poti a te rupe de un trecut, ce s-a impregnat pe nesimtite în carnea si spiritul tãu, lucru care nu trebuie negat, ci dimpotrivã, lectia estului, trecutul, trebuie asumate, întîmpinate.
Un scriitor care preferã a trãi în nordul Italiei, continuînd a scrie în germanã, care nu este nici est-german, nici vest-german, un Nimeni în satul cu frumos nume Agliano. Un Nimeni, deci unul care stie cã trebuie sã devii un Nimeni spre a lãsa sã te pãtrundã toate efluviile lumii. Încît prejudecãtile de orice naturã sã se poatã vesteji lent, cît mai departe de fãptura ta, ce priveste o înserare de pe o colinã din nordul Italiei, în mirosul de fîn si fum, de ramuri uscate, neputînd niciodatã sã nu o asemuiascã în închipuire, dureros, cu o altã înserare undeva pe malul unui rîu, între colinele Transilvaniei, o înserare, ce-i însoteste fiecare bãtaie de puls.
Literatura de emigratie, este refacerea unitãtii pierdute dintre om si operã. Este o literaturã cu destin, rotunjitã de umilinte, disperare, în vesnicã disputã de afirmare cu memoria.

Pe undeva luturile acelea s-au închegat si din pulberea celor care au vietuit peste opt secole pe aceste meleaguri, înãltînd un memento al cetãtilor, oraselor, ogrãzilor si livezilor, traditiilor si obiceiurilor. Acolo mai zac osemintele celor risipiti prin cimitire.
Dincolo de acestea, lumea ce s-a contopit cu aceste meleaguri, fãurind reciproc un profl unic în acest perimetru al unei unice frumuseti din Europa mijlocie, s-a risipit, ceva le lipseste, vãduveste pe veci, aceste meleaguri, în ciuda apetentei de reînnoire si a vitalitãtii naturii. Lipseste - si aici intervine Schlesak ca scriitor - un dat metafizic…
Schlesak devine astfel - fenomen aproape unic- o port-voce a unei întregi comunitãti rãtãcitoare, bîntuie de dor, de senzatia golului, si dezrãdãcinãrii.“

Einige meiner Bücher zu unserem Thema: Meditation und Psychiatrie: 1975: ”Sozialisation der Ausgeschlossenen” (Rowohlt). Lyrik: 1968: ”Grenzstreifen” (Literaturverlag); 1978: ”Briefe über die Grenze”(Schlender); 1981: ”Weiße Gegend” (Rowohlt); 1990: ”Aufbäumen (Rowohlt); 1997: ”Landsehn" (Galrev); 2000: „Lippe Lust“ (Buch&media, München); 2000: „Tunneleffekt“,  Gedichte (Galrev), Essays, Prosa und Tagebücher: 1970: ”Visa. Ost West Lektionen” (Fischer); 1972: Geschäfte mit Odysseus (Hallwag); 1991: ”Wenn die Dinge aus dem Namen fallen”(Rowohlt) (1997 italienisch: ”Brandiere bucate”; 1998 rumänisch: ”Revolta mortilor”/ Die Revolte der Toten.) 1994: ”Stehendes Ich in laufender Zeit” (Reclam); 1995: ”So nah, so fremd, Heimatlegenden (AGK)”. Bildmeditationen in: ”Das Neue Licht Michelangelos”, Kunstdruckdokumentation der renovierten Sixtinischen Kapelle, 3 Bde. 1989-1991 (Faksimile Verlag). Romane: 1986: ”Vaterlandstage” (Benziger) (1995 rumänisch: ”Zile acasã”); „Der Verweser. Geisterroman“, gutenberg neue medien, 2001.
In den Bibliotheken ist vieles zu finden, aber auch in jeder Buchhandlung  und Internetbuchhandlung unter „Schlesak“ „Vaterlandstage“ und „So nah, so fremd. Heimatlegenden“ über Johann Böhm, Adresse und Telefonnummer im Impressum dieses Buches!).

Und vieles ist nachzulesen unter der Adresse: http://www.geocities.com/transsylvania/index1.html
Oder einfach: http://go.to/schlesak, auch  http://www.transsylvania.de

Donnerstag, 7. Juni 2012

Zu Dieter Schlesak: Vita und Bücher


Schlesaks erstes großes Oeuvre ist der Roman "Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens", erschienen 1986, 15 Jahre hat er daran geschrieben. Einen Gedankenroman hat ihn jemand genannt - es sind die verarbeiteten Erfahrungen des 20.Jahrhunderts mit allen ihren Verwerfungen und Abgründen. Eine Art Vermächtnis der Erinnerung über allgemeine und persönliche Geschichtserfahrung, über Vertreibung, Außenseitertum, Schuld und Verantwortung - über Menschen, die zum leeren Ort verurteilt wurden. Auch die Rückkehr ins vermeintlich Vertraute endet in der Enttäuschung. In "Vaterlandstagen" gesteht der Ich-Erzähler: "Es kam mir alles sehr weit entfernt vor, obwohl es heißt, ich sei hier zu Hause ...gewesen...ja, gewesen....eine Art Krankheit, ein Gewesener zu sein, und schien doch das Bild mit Leben zu füllen, Angehöriger einer sehr schwerblütigen Menschenart. Und hatte nie gefallen gehabt an der Gegenwart. Zukunft als Angst erlebt, wie alle meine Leute, die Vergangenheit als riesiger Raum verbrauchter Erfahrung zog mich an, als wäre ich beauftragt, diesen Berg des Verlorenen, der wächst jeden Tag, abzutragen, schwitzend, - in Zeitnot." 
Ein Roman, so glaube ich, der zu früh erschienen ist und deshalb nicht die Anerkennung erhalten hat, die ihm gebührt, vielleicht nur fünf Jahre später, und er hätte höchste Aufmerksamkeit hervorgerufen, als nämlich die Sensibilität für die Ost/West-Schieflagen durch den Fall der Mauer, durch die Aufhebung der Teilung Europas, geschärft war. 
Der zweite Roman "Der Verweser" erschien im Jahr 2002, ist angelegt als Fiktion in der Fiktion. Aus der Ich-Perspektiv eines in der Toscana lebenden Schriftstellers wird eine Liebes- und Mord-Geschichte in Lucca im 16.Jahrhundert erzählt. Zurück ins Jahr 1969 führt der Liebesroman "Romans Netz", erschienen 2004. 
2006 erschien sein bewegender Dokumentarroman "Capesius, der Auschwitzapotheker" - Schlesak hat Jahre daran gearbeitet und recherchiert - der Roman wurde hier im Literaturhaus Stuttgart im Januar vorgestellt. Aufgearbeitet wird darin die Geschichte eines Apothekers, der aus Schäßburg, der Heimatstadt von Dieter Schlesak stammt, und sein Unwesen in Auschwitz trieb - es ist die Verbrecherkarriere eines ganz normalen Spießers - noch viel mehr aber ist es die Leidensgeschichte von Menschen, die ihm ausgeliefert waren. Es geht aber auch um die Vorgeschichte in Rumänien und die unrühmliche Nachgeschichte dieser Person in der wieder erstandenen Bundesrepublik Deutschland. Jetzt im Herbst erschien sein jüngster Roman "VLAD, die Dracula-Korrektur", - ein Roman, der tief nach Transsylvanien im 15. Jahrhundert zurückführt. 
Seine Erfahrungen, Ansichten und Einsichten hat Dieter Schlesak in vielen Essay-Bänden veröffentlicht. Ich möchte nur einige Titel nennen, denn sie lassen durchschimmern, worum es dem Autor geht: "Visa. Ost-West.Lekionen" (1970), "Wenn die Dinge aus dem Namen fallen" (1991), "Stehendes Ich in laufender Zeit" (1994), "So nah, so fremd. Heimatlegenden" (1995), "Zeugen an der Grenze unserer Vorstellung" (2005) 
Gedichte hat Dieter Schlesak immer geschrieben, und sie in zahlreichen Bänden veröffentlicht. Seine biographischen wie auch die historischen Bruchlinien verdichten sich in dem Band "Weiße Gegend - Fühlt die Gewalt in diesem Traum" (1981)."Hirnsyntax" hat er einmal seine poetischen Einlassungen genannt. Das schillernde Wort `Los` steht über drei Gedichtbänden: "Grenzen Los", "Namen Los" und seine Liebesgedichte "Herbst Zeit Lose" - geschrieben in drei Substantiven. Dieter Schlesak lauscht auf die `Wortzwischenräume`, den `Zwischensinn`. Es sind Liebes und Todesgedichte, Gedichte der Sehnsucht, Gedichte über Verlust, über Angst, über Schmerz, über Grenzerfahrungen aller Art. Vergangenheit und Gegenwart fließen in einem Mahlstrom ineinander. 

Schreiben bedeutet für Dieter Schlesak Leben, und damit möchte ich den Stab weiterreichen zur Verleihung des Maria-Ensle Preises durch die Kunststiftung Baden-Württemberg. (Lerke von Saalfeld im Literaturhaus Stuttgart Preisrede bei der Entgegennahme des Preises der Kunststiftung Baden-Württemberg 2007 ) 

Zu den Büchern von Dieter Schlesak:
Zum Auschwitzapotheker von Dieter Schlesak