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Freitag, 16. März 2012

Ein grüner Buchstab bleibt. Gedichte 2012


Hier ein neuer Tagebucheintrag
http://schlesak.blogspot.com/2012/03/erstaunt-sehe-ich-dass-das-tagebuch.html

Und der neue Gedichtband


Dieter Schlesak


                   EIN GRÜNER BUCHSTAB BLEIBT
                            Auf grünem Zweig
                              Gedichte,  Kurzessays  und Aphorismen




INHALT

Ankünfte ………………………………
Berge und Meere ……………………………….
Eros ………………………………………….
Tagebuchgedichte. Die frühe Eifersucht……..
Tod und Vergeblichkeit …………………………..
Immer nach Hause ………………………………
Widmungsgedichte …………
Ziel. Ciel………………………………..
Anhang. Securitate. Mein Eckermann? ……………………………..


Stimmen und Bibliographie ………….







                                                             ANKÜNFTE





UNSER BUCH
Ist da/ meine Liebste

Wir schrieben
Wir schrieben gestern
Wir schreiben heute
Wir schreiben morgen
Wir schreiben jeden Tag

Ein dickes weisses Buch
Liegt vor uns, Liebste:
Oh, sag
Haben wir genügend Zeit
Sieh es dir an: Es hat noch so viele
Unbeschriebene
Blätter

Sie warten auf uns
Sie warten auf dich und auf mich
Sie warten jeden  Tag
Jede Nacht
Jeden Tag

Hörst du sie
weinen
manchmal vor Angst



Mein Blättern in Dir
mein Blättern  in mir
Von Tag zu Tag  unheimlich nah
Näher und näher täglich dein  Du mein Ich dein Ich mein Du
Ineinander verwoben verwurzelt wie Muster und Mütter des Ewigen Tages
Und manchmal sind weisse Seiten wie  weisse Haut
Und nicht mehr zu trennen
Zu lesen die schmelzende Weichheit
Väternder Mütter und mütternder Väter
Im Kuss ihrer blätternden Lippen
Einsinkender Körper
Wortlos zuhaus.

Als blättertest du in mir  meinem Herzen
Wenn du doch in dir blätterst

Als blätterte ich in dir deinem Herzen wenn ich
Ganz bei mir war.

Oh, lach: Was steht denn da? Welch Griffel schreibt
Für Dich in Dich kreisrundes Oval.

Seine Schusswunde in  deinem Fleisch
Singt und sinkt in mich
Und gebiert ein kirschrundes
Schreiendes Kind.
(6/03)


PROPFEN KNALLEN
den Mond an

Bellt ein Widerhall
ein Geist entkommt
aus der Flasche
Und eine Stimme, vielleicht
die Mutter:

Kind, bist du
da?

Oder der blaue Dunst
im Tal? Sekt perlt im Glas.
Wie schnell die Sekunde auf der Zunge
vergeht.

Im einzelnen Ohr war die ganze Welt
taub. Und blieb stehen.
Dann blitzte es weiter
Feuerwerk über Berg und Tal.

Du hast einen Knall
all diese Jahre
was suchst du denn
hier
auf der fremden Erde?

Nur von jenseits der Berge
ein Sprachblitz
Deutsch.

Sie kehren  zurück  die Worte
Sie sprechen sich aus
Fest ist zu halten
Nichts zu vergessen .

Wir leben und sammeln sie ein
die Reife die Jahre:





ICH SEH IM FENSTER diese Landschaft,
Berg und Tal das Meer die Bäume rauschen
vergehen auf der Taste auf der ich dieses schreibe:
im schwarzen Hintergrund  stürz ich hinein.

Der "schwarze Hintergrund?" Du
fragtest mich als ich - noch mehr
als du - die Hälfte des Jahrhunderts
überschritt: Der schwarze Hintergrund?
Die Wand die vor uns steht glaubst du
sie wird sich öffnen?

Ein Laut aus der Idylle/ Glocken  talwärts
der frische Morgen Autohupen Bellen                 
wie aufgedreht der Schirm
für dies Gedicht für dich
heut ist dein Tag.

Die Stille hinter dem Tal
 es fiel mir auf
dass jener den ich denke fehlt.

Einsetzender Sturm in den Geräuschen
Abwesenheit. Und denke Ihn in mir gefangen.
Nichts als ein Echo der Gedanke. Er ohne den
das Tal nicht ist
im Auge nur der Schein
zurück geblieben.

Was ist Sein Grund im Blätterrascheln,
den Sonnenflecken dort im Wald, als Kind:
die Morgenschrift:
Der AusSchnitt ist in mir, im Wirklichen
vergangen.



Beton dich nicht,
um die Musik zu hören
in jedem Ding,
mein Freund von hier,
schon nicht mehr sein,
schon jetzt zu sein,
was ewig sein wird:
innen die Musik,
singend der Kern:
dein Leben.

Im Zeitspalt der Seele, wag es, zu sagen
wieder "Seele", wie Vögel, der Gedanke,
ein Wort dann als Kleid  für den Ewigkeitsschrecken,
darauf erlöst aus deinem Leib/ Flug,
der ihn hinauf warf.






WENN DANN Entfernungen
zusammenbrechen,
Summen der Bienen
wie Menschenstimmen,
die Worte endlich sich
            entkleiden,
berührt die Nähe fern,
entfernter war es noch nie.

Das Maß setzt
nach dem Herzschlag
deinen Wächter
in Eins, der warst du
warst es schon immer, steht auf
und geht - in der letzten
Entfernung dort wo
geheim dein Herz  ist -
davon.

Und das Gesetz,
das was du kennst,
lass hier  getrost zurück,
so bleibt die Zeile
scharf, die du heimlich
gedacht,
verwandelt in eine Blume,
innen gewachsen
hinaus über den Schein,
der das Leben ist,
und kehrst getrost zu dir
heim.

8/94



IM SECHZIGSTEN JAHR
Unter der alten Buche
bei San Pellegrino im Apennin UND
an einem Pass/ sogar delle Radici
ist es aufgeschlagen das Jahr
mit Glockenklang zu hören
jedes Mal in  all den Jahren im August
über den Emigrierten
Mumien der Einsiedler hier
suche ich immer noch Und
grabe
bis hinüber die Öffnung, die Hoffnung
sicher, im Ohr die Stimme
des toten Apothekers: sicher, sicher
grabe nach meinen Wurzeln, sie werden
sichtbar:  näher näher UND
sie fallen  ja bald vom Himmel herab.

7.August 94




IHR BLUMEN
nicht nur, benennbar
und gesehen,
durchleuchtet
alle, ungesagt
von dem, was
hier das Licht kennt.

Ihr andern auch
unsichtbar dabei,
schwirrend
und ahnbar,
vorerst im Kopf.

Streckt das Gesagte:
ausgesagter Gedanke,
und fühle lichtlos,
dass sie nun da sind,
lautlos wie ich.

Und wenn ich das. was ich will,
endlich verliere,
seid ihr befreit, wie das Licht,
endlich ihr Blumen
unter dem wortlosen Himmel.



Für Constantin  Noica

PARAPHRASE

Ein Toter, schön, mit Augen des Lebendigen
Im Schlaf allein/ kann sie ihn noch erinnern

"Und kommt mit Trauer im Kalten Strahl,
aus jener Welt Getrennter ...
Doch zeitlos lieben werd ich ihn
im Zeitlosen bleibt er ferne."

Und Nichts ist er und ist doch hier
 Ein Hungern das ihn aufsaugt,
Im Tiefsten doch ein Schwarzes Loch
und Blindheit im Vergessen.










                                                           TAGEBUCHGEDICHE





12. September 96
In St. Gildas de Rhuys. Besuch in Abaelards Klosterabtei. 1128-1136. Vor zehn Jahren ist er zur Strafe (Beziehung mit Heloise) entmannt worden. An Heloise schrieb er im 5. Brief, "Die Glut meiner Gier hatte mich mit dir zusammengeschmiedet; ich dachte nicht mehr an Gott, ich dachte nicht mehr an mein besseres Selbst, so tief untergetaucht war ich in den armseligen Genüssen, die zu schmutzig sind, als dass ich sie ohne Erröten auch nur nennen kann.." Da habe Gott in seiner Barmherzigkeit, das Messer, das seinen Leib traf, habe ihn Abaelard von dem Schmutz befreit. So habe er nur an einem kleinen Teil des Leibes seine Sünde büßen müssen. Ein "Pfahl im Fleisch" . Selbst aber habe er es nicht tun dürfen, ein anderer musste es tun. Origines sei schuldig geworden, weil er es selbst getan.

Und doch wurden sie zusammen bestattet, waren sogar Eheleute gewesen, hatten einen Sohn. Auf dem Père Lachaise in Paris schrieb ich an ihrem Grab:


Weißt du noch: HELOISE UND ABAELARD
Etwas Regen auf dem Père Lachaise.
Versteint. Wir unter Regenschirmen.

Was weint da. Sogar über Steinen. Wir
suchten. Und unter Linden hören wir

ein Flüstern. Laute, wie Tandaradei.
Klang Worte in Höfen. Tage. Und dies Paris



so spät. Kaum Große Herbstzeitlose, die
zur Liebe jetzt auf Gräbern rät. Ein

Liebespaar, wir waren jung, berührt den
Stein. Von unten her. Ein Kind, das weint.

Woher ein Sic et Non, der Erdgeruch mit
deiner Haut im Regenduft vereint, im Schritt

der Kuß unter dem Kleid, ein Blitzen wie
durch Tränen, ein Blick der Tote überholt.

Jetzt stehn sie auf und lachen. Sie sehn
dir unters Kleid, die schwarze Herbst-
Zeitlose die  Sonne  runterholt.

Heloise, Abaelard: "Was ich begangen, es lebt
so stark in freudiger Süße," riß mir das Herz
entzwei.

Saß sie auf einem Steine, Heloise, Abaelard.
Fließt in die Iris heute
dies Liebespaar.

Und steigt ganz aus dem Wort und nur ins Auge ein.




Der Name sucht durch Todesnacht lichtschnell verborgen dort
im Stein, den nur der Finger anstößt, Kälte fühlt,
als wäre dieses wahr  ("drei Tage sind es drei/ von keinem
                        Schmerz verschont,")
Heloise, Abaelard...

Tod ist ein Liebespaar. Liegt vor uns, geschwärzt
Figur, der Stein. Schmerzlich der Durchgang
mit Bildern und Dornen, durchkreuzen das Auge und
sieh, die Paare, sie wärmen.

Vom Tode denke nichts, und nur auf ein Wort. Steht
Sic et Non - gerade für wen? Daran miß und trau
dem Auge nicht mehr,
               
                       trau denen, die nicht mehr sehn.

Nichts erinnert in der kleinen Abtei, die nur noch seinetwegen besucht wird, an ihn, er selbst floh von hier, der Rauheit und Ungebildetheit, Gesetzeslosigkeit der Mönche. Und doch werden andauernd Abte und Heilige, meist in Form von Grabsteinen, einer sogar im Glassarg mit den heiligen Gebeinen vorgezeigt. Die Kirche mochte den freien A. nicht. Immer wieder wurde er "bestraft" Auch in einem Kloster bei Soissons, das zugleich Irrenhaus und Kerker war. Und hier die heiligen Knochen. Überall die Materie verehrt.
  Ich mache Aufnahmen davon. Auch von einem großen Schiffsmodell, dem Nonnenkloster daneben. Werde verjagt. Und denke an Abaelards "Sic et non": das meinem eigenen Stil entspricht: jede Aussage zurücknehmen, nichts stehenlassen, weil nichts wahr sein kann, was nur gedacht oder nur Sprache ist.







 Fünfundzwanzig Jahre. DIE FRÜHE EIFERSUCHT







·         November 1985. Mittwoch.

Mit dem Blick des Abschieds fällt mir plötzlich Lucca ein.
Und ich habe Sehnsucht nach Lucca ...
Damals, wann? 1974? 1973?
Und der Spaziergang zur Wiese, wann? 1977?
als mir einfiel der Beginn
eines Essays über / “Diesseits der Gegenwart”.
Was ich vorausgedacht, das ich abwesend bin
du noch da warst, hier lebtest, mich mitzogst,
dass wir Abwesende sind nun beide, hier
ohne  Liebes Gefühl , das uns irgendwo im Tessin
an einen bärtigen Kopf hängt, der mir ähnlich
sieht, aber der ich nicht bin.

Und  ein Vierteljahrhundert später, jetzt
dieses Heute das wir sind
ist der Bärtige wieder da / drohender
unfühlbarer auch nicht mit Schmerzen
ertragbar / als Preis / unwiederbringlicher bist du
der täglich das Leben schwächende
mit allen Schatten /wahrnehmungslos fast ohne Gefühl
der Alte / der Älteste! DU bist es
geheimster Liebhaber aller Gedanken
Freund Tod.

Wie ein Kinderspiel wars, damals:
“Wir fahren sie ab / unsere Gegenden / wund
wir gehen und leben / sind wieder
in Bagni di Lucca gewesen / in Granaoila / wo Montaigne
die Höhe hinauf geritten ist zum Friedhof / welche Tote
von damals sind noch kenntlich? / und er?
Wir sind die Lima entlang gegangen / milchiges
Wasser / gelbe Kastanienblätter, das Sonnennetz
unter der Brücke / Montale hat es gemalt /
auch er tot / doch spürt er es nicht mehr / wie das
langsame Sterben ist. / Wir sind
an jenem Ort gewesen / Barga / die romanische Kirche steht
noch / der Christophorus mit dem Kind /
die engen Gassen / die Mauern  mit den Gittern
und Einschüssen / die Bar vor dem Stadttor /
doch immer war jener Dritte dabei / und die Hand die
ich nehmen wollte / fiel ab / Worte fielen
herab / erreichten dich nicht mehr / deine Lippen
zusammengekniffen ...



28.11. 1985 Donnerstag

Das Datum / das vergangene zu Mal
Ist wie ein Todeszeichen ganz real
Zeigt es Vergehen an / und deine dir
Verbleibende Zeit noch hier
Dein Leben dir bewusst zu leben: ja lies es
Laut  vermischt mit Todesängsten
Du liest hier so / als wär es Nichts.
Der Name deines Henkers.



DRUCK und Morbus. Sind seine Bilder an der
Wand /die Todesbilder. Vom Abschied hier gerundet
Mein Leben / wird alles noch mal
Wild /  und jung / tut weh.
Dies ist es und es gibt / kein anderes.
Und was im Buch nur steht / hat es zerstört.


Vielleicht lieb ich in dir nur / was er sieht
Das Andere was mir unerreichbar ist
Weil ich nicht bin / nicht sein kann
Was ich  doch erahne
Ist  hier zerstört / ein Leben lang
Nur Ungeduld mit dem was aufscheint jeden Augenblick
Und auftaucht ansatzweise nur / in jedem Ding
Und Blick / Langweile geht / hier nur nach außen um
Und innen brennts / als wäre dieser Abschied
Der uns tötet / viel zu langsam.



Als gäbe es Orpheus wieder

(XIII) Sei allem Abschied voran...
Sei allem Abschied voran, als wäre er hinter
dir, wie der Winter, der eben geht.
Denn unter Wintern ist einer so endlos Winter,
dass, überwinternd, dein Herz überhaupt übersteht.
Sei immer tot in Eurydike -, singender steige,
preisender steige zurück in den reinen Bezug.
Hier, unter Schwindenden, sei, im Reiche der Neige,
sei ein klingendes Glas, das sich im Klang schon zerschlug.
Sei - und wisse zugleich des Nicht-Seins Bedingung,
den unendlichen Grund deiner innigen  (Rilke aus: Die Sonette an Orpheus

1
Auch bin ich aufgewacht, und weiß,
Und bin nun schlaflos jede Nacht,
Der Vogel singt / ich bin ganz im Gehör
Am Baum der diesen Winter uns erfror
Und weiß, dass ich wie dich auch ihn
Zu wenig hier umgeben und geschützt.

Es kommt  nun einer, der den Baum nicht kennt
Doch der den armen Platz nun für sich selber nützt

Und dieses Blatt das nicht mehr ist
                                               Doch brennt
MEIN Vogel der aus deinem wehen Herzen singt
Der das Vergangene Leben wieder bringt
Als wärt er allem Abschied voran
Als es uns gab /  nun in mir selber klingt.


2
Und dann frage ich dich / mein Gott wie
Alt / sind unsere Gefühle / doch
Und wie neu / diese Welt - wo wir
Hineingestellt sind / Atome in uns
Wie in anderen Dingen Tieren und Pflanzen hier
Elementen auch wir
Und Schluss ach Schluss
Trotz Radar
Und trotz Trotz: haben wir uns?



3
Erweckung

Orphus und Eurydike / so erweckt
An wem / an was
An einen bärtigen Ulyss?

Auch er Atom, na und wohin
Mein Freund / tauch tief in dein
Inferno / wo die  Schatten blühn.

Und alles ist
Nichts als Kontur.




UND fragen, ob du hier nicht bestehn musst
Ihr Gesicht / das abfällt / und sich einem Dritten
                                               Zu neigt

Und du warst ja so weit
Und stehst nun vor ihr wie ein Schatten / wie ihrer
Der einmal auch vor dir stand.
Schattengleich. Schattenzeichen. Nun bist du bei ihr
Und einer ist in dir / der weint / bitter ein Kind
Das noch viel Zukunft hat, hier
Du aber weißt / und spaltest dich so
Und gehst / lässt sie los
Bist erst so / für immer mit ihr.


28./ 29.

Traum von einer Schwarzhaarigen
In einem Amt. Annäherung. Küsse., Rendez-vous.
Um acht Uhr abends. Da kommt MR Ranizki zu Besuch.
Ein großes Bett / meine Bücher liegen auf der Decke.
Er sieht sie flüchtig an: Sie beschäftigen sich  wohl mit
Joyce? Ich sage ja. Aber nur in Maßen. Versuche
Innere Monologe. Habe dabei Angst
Die Frau zu versäumen. Es ist halb acht.



Wenn ich nun ans Allgemeine binden will / was uns
Geschieht, ist es die Auflösung der Zeit,
Der wir (mit Überdruss nur)  sicher waren.
Denn das Leben / schien nicht mehr weiter / zu wollen.
Jetzt wenn die dir unsere Freuden
Also die erregenden Utopien / wohin reisen wir,
die Ausflüge in die Berge, Boots-Reisen /
was machen wir noch / wie wird’s uns ergehen?
Jetzt wenn die Utopien sich als Trug erweisen?


16h. Dann der Ort ein Topos / Schnitte in der
Mauer / blutrotes Ereignis in den Wolken über Pedona /
Widerschein in den Fenstern / darin spiegelt sich der
Garten / die Bäume / wir, unsere Jahre. / Als wäre alles
Unsere Geschichte / der Küchenschrank / hier gekauft,
Von dir “restauriert” / 82 im Februar, als der Selbst-Mörder
Fotograf kommen sollte / mich aufnehmen für Serkes Buch.
Oder Widerschein im  Zinngeschirr / auf einem antiken
Eckschrank / ja wann war das / Amsterdam 1972
Grachten / Trödlermarkt / und dem Lupenschleifer
Baruch / der de Monaden kannte / in uns allen.
Ein glühend roter Lichtstrahl / fällt fast horizontal ein /
 ein Abschied neigt sich der Erde zu / wie ein sehr langer
 großer Schatten / wie der Tod / vorstellbar / fäll
auf die Hopi Kashinas hier / 1979 im Juli / im Jahr
Als mein Vater starb /  alles hier  in ein jung gebliebenes Jetzt

Topos, Schnitte “combinazioni dei fondi”, so sagte er / ich suche
im Herzen Schichtontologien /
Schnitte, alte Tage Bücher und Nacht Bücher
und eben brachtest du von den Fischers
aus Pieve eine Buch Kassette Wölfli / wann war das: 76?
Bei Elka Spoerri in ihrem “Stöckli” bei Bern.
Von der Wiege bis zum Graabe. Oder
Durchsichtig arbeiten und schwitzen, leiden, und Drangsal
betend zum Fluch?

Schnitt. Und musst einsehen / großes Gespinst
Eurydike / und hol sie... Oder die / Unterwelt / Ulyss
lässt die Mutter Blut trinken
um kein Schatten mehr zu sein.


Und wenn wir uns vornehmen / am 6. Dezember
nach Neapel zu fahren / müsste
natürlich Cumae und auch die Sibylle
besucht werden, denkst du an Waste Land
von Eliot? / Und die Ebenen müssen zusammen-
kommen / parallel laufen,
das ist die Rettung.




“Nichts zählt als die Inständigkeit der
Zuneigung.” (H. Pound).

Und erlaube mir / an die Kristallisation  des
Herzens zu denken / bei Stendhal / auf Monte
Christo / er war ja dort gewesen.
Ich  mit Hannah und dem Anderen / diesen Sommer
zählte sie da / diese Inständigkeit / oder werde ich später
so beschenkt / von zwei Frauen / oder beschenke ich sie
denn nichts zählt mehr  als Himmelsgeschenk: Erfüllung/
diesen tiefen Grund auch
des Meeres zu erleben, tauchend sehn / 40 Meter tief
sahen wir seine Wunder
Gottes Liebe der zärtliche Blick / alles klingend
angenommen / Banales wird heilig / dass der Kustode uns
nicht landen ließ / ein scharfer Wind blies später / als wären
es Aeolos Windsäcke / und waren doch ein Geschenk
von mir, dem Eifersüchtigen geöffnet worden /
dachte, er betrügt mich, der Bärtige,
und so wurden wir wieder weit hinausgetrieben / Heimat
irgendwo? / Dass ich nicht lache!

Genialität / heißt es
sei ein gutes Gedächtnis.


Alef: Eins – das Stierhaupt ist zu sehen
denkst du an Knossos / ein Kitschfilm
von gestern Abend oder eignes Knossos-Ich
vor Jahren?
Oder heute der rotglühende Sonnenuntergang Adam
Adom (rot) dam  wie ein Damm das Blut vor dem Sterben
Stier / ein rotes Tuch mir spanisch
aber Leben heute....

Beth: zwei: das Haus / wie die Lippenöffnung
einer Frau so oben wie auch unten
und blüht auf / der Atem



DEZEMBERFRAGMENT 85



Florenz,  18./19. 12. 1985
Und Giulianas Ehrentag m „Saal der Elemente“

Vor mir das Vasari Wasser/ Venus/ Muschelgerippe Dreieck/ Mauer
Darunter Musatti/ über Panajotis und Giuliana/ ich seh Gesichter/ Bild und Saal/ die Wand durchdringen Gesichter/ der Druckerin/ sphinxhaft schön/ aus den Augen/ oder die Therapeutin Margherita/ das Kindergesicht./ Frauen in Pelzen/ Blicke. L. neben mir im schwarzen Jäckchen.
Auf der Straße/ der lange Rücken.

Der berühmte Psychologe spricht über Kelten und Zwangsjacken
Über die Kranke, die schöne: in der zwei Frauen wohnten/ Exorzismus/  Falle/ und vor mir
Riecht es nach Parfüm.

Fiorino d´Oro der Bürgermeister/ über/ reicht ihn/ und geht./ hier die Nackten
Von Vasari, da wusste ich, was mich erwartet: corpi nudi/ undgeht./ Voller Ironie/
Im dunklen Anzug/ geplaudert.

Schläfrigkeit/ dann kommt/ die Blonde/ langes Haar und ine andere mit Engelsgesicht
Flüstert ihr etwas zu/ berührt das Haar mit der Nase/ stützt jetzt mit aufgeblühten Fingern
Das Kinn auf/ sie lösen/ langsam Erregung wie eine Droge/ Schwingungen
Als würde ich angefüllt mit dem Saal./ Das Marmorinnen zieht mich an wie mein Freund Egidio.

LIONARDOS MENSCHENMODELL mit vier Händen und vier Füßen im Kreis
Aufgeklebte Karte mit seiner genauartistischverschlungenen Schrift. Un/
Nachahmbar kalligraphisch schön.


Il meglio fabbro/ im Garten 1 Meter tiefer Graben für Reben./ Joh. 15./ Mein Leben morgens: diese Lust. Sie stößt durch Buch-Staben./ Doch am Florentiner Dom/ keine Erregung mehr./  Autobus in das Baptisterium/ grauer Alltag/ Jungen und Mädchen und Tauben und ein alter Mann./ Zwei Deutsche gehen mit Fototasche ins Innere./ Und wir: Heute immer wieder zu Giuliana/ Argia und M. Panayoti, den Griechen./ Sie sind wirklich „der Tod“./ Blicke/ Durchblicke zum Dom./ Blickhalt. Haltestelle Memoire./ Florenz noch älter geworden./ Bei Santa Croce wohnt Carlo/ Borgo, alter Innenhof./ Das Auge viel zu nahe dran./ Er hat Existenz Sorgen. Der Grieche ist sein Chef/ Institut für autistische Kinder,  von P. erfunden./ Argia/Giuliana ist Carlos Analytikerin:/
Lebt alles so wie im Irrenhaus/ 31 ist er/  und geht gebückt wie ein Greis./ Ängste. Obwohl der Vater sehr reich ist (Quelle: wohl Parmegiano!)./ Carlos Frau ist Spross serbischer Partisanen../ Belgraderin. Und stark / 
Der Grieche erfand auch/ das „göttliche Syndrom“/ Gott al Krankheit./ Er hat einen einzigen/ infantilen/ Patienten. Und der ist auch schon 21.

Ich denke an die ersten Besuche in Florenz./ Lauter Legenden.. San Miniato. „Deine Zärtlichkeit wird wider auferstehn.“ L. hatte mich untergefasst auf dem Ponte Vecchio/ wimmelte es von Andenkenverkäufern und Gold. Und dort am Rundbogen/ lehmig der Arno/ floss vorbei/ und wir suchten einen Ring/ gegen die Zeit/ ihn beide zu tragen/ dazwischen eine Bindung hier/ auf dem Papier/ nur die drohende Trennung/ dort das Gesicht meines Vaters/ die Mutter Hände/ daneben/ stehen. Sie beide einmal/ auf dieser Brücke/ Blick in die Fließende Zeit./ Ein totes Hochzeitspaar./ Nur der eine Teil lebt noch/ der andere (…) wer weiß (…)/ Und ich küsste sie wieder/ das Brücken Geländer/ der Halt in die Tiefe./ Ja, die Vitrinen: Gold Ringe/ viel zu teuer dieser Halt/ für uns./ Was hatte ich hier/ jedes Mal/ aus der Tradition / heraus gedacht./ Auch, dass wir arm seien./ Und das Zurück ins Jahr 1932. Das mir jetzt nah ist. Fast gleich gültig, als wärs Jetzt/ vergangen. / Gleich gültig wird alles./ Nur Transsvylvanien ist weit/ vielleicht gar nicht vorhanden.
Was gestern geschah, geschieht erst nach träglich/ in mir/ blind strömt viel zu viel/ wie der Verkehr/ Richtung Autobahn abends./ Geschieht erst jetzt: hier. So dass Zeit „das Leben der Seele“ sei.

Wieder zu Hause. Abschleppen/ haarigmosig/ Heizung blubbert und plätschernder die anderen Zeit/ vor. Kommt He, das Fenster, das Hebräische ist nah. Fünf. Sonne. Ich. Radio Kainsmal durch die Wand. Und höre Marianne Fritz mit ihrem Wälzer aus Austria. Fritz nannte man Deutsche. Auch: Aufwiederschaffen (in Triest).
·        Bei Esselunga Fondane Liebes-Gedichte (Obsedat de lumină). Alle Poren durch. Kleine frische Säckchen./ Und damit dann Gaskammern abgebraucht Zyklon/ Fenstern gittern fern/ kein Eis
·        Lösung urmaṣ und Genealogie/ Schwarzerde/ Ciernosom. De Ird. Af deser/ Er-zählerisch be-gabt (Gowen. Bald äs Chrästdach)VGl. SBG. Sächsisches Wörterbuch, Buch Stabe G.
… Femeie, pămánt negru, te vreau ṣi te iubesc…
In care mă aṣteaptă ca íntr´o oglindă chipul.
Das Umständliche/ Ver-stand/ Stand und Nicht-Handliche.
Kind/ Känjd/ copil/ Djermäk/ bambino/ hast du/ host tea/ ai/ singura ṣansă de continuitate?
Frau/ Frucht fructus ventris tui/ Ave Maria grazia plena?
Kein Lust/ ab Dreieck/ mehr als gewesen!
·        De Stadt säcken/ Ekbatana oder/ Schess brich/ in C. schau Fenster stehen offen
Auf der Bank Millionen früherer Frühlinge in mir. Aber Aus Brechen…?
Aus dem Ort Zwei-Wert/ die Nase der Syllogismen verstopft/ ist
Rotztropfengrün/  hier ist aber: Drehen und Wenden Kubus. Ideogrammatisch vergehn/ wie der Film. Eine Hand/  liebt Dolch/ Dolch dringt ein.
Geweitetes Auge. Klammer Tischkante. Spritzt. Schrei. Etwas tropft/ Schuhwärts.
Entdeckend. Schnitt.

*


22.12.
Alles hinein zitieren/ Celan/ Wörterbuchverfolgung. Und die Vor-Schrift in mir.

Jeder begegnet seinem „Drachen“ / Wer aber ist hier der Hausdrache/ rettet oder vernichtet/ ganz
Unvorhergesehen. Phallus klebt dann nicht mehr/ allus.

Bisher/ einfach: z.B. 1558 Moment Anna Chendae in Hunnyad. Török war ihr Mann/ ein General.
Er ließ sie köpfen./ Weil sie ihn hinter ging. Sie sein Besitz. Er ließ sich stehlen, stahl ihm selbst die Frau.

Ratlos/ den Drachen umarmen?

23. 12. L.s Geburtstag. Kommt im TB aber nicht vor.

24./25. 12.
Was sich als Licht begreifen lässt/ solange wir da sind/ du meine Mutter/  die Zeit Erinnerung/ der Bruch.

Wir wissen es nicht mehr/ was war./ Sicher ist nur – dass es einmal
Gewesen und nicht mehr sein wird. Vorbei.
Und das Licht verschwindet. Stille. Nacht.
Die alten Weihnachtslieder, sie sangen den Duft
Und du warst zu Hause/ einmal in deinem Leib./ Was ist Dankbarkeit – ein Wort.
Wie die Abwesenheit beim Telefonieren/ sich in keinem Augenblick sammeln kann
Was für uns spricht/ und was schön war.

26. 12.
Denken an Mutters Geburtstag (75).
Wenn man die Zeit aufhalten könnte…
Du bist verpflanzt worden, vielleicht versetzt worden. Schmerzen auch
Weil du „unten“ geblieben bist mit deiner Seele.
Mutter, du mein großes Gedächtnis bis weit vor meiner Erinnerung.
Es lässt sich kaum sagen.
Fest-Ablehnung, Fest-Aufhebung wider die Zeit, die sich oben irgendwo schließt
Nach unserem Verschwinden!
Der Kreis, der sich hier zeigt, und nicht nur wir.

Zu ihren Ehren etwas aus „Vaterlandstage“ lesen!


Celans Mutter – als Gegenteil. Nicht ausdenkbar. Wo warst du
Als seine Mutter starb./ Wo waren wir?
Ja: es dehnt sich/ und sprachlos fand ich mich/ ohne deine ersten Worte/ aus dem kleinen Kreis des
Nussbaumes/ und eines Roten Hauses/ bis die Zeile/ wo der Kern wieder zu finden wäre
Den wir ahnungslos  aßen/ war ich ein Kind  zu Haus….

Es ist die Schwere, die mich zu dir zieht. Du warst der Anfang meiner Erde/ die sich dann bald
 Nicht weiterdrehte / in allen deutschen Worten. Es war August. Es hieß: Zusammen Bruch.
Kein Auge blieb trocken.



Daher ist das Tagebuch wichtig, dass die Lebenstage nicht "in Äonen untergehn", gegen das Vergessen - die Schrift, mein Bewusstsein  vom Tag da aufbewahren.

Vielleicht sollte ich "ALLTAGE" schreiben oder fiktive Tagebuchbücher, Freud, Mann, Hölderlin, Shelley.

4. März 96 Cinque Terre. 5 Terre. Riomaggiore. Manarola.  Via del amore.
Am 3.3. Furchtbare Trennungsgespräche.

LEBENSZEITJAHRE
Cinque Terre
(Und ins Wasser gefallen, das Meer)

Steinweiß nach einer dunklen
Schlaflosigkeit
Nacht der Trennung

wie übt das schreiende Herz
wenn die Jahre vergehen
jetzt die Weite aus
wund

weil das Meer nicht trennbar ist
nur in den Köpfen
wie die Gewohnheit
gefangen

Der Blick unter Agaven
die Wärme die Füße
aber fast schon im Wasser
lesend

Und oben auf der Terrasse
lieben sich zwei unter dem Pelz
wir: als wir jung waren

Horizontweit der Blick
erinnert den Sommer im Boot
und Vernazzas Turm die Sehnsucht
im Hafen du hebst die Erinnerung vom Grund
das alte Herz ist der Anker.






Schicksalsoffen zu sein und tun
was geschieht 
neu wissend da
alles was ist dein Bild hält
das du erzwingst aus Gewohnheit

Doch unbefangen bleibt

Geh sanft mit dir um
ruhig und zärtlich hinter dem Bild
das du viel zu laut vor dir siehst
schreiend nur redest

Unendlich bist du
ohne dass du es willst
Übe die Langsamkeit immer
und langsam kommt deine Zeit
von innen und die Menschen
strömen hinter dein Bild
dir zu

Für die meisten ist  kein Heil
weil ihr Gesicht verzerrt ist.
Durchbrich jede Planung
sei ohne Zukunft Hier!
3/96


Und wenn ich es vergleiche: mein Gefühl/ es kommt von dir/ im Abdruck meines Lebens














                                                           BERGE UND MEERE





NIE VERGESSEN DIE ORTE
Frühe im Dunst der Berge
Das Meer in dir
Wo es Gott noch gibt
Oder du-selbst  im UND
wieder kehrst?

Das Und als Gebet
Sag es Niemand NUR Dir
Im Ja der Geliebten
Schaukelt das Meer.

Niemand die Geliebte
Wirkt/ durch mich denkt Er
An dich an uns
Lässt diesen Augenblick zu
In seinem Sein
Das uns erschüttert



GEFÜHLE BEIM SEHEN DES LANDES VOM MEER AUS
(Bei Forte dei Marmi)

Im Dunst ists fern wie die Verheißung
Berg Baum die Stadt das Haus die Menschen 
Dort der Strand
Das Meer gleißt nah wie Weißglut/ kühl
Im Salz ein Brennen
Und Distanz
Die Häuser und der Mensch sind Punkte
Im Spiegel nun eins zu unendlich
Weich rauscht am Bug das Meer

Die Angst spannt dich ins Segel ein
Als wärs ein Bogen der dich abschnellt
Dem Wasser zu
Du bist dir hier entzogen
So sahst du dich noch nie
Das Land ist zart gezeichnet
Wie mit Kreide kindlich unerfüllt         
Du spürst wie fremd du gehen kannst                                                                
Auf  einem glatten Meer
Es ist als kämst du neu auf dieser Erde,
weil sie jetzt fern ist, an.

6/81







Capraia. 5.6. Juli 1985

MEGALITH; MEER. Wo das Sausen Null zum Tönen bringt.
Langer Atem, woher er kam, was mich betrifft, Stil ist der Mensch, woher gelenkt, Sphärenklänge auch in mir, da denkst du an „Akroasis“. Oasen der Töne, Dichte in uns, woher meine Leere, Armut, kein Integral.
Gottes Kreatur mit erschöpften Kräften. Rund um meine Stunde, die abnimmt
                                   *

Die Funken, die mich vergessen haben/ das Meer macht müde, hat einen Stein im Maul, gegenüber die Steilwand.

Die Notiz hält mich nicht mehr wie früher, Zeit  Note. Unsinnig geschrieben zu sein, ohne DIE SCHRIFT.

Im Ort das alte Gefängnis, Colonia agricola. Gefängniszone und wir mit unsern Ferien/ auf Segelbooten/ mit Staub überdeckt das Gemäuer. Capraia.

Wunder sind/ die uns umgeben/ durchziehen auch das Wort/ meines, deines/ trägt uns zurück bis zu uns/ Stonehenge oder zu den Menhiren/ die uns ihr Gesicht, tonnenschwer hochgehoben/ mit Gedanken/ aufhob die Schwerkraft.                                                   

Felsen. Pinien. Sommerhauch. Rauschen des Meeres/ das sind Worte/ doch ein Zustand/ in mir schwingt mit/ ist JA unbeschreiblich.

Es muss wieder/ aufgenommen werden. Dann wäre ich wieder da/ über den Tod hinaus.

Aufmerken. Das ist Fehlendes/ das schlägt mit Missmut. Wenn Abwarten beginnt/ gestern im Dorf:  Alimentari/ ein Hund/ mein Hund/ Brotkauf/ ein Mädchen an der Kasse/ alles hing zusammen/ und ihre Frische/ da war noch Hoffnung/ Zeit, die sie noch vor sich hatte./ Ich stand nur  dabei/ schon abwesend            / müde einmal zum Narren/ geliebt vor viel zu viel blinder Kraft.

Saint Florent, Montag 8.7.1985 
Was sich zusammenfassen lässt/ hier am Strand eines Besitzers/ Campo di Fiore/ und du denkst an Rom/  Giordano Bruno/ ein Morgen/ blitzendes Feuer/ wie die Sonne. Ich aber gehen zurück/ alte Zeilen/ als ich Rom noch nicht kannte/ nicht Giordano Bruno nicht die Etrusker/ nun bin ich ein Einwohner Etruriens/ Ein Traum in Lucca/ Ritt in der Via dei Fossi / an der Madonna vorbei/ und an der Steilwand der Insel gestern/ steinerne Gespenster/ Gesichter/ auch meines/ und das meines Vaters/ Köpfe , Stein-Kultur/ Hirne winden/ Spiralen bis hinab zur Naht/ die reißt/ Eukalyptus am Ufer/ greifen/ die Hände sind Pinien, rot und weiß, wie die Schechina der Oleander ins Auge getönt./ Fern Windstärke drei von Nord/ alles hier ein topos/ versammelt/ Bücher greifen in mich ein wie Zahnräder/ unendliche Mehrzahl keiner Grammatik/ Technik um dichte exakte Gegenwart fehlt/ nur das Radio VHF bringt lebensnotwendige Wetternachrichten./ Unendlich aber soll es strömen durch mein Hirn/ wie der Golf/ nicht die Sackgasse/ stehend schon sumpfig das Ende./  In die Steine hinein will ich hoffen/ dass mich die Atome noch mögen/ das Licht/ kreisend in meinen Neuronen.

                                                              *
Hier bin ich im Paradies/ zart gezeichnet die korsischen Berge aus Dunst/  weiß die Kontur/ und darunter Masten/ kleine schwankende Finger/ die sich selbst, den Himmel anzeigen/  gestohlene Lust/ Zikaden und Krähen zum Plätschern des Golfes/  Sommerglut blinkt/ und der Stift schreibt ab/ was ich zu sehen meine/ mich.

Dies die Musik. Ich höre sie mit den Wolken/ noch zwei Schiffe vom Mistral in Streifen geschnitten/ über dem rötlichen Berg. Hier aber anstatt der Musik/ eine Null/ die an mich grenzt/ Nur manchmal Erschrecken/ dass ich das bin.

                                                               *

Der Augenblick hat mich wieder/ im Ohr trinkt er die Sonne aus/ gieriges Insekt von jenseits/ kommt hier an/ man weiß: alles ist eine/ unberechenbare Welle/ von weither/ ich in ihren Spiralen gefangen/ ohne Organe/ wie die Leute hier/ die ihre schweren Menhire hoben/ kraft des Vertrauens.

                                                              *

Mut sorgt nie aus/ der Schädel aber/ eine hohle Schale/ gefüllt auf Zeit/ die sinkt und abnimmt/ die Last/ Mut zu haben/ hier/ begreifen zu wollen/ was ist.

                                                             *

Feen sorgen federweiß für die Schönheit hier/ Berge schweben/  und es ist wie Sonntag. Ja/ Frieden/ Kinder stehen in mir auf und singen/ ernste Lieder/ fröhlich, als wär’s sogar Ostern/ und ein Licht blendet/ aus ihren Augen/ als gäbe es wieder die alte Sonne/ obenauf.

                                                             *

Erregt sehe ich um mich/ ein einziger Atem/ zieht durch den Satz/ über die Augen verlängert/ zu mir/ wo die alte Acedia/ saß und Essig austrank zur Neige/ die Öffnung hinüber ersoffen in Gift und Galle/ die Kinder betäubt und hinausgeworfen/ bizarr/ kein Märchen. Spleen von Paris/ als alles anfing/ sich so aufzuschreiben. Dankbar zu wissen/ nicht allein zu sein.

                                                              *

Stöße. Ein ganzes Biest aus Stößen. Auch Kreta erfand den Stier. Hebräisch die Zeugung der Welt. Atem. Pneuma und Moll. Trotz dagegen/ das Labyrinth des Daedalus.

                                                             *

Sprung ins Lesen/ und weiter: wie ein körperloses Schweben. Das Alter hat mich längst. Aber der Blitz, wenn sich die zwei Ideen berühren, bringt die Kontur, das Schreiben. Wer diktiert? Singt wie Musik/ ich selbst ganz ohne Widerstand/ unendliches Gebet/ und tönt/ reißt alle mit/ die dachten/ solang ich da bin/ hat der Fuß gefasst/ der sich enthüllt/ als einer im Diktat/ die Sprache springt/ die Meile der Geschichte ab: so kam sie weit/ und geht die Stufen hinab/ unten tönt’s/  als wär Er wirklich hier: Palenque einmal so aufgefahren/ in die Idee/ als Flug gemeint/ der erste Mensch: Kam aus dem Alphabet zum Labyrinth zurück/ Spirale einst/ tief in die Zelle schießt  das Wissen in die Formen ein./ So sahst du rot/ von Anfang an/ der Stier hat mir den Kopf gezeugt/ was war/ das ist ein Riesen/ Genital/ ein Ei der Welt/ das sie gewogen hat/ im Keim als Er zur Welt sich brachte/ da wusste Er auch dich.

                                                          *

Was flach erzählt/ als wäre es all-gemein/ gut dar-gestellt/  nimmt als Erschöpfung/  des Anfangs zu/ als wäre es nie geschehen/ wir nur selbstverständlich DA/ als wär’s nur Augenschein/ kein Wider und nie Wieder/kehr nur flach, was wir uns nachgezählt/ erzählt. So angepasst/ dies „wirklich“ scheint/ als hätten wir Ihn ausgetrickst. Erzähl nur Nichts/ als Bitte um Gesundung.

Als wär ich abgeschafft, so strömt es wieder, tönt/ auch ziemlich stark durch mich/ was meine Uhr/ am Armband gar nicht meint/ und tickt/ mein Pass am Herzen.

                                                          *

Je weiter entfernt vom/ Inhalt, sag es: so genannt/ sieh mich dann an: nun so feiner diese Nähe/ frei benannt zu jenem, was sich zeigen kann, sogar an dir/ und mir „zerstreute Gewissheit/ als eure Begründung/ isoliertes Geschick“ sagt einer (er heißt Char)/  wo ich noch stehen kann/ mit Mut/ wär ich gerettet: ich, abgelegt: meine unbekannte Hoffnung.

                                                          *

Saint Florent, 9.7.1985
(Seite 11-13 nicht abgeschrieben)
Ernst bleibt/ Morgenfrühe wir früher fischende Indianerväter aus einem Kinderbuch/ am Fluss, den es mal gab/ und jetzt die Frühe hier/ Nebel über den Wassern/ Krähen./  Ich in der Kabine/ drüben eine Seemeile entfernt/ der grauweiße Turm/ Saint Florent/ Korsika/ der Leuchtturm Richtung Nordwest schließt eben sein grünes Auge/ und ich lese dazu Rilkes Zehnte Elegie./ Auch war Duino im Turm von sechzig Jahren: „Dass von den klar geschlagenen Hämmern des Herzens/ keiner versage an weichen zweifelnden oder/ reißenden Saiten. Dass mich mein strömendes Antlitz glänzender mache…“ Vergehen der Schmerzen?







                                               ZUZWEIT EIN BUCH. EROS












„EXPERIENTSA AMANTEI DIVINE“

Habe ich Ihn in der Stimmung
Vom offenen Rain der Welle/geneigt
Am Tode vorbei
Gegraben tief in die Träne
Meerwärts/ hinter den Wellen
Über den Berg

Eine Brust

Zunehmend
Das Ungeweinte ist dein Peitschenhieb
Gezüchtigt von dir deiner Liebe/ der Schmerzgier
Dass das Auge wieder schwimmt
Oval in dich/ ins Gebären hinein
Greinendes Kind
Himmelsrein
hier





DU HAST MEINEN PENIS GESEHEN
Rot eine Kirsche gereift
In den Jahren
Immer DIR zu

Du hast meinen Penis gesehn
Ohne mich ohne ihn
Der ihn erschuf

Lass ihn Sein Sohn sein
Mit DIR!

Blind in später Zeit
Schmerzt meine Scham in mir

Wars Abaelard: Ihn/
Amputiert dir zugeschickt
Ohnmächtig liegend vor ihm
Vor dir vor mir
Schreiend allein?






                                                           TOTALITÄR





Doch das Bild nah,  dein Kopf gefesselt, auch da: Glaube Inbegriff
jeder Vernunft, sie redeten mir ein, den Kopfverband, und sagten:
Genosse, die Überzeugung, nicht Glaube gilt, Nie der Gewissheit,
wir retten dich, das Ganze in letzten Sätzen, die gelten. Das christliche
Gleichnis der Liebe, dass ich nicht lache. Hinab in den Bunker, Kopf:
wehe du weichst von der Linie ab, ein Feind der in dir sitzt, der unserer ist!
Ach ja, der Punkt,  die Linie, fast Delta t, sie aber schlugen zu!


Aber fürchte dich nicht, du hast eine Vision, und sie verletzten doch, das was ist,
umstellten es mit Fahnen und Gewehren, Parolen - ein Zaun vor dem Tod?
Immer zur Zeit, immer zu Recht da sein, kommen? Was für ein Hirnorgasmus:
die ewige und geheime Sicherheit, ich aber bleibe bei mir, jetzt: und sehe mir  zu,
dass ich niemals zurecht komme! Mir und dir und Niemandem ist so zu helfen!


Das Unheil ist noch nicht sicher,  Unheil der Glaube, dass wir alles und hinter Seinem
Rücken erreichen  auf  unsere Schnelle! Ich aber liege: -  im Pflegbett lebenslang
Und schreibe mich auch dir zu, deinem wachsamen Auge.
Doch - besteht der  innere Wert  nicht darin, bettlägerig  zu sein?
Die metaphysische Wiege, die Toten, die Kinder, ja, alle kommen und
geht da an! Auch im Traum ja diese Schrift! Und du lachst:
Finalität ohne Ziel? Abzuwenden vom Werden,
der Täuschung, damit kamen sie mir, berauscht durch Veränderung,
die Roten legten das Gute in die Besiegten,
die Braunen in die Sieger, doch endeten beide
als Henker.

Doch ein Wundern schon,
dass ich  bin, das klein geschriebene ich, wartend,
ausgefüllt meine Sekunde mit diesem Satz,
eine Straße die stimmt und endet gleich hier,
solange ich schreibe - am Leben.

Februar 2006





Lieblos  und leer, daraus schöpfe ich
Mut  Sowieso bald tot, und ein Wundern,
dass ich  bin, das klein  Geschriebene ich, wartend
ausgefüllt meine Zeit mit diesem Satz,
eine Straße die stimmt und endet gleich hier,
solange ich gehe - am Leben..

Und  es scheint doch zu sein, dass Schlafen
ein Kunststück bleibt, die Augen verklebt auch
von der Blindheit, ist es ein Geständnis, dass
der verwöhnte Körper hier ablegt: Blei wie
ein Schuss, die Lider drücken und schmerzen. Abgelegen
abgehangen und/ im Feder Bett, weißer Körper,
langer Krückstock, der jetzt in das Sterben fliegt. 
Endlich löst sie, was dir blieb, Auflösung
und nichts mehr gilt, der Kopf dröhnt, packt
mich ein, das Denken: der Motor Verzweiflung.
Wachsein war einmal gut. Wo ist sie, wo,
die Zeitdienststelle fürs Leben, fürs Himmeln,
einem, es ist lang her, wars unangenehm, nicht auf dem Kopf
gehen zu können, den Abgrund, wie bekannt: als Himmel
gespannt tiefgrau über sich. Als sähe ich den Armen von oben.




WAS DIESES dünne Blut nicht
weiß, überall
hinterlasse ich
falsche
Hoffnungen, auch mich
habe ich betrogen, liegen
gelassen durch Gefühllosigkeit,
ein Ort der Welt, wo
niemand ist/ auch ich nicht -

Bin ein Rauch,
starker Geruch in einem
Himmel, der sich verflüchtigt.
Als wäre ich schon gestorben, so müd.



Und es hätte auch zu Hause sein können, sagt er: Doch frei sind wir nur hier oben. Und dieses Oben gab es auch dort. In der Kindheit sogar besser, noch bevor  mit dir alles geschah.
     Wo saßen wir jetzt, wo wars, ein Holztisch vielleicht, nein, ein besonderer Stoff, da drehten sich die Atome  fast sichtbar  in einem Weltmodell, um den Mund, als wäre er mit einem Eisen verbrannt worden, sprangen die Gedanken, lautlos, wortlos, und alles schien, als wäre es ein anderes Jahrtausend. Die Schönheit, die wir spüren, das Blenden des Lichts, Natur innen bewegt. Unten im Hof aber gurgelt Wasser, der Gang hängt völlig in der Luft und die Treppe ist verschwunden ... Und von dort unten  ist die Internationale zu hören. "Siehst du", sagt Großvater, der aus dem tierärztlichen Instrumentenschrank ein kunstvoll zusammengelegtes Hanfseil holt und daraus eine Strickleiter knüpft, die er in die dunkle Tiefe hinablässt, "siehst du,  und war es denn vielleicht besser, als die Roten kamen, die alles umkrempeln wollten Die Internationale und die russische Hymne erklangen - auf unserem  Marktplatz?!



ES GIBT STARKES UND SCHWACHES PAPIER nur gedulde ihm
die wichtigsten Zeichen sind ungeschrieben, jedes wenn es
auftaucht in der Flut der Tage trägt zum Wahn bei, dem
Tiefschlag, als gäbe es mehr.

Starkes Papier und schwache Zeichen. Todesurteile in Havanna,
in Peking, heimlich in Bukarest. Oh, süße Heimat,
das waren noch Zeiten des Verlustes des Lebens, der Freiheit
aber dienlich der Sicherheit.




DER KLEINE TOD

Einmal gab es noch Ferne und kein
Gestotter: das bin ich, der arme Satz,
der war ich bin  müd nun. Auch das Dreieck
zur Zukunft und weiter, ein Loch
der Metaphysik ist in mir lustlos
dürr geworden.
Und schrieb gestern in die "Akzente" mit Bleistift:
Schluss jetzt, Schluss, es ist genug!

Dabei wartet doch dieses Rätsel, das nur mit Schleiern mich
täglich ärgert, schlaf , mein Junge, schlaf, und träum, sagt eine,
die ich mal liebte, sagt jetzt, sagt nie.

Und ich war hier im Wort meine Einsamkeit los.
Träum nur, träum: nur so kommt er zu dir, auch wenn zwischen ihm
und deinem Ich ein uraltes Schweigen begann.

Weißt du noch, Snagov, so fad
der See, und eine gläubige Geliebte,
im Kahn mit Seerosen: vom Lieben Gott, sagte sie: so weiß wie ein
Brautkleid. Und der See war dunkler und gekräuselt
wie Schamhaar. Und kniete, 64, Ilse, ein Fischmund,
SO KÜSST SIE DAS DAMALS.

Von der Ferne wusste ich nicht viel und
glaubte an Marx. Und später an mein Fernweh:
Heute weiß ich, die Ferne ist in mir
vielleicht gestorben; noch nicht aber die Lust.

Und schreiben - warum hetzt du die Sätze,
anstatt ein bisschen zu leben.
Die einzige Chance - zu  überleben.         


                             TOD UND VERGEBLICHKEIT



WAS IST GEB LIEBEN
dazwischen, sechzig: was ich war, und bin,
solange ich bleibe.

Keine Bleibe, außer das unbekannte Gefühl:
in der Erde, das ich nie kennenlernen
werde, glaubte ich, das, was zum Leben
nötig ist zu glauben: es gäbe nur dieses Aus.

Nichts ist geblieben, denn Nichts
kommt zurück, so um mich
zu bestärken, die Vergeblichkeit
ist allein, ist wahr.

Und wie sie sich binden, Wörter -
nicht sie, dazwischen sind ja die Körner,
unsichtbar und doch süß
wie der Sinn.

Ein Leben dauert an zu nichts
gekommen das Krähen versäumt
mit Kind und Frau und Freund

Verrat ist nicht Verrat
der Tod nicht Tod
auf keinem Boden gibt es nichts
was einen  Boden hat

Da ist ein Garten
für ein Warten wo
nichts geschieht


Und was verfehlt ist
dauert an

Und wächst
sich aus.


ES GEHT ZU ENDE WAS BISHER WAR,
und die Stimmen sind fern wie morgens um fünf,
wir werden uns nie mehr wiedersehn,
wir werden vergessen.

Man siehts an der Luft, an den Augen der Leute,
überall rollen sie die Erinnerungen ein,
heut sah ich Fotos der siebziger Jahre, da waren
wir jung und alles schien offen,
du stiegst in den fahrenden Zug,
der kam nie an,
und fuhr ab nur zum Schein.

Alt sind unsere Gefühle geworden.
Und oft ist es kalt und du spürst nur Gewohnheit,
als wäre über den Augen ein Schleier,
und wir gehen mit Abwesendem um.

In allem spür ich schon das Vergessen,
und die Leute sehn mich gar nicht mehr an;
so denk ich: vielleicht bin ich plötzlich gestorben
und hab`s nicht bemerkt, bin unsichtbar geworden.

Es ist nicht nur die Liebe die jetzt vergeht,
es ist nicht nur Eiszeit der Sinne, es liegt
ein Stillstand um uns in der Luft, der uns Angst macht
und uns den Atem verschlägt.

Denn es geht zu Ende was bisher war,
und die Stimmen sind fern wie morgens um fünf,
wir werden uns nicht mehr wiedersehn,
wir werden vergessen am Leben zu sein.    









                                         IMMER NACH HAUSE. AUCH GOTTWÄRTS







DU LIEBST SIE NOCH IMMER die Bahnhöfe
Der alten Monarchie, die weiche Anfahrt
Im tschechischen Laut, die böhmischen Dörfer
In dir, in Europa, Land der Mitte,
Wo die Büffel über den Kirchturm fliegen ins Nie;
Und dort geborgen in Schnitterliedern, Halme
Gesungen, sanft im Korn wie Spiralen, der Rock
Der Magd wie eine Tulpe hochgeschoben,
Die Zwiebel Lust der Erde duftet sie.
Sensen am Abend geschultert, schnitten die Halme
Ab und Tränenkrüglein in den Händen
Kommt der Tod bald rollt über die Berge
Und trifft dich schon nah,
Siebenbürgen, Land der Riesen, der Tod.
Und hinter ihm tanzen sie Czárdás Polka Hora,
Manchmal ein Walzer, auf die Trauer gepfiffen,
Tränen im Auge, Iris im Schnee,
Schlittengeläute über Blumen,
Und ein Kaiser mit Backenbart auf allen Briefen.

Post aus Galizien und von der Adria.
Landweite Melancholie.

Nichts kann vergehen, außer dem Schnee.
Das Reich ist vergangenes Jahr
Heute.





DER STUNDENTURM aus Schäßburg, Siebenbürgen

1
Dort geh ich durchs Tor der Fallgitter,
                                               die Turmspitze ragt im Blick
in den vergangenen Himmel, ich
hör, sie schlägt, im Ohr berührt, dazu der Außenlaut
und meine Sohle ist auf heißem Boden, Tritt
da auf viele andere Tritte der länger Toten. Und hör
im Schlagen: Senj mer derhiem, et schnaat, menj Jang, bald
äs et Chrästdach. Namen, Namen
... und Melchior sie kamen . Wer ist
                                                                                              "Frau Exegese"?

Turmsilben schlagen. Und die ganze Historia
flandert vorbei, dreht sich in Wochenbetten,
um, die Kinder sind vor der Geburt
gestorben. Sogar die Sekunde wird es sein.
Die bemalten Holzfiguren: Die sieben Tage sind
nicht mehr zu sehn.

                                   Hör, hör der Tod ist fühlbar geworden,
hier auf der Bank vor dem alten Museum
Bacons ist er/ ein leichter Wind, ein Wehn
des alten Eichenblatts/ durchstochen. Früher
das Blut und jetzt der Hunger. Früher
zuviel Gegenwart, dann zu viel Zukunft: Lüge,
jetzt aber Nichts mehr, ein Summen, der Burgplatz
die Leere, die wehtut. Dort, dort, sieh: sie kommen!

2
Ach, du bist gut, noch immer erinnert, nur ein
Arbeitsloser drängt dich in die Ecke der Pinte
"Dracula" im alten Waisenhaus, er will eine
Stelle in Deutschland, Automechaniker ist er
ohne Autos, Idylle. Die Einzelheiten aber
stehn Schlange und stören die Verse von früher,
die schönen Gefühle, unter den Schuhen der Dreck,
in der Luft aber heult ein Oben unhörbar kommender Mord
und der Totschlag im Herzen, Unvernunft
Sorgen lebens notwendig wächst die Gewalt.
Erfahrung  braucht soviel Zeit.
Ein ganzes Volk stirbt so daran.


Mit Luther noch im rechten Ohr "...Und lebet
darnach achthundert jahr/vnd zeuget...war hundert
und fünf jar alt/ vnd zeuget Enos. Vnd lebet darnach..."
Undsoweiter, zeuget ioc hier. Vom Pult und Schallraum
Jetzt, abgezirkelt stehender Raum, Sonne durchs
Kirchenfenster, und Orgelton, dann alle Register
und Gesang/ nichts mehr zu hören, der Tote hats gut,
er ist ja wie früher tot und geblieben: der
Pfarrer Wagner am Altar. Genaugenommen:
Was trägt dies Fleisch? Ein Aber?
Denn hinter dem Altar, wo du verschwindest,
da schwimmt Herr Jesus auf dem Zweifel,
gehst dreimal du herum wie bei der Taufe,
ists ein verbotenes Lachen. Diedel dumm.
Die vier Apostel, die dies schreiben,
verneigen sich davor: und es singt dazu
der Kirchenchor sein festliches Gesumm.

Die Zahl aber, weißt du die Zahl, sagt Mirjam
unten im Worthof. Paradies spielen wir da
Para Para. Und es riecht nach Krokus
und nach Erde, die Luft ist blau. Der Vater aber
spielte nicht mehr lang Menschärgeredichnicht, -
als er aus Russland kam, die Lunge krank, ja,
der Atem, es rasselte auf der Brust, dieser Vogel
der Tod hieß. Beim Würfeln hast du es einfach
in der Hand und kommst vielleicht in den Himmel.

Wieder nur 3 Punkte oder Augen (Trinitäten).
Die Figur aber am Stundenturm ist neutral und
heidnisch, griechisch-römisch, man lernte es
oben im Gym. Heute ist immer schon Dienstag,
der Bruch. Und jeder Bruch tut weh. Inoperabel. Ganz
grimmig; der Mars, der zerschneidet, rötlich, die Frau
aber verkauft das Grünzeug für über hundert Lei.
Mittwochmarkt? Az Ur. Koronderdäppen und Milchkannen
klappern, das Weiße läuft über auf heißen Herdplatten,
stinkt, und man weiß, sagt Mirjam, dass alles vorbei ist,
die Leute sehn manchmal zurück in die Landschaft
und winken aus dem abfahrenden Zug. Tränend dann
so einiges Singen, o Brüderchen, komm tanz mitmir,
heißa Kathreinerle schnür dir die Schuh, Diedeldumm.
Denn, wenn die Soldaten durch die Stadt marschieren,
öffnen die Mädchen Fenster und die Türen, hei warum,
hei darum... Klingendes Spiel. Und das,
was davon noch übrig blieb sind wir.
Die alte Sachsenstadt? Der Rabbi sagt,
die Null, ja die ist längst
fertiggeweint. Alles fehlt jetzt.
Und sonst ist auch nichts,
nur Erbsen an die Wand.





VERSBURGER IN S:

Topologie. Erkundungen privatsprachlich
zur innern Umgehung meiner Stadt


UND wä gefählt, verzweigt: bin ich gepfählt im Mundvoll Laut, im Bild vor mir, das explodiert im Hirn: das Tor ist bei Haydels groß und heiter, im Heu die Burgen, dimpiger Geruch und Samen, die Knabenschwänze, winzig die Raketen, so feuerst du. ein lienig Nichts, liniert im Schreibheft blau, im Notenheft, so fächer auf die Hausaufgaben jetzt. Das Fach es riecht nach Rosenöl. Kommoden voll. Die Oma mit dem Höhrgerät, verrückt das Bild: so ists erhöhte Tempratur am Fenster, der Blick fliegt unter die Burg, vereister Fahrweg: ein brauner Polizist vertreibt die Kinder die dort Schlittenfahren. Die eine Flocke fällt aufs Außenthermometer, ists unter Null. Der Kachelofen summt.

Die Angel hängt, das trübe Kokelwasser, der Schlachthof stinkt, die Maiennacht, der Grünfink sinkt ins Ohr Zurück, zurück zu den  En gros & den Details. Der Latzi hoch auf Rädern, die Tür im Hinterhof, da fielen haufenweise Schachteln, Brettchen.





SCHÄSSBURG

Zwei S sind zuviel, dann aber drei
oder vier was blüht uns verschweig es
trink es bis zur Neige das S.

Und dann hör den Bruch in dir
scherz nicht bis hinab wars
die Kindheit harmlos die Hoden

Laß Gott nicht fragen:
wer wars
stirb gleich mit ihm

Nichts mehr ist
zu ertragen.


Ich wag ja nicht
mehr Glück zu sagen
wie alles was ich weiß
verstummt

Ein Glück das jenseits
ist vom Sagen
ein S war es
vergänglich wars und unbestimmt.

Das S wie es streitet
wortlos das S
im eigenen Namen
wie es die Kindheit weiß
wie es träumt und
untergeht wo aber ist er wo
mein liebster Hund
wo ist er
begraben?
ACH, das ferne Land
was geschieht wo
ich wohne das Land hat
den Namen vertauscht
und so nah fehlt
seine Ferne


Da wär Grasgrün
dann der Gegenlöns
vielleicht auch "Marine",
das Seestück und märkisch
die  brabbelnde Erde.

Wer hält die Zeit auf
diese Toten nie/ erst
nach ihnen   sind sie
aus dem Stand gefallen: Er -                                                                                                                                                                                       zählbar geworden.

Die schillernde Wunde -
ein Tor.



Aber gab es so etwas wie eine Rettung nach altem Maß der Erde, fiktiv wie früher - die Literatur, gegen die ich viel einzuwenden habe, loszusagen von ihr, wäre an der Zeit über Gebühr, um das, was sie nur sagen und träumen konnte: wirklich zu leben, es wäre so eine Probe: nach dem Tode: das eigentliche Leben, weil sie die Oberfläche durchbricht, schon "dahinterkommt", so eine Grenze fühlbar wird, zwischen dem, was wir sehen können und dem, was wir erhoffen, ja, im  Eindruck sprachlos ahnen, doch in uns liegen bleibt wie Fotonegative, die erst vom Bewußtsein entwickelt werden müssen, um  uns zu bleiben, sonst gehen sie verloren; es ist also mit den Sinnen, der Wahrnehmung aufgenommene Nuance, wie sie in Gedichten mitgeteilt werden kann durch ihre Mittel der sich selbst durchdringenden Grenzlinien und Differenzen des Vergleiches, so dieses Gefühl der Hitze in dieser Bucht, der flimmernden Luft, der Agaven:
Cinque terre


Alltagswissen, diesen ganzen flachen Umgang setzen, so dass wir anstatt Sekunden der wahren Empfindung der Dichte und Undurchdringlichkeit zu leben, diese täglich bis zum Tode versäumen, jeden Moment uns selbst und jenem Zwischenraum, der schon an jenes Tor in die andere Zone reicht, entfremden, konventionelle

Mißmutes und des Haßes, meilenweit
vom uns umgebenden Reichtum entfernt.



Nur sich einlassen können
in dieses Glitzern, jetzt
das lange, vertane Zeit aber ist gewonnen.

Das Unglück des Zeitunglesens
Das nützliche Lesen - es
spiegelt diese Welt.

Sich vertiefen können,
ist anders,
und war längst schon gewesen
eine andere Hirnspur.

Und du siehst wieder den Engel
hinter dem Papier deiner Augen.

Andere Verbindungen, andere Wege
und Augenkünste
als die
schlagenden.

Aber der Blick jetzt in das Meer
ganz nahe am Rande der Reling,
gibt gegen die Zeit
Gewissheit.


Er erlebt den befreiten innern Sinn Kants als kaum ausdrückbaren Bewußtseins-Lebensprozeß, das  von der Einbildungskraft oder dem reinen Selbstbezug des Ich vorausentworfene "Zugleichsein" , das insoweit vielleicht  ein "Regressus"  ist, als es dieses Bewußtsein der Einheit tatsächlich ( bis zu Dantes Zeit) einmal gegeben hat, aber im "zeitlosen" Unbewußten bei allen Lebenden auch heute noch vorhanden  ist.


 Ostern. Meine Theologin aus Pitesti, Ina: Gute orthodoxe Erklärung: Gott sowohl transzendent als auch immanent. Er ist unerschaffen, also uns entzogen, doch anwesend, sehr stark in der Welt durch die nichterschaffenen Energien, Licht, Leben, Wärme.  Nachbar Gott?
Überspringen der Aufklärung als Abweisung des Falls. Ihn im Transzendenten zu isolieren. die Energien als Hybris in eigene Verwaltung zu nehmen, als gehörten sie nicht mehr zu ihm. So haben wir uns zu Gefangenen der irdischen Wirklichkeiten gemacht. Und den Kontakt mit ihm verloren. Tubalkain war der erste Techniker, so das Paradies verloren! Baum der Erkenntnis, der gespalten ist. des Teufels auch.
Das Orthodoxe ist eine "theonome Kultur" Dass das Geheimnis des Menschen nicht in ihm selbst zu finden ist, sondern in "Gott" , also in jenen Energien - besser im Urgrund selbst. Wichtug dabei das rumänische "har" (Gnade) Transfigurierung durch das ungeschaffene Licht, das wie ein Laser in uns arbeitet. Licht des Geistes. Das wäre jenes "Wissen" in uns, jenes Erstaunen, jenes Rätselahnung, die wir täglich spüren.

THEOPHANIE, VERGESSEN
(Meine Todesurteile)

Was suchst du da draußen, such dich
in deinem Skelett, es ist nur bekleidet mit Schein deinem weichen fließenden und schmerzenden Fleisch/ Geistesgeschichte? Lach
ist Nie vergangen ist jetzt: Verschiebung und Wandlung des alten theophanen Raumes mit dir in dir du Nichts als der Christus/ Opferung des Leibes unter Foltern und Angst dies ach so bequeme
Theater der Idioten -  Sichtbarkeit aufzugeben
zu himmeln mit Hilfe der Engel

Ach ich lob mir das Bildverbot der Juden und Gott Nichts der  tief sitzt in dir und schweigt
Orakel Trancekulte einst Dionys und Eleusis dann der Gottmensch und weiter tief im Einzelnen Kunststätte Seele immer neue Räume des Absoluten
das gleich blieb und erschien im Blitz und Chock
Seines Lichts wenn das Ich hochstand und bereit
sich auszulöschen in ihm ohne das gewohnte Theater
des  Mobs Mensch in der Illusion Alltag erstickt


LÜGENTHEATER

Meine Mutter sagte es und fast denk ich
an Klythemnästra: sie sage nichts sie
schone ihren Mann den sie verrate und spielt Theater
ihr Ego  ist allein  die Wunde dieser Welt nichts ist als Lüge sie zu schonen/ niemanden verletzen
Harmonie
verlogen Sein im Kleinsein und gebückt
in kauf genommen das Verbrechen
dass der Schein trügt/ und mit ihm zu leben
als wäre er der einzige Gemahl
Theater auf der Bühne wo alles Nichts
nur sichtbar ist
der Gott ein Fleisack und ein böser
in dem wir kurz gefangen in ihm
am Leben so ins Licht geblitzt und da sind

Sonst nichts als anderhalb Meter tief
der Gott ist eine Grube
wer hat sie uns gegraben in die
wir fallen gnadenlos nichts als ein Fleischsack
am längsten noch sichtbare Dauer
unser Skelett


Die Toten wollen uns jetzt grüßen
sie haben den Tunnel
durchschwommen

sie haben Kurs auf einen Kreis genommen
aus Licht ein Gesicht
das  ihnen 
entgegengekommen

Sie kannten sich
und wußten sich schon
da war ein Gedanke
wie Vater und Sohn
es war eine Flamme,
die schlanke

Es war eine Flamme
die hob
sie dann  hoch
sie sahn nicht zurück
zurück blieb ein Loch
in der Erde.


Der Augenblick bricht  auf
Ich weiß es schweigt
und doch ist mir zuletzt
ein Staunen wie Bewußtsein:
Bricht auf:
Hinweg hinweg steht
still ein Jetzt

Und bin in dir und werde
jetzt im Wahn-Sinn hell
steh still unnd atme noch

Ein Augen Blick war ganz bei ihnen
kehrt jetzt zurück ich staune wieder
dass ich noch da bin
überhaupt je war

Und hör die Stimme nur im Wort
die jetzt beginnt: du bis bei uns
komm sei uns näher als
es dir bewußt sein kann
wir sind in jedem Grashalm wachsend
in jedem Gras Halm
den du siehst es ist nicht mehr
es ist dein Blick der ihn erschafft
im Finger der bewegt
und uns bezeichnet

Wir sind so nah dass du uns
gar nicht sehen kannst
wir sind in dir
und du in uns geborgen.

Antwort an Ernst Meister
Es war Zeitlangsamkeit
wie Worte auch
Zeitworte alles
Ichsinn Wortsinn
und sicher riechts
nach Sterben drin
zu langsam um das
ewigschnelle  Stillstehn
zu begreifen.

Es ist die Glocke
und das Flugzeug unten oben
es ist die Predigt die sich anmaßt
Gott zu sein
ein Wort nicht mehr
zu langsam schon für Mond
und Sonne  welch ein kleines Licht
Hirnschimmern
unsre Häuser ganz aus Stein 
anstatt aus den Gedanken die das Weltall
baun und innen sind im Überlicht bewegt.

Wahr ist: ein Jahr
ist selten Glück
wenn wir vergessen haben
dass uns  von ihnen  Nichts
Wortungesagtes eine volle Leere 
die Energie des Nullpunkts
trennt, wir dort sind wo wir immer waren

Und Gäste hier in all den kurzen Jahren
die Toten unsre Helfer sind

Von ihrer Seite
kommt Bescheid
Nie irgendwie das weitergeht
es war schon längt
gewesen sein zuletzt.
Nicht einmal nur
schon immer wars
ein heimlich Leben
das noch kommt
weil es gewesen war
und ist.

Doch dieser frühe Morgen
fahl das Licht und schloß die Augen
schlaftrunken diese Treppe in den Tag
und ging hinrunter
da sah ich dich ganz transparent
an einer Grenze zwischen Augenschein
und dem Gedanken
durchschimmern durch die Wand

Du sprachst mit mir und ich begann zu zittern

Kein Ort ist hier im Haus und in der Welt
wo du nicht bist ich weiß du mahns nicht nur
du liegt in mir und bist  der Andere der ich  bin
und der ich immer war der nie verging

Er ist es der mich hier besucht: ein Du
das leben wird wenn Ich vergangen bin
der wortlos überlebt im Licht
nicht in den Sinnen 

Es überlebt in deinem  Sinn.




WASSERZEICHEN
Mühlnham, Schässburg

Bronzespiegel,
Sonnenfalle auf klingender Strömung.
Wie eine alte Spange wirft die Flut
zurück das dauernde Spiel,
und hältst du es ins Licht,
blitzt
zwischen Sonne und Fischgrund
Schimmernd auf dein Wasserzeichen.


MEIN GARTEN. Mühlnham
(von Minni Albert)

"Du meiner Seele Heimat du -
du schaffest Frieden, gibst mir Ruh,`
                        ich komm zu dir.
Du nimmst mich auf, besänftigest mein Herz,
und all mein Bangen, all mein Sehnen,
es löst sich auf -
du stillst den Schmerz.
Unter deinen hohen Bäumen
geht ein leises, lindes Träumen
an - und es versinkt die Welt..."


STEILAU

Steil ist die Erinnerung.
Sorglos noch, hinter Glas, der Schlaf.
Manchmal nur, Angst, trüber Ruch von drüben.
Aus dem Zehnuhrwald blies Kühle.

Rauchzeichen lagen auf den Schwellen.
Niemand sah.
Auch das Tagpfauenauge war blind.
Kein Falter erbleichte.
Ungerührt öffneten Himmelsschlüsselblumen/             ihr Geheimnis.
Ein anderes Ufer kam.
In meinem Rauch glüht auf die Sturzschrift.


RUFT DICH NICHT jeder Duft, Heu und Rose,
ruft nicht jeder Geruch, jedes Bild?
Ruft nicht das seltsame Kraut,
weich wie Ohren junger Hunde und der Geruch
von frischem Schrot?

Die Unwissenden entführt
mit Pfeife und Lockruf.
Den Fänger sah niemand.






Todtnauberg

6
Mein Fest mit dir/ dort weit
Wo der Dichter mit dem Denker
Stritt/ In der Hütte am Hochmoor
Das weiter TodtnAuBerg heißt.

Und wir Liebste
Tief durch die Sprache
Ineinander versessen

Frau Sprache
von Ewigkeit her
uns versprochen

Und so wohnen wir wund jetzt
Nahe bei ihnen
Den Toten!

Unsere Liebe
Zwischen den Generationen
So spät
Als hätten wir mit dem Denker
Vergessen
Dass auch die Sprache
Einst  winterschwarz tot war.

Und wir ein Ja du und ich
Wir mit unserer Liebe im Reinen
Können wir sie früh am Morgen schön waschen die Sprache
Und liebend erwecken?

Hier: kann sie mit uns auferstehn!?

„Haus des Seins?“
Jedes Komma jedes Und
Hat der Mörder gespalten
gespalten die Zunge
und im Befehl vernichtet
vor den Opfern was war!
Blut klebt an ihrem Hauch
An jedem Laut.

Dort auch aus der Stadt woher
Ich  kam aus allen Städten
Mit unseren Lauten
Ist für immer eine Blutspur
Zu uns gelegt!

Wer sind wir heute Geliebte
Generationen in uns
zwischen uns/ und der Unterschied
von Krieg und Frieden/ und DU mein
überfälliges Leben/ das dich spät
fand/ dazwischen?

Lass uns die Zeiten vermischen
Wie unsere Glut die in uns zittert
Lass uns die Worte oben mischen
Mit denen die Mörder das Töten befahlen
Lass uns sie waschen im Liebesgeflüster
Lass sie uns jung in die Lippen tauchen
In Küssen so zur Welt
Gebracht/ sie und uns
Liebste zu einer neuen Geschichte. 

Du sprachst von deinem Weltvertrauen
Sag wie retten wir meines?
Wie reiten wir aus ins Hochmoor heute
Auf Seinem Leichenfeld liegt die Zeit
Wie reinigen wir wenn wir uns Liebe erklären
Und unsere Blicke im Auge ertrinken
„die Schliere im Auge der Sprache“?








                                         WIDMUNGSGEDICHTE




2. Februar 96. Liselotte gestorben. Sie gehörte als liebste "Feindin" zu mir. (Roman. Spitzweg.) Meine Rede am 7. am Grab sagte etwas anderes. Der Tod löscht allen Groll. Er erreicht uns als eigener. (Vgl. Notizbuch. 10. 2.)
Medea planen. Barbarin: L. Christa Wolf auch. Spiegel

Schrecklich Banalität, in die ich wieder auch nach Liselottes Tod hineingerate. Das eigentliche Gefängnis. Werde immer, mich zu wehren - fast unmöglich.
Täglich sehe ich, und sieht L. die Grube vor sich. Besser, sagt sie, genau das, was ich auch meine: sich einäschern zu lassen. Freiheit. Und die Asche verstreuen zu lassen. Die Hülle verbrennen, und so auch mit den armen Verbrannten und Vergasten zusammen zu sein. Rauch und Asche sind rein. Und der Auferstehungsleib ist sowieso anderswo.
Wie soll ich mich entziehen, nicht auch mitmachen im Banalen. Widerstand leisten, Banalitätsverweigerung. Wach sein, mit ihrer Hilfe. Selbstbewusstsein, aber auch richtige Selbsteinschätzung des schwachen Willens. Üben. Schonende Zurückgezogenheit. Sensible Poesiepräsenz. Unaufdringlich aber deutlich!
"Was sind aber unsere Gespräche und unsere Schriften anders als Beschreibung von Bildchen auf unserer Retina oder falschen Bildchen in unserem Kopf?" Lichtenberg.

DAS IST Bewusstsein
macht doch Feige aus uns allen
Nichts was sonst halten könnte:
nur die Angst
wenn ich  hinab  in diese Grube sehe
hat dieses Loch zwei Seiten
eine in die Himmelszeit?

Was soll ich mit der Ewigkeit
sie dauert  mit mir
nur dass ich werde
doch wär ich nicht
wär sie viel reiner schon
sie hängt an einem Faden

mit einem Groschenmesser
abzuschneiden
hängt alles nur an mir.

Doch schon das Messer
und mein Wille
gehör´n
bevor Bewusstsein zugerechnet wird
nicht mir und wird in tiefster Dunkelheit
nur meinem Auge angetan









Zu Rühmkorfs "Tabu I"

Es ist schon so wie du sagst
was du sagst zu den  "fleißigen alten Kerlen"
 lieber Rühmi nur fehlt noch
"in Ewigkeit Amen" und dass wir sie nicht mehr teilen
wie früher die großen Ströme
nach dem Ende der Großen Teilung
kalt war der Krieg doch wir lebten
jetzt werden die Kriege heißer
und wir sind kalt und kälter geworden.

Auch ich bin beim nervösen Flackern
angekommen und hoffe etwas gefunden zu haben
alter Freund
dass die Erbsünde eine reine Lüge ist
an die alle inklusiv meiner noch glauben
auf Sand gebaut auf Kindermärchen ist unsere Angst
Ob Lena Jenissei der  Rhein Mississippi
die Donau auch und warum so exotisch
die Wolga sogar hier ach wie heißt er
Po natürlich und du denkst an Ärgeres
wir am Arsch der Welt
teilst mit keinen Armen wo andere nur austeilen
Jahre und Angst

Es stimmt früher da gabs weniger Gitter Chemie und Atome
offensichtlich nackter die Welt und aus-
gezogen  ist sie so gegenwärtig und kommt der Wahrheit näher








                          Für Moses Rosenkranz

Hast im Verborgenen lahmgelegt die Welt
bist du/ als wäre dies Jahrhundert
längst aus dieser der Zeit  gefallen, zurückgekehrt
tief in die Erde?

Du bist das, was ich niemals sah.
Ein Baum, den se zum Menschen
machen wollten, und brannten ihn
zersägten seinen Stamm/ die Blätter
trug der Wind - da lag ein letztes Blatt,
da stand die Vorschrift für
den ganzen Baum, ein Weltenbaum,
der durch das Nichts die Achse schlug.

Dort drehn wir uns im Kreis
und warten auf den Herrn.

26.3. 76.  Ein Gedicht  für Moro (Moses Rosenkranz, den ich im März besucht hatte! Er erzählte von seiner sowjetischen Haftzeit: 10 Jahre Polarkreis)



5.4. 96.  Doktor Schiwago-Film. Kitsch und doch: der Osten öffnet mich wieder.  Ein Weh überkommt mich, die alte Verletzung. Das Wort kommt nie, Gefühle, wenn sie zu nah sind, bleiben stumm. Regen/ das Dach ist kalt, ich glüh. Nur  ein Knäuel von Wehmut, ungebraucht, liegt da unten. Hat ja mein Herz berührt, sonst  ist es schön stumm. Und ich weine wieder, so rein und so dumm.

Gefühl biegt sich in mich/ und weiß sich nicht zu helfen
hält da am Bahnhof im Schnee/ weißt du noch/ es lag
und blieb/ als wir doch weiter gingen
riefs/ wir blieben nicht stehen.

Jetzt erst seh ichs
so wie es war/ und steht dort immer noch.

Kalt folgten mir die Jahre.

Das Schwermut-Syndrom ist nur ganz allgemein der Rahmen. Es lähmt ja. Es ist eher eine Vereisung. Exil als Krankheit. Schon bei Dante. Leben und Erkenntnisekel in seiner besonderen Form. (Es gehört in die Sparte Depression. Melancholie als Erstarrung! Vgl. mein Gedicht über die "Achtuhrschmerzen". "Zeitmale" wie bei Wordsworth "The Prelude".

Konturlos nur/ was unten liegt/ Als läg ich da/ Vom ungefaßten Rohstoff des Gefühls getroffen!

Im Zentrum das Bild Marias. Was alles versäumt war, was alles nicht war / nach rückwärts geht die Hoffnung. Was kommt ist tot und starr.

Was weh tut ist/ wenn sich die Narbe schließt. Und alles wird schal.)

Pascal starb mit 39, Kafka mit 41, Christus mit 33. Und ich lebe noch immer. Und es wird so nie enden. Alles schon sauer, ohne je dagewesen zu sein! Wenn es ein Genie der Kleinheit gibt, bin ich eines!


15.4.96. Traum von Heissenbüttel. Saß in einer Bibliothek mit einer Bibliothekarin. 13 Jahre lang hat er mit seiner Frau gelitten. Furchtbar. Sein Schwiegersohn hat seine Werke herausgegeben. Ich nehme sie in mein Vorwort. Dann bin ich mit H. in einem Hotel. Auch seine Geliebte ist da. Irgendein Kongreß. Wir sitzen an einem Tisch mit andern Kollegen. Ich sage, wir hätten endlich 2 Monate frei. Freilich schreibend. Er lädt mich auch zu sich in den Himmel ein. Und sagt: Saarland. Wir nehmen dazu ein anderes Hotel. Es scheint aber nicht Berlin zu sein.










Für Petre Stoica (1931-2009)

Repetă: ia-ţi adio şi pleacă
ỉn ciuda faptului că nu vei ajunge niciodată.
Wiederhole: nimm Abschied,
auch wenn du niemals  ankommen wirst.

Der eigene Todesgedanke
Trifft sich mit dir Ernst / jetzt
Wird er von neuem als Schock erwachen
Und glaubt es doch nicht:
Petre die Zärtlichkeit folgt
Dir / wie ein Engel


Und dann kommst du immer wieder
Todesgedanken liegen / wie tote  Vögel
In mir / die Schwelle Nie brennt sich ein
Und dein Name schwarz lichterloh in mir
Übt es – vergangen zu sein!

Todesgedanken hier auf der Wiese / ein Grün
auch ich bin noch da / sieh fliegend die
Feder zu dir / ich kann sie noch halten
Szenen mit dir die nur ich jetzt noch weiß
Denn du bist ja nun für Immer
gegangen

Schwer wird es mir als wär ICH gestorben
Erinnernd noch da mit einem Blick
Immer an Tischen mit dir
Schreib Tische alt und holzrau mit Glas
Wir gespiegelt -
Bukarest / Ana Ipătescu zur Roten Zeit
Im Dämmerlicht übersetzten wir Trakl:

Schlaf und Tod, die düstern Adler
Umrauschen nachtlang dieses Haupt:
Des Menschen goldnes Bildnis
Verschlänge die eisige Woge
Der Ewigkeit. An schaurigen Riffen
Zerschellt der purpurne Leib 

Zum letzten Mal dann Düsseldorf / Deutschland
Du sagtest zu mir: Komm setz dich zu uns!
Und ich ging mit starrem Blick (warum nur?)
Grüssend vorbei / als lebten wir nicht
Oder als lebten wir ewig.


REALITÄTSREQUIEM 1989
                    Für Cálin Nemes

Er ist längst tot er ist
gestorben nein nicht an einer Salve
nicht am Blei der Schüsse
kein Loch in seiner Brust kein Blut
und keine Bajonette keine Folter
erledigt hat ihn das was kam:

umgebracht wurde er
weder von den Aktionen
der Alpträume in  Form:
von  grauen Zellen
Securitatae

das Grauen umgekehrter Hoffnung
war fürs Überleben gut
es war an sie gebunden

Nein umgebracht hat ihn
das andere Grauen  das  so schön uns scheint:
hoffnungslos Prozesse Alltag
so ähnlich wie in Kafkas Zimmer
unsichtbares Möbel Druck
dass nichts als Schuld so hin zu sein
und  ständig selbst ein Möbel
eingeräumt



Am 22. Dezember 1989
da kam der Mann, weil er  erhoffte
dies nicht zu sein
kam er vor die Gewehre
und starren Gesichter, wurde  verhaftet und
am Morgen standrechtlich erschossen

wachte nach Stunden im Hof  auf
verwundert
doch noch immer im Körper zu sein

Doch
genau drei Jahre später
fand er den Tod

besser als
die Qual dass es kein Alibi mehr gibt
dass es keine Zellen mehr gibt
keine Regierung und keinen Diktator
keinen Geheimdienst keine Fahnen
die  unmöglich machten
den Zustand  "Mensch"  die Ausnahme
weil kurz und fremd hier
So zu sein

um leben zu können
angemessen an den mitgebrachten
Kern den Engel besser kennen
Freude

Das Leben aber hergestellt von jener
Mehrheit-Mensch,
erfunden wie im Tierreich und sich selber gleich:
das Volk, die miserable Kreatur mit
ihren schlimmsten  Exponaten und den Tieren die als Spiegel ihrer
selbst die Außenwelt als  hart "real" erfanden
war schlimmer als der Zustand  Securitatae
und in Ketten kann man träumen was noch aussteht
um sich selber anders gleich zu sein.



Als das Volk nun wirklich an die Macht
kam, seine Leute wählte: die etwas dreckiger noch
im trüben Grund ihm glichen: da hing sich jener Held
ein Mensch der  Ausnahme am Fenster Rahmen
(Blick in einen düstern Innenhof)
in seinem kleinen Zimmer an dem Rahmen
der dann hier blieb: mit einem  hier zum Strick gedrehten
Leintuch auf. Es
blieb dann weiter hier
als Scheißvorbild: oh, Windel
Totenlinnen  alles-
eins.

Sich mit den andern freuen
teilnehmen zu können an
der eigenen Freude die
ausbleibt wenn du nicht teilst
was Freude geben könnte

Nur das Entsetzen aber
es bleibt falls du täglich erkennst
was die andern um dich
zur vorgegebenen Freude
antreibt und ach täglich
ausgeben einnehmen
an Freude meinen
zu müssen.


Guasta feste heißt es wohl hier
oder im Umkreis der besser wissenden:
du Spielverderber, ach ja?

Was ist das für ein Glücksspiel das euch treibt
ihr Menschmaschinen
wehe du sagst es
sie wenden sich ab
wehe du schtreibst es auf
dann liegst du im Buch wie Blei

Gott, wie schuldig ich bin,
aber sie hören ja nicht mal auf ihn!








der mann
     für ds

die gedanken kreisen
im geiste einer frau

was ist nur an ihm dran
das sie ohne ihn
nicht bewältigen kann

sie die  vollkommenere
ausführung der göttlichen
menschfigur

mit allem versehen
mit dem geist das leben zu verstehen
es zu lenken   wenn der
mann nicht will oder
tatsächlich nicht kann

mit dem körper
vollendet in schönheit
und für den fortbestand

mit der seele
dem gefühl für familie
und für die welt
die ganz große
menschengeduld


was fehlt ihr
was hat sie nicht
was hat der mann
was ist nur an ihm dran
der spukt im kopf
ein jeder empfindenden frau

nach langem überlegen
sie findet zum schluß
der mann  für sie
göttlich geschaffen wurde
als lebensgefährte
als bestätigung ihrer
einzigkeit sonst
könnte sie es nicht erleben
das gefühl
für das wollüstige
auf und ab
als oel für ihren
lebensmotor

deshalb was ist dran
am mann

für ein besseres lebensgefühl







x

freude nur freude
heute ist sonntag

elegant gekleidete damen
schlendern durch den park
mit hut und handschuh
zeigen sie ihren gesells
chaftlichen stand

mit spitzen und schönem zier
ausladende kleider und
seidigem gewand



hand in hand mit  ihrem
gemahl
der erwachenden natur
zugewandt
ins gespräch vertieft
rundum blickend
das gespür
für schönes aufgeschlossen
welch anmut
welch anblick
schönheit natur

die männer  dem wohlgesonnen
schönheit zu begleiten
und fühlen das verlangen
der schönen frauen
zu gefallen

sie  stellen dar
was angesagt
ein liebevolles paar


ein miteinander
ein verstehen
ohne worte
im zusammen
spazieren gehen

am heiligen sonntag
das waren zeiten
das war so zu dieser zeit
sich gegenseitig
zu begleiten

die zeiten ändern sich
die menschen
die hüte kleider
das gewand
nur zu diser zeit
seinen bestimmten wert
nur fand

jahrhunderte sind vergangen
der wandel der zeit
hat angefangen

die werte von damals
zu überdenken
so manches wahrhaftig
war
sollte es nicht wert sein
in die heutige zeit
mit zu übernehmen

die werte
sie haben bestand
ob so oder so
der zeitgeist
sich ändert
die werte sie haben
bestand

hand in hand
das hat bestand
liebe
liebesgrüße vom park

claudia







FLÜGE
 für Kathi

Ich flieg jetzt fort und
flieg von dir
mein Herz
Ist schwer
wie Blei

Ein Abschied jetzt?
Die Zeit liegt quer
Als wär es niemals mehr

Ich weiss nicht
ob mein Leben dauert
wie lang bis wann es
für dich ist
Und ob mein Aug dann sehen kann

Kennt unser Tod
Uns dann?

Die Zeit
läuft
uns davon
vergeblich ists
kein
Weinen hilft
Uns jetzt

Drei Tage WIR
Sind wie ein Ja
Sie jauchzen uns
Noch zu

Viel schneller
Ists Vergehn im Jetzt
Und schneller
Als der Flug

Ich seh den Flügel aus Metall
Ich bin schon in der Luft
Ich seh die Dörfer wo wir warn
Die Liebe dort den See

Die Liebe JA sie war mit uns

Und jetzt die Wolken neben mir
Zum Greifen weich wie Nacht
Ich seh an ihrem Rand ganz klar
Dort süsser dein Gesicht

Und fern die Insel himmelsnah
Ein Recht zu Sein für uns

Jetzt flieg ich hoch bin ohne dich
Und spür mich zweigeteilt

Das Wurzelwerk ist losgelöst
Im Erdreich blieb das Schmerzgemisch
Und wund ist jeder Körperteil
Ein Herz zu Herz wie vorher DU
Und überall an Hand und Fuß 
Und am Gesicht bist du
Und auch das Silberhaar tut weh
Delphine schwimmen
das NIE allein
DU Haut an Haut
Bist meine tiefste Wunde

Ich denk an Absturz jetzt allein
Ich weiß nicht wann ich komm
Du aber du du hältst mein Herz
Der Körper ist wie Stein

Ich bin so schwer der Erde zu
Die Seele ist gehetzt
Und zieht den Flug hinunter

So dass  die Liebe wie der Tod
noch weicher fliegt als sonst

Sie weiss…
Der Erde Härte wartet schon
und wir sind wie gewesen

Ich flieg allein der Erde zu
Bald ist es Nacht ein Immer

Links ist der Ball der wiederkehrt 
glutrot das Himmelsherz ist schön - 
ist wie ein Hoffnungsschimmer

Wie eine Hoffnung ein Beginn
geht  diese Sonne unter
Und überall ists wolkenweich
Ein Klopfen an dem Fenster Stimmen
Ganz nah am Himmel
Nah und  streng/ durch Glas
und durch den Tod
Getrennt. Er kommt wenn du  hinausgreifst
In den Himmel, und
es berührst dies Immer.

So nah ist auch ein grosses Wunder
Dass wir uns nah berührt gesehn
Geliebt gelebt geatmet haben

Ich konnt es einen Tag nicht glauben
Dann war ich ganz bei dir
Im Himmel

Wo bist du denn Geliebte, Liebe
Ein jeder fliegt für sich?
Es tut so weh sich loszureissen
Die wurzel blutet und ist schwer

Jetzt von der Erde losgerissen
Stürz ich ihr zu mit Kopf und Gliedern
Oh bald bin ich bei dir…

9.7.03



                          TODTNAUBERG




Aber es verbindet sich ja nun die Zeit in einem einzigen Punkt, alles fließt zusammen, und manchmal glaub ich, verrückt zu werden. Begann jetzt nicht das Schönste, ich mit der Karte auf den Knien, die Linke in deiner Rechten, ab nach Todtnauberg. Und leitet dich über Breisach, Freiburg, Kirchenzarten. Und diese Landschaft des Südschwarzwaldes um uns, eine Himmelslandschaft mit Almen, Tannenwäldern. Nebel. Regen, nur manchmal kam die Sonne durch und beleuchtete fast geisterhaft-ausserweltlich die Höhen. Und ich erzählte dir die Geschichte von Celan und Heidegger und ihrem gescheiterten Treffen in Todnauberg.


Mit einem Geschenk, einer Art Saunabürste verließen wir das gastliche Haus „Enzian“. Für immer? Stiegen ins Auto und fuhren zur Heideggerhütte. Du hattest dich erkundigt, bis nach O. braucht man nur eine Stunde und zehn Minuten. Es war neun, halb elf mussten wir abfahren. Also anderthalb Stunden Heidegger. Auf dem großen Parkplatz stellten wir das Auto ab, gingen zu Fuß weiter auf dem beschilderten Heideggerweg. Eine herrliche Aussicht über Wolken und Berge hin bis zu den Vogesen. Der Pfad war unser Liebespfad, Hand in Hand immer, und der Abschied drängte uns zusammen, als könnten wir ineinander eintauchen, immer wieder blieben wir stehen, um uns zu streicheln und zu küssen.
Und dann juckte uns der Hafer als wir an einer Bank und einem Hinweisschild mit Heideggerbild und ein Bild seiner Elfriede vorbeikamen. Ich hinterließ mit deinem Lippenstift  die denkwürdige Inschrift auf dem Heideggerhinweisschild: „Du schreibst – wir leben das Sein!“
Und lachten, lachten, lachten. Mokierten uns über ihn, der da stand mit komischem Hut, auf den Wanderstab gestützt, visionär weit in die Ferne blickend! Und treu seine Gattin mit ähnlichem Blick daneben.
Und dazu sein Gedicht über das Land hier:

Wälder lagern
Bäche stürzen
Felsen dauern
Regen rinnt.

Fluren warten
Brunnen quellen
Winde wohnen
Segen sinnt.
Wir gingen zu weit auf diesem Pfad, eine Art via dell amore! Suchten überall die Hütte, in jedem Transformatorenhäuschen, jeder Heuhütte, Almenhüttchen. Ich filmte mit persiflierendem lachendem und rufendem Kommentar alles. Und wir fanden dann die umgestürzte Tafel, das Hinweisschild zur echten Heideggerhütte, der legendären. Ja, da war sie. Mein Gott, ein popeliger armseliger Schuppen, ein Jägerhüttchen  war das mit geschmacklosen grünen Farben, einem winzigen Vorplatz mit Bäumchen, naja wenigstens der Schwengelbrunnen mit fließendem Gebirgsquellwasser war urig und echt, an dem sich auch der Meister mit unnachahmlicher Pose hatte fotografieren lassen. Und hier also soll der größte Teil seines großen Werkes entstanden sein? Hier sollte man vor Ehrfurcht niederknien? War auch  der pathetische Celan hier vor Ehrfurcht gestorben, nein, der eben nicht, und hatte sich nur im Hüttenbuch, wo sich ja große Namen verewigt hatten, eben auch Nazis,  eingetragen, woraus dann sein Gedicht „Todtnauberg“ entstanden war. Und am Brunnen fielen mir seine Zeile ein: „Arnika, Augentrost, der/ Trunk aus dem Brunnen mit dem Sternwürfel drauf.// In der Hütte..“
Celan war 1967 hier gewesen und dieser Besuch hatte seine Spuren auch in uns hinterlassen… Es hieß ja, dass Celans Gedicht „Todtnauberg – das Gedicht einer epochalen Begegnung, das Beschwören einer Hoffnung, ein Bekenntnis, welches einen Welthorizont aufreißt …“ sei, so der Augenzeuge und Celan-Freund Gerhart Baumann: „Dieses Gedicht, eine unbedingte Forderung, ein unerhörter Anspruch … Stimme zu einem benennbaren Du… musste auf ein ´ungesäumt kommendes´ Wort pochen, auf das Geständnis eines unsühnbaren Irrtums, einer Schuld …“

 Und hätte ich jetzt mein Gedicht, den beiden Kontrahenten, dem Juden und dem ehemaligen Nazirektor gewidmet, vorlesen sollen? Ich dachte nicht daran, ich hatte es aber mit dabei. Und eigentlich fehlte jetzt etwas hier, nämlich der Heidegger-Celan-Spaziergang im  nahen Hochmoor von Horbach.
Und ich hatte mir vorgestellt, dass unsere Liebe, unser Liebesflüstern hier wie ein Blitz alles reinigen könnte, vor allem die Sprache. War ich     größenwahnsinnig oder fühlte ich diese Reinigung so stark,  weil unsere Liebe bis in den Himmel reichte? Und ich hatte das Gedicht DIR gewidmet. Und das ging so:

1

Hol dich ein in der Hütte mit dem Dichter/ und dem Denker
der stumm Nichts wissen wollte vom Unheil

Der Dichter aber
Ein Jude war so spät
unterwegs zur Sprache geworden …

Von der ermordeten Mutter
Und forderte auf den Deutschen
in der Hütte:  Bekenne was wahr ist!

Braun das verwelkende Laub des Vergangenen
Herbst/ Herbstzeitlosen fehlende Jahre/ Jahrtausende
Nass die Sekunde

Und wo endet die Tiefe des stehenden Wassers
Auf der anderen Seite der Erde?
Welch ein Boden und Grund will jetzt noch ein Zuhause

Rund und nie gespalten in eine Antwort?
„Heimruf gefangener Sehnsucht
uns: Wohnen und Wandern“?

So sagte der Denker schweigend betroffen
Im Nie gibt es kein Blut.

Langher und gesammelte Rede des Rektors
Zeit seit Sein und Zeit
Vom „kommenden Wort“?

Dachten wir beide hier auch an ein Nachhausekommen? Ja, wir wussten es, zusammen sind wir zu Hause.
Und sagten es uns immer wieder, immer wieder, dass es ein Heimkommen ist!

2
Ja sie trafen sich spät in der Hütte
Jede Begegnung ist/ zu Verlass/ DA
Und welch eine Verschränkung JETZT
Lässigkeit/ Ja 
Zuverlässigkeit und ewig  das
Unberechenbare  in EINEM

Langher und heute: Du lebst und ich lebe 
Aufgebrochen
Sind alle Generationen Liebste
in uns.

Jede Begegnung bricht auf
Das Gesicht zur Rede die Worte zu
Den Augen/ der Dichter mochte den Fernsprecher nicht.

Und uns die wir bisher nur unsere Stimmen kannten
trifft der Blitz von jetzt und von immer die Liebe
wenn wir uns in die Augen schauen.

Oh Geliebte dieses Runde Verwelkte
Das Hochmoor von je – Nie
Wären wir uns so spät begegnet …
Nie. Wären die Mörder nicht tätig gewesen.

Sollen wir ihnen danken denn alles
Enthält ja auch uns: Dank und Grauen
Und wir nun anstatt des Nie
Auf der Welt.

Die beiden wissen wovon sie sprechen
Der Heimatlose und der Heimatbesessene
Sie sprachen vom Abgrund.

Ich aber gehöre zum einen von ihnen
Ich gehöre zum LOS:
So fanden wir Liebste: uns
Auch wir beide

Und so unerklärlich sind uns die  Gründe
wie jene Zeit uns erschuf.

3
Hütte das Frohe/ und wie geborgen
gesammelt
Kamine im Nacken (denk an sie nicht!)
Die Fremde gelöscht in der Warmen Glut?
(…)

Mein Herz ist ja wieder zu Hause
im Reinen -
Du mein Kind  Du mein Weib und Frau Liebe
Für immer hier/ unter der Haut

In deinem Auge erwacht
Mein Gedächtnis

Und mein Ich ist
hinter deine Augen gefallen!
Du mit dem Gesicht im duftenden Moos:
Erde du meine Mutter
Zwischen den Beinen feucht das gekräuselte
Gras/ der Duft meiner Geburt

Komm jetzt zu mir
In meine offenen Arme
Die Brust ist die Wiege

Und was wir sind
Hält Wort.

Die Lust des Anfangs 
In uns
So sind wir reich
Nackt
Gleitend in dir die
Liebesglut
Wort.

Lippe auf Lippe
Gesprochen
Gehaucht und getrunken
In alle Zungen versenkt
So rot und so warm
Geküsst und geliebt.

Doch immer wieder
„die halb-
 beschrittenen Knüppel-
pfade im Hochmoor/ Feuchtes
viel“, worüber wir sprachen.
Als wären wir plötzlich nicht mehr
Geliebte und Geliebter nein
Behütet im Abgrund:
Vater und Tochter

5
Oh welch eine Erwartung
Ein Hoffen Liebste mit dir

Wir sinken hinab an den Anfang
des/ unfertigen BeisammenSeins:

Mein DU und ein Wir
Von uns nun geboren

Sollten wir endlich vom Warten genesen
Das all die Zeit in sich hat seit die
Welt mit dem Kriege verging

Gewartet dass es einmal geschehe
Und verschmilzt was gebrochen im Sein
Das Rätsel des Wachseins?

Hast du auf mich  gewartet
Und wusstest  du dass es
Geschehen wird -  einmal
Und gar nicht so bald?

Hab ich auf dich  gewartet
Und wusste es nicht
Dass es einmal geschieht
dass  es geheiltes Leben gibt?

Da öffnet sich uns
im Herzen der Himmel
Geliebte wir haben
das Ziel des Lebens erreicht

War ich auch krank und zu Ende gebracht
Du warfst mir eine Sonne voraus
Die mir auch den Tod
zum Liebesbett macht
oh DU meine Frau
meine Sonne!

6
Mein Fest mit dir/ dort weit
Wo der Dichter mit dem Denker
Stritt/ In der Hütte 
Das weiter Todt-nAu-Berg heißt.

Und wir Liebste
Tief durch die Sprache
Ineinander versessen

Frau Sprache
von Ewigkeit her
uns versprochen

Und so wohnen wir wund jetzt
Nahe bei ihnen
Den Toten!

Unsere Liebe
Zwischen den Generationen
So spät
Als hätten wir mit dem Denker
Vergessen
Dass auch die Sprache
Einst  winterschwarz tot war.

Und wir ein Ja du und ich
Wir mit unserer Liebe im Reinen
Können wir sie früh am Morgen schön waschen die Sprache
Und liebend erwecken?

Hier: kann sie mit uns auferstehn!?

„Haus des Seins?“
Jedes Komma jedes Und
Hat der Mörder gespalten
gespalten die Zunge
und im Befehl vernichtet
vor den Opfern was war!
Blut klebt an ihrem Hauch
An jedem Laut.

Dort auch aus der Stadt woher
Ich  kam aus allen Städten
Mit unseren Lauten
Ist für immer eine Blutspur
Zu uns gelegt!

Wer sind wir heute Geliebte
Generationen in uns
zwischen uns/ und der Unterschied
von Krieg und Frieden/ und DU mein
überfälliges Leben/ das dich spät
fand/ dazwischen?

Lass uns die Zeiten vermischen
Wie unsere Glut die in uns zittert
Lass uns die Worte oben mischen
Mit denen die Mörder das Töten befahlen
Lass uns sie waschen im Liebesgeflüster
Lass sie uns jung in die Lippen tauchen
In Küssen so zur Welt
Gebracht/ sie und uns
Liebste zu einer neuen Geschichte. 

Du sprachst von deinem Weltvertrauen
Sag wie retten wir meines?
Wie reiten wir aus ins Hochmoor heute
Auf Seinem Leichenfeld liegt die Zeit
Wie reinigen wir wenn wir uns Liebe erklären
Und unsere Blicke im Auge ertrinken
„die Schliere im Auge der Sprache“?

Oh, Liebste, komm begleit mich zu ihnen
Da ist keine „Stiftung des Bleibenden“ weiter
Dort ist der Ort wo wir vergingen
Im Kindheitsglück der Untergang.

Gebär mich von neuem
Mach mich zum Kind!
Das der Welt vertraut
Lehr mich die Heimkehr
Zu dir!

Oh du meine Frau meine Tochter
Du Weib und Kind Geliebte
Nimm mir den Tod aus den Knochen
Und schenk mir  den Anfang der Welt.

Die schuldigen Toten
Siehst du sie im Haus der Sprache
Schreien/ und ein jeder bringt seine Opfer mit
Sie haben  sich aus gesprochen
Im Himmel
Doch weiß keiner mehr wo die Erde ist!

Wir stehen in der Hütte von Todtnauberg heute
Ohne sie und ohne Begleiter
Wir stehen und stehen nun wortlos/ du heiter
So unbeschwert leben und weiter weiter
Die Liebe wartet bis auch sie vergeht 
Ein Vergehen doch
Die Himmelsleitern/ bestehen ja weiter
Und was in Liebe geblieben
Zusammengelegen
Hier ein WortKind gezeugt
Dieser Baum unsres Lebens
Und eingebracht wie in Scheunen die Ernten
Vergeht nie
Bleibt im Himmel bestehen …

Umarmten und küssten wir uns hier? Nein, wir fassten uns nicht einmal an den Händen?!  Schlechtschlecht! Die Realität war nicht so hochfliegend, ja, war sogar recht enttäuschend. Warum küssten wir uns ausgerechnet  hier nicht? War die Aura hier, der genius loci nicht danach?  Gabs etwas stark Zerreissendes hier, einen Widerspruch, der fühlbar wurde? Vielleicht das ausgesprochen Antiethische in seinem Denken,  das ihn auch daran hinderte, irgend eine Schuld einzusehen?  Wars vielleicht tatsächlich so, dass es keine Verantwortung gab, weil etwas unsere Taten bestimmte, gegen das  kein Kraut gewachsen war? Oder war es die Anwesenheit Paul Celans hier? Wir schufen uns wohl etwas Luft, es gab ein Ventil, das „Lästern“: Und küssten wir uns so nicht,  weil wir wieder viel zu lästern hatten! Du filmtest mich lachend mit Heideggerpose am Brunnen. Und ich  filmte das Hüttchen plus die Nähe des Dorfes. Kaum fünf Minuten vom Dorfrand entfernt lag diese „Welteinsamkeit“ des Denkers. In fünf Minuten konnte man wohl den Bäcker erreichen. Und auch  Hotel „Enzian“ war zu sehen, wir hätten es zu Fuß in zehn Minuten erreichen können!
Eine Art Leichtigkeit erlaubten wir uns. Und erst später kamen wieder die schweren Gedanken, die dieses Zweischneidige hier, auch das Unreine, das Aufgeblasene, das Unnatürliche, das sich im „Natürlichen“ versteckte, unerträglich intensiv empfand, wohlgemerkt, bei beiden, die Anmaßung  auch bei Celan,  das Hochfahrende, gleichzeitig mit der Bewunderung, was da alles in diesem Hüttchen in einem Menschenhirn vorgegangen war!

Doch das Unbehagen des Hochstilisierten, dieses kindisch-tödliche Ernstsnehmen der eigenen Person, das Hochgstochene der Heidegger, aber auch der Celan-Sprache, was sie wohl verband, der unbescheidene Pathos, diese Wortfetische, dieses akademische Zitatologie auch bei Celan, die wichtiger zu sein scheint als das Leben, die Geschichte, ja, sich anmasst, Geschichte zu SEIN. Nicht auch den Opfern gegenüber Blasphemie?  Und ich erinnerte mich an die Wut von Moses Rosenkranz, wnen er über Celan sprach.
Das Wort LiteratHURE fiel mir ein. Wo auch anstatt der wirklichen transzendentalen ekstatischen Ergriffenheit wie etwa bei den Chassidim, nur wortkonstrukte daraus bleiben.



Spät für Celan

Nichts ist das Insichkreisen Worte Worte
auch du nur auf dem Trocknen wie ein zappelnder Fisch
anstatt übers Wasser zu  gehen
und im Netz von Ihm  gefangen
getragen wieder nur Melodien
und die Halbheit des Ufers: das Sehn

Griffel gegriffen Staubfäden auf der Haut
vergessen aber der Schmerz die Öffnung ist da
nah und niemals in Namen getränkt

Verkünstelte Eitelkeit Spiegel
Dunkelspiegel laß ihn kommen den  Boten
Boten-Selbst hohe Röte Scham  der Wangen
die Tore/ kaum noch Jerusalem
Zelem in jedem verschüttet
komm dass wir warten

Denk an Mea Sherim und die Steine
weil der Rock zu kurz war/ und so
so ist nun auch dein Gedicht

Ich aber warte auf
den verkleideten  "Engel" und lese Johanna
anders/ spiel mit der Hure
Literatur verpaß ihr den  erquickenden Schweif
des Strahlenden/ denk an Marie

Ja, anstatt Selbstmord begeh
diese Fremde und warte  entführt auf sie

Denn läßt sich das Leben nie mehr um-schreiben
dieser Irtum im hellsten Schein des Getäuschtseins -
so schreib  doch den Rohstoff
Poesie ... um!


Der Dreivokal, dass ich nicht lache, wie er mich
trietzt und engt vor dem stotternden Altar
dieser Wand vor Ihm/ eingesperrt in den Kirchen
ein Lallen von je
das in mir liegt schwer im Magen dies
Verdorbene
Abend Mahl nippst vom Symbol wie vom faden Papier
einer Losung /vorbei zu gehen am
Wasser des Lebens -
diese Verbrecher an Gott.


Nimm die wirkliche Nuß: deinen Kopf
das wäre die Bilanz deines Lebens
unverloren wie das Verlöschen
alles Erhofften:
Schlag sie auf einen Dreivokal lang
De los nombres de Cristo
täglich einen doppelten Hauch:
Zu Hause das Herzensgebet

So nimm ihn ernster
als Ernst nur kein Wort mehr!
Erbarme dich meiner!
Die Erinnerung bliebe ein Blitz.

Mein Gott, diese drei Personen
in mir in dir in uns allen gespalten
immer noch eingetaucht
ins Leben diesen Traum/ wenn wir wirklich
noch da sind

Der Vater mit dem Sohn
der ritt mich
zuschanden/ nicht mehr im Fieber, mein Kind
Nein nein, du Herr der Permutationen
sprich Stimme sags mir weck mich auf
vor dem Tod noch: Hier sein!

Dunkelspiegel Leuchtspiegel
plötzlich ein Mensch nein
keiner im Satz nur/ so laß sie doch endlich
wirklich  werden, erscheinen
springen wie ein Junges: Engelkücken
strebend hinauf  im Rücken nun gut am Morgen
kein Blitz nur der uns den Schädel
zurechtnäht

Nein auf der Brücke die Hand
mit dem Kopf der Brust dem Körper halb
schon über der Brüstung
das Wasser wird eisig sein die schäumende  Erde
da fällst du nicht hart
die Hand die Stimme und alles
wird so zu einer Gestalt und die Worte
endlich wirklich geworden
(wie hier nicht, nur nach- und  so zu getragen,
 doch erinnert im Blitz):  ist es dies
 "Halt! Nicht! Komm zurück! Du
wirst noch gebraucht!" Diese Stimme!

Das Sieb der Worte nun doch
ein Wehr. Unsichbar über dem Wasser
fließend ist das Ersticken
Blitzworte rettend
Sieh da: Nichts/ stockt.


Wie soll ich Euch nennen Tote wohl nicht
Engel oder ganze Scharen
                          Bewohner
anderer himmlischer Frequenzen?
Und doch mit Schrecken zu sehen
              dass wir unvergleichbar sind

Stimmen, Stimmen von je
Du weißt es gebogene Kurve die Welt hinab
wenn sie kommen
              hallt es:
Opfer von heute von immer von je

Und mähst du das Bild wär es Umkehr
Gras nicht mehr sirrend die letzte
                          Sekunde

Schaufelts unendlich und kehlig
am Hallweg entlang auch du
bist nun dort
  und weißt es:
              Celan
der Niemandslanddichter

Komm mit komm mit in den Tunnel
wenn die Wunde der Welt: was wir sehen
ein Schlitz in einer Pupille
                langsam entschwindet.


Und dann mussten wir los. Ein Drang überfiel mich aber plötzlich  wieder, ausgerechnet jetzt; wars eine unbewusste starke Erregung? Vielleicht gehörte das jetzt als  die natürlichste Blasphemie der Welt  dazu. Und so praktisch wie du auch in  vitalen und organischen Dingen bist, sagtest du ganz einfach: „setzt dich doch da unter die große Tanne, ich geh weiter.“ Und so tat ich’s mit heruntergelassenen Hosen und Tempotaschentüchern von dir mit Blick auf die wichtigste Philosophenhütte Deutschlands in diesem Jahrhundert…
Du wartetest auf der Heideggerbank mit unserer Inschrift, die ja jetzt da bleibt; wir aber mussten dem Abschied entgegen fahren, stiegen ins Auto, hatten noch genau anderthalb stunden zusammen-Sein.

Blicke, Blicke, Blicke. Die wir zurückließen hier. Stumm zuerst.  Nur die Hände vereint, die Herzen, die Worte konnten nichts mehr.




                                        ZIEL CIEL





Hier im Paradies der Alltag
Der wie All Tag klingt

Für meine Linde
zu ihrem Einundsiebbzigsten

Ich danke dir / nicht nur
Dass dieser Tag  jetzt sein kann
mit deinen glücklichen Eltern
Damals – Dank dass es dich gibt.
Ein Menschen Leben ist 
vergangen
und sie?
Ziel Ciel – wo sind sie jetzt / wo
sind wir jetzt? Hier – 
In diesem Jahr: schneeweiß der Blick
Schnee  gabs auch damals 
mit  glücklichen Eltern
als du ankamst:
Schwarenberg Straße
Stuttgart Ost?

Und ich verdanke dir dass ich jetzt lebe
Dass ich jetzt schreibe und
Auf dieser Zeile  bin
Auf weißem Lichtschirm hier mit dir
Und geh voraus wie oft im Wald am Strand
Und du im Blick  dem Augenblick
Da Blicke zeugen können.

Wie ist es
Hast du mich aus dir geboren?
Wenn du besorgt mir übers Haar,
die Jacke streifst?
Und Mittags Abends dann am Tisch mich
wie eine Mutter
erwartest.

Jetzt mit dir im Nebenzimmer
mit dem gleichen Blick in den seltenen Schnee
Der unsere nordentwöhnten Augen blendet.
Draußen ungewohnten auf der Magnolie -
Wie sich die fühlt / auf dem Olivenbaum
wie Säuglinge zum ersten Mal
der Schnee für unsere Tiere
Sie spielen im Reinen /  sie Tollen
im Niegesehnen Erstenmal der Welt.

Der Schnee wächst tief in unsere Melancholie.
Und Kinderlieder fallen wie Tropfen  von den Bäumen.
So viele Augen Blicke sind mit dir vergangen
ein Menschen Leben das wie Wind
schon hinter uns  unmerklich uns verging:
hellbraun dein Auge ists auch heut wie immer
wie immer Auge in Auge und Auge
in die gleiche Landschaft Meer und 
weiß Pedona Peralla. Pedone der
weiß Fußgänger der Luft.
Hinter dem Haus weiße Stoppia mit
den guten Kastanien
unterm Mittelmeerschnee.

Sind wir alt geworden  DU – mein
All Tags Mensch: Liebe  ist Tun was geschieht
Täglich gemeinsam gewohnt und gewöhnlich
wie ein Menschen Leben göttlich banal doch
durchscheinend im Kaffeesatz morgens
nicht nur, in der Orange, im
Olivenbaum, im Pulsen unserer Adern,
Schlagen der Herzen -
Zuverlässig jeden Tag ein Wunder
vom Erwachen bis zur Nacht
morgens mittags abends
der Morgen der Mittag der Abend
die schlagende Uhr im Esszimmer
die Frühe mit dem ersten  Sonnen Strahl
Vögel um Vier, Feuer um sieben
die Dea um  acht, der Kater dann
auf dem Kühlschrank misst den Tag.

Üben wir ohne es zu wissen
Den griechischen Kugelmenschen
zusammen ideal die
Zwei suchenden Hälften:
Ziel Ciel – oben  auf der Stoppia
waren wir
Lange nicht mehr. Lange Zange.
Kommt es von selbst
Uns entgegen und zu mit der Sense?

Du klagst: wir seien zu wenig gemeinsam
allein auf einem Berg hier:
Agliano Lucca Toskana Italien
Europa Terra Sonnensystem Galaxie
Milchstraße und ringsum nur Vakuum
unendliches Nichts?? Und jeder für sich
nur Metaphern (Gott) für uns alle?
Aber ich dank dir dass du da bist
ein Teil von mir ich ein Teil von dir
auch wenn du meinst
du lebtest mein Leben
ich etwa nicht deines?

Unser Blick ein Licht Blick  übertragen
im Fenster zur Welt / neu der Flachbild Fern Seher
sahen wir nicht gestern gemeinsam
Friederike Mayröcker in Wien
die den Tod hasst …
Mit fünfundachtzig: nicht nur du
sagtest sie sieht gut aus, zehn Jahre älter
als du und sie schreibt weiter
nimmt den Alltag auf auch den Schneider
und Bäcker jeden der sie berührt
mit einem Blick einem Wort
das den Augenblick öffnet; Ziel Ciel.

Sie schreibt ihre Tagebuch-
Gedichte hält das Leben
sinnlos wortlos nicht aus
im Wort Los nur
seit Jandl der Tod ist…

Und so geht es weiter und weiter,…
Friederike lebt jetzt in Wien allein…
Sie kam uns ganz nah…
wie unsere Zukunft. Sah sie
aus.

Aber heute scheint so herrlich
die Sonne für Morgen ist Regen
und Südwind angesagt
die Schneeweiße von draußen ist
wie die Jahre schon geschmolzen
dahin  nur auf dem Schirm 
wie ein grüner Buchstab bleibt
das Gras und seine
Umkehr
wieder nur als Schein.
Mahnend war die Eises  Kälte
der Tod als wär er dahin
wie in der östlichen
 Kindheit spät im Mär z nur
Winter Ade …

So gehen wir weiter und weiter
und wissen  wie Ciel Ziel …
unser Leben ist.
Doch wenn ich aufschreiben wollte
was wir nur an einem Tag
gemeinsam sind / bräuchte ich tausend Seiten.
20./23. Dezember 2009






                                    PASTIORISIEREN

Zu Oskar Pastiors Lyrik. GedichtGedichte an den Rand geschrieben.
24.September.
Ob das ein Leben ist im Bildschirmauge/ sonst Nichts?

Doch jetzt lese ich Gedrucktes, ich kann es mit der Hand anfassen, das Papier, darüber streichen: In die Akzente (zum 70 von Oskar Pastior, als er noch lebte) schrieb ich gestern an den Rand:


OSKAR ZU, MEIN GEÖFFNETES POESIE GEDÄCHTNIS
Zwischentöne und Pastieurisierte Über-Setzungen

Tagebuchgedichte

(Klammer dazu: Schon als Oskar Pastior starb, konnte ich es nicht fassen. Der zweite Schock war dann fast ähnlich groß, also auch eine Art Tod? Als ich Unfassbares erfuhr: dass Oskar IM war und auch mich bespitzeln sollte! “Mein Freund, Der Securitatespitzel Oskar Pastior.“ (DIE ZEIT 23. .September 2010) Es geht mir näher, als ich es anfangs zugeben wollte: - Oskar ein IM der Geheimpolizei? Ich muss dies nachklingen lassen, und ich kann es nicht glauben oder gar fassen. Und ich muss mich abschreiben oder ihn? Tief hineintauchen auch in LyrInnererinnert. Es, was war, nicht wahr? Er ist ja tot. Und besucht mich nun als Geisterhafter tagnächtlich. Auch schön…!) Ja, er ist in mir, und seit Tagen denk ich nur noch in Gedichten. Ohr Würmer manchmal… Die bohren aber).

I

Pastieur/ bei Melchior im Weg/ Bähzüllus Wunhiet/ Wund glied / Pastiör/ Pass tier in die Getter Uhr/ die Schlagschlacht Terra krängende Tür/ vor Weg aufs Maul nicht mehr schaun, eher aufs Keins Mal.

24.September 2010.
In die Akzente-Nummer (zum 70 von Oskar als er noch lebte) schrieb ich zum damals gelassen wenigstens Ver Fassten gestern hinein:

AUS GANG ZERSTÖRTE NEGATION

1 These oder Tanz mit Thesi
UN-Sinn ist in seinem Verschickel zuhauf/ sogar Haufen…/ was Spass mach/ ist nur: Wenn man den Sinn kennt./ Und lacht. Bei ihm/ nur breitgestreut das Chaos und Vieles wies vom Hundeersten ins Tausendste, genau/ Un-verständnis samt/ Wörtlichnehmen/ zum Lachen, was da raus kommt?/ Manchmal. Redundanz/ Radunz, Worttanz mit Thesi aus Belleschdorf/ und Distanz als Absicht/ und das verstimmt. Sein IST ist Zeit Verlust./ Schwach auch das Spiel/ etwa: „Schässburg aber ist das Andere von Dessaus Halle“/ Des-Aus? Meint er das Abseits/ sogar im Satz?/ Oder die Regionalliga als Kannsarm./ Ich bin dafür das Eine/ zu-samm wie ein Kränzchen/Nix Tod!/ zum Fox Trott (Kain Hund!) zu führen./ Main Ein Wand: Aber das Andere ist/ nicht der Un-Sinn/ und „Mannig-Faltige/ sogar beim alten Kant/ das Höchste ist IST/ der Innere Sinn/ in uns: ebenbildlich also sei das Ich, das Du, der Funke/ der uns leben lässt, auch/ in höchster Verzweiflung. So etwas wie ER in uns. Das höchste Gut sogar/ das Gegen Teil von Oskars MannIch-Faltungs-Chaos? Ich bin, also IST er?

Das kann er/ ganz schön gewitzt/ übers Vers Ohr hauen/ auf den Schreib Arm nehmen… und weiss/ jaja immer die Null und das weisse Blatt als Brudervorsich:


2 Anti Thesi. Damen Wahl:

Auch wenn er um dies Eine ja auch kreist. „denn sinn gibt auch was sinn nimmt uns sinn gibt was auch sinn nimmt.“ Juja/ am Lebens Ende noch mal /Sinn des Gehens. / Oder seine Holopoeme. „Einen Text möglichst so zu machen, dass jeder Teil das Ganze enthält.“/ Wie die holographische Bildplatte mit einem Pferd (Pegas?)/ die dich tatsächlich gerade bei ihm/ platt macht. „Und dann nimmt man den Hammer und zerschlägt diese Platte/ und plötzlich ist das Pferd auf jedem Splitter zu sehen. Also: jeder Splitter enthält dann wieder das ganze Pferd.“ Pegas und Gott? Und: „sinnbeladen nämlich, lautend.“/ Erst wenn er liest/ ange spannt (Pegas) ent lässt/ versteht man ihn. Eine Leserin: in.

„… eine Ästhetik des „Missverständnisses“, die aufgestellt werden müsste“- weil’s das Viele ist/ welch ein Zusammenhalt? Wichtig nur: Der Text bin ich/ „

Und meines hier zu ihm/ an kommend:
Molekül
Mole kühl, so viel
Wasser bis zum Hafen.

Bist du mein Traum?
Aber der Text ist ER!


3 ZWEITES TEIL. Rockt Thesi: DES GANZEN JETZT
ANTITHESE und SYNTHESE ALSO?

Begeistert ein Nach-Lesen/ nach der Verstimmung/ OP-Stimmung Offen Halt? Halt! Schon könnte ich ein Buch „An Hand von Oskar“ schreiben:

Terzine oder Abgrund, stammt von ihm:…“meine Wechselbälger in Dreizeilerstrophen angeordnet sind – ein kleines optisches Signal dafür, worum es mir (…) wohl in allen diesen Gedichten geht: „…um mein Löcken wider die unselige Bipolarität in Sprache und Denken, und in durch Sprache und Denken doch auch geformten Umwelt … und eben die verquere Logik, die ausufernden Wortketten, und auch optisch die Dreierstrophen als eine Möglichkeit, gegen diese binäre, bipolare Art des Denkelns und Sprechens – aus der wir ja nicht herauskönnen … - anzugehen. Und auch der Spaß daran, das widersinnige Lachen … ja, der Digitaldenker, der soll ausgetrieben werden, diese Binärpulsare, Bösendorfer, Ja-Nein-Asketen usw. bis weit hinter die Pointe.“ Oder Pinte?

Oweh, und mitten im Digitalen, Janein sind wir im Pc (also doch hier/ wo wir uns gerade befinden?!) und Internet und Mailmachen gelan dent, tut weht der Zeitstohl…Dr. dent. Nah, versiuchs mal, zieh dir diesen Zahn: heute, nichts als nur noch Digitale, Bildschirmstirnen… Das wärt doch einfach Kopfab!
.
Und gegen Oskars „unselige Bipolarität“ ließe sich/ sogar zum so schön nachträglich Kommentieren finden: ganz/ mit meiner Poetik der holografischen Mikrophysik / der dreiwertigen Logik, ja/ Quantenlogik: Dann siehst du es doch endlich: Oskars Poesie und Holografie ist Widerstand und unser Gut!

So also mir gesandt, schon land.
So also bei mir gesagt, schon lang:

„Moderne Literatur ist undenkbar ohne radikales Sprachspiel, erwachsen aus radikaler Sprachskepsis; heute weiß sie mehr denn je davon, dass sich der Baum wundern würde, wüsste er, dass wir ihn "Baum" nennen; und doch glauben wir immer noch daran, wir hätten in diesen vier Buchstaben etwas WIRKLICHES, und wir bilden uns etwas darauf ein, wenn wir "Bewußtsein" oder gar "Gott" sagen. Wittgenstein empfiehlt als Alternative Schweigen, Benjamin die unsichtbare, aber spürbare "Aura" und den "Schock", Joyce die "Epiphania"; und George Steiner meint - weit zurückgreifend - all dies kulminiere in Arnold Schönbergs Oper "Moses und Aaron", dem Aufschrei des Erweckerpatriarchen Moses: "Oh Wort, du Wort, das mir fehlt." Das Fehlende also erst sage aus, was ist.

Ausgerechnet der Stotterer (der Sprachbehinderte) Moses erhielt am Sinai von dem "Einen Gott" die Tafeln, Mutationen des Namens (JHWH); ein Sinngeflecht, das wie ein "Baum" angeordnet gewesen sein soll, die sogenannte schriftliche Thora - oder die fünf Bücher Mose. SCHRIFT - aber das Sinai-Ereignis ist unbeschreiblich, wie auch die deutsche Bibelübersetzung, genau wie jede andere normale Übersetzung, nur eine Annäherung, eine sehr approximative Deutung sein kann, da die hebräischen Worte zugleich auch Zahlen sind, also Ausdruck von Proportionen, das riesige Sinngeflecht eines Gesamtzusammenhanges, das eine Struktur ausdrückt, keine willkürliche, vom Geschehen abgetrennte Wort-Semantik ist.


HIMMEL HERRGOTT. VÖGEL. Ja. FRAU SPRACHE
Wie geht das? Aber ja: Liebesakte täglich. klar und
wahr. Nicht im Lexikon nur/ sondern im Himmel: wirklich./ Aufs gemeinsame Kommen: Musik: auf Ganz klingt es nur!
Auf Gebot/ ein Zehntes? Nackte Hochzeit fiebert,
arg geht die V ins Maß der Augen/ des Voyeur. Was aber nur-sichtbar ist/ das ist es nicht.

Ist: Wahnsinniges Stimmen Gewirr aber
von Floskel und Bedeutung, löchert uns doch
die Schwester Sprach Maschine.

Frau Sprache aber zeigt ES mir/ Das Eine anders IST.
Ich fließ...


RAHMEN Weiße
Rahm der Greise
Mit Tonsur.

Russisch Puppen
Wie erinnert
Pup das Kind.

Die Zwei als Volk
Die Drei als Gott

Und unten Un-Eins das Viel
Da wimmert es.


Das Bildverbot, ja, Aussageverbot geht auf die Einsicht zurück, dass wir im Grunde nicht einmal das, was sichtbar ist, geschweige denn das Unsichtbare im sichtbaren Augen-Bild festlegen und aussagen können und dürfen. Wir machen uns ein Bild, schneiden das Abgebildete aus dem großen Zusammenhang, trennen, isolieren, verfälschen also. Ja, wir verlieren damit die Fähigkeit zum Offenen, also zu den angesprochenen Mutationen des kosmischen Zusammenhanges, mit dem wir und alles, was wir wissen, denken, benennen, auch ahnen können, zutiefst verbunden sind! Wer nämlich benennt, teilt, verlässt das Eine, geht in einer Innen-Außen-Beziehung ins Reich der Zwei über.

So beginnt auch die Bibel mit der Zwei: Bereschith bara, Im Anfang schuf: B ist die Zwei. Doch so gesehen, lässt sich Annäherung ans Eine, den "Sinn", und sei es in einem einzelnen Grashalm, nur im Sinngeflecht selbst vollziehen, an das wir über unsere Intuition "angeschlossen" sind. Aber diese "Gnade Gottes" scheint auch in unserer Sprache, wenngleich in abgeschwächter Form als SINN gespeichert zu sein. Mit dem flash des immer besseren Verstehens der Zusammenhänge, des Ein-Leuchtens sind Glücksgefühle verbunden, die sich mit dem Grad der Nähe zum Zentrum von Sinn ekstatisch verstärken. Das Sinnlose, bruchstückhaft zusammenhanglose "Unten" aber schmerzt.

Jenes Glück der Eins-Nähe empfand ich als „Anwesen“. Wir würden zwar da unten mit-fließen/ aber besser oben/ wunderbar immer im Anwesen: nicht abwesend./ Das Quälende aber hat uns/ die Störung Leben:


„Auch die Blaubeere, auch das Blut der Fische,
auch der Lehm am Fluss verwirrt die Vorschau
und löscht die Zeichen im Plan.
Ebbe und Flut, des Mondes Kommen und Gehen,
verwirrt, (…)
Das Sitzen wurde zur Weltordnung erklärt;
(“Grenzstreifen“, 1968)

Vom Ekel damals, ging auch Oskar aus.. sein, unser größtes Trauma, die Losung, nicht nur die Zellenherrin Securitate… sie war das Pendant…

OP: Eigentlich alles/ poetologische Versuche, die den Sätzen entlaufen.
Des Geistes Kind/ das Gegenstück und Innereien des Gegenfests Grammatopolis und Partein.

„Klumpatsch“ auch: Avortus-Hieb/ Abgehn vom Befehlsstand und / Lust an Befehlsverweigerung:/ Fleischeslust,. Na schau./ Worttiefe Kost und Köstlichkeiten/ im Nicht-Wissen Reichsein/ auch im Altersuntergang. Und grad im Warten auf das Ende.

„Neben der Kausalität existiert also ein viel wichtigeres, umfassenderes Weltprinzip: Gleichzeitigkeit und Sinn, auch Synchronizität und "sinnvoller Zufall" genannt. Die alten Chinesen kannten schon, ähnlich wie heute die Quantenlogik und die sogenannte Holistik, neben der Kausalität die Verbindung der Dinge durch SINN (Tao). Und je näher wir diesem Zentrum des Einen im Tao kommen, desto dichter wird das Geflecht von Einzel-Sinn auch im Ereignis. Zufall z.B. ist nur der (noch) unerkannte Zusammenhang. Laotse, der Autor des Buches vom Tao te King, nennt TAO auch das Nichts, weil es den Gegensatz zur sinnlichen Wirklichkeit ausdrückt: "Dreißig Speichen umgeben eine Nabe:/ Auf dem Nichts daran beruht des Wagens Wirkung./ Man macht Schüsseln und Töpfe zu Gefäßen: Auf dem Nichts darin beruht des Gefäßes Wirkung./ Man höhlt Türen und Fenster aus an Zimmern,/ Auf dem Nichts darin beruht des Zimmers Wirkung./ Darum: das Etwas schafft Wirklichkeit,/ Das Nichts schafft Wirkung."

„Ich glaube, diese Gebilde sind (vom Entstehen her gesehen) nichts anderes als hin und wieder zu Papier gebrachte Strecken eines Sprachflusses, eines Kontinuums, dem Organischen und Fließenden verwandt, also auch ohne feste Anfangs- und Endpunkte. Wie sollte man so etwas betiteln.“ (OP, „Jalousien. Schnitzeljagd).

Die Hopi kennen keine Substantive, nur Fließendes als Bezeichnung des Flusses Welt.

Der Sinn aber wird durch die Sinne verdunkelt, ebenso durch den zerschneidenden Begriff, weil diese nur Äußeres, nur das "Etwas", nicht aber das Nichts, die Leere wahrnehmen können, die für das Wahrnehmen der nichtkausalen Weltformel jenseits des reduktiven Ego-Verstandes viel wichtiger ist. “ (Aus: „Nachwort“ zu „Lauter letzte Tage“, unveröff..)

In „Jalousien aufgemacht“ gefundene eigene Gedichte: „An den Rand geschrieben“ -

Ich dacht´entgiftet sei ich
niemals schuldig.

RANDPHÄNOMEN AUFGEMACHT 90:
ist ein Üben mit dem Ü
als wär ich wieder Kind / mit Ben und Hadschi Prost!
eşti Oma Ben./ Das kluge Kleinhirn
von früher/ Gedächtnis. Und bald Zuhause in Alz Heim
wirst du gereimt Sein.
Damals noch gründig gründlich gründet
Gründe den Grund/ ab Buch dass Zufall
ein Kind ist.

Welches Ist
deine Farbe?/ Grün grün grün
sind alle meine Farben, und meines
ein Blatt, das durchlässt.
Die Membrane als Beweis.

Das ist der Innen Reim, den ich auf
dein Verschickel mach.

Dazu die Außen Schale.
Und wir beide/ der Tote und der Untote
Laufen/ durchs Grün davon.


AUF DEM BEIBACKZETTEL MIT FOTO:

WENN ICH ZU ENDE GEHE, fort
Aus der Autobahn
Gefahren ist gut
das Wort staunt/ stapft sich aus
aber der Rand/ der Unfall brachte
mich hinaus, das die Entfernung wachse
aus der ich stamme, mein Aus.

Hier aber bin ich alt./ die Landschaft
bleibt Aliagno, meine Fremde/ zu Haus
Und ich der ist, der
sitzt und redet, fährt, im Augen Schein
erwachsen?
Nein! Ich bin doch gar nicht, wenn ich
fahre, wer fährt, der ist gefährlicher
zu Haus.

(Heute: Bewusster Augenblick/ als ich die Treppe hinab/ ging wie jetzt im Leben:/ dachte: halt den Augenblick/ an. Wenn er jetzt kommt/ ein Kreisel ist die Wiederkehr/ hab ich’s getan/ Umkehr jener Treppenstufen; hinauf? Oder: wir leben so dahin, stündlich, täglich…/ als hätten wir ewig Zeit… Und jetzt als Überlebender weiter/ dieses so, als Oskar noch nicht tot war:
Sein Vater war mein Zeichen Lehrer/ im Zeichen-Saal. Beachte das Doppel: )

FRAU UND MANN DIE HALMENFRESSER, DIE HALMEN MESSER

Die Mitte, wo sie wächst, das harte Gras,
ich kam, ich bin ihm zu getan, tut weh
und glitscht wie Meeres Grund, ein Drehen -
es saugt, wir sind bewegt, dem andern zu.
Und Wahnsinn ohne Maß, der Hals , der Kuss
an jedem Ende ist das Gras, du hörst, es wächst
im Mund, hörst du, es ist verkehrt,
ein Plus, ein Und ist es/ das Kreuz.


Und er, S, 43 Petrarca, „… wahrscheinlich aus einem beliebigen Film, Bukarester Jahre): der Junge, das Mädchen haben einen Grashalm im Mund (waagerecht), an dem sie kauen, wetteifernd, wer zuerst schneller beim anderen, also in der Mitte (beim Kuss) angelangt ist. Von beiden Seiten her auf eine Mitte zu. Und nun Kafkas entgegen gesetzte Aussage: von der Mitte aus (auf der Vertikalen, die Schwenkung um 90 Grad!) nach beiden Seiten: das ist doch herrlich! Was entsteht, ist nämlich ein Zeichen +.“ Also bleibt uns ein Und/ und ein KREUZ.

Halm, der Kuss, das Weh
Im Gras
verkehrt

Doch wie schön ist die Ruhe! Jetzt. Im Tod ist man/ in der Mitte angekommen:

Ich dacht´ entgiftet zai ich
niemals schuldig
da war dies Weibstück das mich ungeduldig
ans Stoff-Seil hing und
auf, indem ich bin der, der ich bin.
Viel mehr noch:
innerstes Fließen/ und hab
das immer im Sinn.
EINGESTELLT VON DIETER SCHLESAK UM 09:59   
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                       SECURITATE. MEIN ECKERMANN?





Wie sehr meine damaligen Gedichte als Widerstandsgedichte, also als „feindliche“ Objekte gesehen wurden, zeigen die Securitate- Unterlagen. Da werden meine Gedichte  kopiert  und übersetzt, von der Securitate kommentiert. Unsere Secu war also doch mein Eckermann. Einige dieser Gedichte  habe ich gar nicht mehr in meinem Archiv, jetzt erst also, aus dem Secubestand tauchen sie wieder auf. Herzlichen Dank:




MILDERNDE UMSTÄNDE IM PROZESS
ein riesiges Kollektiv von Toten Vergangenen
vernetzt das Außen:
Ämter Straßen Fluglinien Nachrichten
Systeme sogar das Netz der Banken wo die Masse
anrollt / und Menschen auf rotierendem Erdball
und meine Akte im Schrank
Polizeigewahrsam fürs Hirn und im Geschehen Befragung
Interesse kalt doch mit scharfer Kontur Securitate
tat weh / fahl der Tag / ein Zittern
Ausnahmezustand stob ins Bild das wir sahen.
Doch wehe meine Ewigkeit wird vernachlässigt
und ich werde gnadenlos jenem Summen übergeben
zur Ruhe im Patientenpark oder schreibend am Tisch
ganz allein ausgesetzt auf den Bergen einwärts
im Grünen zu frei.
Die Krankheit leben zu müssen
erreichte mich / erst im Westen
erbsündennah wie ein Totschlag
im Alleinsein wund und ganz da.




Securitate. Betrug mit Macht oder Macht mit Betrug. Vorläufig im Essay Gedicht



1
Was nicht sagbar ist unter der Sonne/was Macht bringt auch unter dem Mond
Und gegen alle Sterne/ die zerschellen würden/ aus ihrer Bahn geworfen
Wider die Natur von ihrem Sein abgewichen:  der Begriff durfte  die Lüge/ nicht  fassen.

Das Gedicht aber braucht den Beweis nicht/ es ist  wie ein Kind
Beweis.

Ihr aber ihr früheren  Freunde ( hab ihr es in der Hölle gelernt?) ihr „arbeitet“ mit ihr
Nun groß geworden im Fernseh Licht/ Mit aufgerissenen Mäulern (Schweigen wäre besser
gewesen … menschennah und geerdet), schreit  ihr Erfindungen in eine/ nach glaubbarer Lüge
Gierende/ Welt.

Sie aber klatschen euch zu/ völlig verblendet.  Beklatschen in stinkenden Sälen das Kunst Licht.
In den Himmel gehoben, der leer ist ohne Gott : für euch ist er längst gestorben/ zeigt ihr euc h schamlos als  Gottersatz vor/ dem   Publikum , das euch braucht/ die selbstgemachten   Helden Puppen.

Ein X für ein U/ wenn Gefühle Zähne hätten wärt ihr längst tot / ihr aber
Glaubt daran / Oh wenn ihr nur daran glauben müsstet, das laute Wort
Im Halse/ stecken geblieben /im  tieferen Sein  wärt ihr aber  gerettet.

Und sogar die Engel habt ihr zur Lüge bekehrt. Nicht wissend, was wirklich geschehen war
In der Hölle / singen sie halbmündig ahnend / was sie da tun /verführt und betrogen
Flüstern sie  manchem Zuhörer zu: Vorsicht, die Hölle färbt ab! Worüber ihr spracht.

In einer höllischen Zeit habt ihr  die größten Chancen /Chancen wie noch Nie / das wisst ihr, das nützt ihr Aus/ steigend auf immer höheren Trampolinen, die man euch baut und baut und baut
Bis ihr den falschen Himmel erreicht. Sag, Herr der Welt, wann fallen sie herab und zurück

In die Hölle?  Nie? Sie arbeiten doch damit/ glaubst du sie sind blöde/ Dialektiker von Beruf
Sie haben es dort gelernt/arbeiten sie doch  genau mit ihrem Fall: der vorgespielten Hölle
Wie sollen sie dann fallen, mein Freund?

2
Irre ich mich/habt ihr Nichts getan/ nur euer Machtwissen eingesetzt
Intelligent wie der Teufel/ sprühend, genial sag ich/ Aber. Aber sage ich/ wir alle
Die durch die Hölle gingen/ haben ein vollklingendes Instrument/ gereift

In schmerzender Enttäuschung/ mächtig klingend einsetzbar/ für Wahrheit oderLüge.
Die Zuhörer sind/ naiv und offen. Sie wollen das Lied vom Schmerz und vom Standhalten  hören.
Wie leicht ist es doch  Leichtgläubige zu betrügen /und größer als groß zu werden durch sie.

Größer als groß über Leichen zu gehen/ auf ihnen steigt man doch gut, höher und höher hinauf.

Geht das gut und ewig/ wenn man mal oben ist/kann man nicht fallen? Wer merkt es
Heute schon, dass Lügen doch sonst kurze Beine haben? Aber keiner will es wissen  wenn alle jubeln.
Wer stört/ der ist doch der Betrüger/ er bringt die Leute um ihr Buchglück/ das sichtbar geworden War.

Wieder Helden zu haben. Echte, die wirklich gelitten und im Kampf nicht gefallen
Aufgestanden immer wieder mit lauter leicht erzählten Geschichten
Helden gibt’s doch heute so selten/ lass sie uns doch/ wir möchten sie nah ganz nahe haben.

So nah fassbar und lesbarer noch mit wirklichen Märchen. Lass sie uns doch: verschwinde!
Vom Neid/ nicht von des Gedankens Blässe/ angekränkelt: grün und gelb bist du auch im Vers?
Grünzahn, du, sagt einer / er muss es ja  wissen/ er kennt doch die Leiter zum Aufstieg zu gut!

Sie wollen nun auch mich als Leiche haben, höher zu steigen, aber wohin noch? Ach, Heilig
Gesprochen zu werden/ heilig, heilig/ die nächste Lesereise geht zum Papst.
Sich anpassen nun/ wie früher an den Zauber der Ideen: damals

Im guten Grund der Securitate.

Aber was wärt ihr, Freunde/ heute:  ohne SIE?
Ihr wärt wie vor ihr ein Nichts und ein Niemand vom Rande.

3
Ich sage jetzt alles/ was sonst/ doch aus Takt/ aus geklammert werden muss.
Was unsagbar ist. Unsäglich bleibt. Und Wirklichkeit wurde.
Habe ich alles falsch gemacht? So ohne kurze Beine und Connection.

Mit der Wahrheit  auf dem Papier/ geduldig. Die kurzen Beine
Gekappt und so auf dem Bauch/ gelandet: auf einem einsamen
Papier Berg in dieser Zeit der Macht als Betrug/ und dem Betrug als Macht?

Oh, Freunde ich bewundere euch: die  Poetik des Marktes Mal war es die 
der Securitate. Der Trommler geht um/ die Ware lacht und glitzert schwarz
begehrlicher Blick in die Hölle. Freunde, das zahlt sich/ ehrlich nun/
AUS.





                                 ZU MEINER LYRIK




                                                          
                     Eigene Deutungen



                 DER SPRACHBAUM, DER HIER STEHT


Die Welt ist ein Sprachbaum der Information, ein Buch; darin zu lesen, bis in den Aufbau der Genen und Chromosomen, gelingt. Doch je genauer es entziffert ist, umso näher dem Verschwinden befinden wir uns mit der schönen bunten Lichtwelt.
            Der dichteste Ort der Welt ist der Kopf, der sie vernichtet, Spiegel des "Schöpfers", der nun zur Erschöpfung führt, eine Art neuer Sündenfall; wir kennen den ersten Fall am Baum der Erkenntnis im menschheitlichen Kindheitsparadies Eden. Es scheint sich zu erweisen, dass jene schönen alten Legenden lauter große Modelle sind, für deren Gültigkeit wir jetzt mit unserem eignen Leben einstehn müssen.
            Tod war schon in jener alten Bibellegende Folge des Essens vom Baum der Erkenntnis; das Abreißen der Frucht, - es war ein Eingriff, eine Störung. Heute ist dieser Eingriff in die Natur eine große Störung, ja, Zerstörung geworden.
            ("Fels nach dem Ende. Kein/ Fließen mehr. Nach/dem Fall/ Jahrtausendespät/ versteinert das Hirn // Erschüttert/ aus dem Mund/ kein Gott, Gebrochenes/ Hier." Hebräischer Block).
Alles ist noch da und doch wie längst vergangen. Und nur noch die Sprache, letzter Widerschein eines möglichen Glückszustandes, leuchtet uns heim, macht die Abwesenheit schmerzlich bewußt und führt doch Unmögliches wieder zusammen, bis hin zum Totengespräch mit den Millionen Opfern dieses höllischen Laufes zum Ende falscher Erkenntnis. Aber wie dem gerecht werden? Den Grund des Hebräischen ins Deutsche zu bringen, gehört dazu. Er führt über die Grenze unserer Vorstellung hinaus. Darauf verweist auch der Titel dieses Buches: AUFBÄUMEN. Dieses "Aufbäumen" geht von einer figura etymologica aus, dass der "Baum sich auf-bäumt". Darin überschneiden sich mehrere Sinnebnen. Sich auflehnen; dann das Bild der verbrannten Toten auf einem Rost, Leiber, die sich im Feuer krümmen. Dann das Paradiessymbol Baum und der Sprachbaum der jüdischen Kabbala. Und schließlich, die Vorstellung, dass nach der kommenden Katastrophe der Mensch wieder als posthistorischer Affe auf den Bäumen leben wird.
            Dieser Sprachbaum, dieser Informationsbaum des Alls, von jener unsere Vorstellung überschreitenden Intelligenz, die man mit einer Metapher "Gott" nannte, eingesetzt, damit ein Mensch, ein Tier, ein Stein, ein Stern, ein Haus oder ein Fluß sein kann, in seiner spezifischen Form so ist, wie wir ihn sehn und kennen, wird nicht mathematisch, sondern poetisch oder "poietisch" (alte Lehre vom Bau und der Struktur) in der Genesis entfaltet. Ihre geniale Proportionslehre (im Hebräischen) freilich läßt sich nicht in unsere Neusprachen übertragen, denn in jener Vor-Babel-Sprache liegt hinter dem Namenssinn noch der Zahlsinn, da jeder Buchstabe gleichzeitig Zahl ist, und so ein hintergründiges Bezugsgeflecht entsteht, das im Satz oft mehr aussagt, als die Erzählung, die naiven Geschichten also von Adam und Eva, oder von Noah und der Sintflut oder von Kain und Abel. Wir tun es und wir gehn damit um seit Kindertagen und wissen es nicht. Die Katastrophe der heutigen Welt hat damit zu tun. Aber auch damit, dass Zahl und Name, technisches Wissen einerseits und andererseits davon wissend ihm zutiefst ent-sprechen können, auf tödliche Weise getrennt sind. Und offensichtlich widersprechen die hergebrachten Denkweisen und Vorstellungen, Normen des Verhaltens und der gesellschaftlichen Organisation in geradezu gefährlicher Weise jenen mathematischen Wissensvoraussetzungen, die genau diese Lebenspraxis hervorgebracht haben und sie täglich ermöglichen. Wir alle gehen täglich mit den elektronischen Haustieren, wie Radio, Fernseher, Computer um, die die Zeit- und Raum überschreitenden Tiefendimensionen in unseren Alltag holen. Doch diesem Eingriff in die Natur durch die Technik ist das Bewußtsein und die Moral entzogen. Und auch eine Lebens- und Denkpraxis, die auf einer Ebne jenseits der Körperwelt funktionieren könnte.
            Es paßt zu den Absurditäten des Okzidents, dass er mit einem ungeheuer wichtigen Teil seiner Kultur so umgeht, wie er mit dem meisten umgeht, was nicht in sein rationalistisches Konzept paßt: verdrängend, ausklammernd, hassend. So auch mit dem Hebräischen, dem Jüdischen und dessen gesamtem Kosmos, wo Zahl und Name, Tun und Transzendenz noch zusammengehört hatten.
            "ER starb. Wir zerschossen die Tafeln. Das Tetragramm mit der/ Fünf mit der Zehn. Und es knallt so dröhnend lautlos/ in den Ohren der Schrift./ Kugelvokale, Konsonanten zischen, bellen an die Wand.../ Und Einer, der schreibt, zersplittert, zerschossen, verbrannt." (Schrift an der Schwarzen Wand.)

            Der hebräische Sprach-Baum der Kabbala ist das Modell für die Struktur dieses Bandes, er ist aber verkehrt gedacht: mit seinen zehn Ästen von der Zehn bis zur wortlosen, nicht ausdrückbaren Eins ist er auf den Kopf gestellt, geht von der 10 zurück zur 1 und zur Null, wie beim Countdown: "Null, 10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1...Null./ VOLLE LADUNG, die Welt/ ein Tumor an der Schläfe./ Schreib/ ab." (Sphärenklang). Anstatt Schöpfung - die Erschöpfung der Welt. So gehn auch die Kapitel, die einem PROLOG NACH DEM ENDE folgen, zurück von der Zehn zur Eins. Und das Prinzip des Rückwärtsgehens und vom Ende her Lesens wird auch in einzelnen Gedichten angewendet. Ab der Mitte des Bandes ist auch das Rückwärtslesen so angelegt, dass die zwei Zeitbewegungen, eine in die Zukunft, die andere zurück in die Vergangenheit gehen. Die beiden Bewegungen werden wie die innere Zeichnung einer Sanduhr zu Versen.
            Die zehn Kapitel haben wie die Äste oder Sphären des kabbalistischen Sprachbaums eine Beziehung zur Bedeutung der ersten zehn Zahlen und Buchstaben. So zum Beispiel I, das letzte Kapitel, das den Bogen zum PROLOG NACH DEM ENDE schlägt, und NICHTS STOCKT. NULL. DER CHOCK heißt; es ist nach der unaussprechbaren, undenkbaren Eins (denn ausgesprochen wäre es schon Zwei) und nach dem ersten hebräischen Buchstaben Aleph, der nicht geschrieben werden darf, eigentlich zum Schweigen verdammt. ("Entworfen der Baum, der in die Zeile wächst. 'Esset nicht davon, rührts nicht an`/ - :2: bereschith bara -, `dass ihr nicht sterbet`. Was/ In dieser Sprache uns fehlt, gehört/ in unsere Spaltung..." Optik der Erkenntnis.) Die SCHRIFT, auch die heilige, beginnt mit dem Geteilten, der Zwei, mit B, dem Beth: "Bereshith bara" (Im Anfang schuf", aber eigentlich im Kopf schuf) denn Resch heißt Haupt, "reschith" Hauptsache KOPF. Das II. Kapitel ist ihm gewidmet: HAUPT SACHE LICHTPUNKT DER ÖFFNET. Die 20: Kaph, ist die schaffende Hand. Gott hat ja die Welt aus der schwingenden Information der "Sprache," aus den 22 hebräischen Buchstaben und Zahlen ( Sephira= Zahl, Kräften, Sphären) erschaffen, und Kabbala heißt "Macht der 22" (Kaph=20, Beth= 2, La ist das Wort für Macht.)
            Die sieben Schöpfungstage hängen ebenfalls mit der Tiefenstruktur der ersten 7 Zahlen und Buchstaben zusammen. Die ersten sieben Kapitel (10-4) von AUFBÄUMEN haben deshalb eine Querverbindung zu den sieben Wochentagen und ihren Bedeutungen. Doch sie beginnen erst mit dem vierten Kapitel. Denn Kapitel III-I sind der sogenannte Urraum (Zimzum), der "achte Tag", jenseits von Zeit und Geschichte, doch zugleich in ihnen verwoben: I Null, II Lichtpunkt, III Grenze oder das Hinabgehen in Klang und Form: Dieses Hinabgehen ins Materielle ist sehr nah an den Modellen der heutigen Informationstheorie: Erst die Erscheinungsform im Kopf als Wissen des "Lichtpunktes" als Nulldimensionalität des Reshith (allerdings immer noch als berührbare Unendlichkeit) ermöglicht es dem Urlicht der Eins (En-Sof im Hebräischen) hier in der menschlichen Welt überhaupt zu erscheinen. Dieser Punkt aber braucht Laut und Klang, die Begrenzung, Umhüllung des Unmeßbaren, Verstofflichung des Gedächtnisses, das nicht von dieser Welt ist (Wissen im Samen, in den Genen, Chromosomen, dem Atom), Mater Materia ist ja Geist, der nicht als Geist erscheint,aber er braucht die Form, die Grenze, um sich verkörpern zu können. BINA, der dritte Ast (oder die 3. Sphäre) die Ur- Mutter ermöglicht es.
            Wir sahen, der Ausgangspunkt von AUFBÄUMEN ist das Essen vom Baum der Erkenntnis mit allen Folgen. Es gibt dazu eine schöne altjüdische Legende: als Gott sich in Adam verkörpern wollte, dem Ebenbild, gab es ein großes Geschrei im Himmel, weil Er Adam mit den eignen göttlichen Kräften und Möglichkeiten ausstatten wollte. Da erbot sich die Schechina ( die mystische Rose), diese Ur-Mutter, mit hinabzugehen und als "Einwohnung Gottes in der Welt" den Mißbrauch der Erkenntnis und damit ein kosmisches Unglück zu verhindern. Es scheint nicht gelungen zu sein. Der Strahl, der über sie die 7 Tage (oder Stufen) der Erscheinungswelt als kosmischen Bau bildet, war zu stark, diese Schwingungskonfigurationen brachen vor allem im Licht der Augen die "Gefässe", (das Auge bricht. Lichtbrechung, feste Welt!) der Strom von oben nach unten wurde unterbrochen.
            Dazu kommt, dass Adam, der Mensch, das Strömen im "Fall" nochmals unterbrach, das Außen, den Augenschein, die Frucht vom Baum trennte, und so der Tod auf die Welt kam, denn der abgerissene Körper stirbt ja "tat-sächlich"; Formen sterben, die Information des Samens, der sie weiß, aber bleibt im Immateriellen erhalten! ("Niemand, der es weiß wie Gott: `Iß (ACHOL), so/ wird dein Auge aufgetan,`/ die Netzhaut/ `Ein Ewigkeitszeichen`." Optik der Erkenntnis). Essen, "Essen" der Sinne, Aneignung der Welt heißt im Hebräischen "Achol"; es verbindet A, die Eins, mit Chol, dem Vielen, dem spezifischen Schwingungsklang der in jedem Ding als Eigenart vibriert. Liebe ist die Verbindung der fünf Sinne auf höherer Ebne der Berührung. A-Chol. Das Zerreißen, die Spaltung ist die Hölle. Das Sichtbare, so vom Einen getrennt, ist seither einem furchtbaren Ungenügen, ist den zerstörerischen Gewalten, die Macht über den Körper haben, wehrlos ausgeliefert. Heute ist dies als Riß in uns und in der Welt und als Schmerz zu spüren, auch die Not-Wende: Denn noch nie war diese größte humane Aufgabe, das Ganze wieder herzustellen, die abgerissene Verbindung wieder aufzunehmen, so lebensnotwendig und dringlich, und dies nicht nur für die menschliche Welt, wie gerade heute. Denn jenes Falsche, jener Makel, eine Wunde, die im Menschen am hörbarsten tickt, ist nicht nur in einem, für viele unerklärlichen Leidensdruck spürbar, sondern auch in der Falschheit des klassischen Erkenntnisansatzes: letzlich hält uns die Natur den Spiegel unserer eignen Mittel und Instrumente vor, so z.B, formuliert in Heisenbergs "Unschärferelationen," die die Berechnung einer zeitbedingten kognitiven Unfähigkeit sind ( "...Und was wir fassen können, Unkenntnis/ Sprachgewimmel,/ geht Jetzt als Rechnung auf. Licht,/ das diese beiden Welten trennt/ zusammenhält, strahlt/ Aus." Optik der Erkenntnis). Erstaunlich ist, dass sich in der Quantentheorie unser Fehlverhalten sogar berechnen läßt durch die auf den Beobachter bezogene Wahrscheinlichkeit und die damit verbundene "unvollständige Kenntnis eines Systems". Das besagt die Formel. Der Physikerphilosoph C.F. von Weizsäcker schreibt sogar "Vielheit ist letztlich nicht wahr. Der Begriff eines isolierten Objekts ist...nur eine Annäherung, und eine schlechte. Mathematisch gesprochen enthält der Hilbertraum eines zusammengesetzten Objekts nur eine Menge vom Maße Null von Zuständen, in denen eine bestimmte Zerlegung dieses Objekts in Teile real ist.... Fakten sind irreversibel, aber Irreversibilität in einem isolierten Objekt bedeutet nur mangelnde Kenntnis der Kohärenz (der `Phasenbeziehungen`) der Wirklichkeit... Objekte (sind) nur Objekte
für endliche Subjekte (d.h. für Subjekte, denen gewisses mögliches Wissen fehlt." Aber diese Falschheit und Störung des Ganzen durch unkontrollierbare Eingriffe ist für die gesamte Natur und für die menschliche Gattung insgesamt gefährlich geworden, sie äußert sich ökologisch, atomar und in zunehmendem Maße auch im biologischen Informationssystem als Krebs, als Aids und als Neurose und Geisteskrankheit.
Aber ist das Falsche nicht schon im Ansatz des Humanums da, das Auf-Tauchen in der Körperexistenz, somit: Ausgewiesensein, also Hiersein. Die Ur-SCHRIFT, Information und Gottes-Wissen also, die die Welt baut, war der Bibel nach ursprünglich mit schwarzen Feuerbuchstaben auf weisses Feuer geschrieben ( Atomfeuer, Kern und Schalen?). Innerste Formung, die wirklich werden sollte. Zwei Eingrabungen: Herzschrift und Mündlichkeit, sie waren aber noch nicht sinnlich wahrnehmbar, nur als Gedankenanreger da. Das weiße Licht war die SCHRIFT. Der Baum des Lebens. Das Mündliche und nach ihm Verkehrte, das davon Abgespaltene, Gedeutete und menschlich Geschriebene hieß Baum der Erkenntnis, die schwarze Schrift; es waren die Begrenzungen und die Gesetzesmacht, auch die Naturgesetze und die Mächte der Zeit, also des Todes. (Zeitstrafen, Paragraphen, Folter, Todesurteile gehören dazu.) Moses gelang es auf dem Sinai zum weißen Licht, zu den verborgenen Tafeln der zehn Ur-Worte (der Sphären I-X) vorzudringen. ( Der deutsche Vers in AUFBÄUMEN empfindet es heute wie eine Satire: "Mit dem Zungenspitz zur Tafel/ weder Zehn noch schwarzer Stein./ Griffel Staub und etwas leichter./ Besser ist die Eins gelacht/ ganz und gar noch ungedacht/ brennt dir schon der Fingersatz - Spiel nur spiel mein Wortschatz weiter/ in der Wüste Himmelsleiter." Sinai.) Alles, was aufgeschrieben werden kann, mit Tinte auf Papier, auch in der Genesis oder der hebräischen Thora, ist nichts als Deutung, ja, nur halbwegs Wahrheit, gar Fälschung. Im besten Fall Metapher und Gleichnis, der Rest aber ist Schweigen. Im kleinen Blitz der Intuition und Ekstase Nichts als ein Schimmer. Aber auch dies ist höchst aktuell. Nicht einmal die so einfachen mikrophysikalischen Vorgänge, die in unserem Bildverständnis mal als "Teilchen" , mal als "Welle" im Vor-Schein und "eingedeutscht" da sind, lassen sich einfangen, sie sind wie Träume, die am Morgen aus dem Wachzustand verschwinden; als wären sie noch unberührt von der Erbsünde des Augenscheins, dem sogar die Buchstaben der Genesis ausgesetzt waren, wie die Kabbala meint. Ihr grobmaterieller Charakter sei eine Folge des Falls. Ebenso wie Adams Lichtgestalt eine materielle Haut bekam und die Erde nicht mehr durchsichtig war wie vor dem Fall. Der Himmel war dichtgemacht. So wie das Chaos der Augenblicke Jetzt, sei auch die Buchstabenkombination der niedergeschriebenen Genesis noch verkehrt, erst beim Ende der Welt werde sie lesbar sein. Ein Spiegel des Sünden-Falls in der Wirklichkeit, so erscheint zwangsläufig alles gespalten und vermischt in Lüge, Wahrheit, Gut, Böse, also paradox und absurd, Sprachprozess dessen, der ist und schon nicht mehr ist: der Abwesende. Aber auch ein paradoxes Problemhandeln im Möglichen leuchtet auf.
            Neben der mathematischen Formel und der Musik ist das Gedicht die einzige Möglichkeit der herrschenden gefährlichen Hohlform des Wirklichkeitswahns und seinen Täuschungsmanövern und sozialen Manipulationen durch Hinabtauchen in die Tiefendimensionen zwischen den Zeilen zu entgehen, und zugleich zum Angriff überzugehen: so dem historischen Erbe, dem fassbaren Nichts zu ent-sprechen, - selbst eine dichte Sonde im Freilegen des Absurden, wie beim Unfasslichen einer Todesnachricht, an dieses anzulegen. Und entlarvt z.B. im Blitz der Erkenntnis, dass Differenz nur gedacht, in Wahrheit aber Alles-Eins ist. ( "Von Schönberg vertont: Es ist Alles-Eins." Sphärenklang.) Das Undenkbare des Todes, der Schlag einer Todesnachricht, sind dafür Zeuge. Sie lassen nun auch historische, ontologische und alle Kategorien der Logik oder der Zeit, Raum und Sprache hinter sich. Heute als Möglichkeit kollektiver Auslöschung, wo jeden Augenblick auch das Gedächtnis und die Toten auf der Erde noch einmal sterben können, ist der Gedanke des Todes ein apokalyptisch Allgemeines, in seiner Tabula rasa noch furchtbarer als früher; "Null, 10/9,8,7,6,5,4,3,2,1.../Null. VOLLE LADUNG, die Welt..." Damit ist freilich Kunst lächerlich, jenes Nichtsein kann nicht mehr an etwas Bestehendem, gar am Schönen gemessen werden, Nein, jeder Satz wird durch sich selbst dementiert. "Streich Wolken Himmel/ Blau Meer: immer noch da/ das Bild mit der fliegenden/ Feder hier durch: Viel Rauch/ anstatt Geruch wie schön/ die Wolken einst zogen im Hirn:/ Streich durch was Himmel war/ gebrochen und wir. /Darüber die Erde tief;/ der vergangenen Zeit/ entsprochen." Fragmente für das Gewesene Kommen.)
             Jeder Poet ist wie der Wissenschaftler an das Noch-Nicht- Gewußte, den alles bedingenden apriorischen Grund (das Eine) durch seinen Einfall gebunden, keine überholte Spezies, nein, er taucht dort ein und holt ein unbekanntes Lebewesen vom Grund ans Licht. Es wurden formale Findungen und Erfindungen, auch Schnitte traditioneller Strukturen (Sonett, Madrigal, Akrostichon, Terzine, Rondell, Psalm, aber auch Innenreim, Anakoluth, Inversion, Paranomasie etc.etc.) zur Herstellung der "Worthöfe" und für die Differenzen mit dem Nichtsagbaren eingesetzt.           Angestrebt wird ein Gedicht über das Gedicht und die Literatur hinaus; die Sprache, der Satz, die Syntax der Versbewegung werden gebrochen, als metonymischer Schreibprozess soll die "Wirklichkeit" und unser kausal funktionierendes Bewußtsein umgekehrt werden wie ein Handschuh, dass er so im Zwischenraum zwischen 1 und 0 mehr ausdrückt, als wir wissen, wir meinen, den Verstand zu verlieren. Manchmal (vor allem im VII. Kapitel) ist es ein Gespräch mit den Toten, die auf einer Ebne mit mehr Bezügen leben, es wird so möglich, sich jenem Glück zu nähern, das wir schon hier empfinden können, wenn das Netz der Zusammenhänge dicht ist und reich, schon im Undenkbarbaren an der Grenze unserer Vorstellung, ziemlich nahe in der Reihe des Zählbaren mit der Eins und dem Einen, nicht mehr getrennt und gespalten, sondern heimgekehrt. "Die Leute gingen /in seine Verse hinein/ wie in einen Gasthof, um vor dem plätschernden Regen /der Sekunden sicher zu sein." (Geistergespräch. Milton). Auch wir freilich wissen genau so wenig wie die Spinne, wie wir unser Netz weben, das dauernd zerreißt, und wir Schmerzen empfinden, weil wir im Zerrissenen leben müssen. Und im Zweifel, dass es doch nur ein Surrogat ist:"Unsichtbar schmerzt ein Papierkind." Und: "Aufs Blatt geworfen, solange die Stunde/ hält,// ein Hof, sonst/stürzt du atemlos/ hinab.//*/Zurück, zurück. Die Spindel Spur:/ der Zorn nach vorn, nur was dazwischen/ sinnt, kommt noch im Himmel vor." (Schatten, ein Blatt).
Wäre eine Herausführung und Engführung durch WORTHÖFE und Sprach- BERÜHRUNG in "Zustandsräumen" möglich? Das Unversöhnliche zwischen Unsagbarem und Sagbaren, dem Noch-Nicht, uns und der andern Ebne, den getöteten Möglichkeiten und dem Vergangenen zu heilen? Aber Berührung wird ja erst möglich in Zuständen zwischen Leben und Tod, in Sphären von denen wir durch den Körper getrennt sind. Und diese Art zu denken ist tabuisiert, mit Vergessen auch in uns geschlagen. Muß der Verdrängung des Unvorstellbaren auf allen Ebnen mit INVERSIONEN geantwortet werden, wie es Paul Celan versucht hat, ebenfalls mit Para- und Hypotaxen? Freilich, man müßte selbst vom Blitz getroffen sein, um zu "wissen". Und der Zweifel ist quälend, ob es nicht nur Annäherungen am Blindenstock der Feder sind! Es ist aber so, dass viele von uns selbst täglich mit innerem Druck den Todeszustand fühlen. Günter Kunert sprach von einem "neuen Leiden", die wirklich neu seien: "dass der Tod, eine ART Tod, mehr eigne Realität besitze als das sogenannte Leben... Sich des Abgetötetwerden oder Abgetötetseions bewußt werden, löst das Schreien aus..." Die Metapher ist ein vielleicht antiquiertes Sprungbrett dahin zu kommen, wo wir uns jetzt befinden, hinüberzukommen in den historischen Nullnereich, wo womöglich eine Tür wartet. Aber auch die gescheiterten Versuche entsprechen genau dem radikalen Nachher in dem wir leben, als Gespenster der Geschichte. Dieses Desaster ist aber nicht alltäglich bewußt, der Todeszustand ist fast schon zur Gewohnheit geworden. Aber in bestimmten Augenblicken ist es wie ein Stich: dass alles vergangen ist und wir doch noch da sind. Auch gibt es da keine "Einfühlung" mehr in Kind und Kegel etwa, in einen Baum, in eine Blume. Es gibt sie ja nicht mehr. Es gibt nur noch Namen dafür. Sie selbst aber sind deutlich am Verschwinden, und wir halten davon nur ein wenig Erinnerung fest, deren falsche Zusammenhänge so etwas wie Wirklichkeit suggerieren. Die erinnerte Welt selbst aber gibt es, nun schon fast augenfällig, nicht mehr. Ein altes Haus, einen gesunden Menschen, einen Fluß, in dem noch Fische oder Pflanzen leben können. Zeit ist passé, nicht mal einmal, geschweige denn zweimal kann man im gleichen Fluß baden. Wer könnte da noch seinen Augen trauen! Zum Beispiel einem blauen Meer.
            Und - weiß der Baum, dass ich ihn "Baum" nenne? Ich weiß es, dass er es nicht weiß. Aber etwas weiß in mir, was er ist. Kann er, der heute kranke Baum, durch das Licht des Bewußtseins erlöst werden? Arme Paradiesische Vorstellung. Nein! Doch genau damit beginnt dieses Buch: Mit einem PROLOG NACH DEM ENDE. Und: "...Kein Hals/ mehr für oben: der Galgen ist/ eine Feder." (Es ist). Ist der Autor also ein unverbesserlicher Pessimist? Nein.            Das VII.Kapitel spricht (analog zur 7. Potenz, dem siebenten "Ast" oder "Sefiroth" des Sprachbaumes) vom TOD, DER LEBEN KANN , aber gleichzeitig von der Geduld, mit der auf das Unmögliche gewartet werden muß: "EIN LETZTES MAL du weißt/ es gut/ wohnt keiner mehr/ und dauerhaft zu Haus.// Die Grenze höher/ weigernd/ steht." (Für Borchardt).        Es ist eine Absenz, die das Schreiben bis hin in die Satzfügungen, bestimmt, aber es ist durch den Abschied vom festen Boden wissender und reifer geworden. Nur aus der Erinnerung wird scharf geschossen: "Vor dem offnen Fenster ein Fluß, das andere Ufer/ vom Wachturm, dem Gleichnis besetzt."// In somma, den Stuhl vor die Türe/ gesetzt, ist ein Leben." (Schatten, ein Blatt). Auch der geographische Weltwechsel, die Heimwehkrankheit, die Sehnsucht nach einem bestimmten Ort, ist vom Ende überholt, nur noch ein Zeichen für einen anderen, von ihm selbst verdeckter Widerschein eines fernen Lichts. Dessen Ort zeigt sich mit dem eignen Altern und dem der Welt, die sich schon an einer Grenze bewegt. "Zwischen den Stühlen der Generationen/ sitz Ich. Auf dem Tisch der Sprung im Glas, hinüber ist das Herz gekommen, ein Riß." (Schatten, ein Blatt).
             Von oben, vom III. Kapitel an (DIE GRENZE BERÜHRT) und vom X. Kapitel an, von "unten", dem JETZT (WER IST NOCH AUSGEWIESEN) kommen die zwei gegenläufigen Zeitbewegungen des Exils. "Über die Grenze kam er/ nie hinweg, er// fremd an zu Hause." Und: "...Hinter seinem Rücken vorbeijagen, die Ewigkeit/ erreicht auf die Schnelle?" (Chronokratie). Aber jeden Augenblick ist der Einbruch des Unvorstellbaren möglich.
            Der Riß und die Chance, Verleugnung der eignen inneren Wahrheit, zugleich der Aufstand dagegen, zeigt sich in der Geschlechtsliebe, der schaurigen Tiefe der Sexualität und Partnerschaft, dem eigentlichen Krieg heute. Das IX. Kapitel heißt: DAS LUSTSYMBOL, DER RISS. Denn in der Liebe kann nicht nur das Zufügen, sondern auch das Zusammenfügen, für Augenblicke also das unterbrochene Strömen wieder gelebt werden. "Und Sesam offen/ haargenau/ Die Springflut.// Die Seile angespannt/ Kommt ihr hinüber..."(Kühl gestern Nacht). Vom sechsten zum siebenten Tag (vom IX. zum X. "Ast" des Sprachbaumes), klingt der "Hieros Gamos" immer noch an, als wäre die Spaltung aufgehoben: TOR EINER SINNENROSE. Und ist doch Betrug: "Wo bist du, Liebste, wortlos Sprachschatz/ der Gefühle... Weißt du das Falsche/ Wo es stimmt?" (Jahre vermessen). Qual der Sinne, durch die der Same weiter will, Vereinigung vortäuscht, mißbraucht eine Frucht, bevor der Prozeß überhaupt beginnen konnte. "...die Liebe federleicht fliegt fort,/ die Uhren haben die Genauigkeit/ des Todes".( Augentier.) "Die Hora mortis war ein Trick,/ damit sich keiner aufzubäumen traut."
            Aufbäumen wenigstens im Wort? Das VIII. Kapitel heißt: SPRACHE, DIE BRÜCKE. ("Wie hast du mich gequält/ langjährige Liebe/ Zeile.) Der Sprach- der Lebensbaum verbindet genau wie der Liebesakt (es IST ein Liebesakt, die Zusammenführung der Sphären X und VI ) Himmel und Erde, ist Form des Wissens hier. Doch seine Imitation im Buch bringt höllische Zweifel und den quälenden Lebensverlust mit sich: "...Als ein Leben wächst.// Hier löscht es meinen Namen aus,/ liest mich auf, wird zu einem/ Fall im Nichts- und im Niemandsland,// die Wunde anstatt ein Haus." ( Du, Vers.) Und auch sonst ist Sprache, das Mündliche "draußen/ in der Rede ein böser Tag." (Schlimme Nacht).
            Über Kapitel VII: TOD, DER LEBEN KANN, dass trotzdem oder gerade wegen der erlebten Absurdität, die Hoffnung auf das für unseren Verstand Unmögliche ist, habe ich schon gesprochen. Und dass mit dem Absurden gearbeitet werden muß: dieses Annehmen des Absurden als Zeichen gehört zum AUFBÄUMEN, ist sogar einer Totale des Widerstandes. Gemeint ist, dass die Zerrissenheit jenes hier spiegelt, was bis zum Wahnsinn das Fehlende, die Wunde ist.
             Kapitel VI handelt vom Vergangenen, das nicht vergehen will, um uns ist lauter Gewesenes in Raum und Zeit. (Die Schwere der unbeantworteten Erinnerung. Dann die Uneingelösten Zeichen der Kindheit. Das, was jedem einmal schien, wo aber noch niemand war, Heimat. So sagte es einmal Ernst Bloch.) Doch es wird in jedem Augenblick übergangen, jeder Augenbliick ist noch nie dagewesen, neu. Das Unwahrscheinlichste kann jeden Moment eintreten. So wie der Lichtblitz auf dem Sinai. Dieses Plötzliche, die mögliche Öffnung korrespondiert mit der I. Sphäre. Und mit der VII. Wenn man schon gar nicht mehr daran glaubt, in der Hölle des Transzendenzverlustes, im Schmerz, im Inferno lebt, ist die Rettung ganz unerwartet da.
            Als wäre die V. Stufe, ( dazu das Kapitel V: SCHRIFT AN DER FESTEN SCHWARZEN WAND) - die Vernichtung dessen, was uns unmittelbar umgibt, die Blutspur der Geschichte, das aktuelle Gewaltpotential, die Bedingung der Apokalypse, dieses Tabula rasa auch die Möglichkeit für die radikale Wende und Rettung. Macht- und Staatsterror, Terror der Masse unterbrechen den Strom nach oben, doch gerade dadurch entsteht ein großes Vakuum, eine große Absenz, die einen Wirbel, eine Gegenbewegung erzeugt, wie die Negation in der Geschichte, diese schließlich kippen läßt.
"... sechs Schützen sind die Tiere... / Und die Null ist schon fertiggeweint." (Schrift an der Schwarzen Wand). "Als wären die Toten ein Und". Endstation der Geschichte: "Ich aber stand mit Siebzehn nackt im Schnee,/ sagt sie, man wählte für die Kammern aus.../ Ich habe überlebt./ Sie zählen bis Zehn/ und nicht mehr weiter. Seither ist Ende; alles tut weh; wir leben nicht mehr. // Wisch mich aus deinem Buch." (Siebzehn). Die Millionen Opfer wissen mehr. Sie haben alles überholt. Nichts bleibt, was war. Denn wenn überhaupt noch Sinn sein soll, im Tod der Millionen, muß es ein undenkbar neuer sein. "Man redet umsonst von Gerechtigkeit, solange das größte der Schlachtschiffe nicht an der Stirn eines Ertrunkenen zerschellt ist." Schrieb Celan. Lächerlich jede Begriffsbrücke, die am höllisch gelebten Augenblick vorbeigreift - reiner Hohn, Moral, Worte, Verse? Das Absurde, Unfassbare allein spiegelt in unseren Mitteln etwas von der Wahrheit; als habe sich die nur geahnte Un-Vorstellbarkeit in der Geschichte gräßlich wahrgenommen. Es war etwas offenbar geworden, was nicht seinesgleichen hatte. Das Feste; Zeit-Raum- Vorurteil, Ego, Eigennutz, Macht des gesellschaftlich verfassten Außen als Technik und Bürokratie - haben in letzter Konsequenz jenen ORT hervorgebracht. Und doch geht alles weiter, als wäre nichts geschehn. Dabei war Nichts tatsächlich geschehn. Wie ist das möglich?
            Das unfassbare Geschenk Licht, das alle Dinge erst möglich macht, in uns als die Möglichkeit der Zusammenführung im Blitz der Hirnsyntax liegt, ist umgeleitet worden in seine Beherrschung für Raubbau und Profit. Davon ist im IV.Kapitel GELENKTES LICHT die Rede. "Im Kreis: AtomPupille wuchs,/ Fingerflug Leitstrahl/ Tod wie Sand am Meer:/ Am Ende Eins/ Lichtblitz geblendetes Auge hier/ maß-Los über dem Abgrund..." (Optik der Erkenntnis). Das Resultat: die Angst, Zugehörigkeit höre im Tode auf. So muß er verdrängt werden, notfalls durch Massenvernichtung. Als wäre er abschaffbar. Und das Geschrei der Engel, als Gott Adam ebenbildlich mit seiner Wissens- Macht ausstatten wollte, war sicher berechtigt. Auch das Angebot der "Schechina", der Ur-Mutter, Adam zu begleiten, ihm auf die Finger zu sehen, hat nichts genützt. In der dritten Sphäre taucht sie auf. Ihr ist das III. Kapitel gewidmet. "...lebt noch und baut im Nichts ein Herz/ der Farbe: Immernie// und wohnt lang nach dem Tod/ ein Leben durch die Augenwand." (Haus mit dem Baumwappen) Abstieg der Eins, des Lichtstrahls durch sie, die Umhüllung des Kerns. Doch davon und vom II. Kapitel dem Lichtpunkt war schon die Rede.
Und schließlich das letzte (oder erste) Kapitel, das alle andern zusammenfasst. Auch davon war hier schon die Rede. In jedem Leben, vor allem aber in den Schrecken der Geschichte zeigen sich Mißgriff und Fehlschlag. Wessen? Ist Gott die Absenz, ist Gott heute der Tod? Das Nichts ist im Hebräischen Gott. Ayin heißt Nichts. Es ist zugleich Name eines Buchstabens, er hat die Bedeutung von Auge.
            Dieses letzte Kapitel, das Eine als treibende Absenz ist in allen andern enthalten, alle andern Stufen von X-II sind Erwartung, Wartezeit. Die schmerzende Absenz, ein sich ins Absolute verwandelndes Heimweh, das keinem Land mehr angehört, das die Substanz des Fehlenden verdeckt, ist Hohlform unverzichtbarer Hoffnung, seiner Nirgends erkennbaren Gestalt: "Sekunde, der Riß/ im Kopf das Hirn der Dornen. Ein Lichtblitz in jeder Zelle.../ Nichts ist entschieden. Erst aus dem Auge des Fehlenden käme der Blick, der dich sieht.../ Doch das Fehlende kommt. Schon pfeifen es alle Kugeln von den Dächern." (Hinrichtung.) In diesem Gedicht ist von der Kreuzigung die Rede. Sogar von Christi Resignation am Kreuz, die Absenz des Andern ( Vater, warum hast Du mich verlassen?) zwingt ihn zur "Vernunft", er steigt herab, er heiratet. ("Erschüttert,/ aus dem Mund/ kein Gott, Gebrochenes/ Hier." Hebräischer Block). Diese "Vernunft", die Sonde der großen terroristischen Staats- und Ausdrucksmaschine erledigt jeden mit der Zeit.
            Wir wissen es immer: wir müssen unser Leben ändern. Nur wie? Das Zum -innern-Ort-kommen, wo etwas einbricht, das uns erlöst, liegt nicht in unserer Hand, und schon gar nicht im Kopf. Das ganze VII. Kapitel ist diesem Unplanbaren, Undenkbaren gewidmet. Und dem Totengespräch jenseits des Fassbaren. "Vergessen der Namen,/ ein Dunkel, ein Platz,/ wo sie waren." (Für Ion Caraion). Das Vertrauen freilich, dass das Unfassbare jeden Augenblick einbrechen kann, jene Berührung und phantastische Öffnung sich gerade dann einstellt, wenn wir am wenigsten darauf hoffen, wir völlig deprimiert, zerstört sind, gehört zum Abwesenheitsglauben, einer Art anarchischen Mystik des Negativen, wie sie in der Nachfolge Sabbatai Zwis und Jakob Franks auch in chassidischen Kreisen kultiviert wurde. Dieser mystische Nihilismus ist heute hochaktuell. Und zwar bis in die Sprachkonsequenzen hinein. ( "Löschte das Augenlicht, also/ die Landschaften und Städte aus, trog/ nicht mehr, Nein trank/ die Welt täglich aus./ Es gab keinen andern Weg mehr/ als Jahre: gingen hinüber,/ wo ein anderes schwereres Warten war/ das Weinen das Lachen und jeder Erfolg Ja/ die Frauen nur etwas Trauer// Als hätte ich alles überlebt./ Ein Anfang klopfte/ ganz ohne Tür bei mir an." Zeitpunkt.) Selbsterlösung (die ganze Zivilisationsgeschichte ist dafür ein Beispiel): - Ungeduld führt in tieferes Elend, es ist ein Ertrinken in der Zeit; in der Vergötzung des Fassbaren wird der Sündenfall täglich wiederholt. "Der/ Himmel, nein, er kennt kein Grab./ Und weiß und schneid ihn ab, damit er/ nicht vergeht. Was bleibt./ Ein weißes Blatt. Gewebe/ Muster. Der Tod spricht nicht." (Es gibt kein gestern.) Das "Nichts", wo alles, was fassbar ist, gar das "Glück" abwesend sein muß, ist ähnlich dem Todesgefühl, ("Sinne? Woher genommen, mundlos// gesagt, Worte durch die Trennwand/ gedacht; dort bist du dich los./ Und die alte Wunde tickt leise." (Blumen, dort nichts). Wo das EINE ist, sind wir nicht, weil "Es" dort ist, - und doch verwandelt es uns im Blitz einer Zusammenführung mehr als alles andere. "Ein Loch im Fundament öffnete den Einblick.../ Noch einsamer als der Herr ist Niemand." (Das versteinte Buch). "...durchstreicht/ das Nichts/ jeden Blick, der/ festgegraben war/ im Schein."
             Im Poetischen ist es wie im Leben, die Untätigkeit, das Lernen der Langsamkeit ist ein höheres Gut: Die vergessne Pause der Sinne wahrzunehmen, um jenem Einbruch eine Chance zu geben: sich zurücktreten lassen bis hin ins Gedächtnis eines Grashalms, eines Vogelgesangs, der zerklüfteten Steine oder des Meeresgrundes, den wir voller Schrecken manchmal sehn, indem wir den Atem anhalten und fast ersticken beim Tauchen, und beim Sehen des Grundes, der Ungesehene in Gedanken, der mich freilich einmal verschlingen wird. So läßt das Ungesehene sich auch in den Wörtern finden, wenn man nicht gewaltsam eingreift. ("Du/ redest dir ein, dass du bist. Rede/ du schwerstes Nein." Hieronymus in der Zelle).
            Der VERWESER ist die SPRACHE selbst als Agens der Zeit. Nur der Tod rast, und das fühlen wir: voran, wartet, der einzige Grenzwirklichkeit, die das beredte Sehn durchstößt in schmerzhafter Ahnung. Der Tod aber ist heute kein individuelles Ereignis mehr, sondern ein historisches, ein kollektives, Drohung des Untergangs und des Erinnerns an unvorstellbares Grauen. Nach Hegel wird eine Zeit kommen, wo der Tod ein menschliches Leben führen wird, sie ist da, diese Zeit. Doch heute, an diesem Punkt des Übergangs von Zeit, wo wichtiges über Äußerstes zu sagen wäre, steht in dieser Geldidylle Europa keine Sprache zur Verfügung und kein Bewußtsein davon. Wir haben alkle eine downer-Programmierung in uns, so ist es unmöglich, den neuen Weltzustand des Übergangs, den wir erleben und nicht wahrnehmen, mitzugestalten. Er ist von uns verlassen, wie wir von ihm. Denn "normale" und Alltagssprache im Mündlichen des Dialogs, gehört der Vergiftung an, macht blind, wie die zweiwertige Logik, wie die Alltags-Umgebung, Partner, Institutionen, Gesellschaften stehn heute dafür noch nicht zur Verfügung. Was um uns ist, verfügbar, sind Relikte des Gewesenen, und was wir ahnen, ist überdeckt vom Schleier des dauernd schon Vergangenen. "Verhangen Verhängnis/ Iris.// Atomschleier:/ rund rast wie Licht /Er selbst/ oh Auge/ kein Staunen." (Wirklichkeitswahn).
            Das Totengespräch wäre das einzige literarische Mittel, Geschichte am Ende in solchem Grenzgang vorauszudenken, und die Vergangenheit, die unfertig und im Verbrechen stecken blieb, in diesem weißen Blitz der Imagination zu öffnen, ja, als wäre sie wieder verfügbar, und alles Versäumte noch zu erlösen. Denn das Ganze erst leuchtet wirklich heim.
             Ja, mehr als das Leben, ist die Hoffnung, die sich probeweise so verwirklicht: zuweilen wie ein Fotonegativ - entwickelbar, als wäre dieses in dieser Unzeit ein Widerschein von Heimkehr. Das Gedicht lädt dazu ein, Wort für Wort heimzukehren, doch dazu müssen Worte im Schweigen gewaschen, das beredte Sehn durchstoßen werden.
            "Rücksichtslos tun,/was dich treibt, -/gegen die Zeit/ Verlust, dass du lebst.//Ein Auf Atmen so,/ wie du dich hältst: /gehörst nicht dir,/ tu, was dich zur Berührung treibt,/ ist ewig." (Freie Zeilen).










Eine Rezension:

Wiederkehr des absoluten Gedichts
Dieter Schlesaks Lyrik-Band "Aufbäumen"

Worte, Worte -, Substantive! Sie brauchen nur die Schwingen zu öffnen und Jahrtausende entfallen ihrem Flug": Mit solchen pathetisch glühenden Sätzen formulierte einst Gottfried Benn das Evangelium seines"absoluten Gedichts". Seine monologische Dichtung der"Wallungswerte" und semantisch aufgeladenen Einzelworte ist seit den sechziger Jahren oft totgesagt worden. Man kritisierte die Geschichtsferne von Benns Konzept und seine metaphysische lüberhöhung des poetischen Prozesses.
Die Texte, die nun der rumäniendeutsehe Autor Dieter Schlesak in seinem Gedichtband Aufbäumen vorlegt, arbeiten unübersehbar an einer Rekonstruktion des "absoluten Gedichts". Zwar will Schlesak keineswegs die Bennsche Kunstmetaphysik revitalisieren. Im poetologischen Nachwort, das er seinem Band beigefügt hat, rekurriert Schlesak auf Paul Celans Dichtung der Sprachmaeie und auf Denkfieuren der iüdischen Sprachmystik, der Kabbala. Aber in der poetischen Praxis führt dieses Konzept zu ähnlichen Ergebnissen wie bei Benn.
Denn auch Schlesak vertraut in seinen Gedichten auf die evokative Kraft des se 
mantisch aufgeladenen Einzelwortes, auf die magische Aura bedeutungsschwerer Substantive. So flattern in seinen Gedichten die "Gleichnistauben" auf, registriert das lyrische Subjekt den "Sphärenklang" des Seins. Ziel seiner lyrischen Exkurse ist die "weiße Gegend", jene Zone des Unvordenklichen und Unsagbaren, in der sich die Geheimnisse der Welt offenbaren. Die "weiße Gegend" setzt Schlesak synonym mit einem Zentralbegriff der Kabbala: dem unaussprechbaren "Nichts", das den Urgrund des Seins bildet. Über die mannigfachen Analogien zwischen der Bilderwelt der Gedichte und den Symbolen und Motiven der Kabbala wird man im Nachwort eingehend unterrichtet. Aufbäumen, der Titel des Gedichtbands, verweist nicht nur auf den biblischen "Baum der Erkenntnis" und den "Sprachbaum" der Kabbala, sondern zitiert auch Bilder der revolutionären Auflehnung und der Katastrophe: )etwa das von Celan überlieferte Bild der verbrannten-'-I'o-ten,-der-si-ch- a-ufb-äur-ende-n Leiber im Feuer. Im Nachwort signalisiert Schlesak auch den hohen Erkenntnisanspruch seiner Gedichte. Der Lyrik, heißt es da, falle die Aufgabe zu, in
"Worthöfen" und "an Sinn- und Sprachrändern das Nichtsagbare anzugehen" und "sich den offenen Augenblick, dem Unvorhergesagten zu überlassen". Das sprachmystisch inspirierte Gedicht ist für den Lyriker Schlesak der letzte Ort, an dem man sich den von einer funktionalistischen Welt verursachten Tennungen und Spaltungen widersetzen und zur Erfahrung des Ursprungs und des Welt-Zu-sammenhangs gelangen kann.                   
Es geht aber in diesen Gedichten nicht nur um mystische Erfahrung, sondern auch um historische Erinnerung. Neben die des Eingedenken der jüdischen Leidensgeschichte tritt bei Schlesak die poetische Erinnerung an die verlorene Heimat. 1969 hat der Autor Siebenbürgen, das Land seiner Herkunft, verlassen, ohne seither je wieder an einem Ort heimisch werden zu können. Dieser schmerzhafte biographische Bruch hat sich in seine Gedichte eingeschrieben, erscheint dort in hermetischer Chiffrierung. Denn fast alle sinnlichen Wahrnehmungen, persönlichen Beobachtungen und Erinnerungen werden in diesen Gedichten in eine dunkle Metaphorik transformiert. Schlesaks sprachsystematische Poetik realisiert sich in Texten, die sich um große existenzielle Schlüsselwörter gruppieren: Nichts, Sein, Zeit, Ewigkeit, Gott, Tod und Grenze bilden die elementaren Vokabeln dieser Poeme. So entstehen fast durchweg hermetische Gebilde:
            "Hebräischer Block / kommt näher. Fels nach dem / Ende. Kein / Fließen mehr.Nach / dem Fall / Jahrtausendespät / versteinert das Hirn // Erschüttert, / aus dem Mund, / kein Gott, Gebrochenes Hier."
Schlesak sucht das ästhetische Risiko: Das Gedicht wird von ihm zum transzendenten Schöpfungsakt erhöht, der alle profanen Erkenntnisprozesse weit über steigt. Auch hier entsteht also ein "absolutes Gedicht", das die der Sprache immanente Magie entfalten und mystische Epiphanien vermitteln will.
Diesen selbsterteilten Auftrag kann Schlesaks Gedicht nicht immer erfüllen. Auf der Suche nach kosmischen Urworten verfallen seine Gedichte zuweilen in ein sakrales Raunen, das suggestive Erlösungsformeln herbeizitiert. Die "radikale Umkehr aller Vorstellungen und Worte" bleibt hier eine poetische Utopie. Aber es finden sich in Aufbäumen auch Texte, die in ihrer Genauigkeitsemphase an die        Dichtung Celans heranreichen. "Das absolute Gedicht", formulierte Celan 1959, "nein das gibt es gewiß nicht, das kann es nicht geben!" Aber, so Celan weiter, es gibt den "unerhörten Anspruch" des Lyrikers, der "mit seinem Dasein zur Sprache geht, wirklichkeitswund und Wirklichkeit suchend". Dieter Schlesak hält an dem "unerhörten Anspruch" des Gedichts fest.
Und das ist schon viel. MICHAEL BRAUN

(Frankfurter Rundschau) 







In vielen Religionen und Weltanschauungen finden sich Ansichten, die sich teilweise mit Symptomen decken, die als schizophren definiert werden.
So ist es in Teilen des Taoismus, im Buddhismus, wie auch im Pandämonismus, im Hinduismus ebenso wie in der Philosophie des Solipsismus und der Esoterik durchaus üblich, unter Aufhebung der Körpergrenzen den eigenen Geist auf die Umwelt auszudehnen bzw. das eigene Bewußtsein als identisch mit der erlebten Welt anzusehen.
Determinismus und Fatalismus sind als philosophische bzw. religiöse Konzepte allgemein akzeptiert; es ist daher unverständlich, weshalb die in diesen Bereichen tolerierte Auffassung von der Nichtexistenz des freien Willens im Bereich der Psychosen als krankhaft angesehen wird. Entsprechendes gilt für den Solipsismus ("Die Welt existiert nur in meiner Einbildung."), der eigentlich nur die philosophisch motivierte Form des Autismus darstellt.

ich sage: "die atome der nase des malers haben keine farbe." du stimmst zu. (nehme ich an.)

du sagst: "also hat der maler kein bewußtsein."
ich stimme nicht zu.

sagst du "also hat die nase des malers keine farbe"?


Die Nase des Malers "hat" auch keine Farbe. Der Begriff von "Farbe" entsteht im Gehirn.

dann sei auch so konsequent, zu sagen:
nicht nur die farbe, sondern auch die nase des malers, der maler, die ganze welt entstehen im gehirn.
und gib zu, dass du ein solipsist bist.

weiter, außerhalb des solipsistischen autismus:
die nase des malers hat physikalische eigenschaften, u.a. die eigenschaft, licht frequenzabhängig zu streuen. diese frequenzabhängige lichstreuung an der nase des malers ist kein produkt des gehirns, sondern kann ohne zuhilfenahme eines gehirns mit geeigneten meßgeräten festgestellt werden.


Wow, das war aber mit Wut...
(Ich merke schon, über so'n Schietkrom kann ich so penetrant werden wie Schmerzlos manchmal.)

(1) Daß ich Solipsist bin, habe ich mal für eine Woche lang geglaubt, in tiefster Depression oder Katatonie oder sowas.

Aber wie sollte ich? Die Erfahrung lehrt, dass es von den meisten Dingen, wovon es eins gibt, auch viele gibt. Wenn ich also existiere, oder das zumindest annehme, da ich ja dieses Ganze konstruiere, dann existieren auch viele andere. Ansonsten gäbe es nicht einmal Grund dafür, dass ich existiere, weil nicht mit Notwendigkeit "eins" von etwas existieren muß, wenn es ebensogut - und mit größerer Einfachheit - "keins" von etwas geben könnte. Warum sollte, wenn ich glaube, nur ich existiere, dann gerade ich existieren?

(2) Die Vorstellung, die das Gehirn von der Farbe hat, ist aber nicht die eines Meßgerätes. Für einen Rotgrünblinden sind rot und grün dieselbe Farbe, obwohl die sich doch mit Hilfe künstlicher Gerätschaften unterscheiden lassen. Er kann sich die Farben nicht einmal visuell vorstellen, weil seine Sehrinde keinen Begriff davon hat. Trotzdem kann er aber Aussagen darüber machen, wenn er "Farbe" im physikalischen Sinne als Ausschlag auf einem Spektrum betrachtet. Zunächst erfahren wir aber nicht den physikalischen, sondern den physiologischen Begriff. So gesehen ist der physikalische Begriff ein "aufgesetzter", der den physiologischen ersetzt oder ihn wenigstens doch erweitert, aber trotzdem ein Begriff ohne physiologische Vorstellung.
_________________
"Die Pentagon-Gang wird in der Liste der Terrorgruppen geführt"

Dann bin ich halt bekloppt.


"Wahrheit läßt sich nicht zeigen, nur erfinden." (Max Frisch)

Was wir wahrnehmen können, prägt unsere «Erscheinungswelt», doch wie die Welt denn "wirklich" ist, darüber können wir nichts sagen. Damit verabschiedet sich Kant auch von der Vorstellung einer "wahren" Welt, da Wahrheit nun relativ wird. Diese These von Kant hat bei einigen Lesern eine Art Schock ausgelöst, u.a. beim jungen Schriftstellergenie Kleist.
„Wenn alle Menschen statt der Augen grüne Gläser hätten, so würden sie urteilen müssen, die Gegenstände, welche sie dadurch erblicken, sind grün  und nie würden sie entscheiden können, ob ihr Auge ihnen die Dinge zeigt, wie sie sind, oder ob es nicht etwas zu ihnen hinzutut, was nicht ihnen, sondern dem Auge gehört. So ist es mit dem Verstande. Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist, oder ob es uns nur so scheint. Ist das letzte, so ist die Wahrheit, die wir hier sammeln, nach dem Tode nicht mehr  und alles Bestreben, ein Eigentum sich zu erwerben, das uns auch in das Grab folgt, ist vergeblich -
Ach, Wilhelmine, wenn die Spitze dieses Gedankens Dein Herz nicht trifft, so lächle nicht über einen andern, der sich tief in seinem heiligsten Innern davon verwundet fühlt. Mein einziges, mein höchstes Ziel ist gesunken, und ich habe nun keines mehr –„
(Kleist an Wilhelmine von Zenge, 22. März 1801)

T.  meint, es gäbe eine Rettung, nämlich alles auf sich zu nehmen, und ganz konsequent dem nachzugehen, dass alles nur von ihm geträumt ist, so jedes Verbrechen auf ihn selbst zurückwelt, seine geträumte Welt ist, und er dafür die Verantwortung trägt. Doch auch der eigne Tode, der Muttertod, ja,der Tod überhaupt ist nichts als ein Hirngespinst, und er geht von der Unfassbarkeit des Todes aus, die ja absurd ist:
Nein, ich kann es nicht glauben, und nichts ist beweisbar, auch nicht, dass Mutter tot ist.

Ist nicht auch die ganze „Phänomenologie“ Hegels solch ein riesiger Traum.


Ist das ganze Leben nur ein Traum? ( Und Calderons Verse fielen mir ein: "Was ist Leben? Raserei! / Was ist Leben? Hohler Schaum, / Ein Gedicht, ein Schatten kaum! Wenig kann das Glück uns geben; / Denn ein Traum ist alles Leben / Und die Träume selbst ein Traum.") 






Steckbrief
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Dieter Schlesak
geboren in:
Schäßburg / Transsylvanien
lebt in:
Stuttgart, Killesberg und in Camaiore/Toskana, Italien
Kontakt:
schlesak@tiscali.it     
Vita
 
Ohlbaumbilder
Dieter Schlesak, Geboren in Schäßburg in Siebenbürgen. Volksschullehrer, dann Studium der Germanistik, Redakteur in Bukarest bei der deutschsprachigen Zeitschrift „Neue Literatur“. Verfasser von Lyrik, Prosa, Hör-
spielen, Romanen, Essays über Literatur, über Grenzphänome und Religion; Reiseberichte. Übersetzungs- und Herausgebertätigkeit. 1968 erschien sein erster Gedichtband Grenzstreifen im Bukarester Literaturverlag.
1969: Übersiedlung nach Deutschland, der Kulturschock und das Ostwest-Trauma werden von nun an sein Schreiben beherrschen; sein erster Gedichtband im Westen erschein 1981bei Rowohlt: Weiße Gegend - Fühlt die Gewalt in diesem Traum. 1986 kommt der Roman Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens beim Benziger Verlag  heraus. Den Fall des Eisernen Vorhangs und die damit verbundenen Hoffnungen und Enttäuschungen thematisiert Dieter Schlesak in mehreren Büchern: Wenn die Dinge aus dem Namen fallen, 1991 (Rowohlt). Stehendes Ich in laufender Zeit, 1994 (Reclam). So nah, so fremd, 1995. Eine transsylvanische Reise, 2004. Dieter Schlesak lernt in Frankfurt beim S. Fischer Verlag seine Frau Linde Birk kennen. 1973 ziehen beide nach Italien. Er wird mit seinen 1989-1991 erschienenen drei Bänden Der neue Michelangelo. Wiedergeburt der wahren Farben in der Sixtinischen Kapelle zum Kulturbürger Italiens. Auch sein zweiter Roman Der Verweser spielt in Italien2006  erschien sein bisher wichtigster Roman Capesius, der Auschwitzapotheker“ (Dietz Verlag), der in Englische, Italienische, Spanische, Portugiesische, Hebräische und in viele andere Sprachen übersetzt wurde. Bis 2009 hat Dieter Schlesak 30 Bücher veröffentlicht, darunter 9 Gedichtbände und 3 Romane. Er erhielt zahlreiche Preise, u.a. 1980: den Andreas-Gryphius-Preis, 1993: den Nikolaus-Lenau-Preis, 2001 die Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung. 2005 den Maria-Ensle-Preis der Kunststiftung Baden-Württemberg und 2005 wurde ihm auch der Ehrendoktor  der Universität Bukarest verliehen.


Dieter Schlesak, dr.h.c. in Schäßburg (Siebenbürgen) Rumänien geboren, Lyriker, Romancier, Essayist, Übersetzer, Studium der Germanistik 1954-1959; dann Redakteur der „Neuen Literatur“ in Bukarest. Unter dem Druck von Securitate, Zensur und Lebenszustände, emigrierte er 1968 über Brüssel, Luxemburg, Paris in die Bundesrepublik. Lernte beim Fischerverlag in Frankfurt seine Frau, die Lektorin und Übersetzerin Linde Birk kennen; verkraftete aber den Kulturschock nicht, fuhr 1968 wieder zurück, und verlor so gleich zwei Länder, emigrierte endgültig 1969 nach Deutschland. Dann 1973 weiter nach Italien. Und lebt seit l973 in Stuttgart und in Camaiore/Lucca. „Was zusammenhängt mit einem existenziellen Grenzgänger, einem, der Reisen und Länderwechsel zur Lebensmetapher gemacht hat, mit allem Gewinn, mit aller Beschwernis. Ein verwurzelter Wurzelloser, der morgens beim Öffnen der Fenster seines alten italienischen Bauernhauses, in dem er mit Frau und Hund und Kater oben am Hang lebt, in der Ferne das Meer gleißen sieht und der gleichzeitig tief empfundene Heimatgefühle für Transsylvanien hegt. In seinem Weiler nahe dem norditalienischen Städtchen Camaiore ist er "Signore Dieter, il tedesco", unter Stuttgarter Schriftstellern der Rumänendeutsche. "Ich bin ein „Zwischenschaftler", sagt er, einer, der sich eingerichtet hat zwischen allen Stühlen, zwischen allen Grenzen? Da muss er wohnen, der rumänisch-deutsche, stuttgarterisch-toskanische Dichter Schlesak.
Es folgen Reisen durch Europa und Amerika. "Fernweh über den Globus gezogen / die Riesenfrucht möchte ich essen", heißt es in einem Gedicht des Lyrikers, der bis heute dreißig Bücher veröffentlicht hat, darunter neun Lyrikbände und vier Romane. In dem Roman "Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens" hat er in mitreißender assoziativer Prosa Biografisches verarbeitet, hat sich im 2002 erschienenen Roman "Der Verweser" mit einer alten Kriminalgeschichte aus dem nahen Lucca befasst, hat im Lyrikband "Tunneleffekt" sein Grundthema des Grenzgangs lyrisch variiert.
Seine innere Emigration und Einsamkeit, diese Abweichung vom Normalen, begreift Schlesak für Schreiben und Leben mittlerweile als "ontologisch"." mit dem gleichgesinnten „Eremiten von Paris“, dem Landsmann aus Transsylvanien hat er Jahrzehntelang einen Briefwechsel geführt, der ihn geprägt hat. Ebenso schon in Rumänien die rumänische Kultur, die jüdische, in Bukarest war er befreundet mit Celans Freundeskreis um Sperber und Kittner, und ist davon ebenfalls geprägt. "Er leitet aus seiner Emigration und Isolation "eine Art literarisches Mönchtum" ab. Und hat doch, im Äußeren, so gar nichts Mönchisches an sich, wenn er redet. Während dann Kater Romeo herbeischleicht, auf den Tisch springt, aus der Nähe hören will, was der toskanische
Dichter aus dem fernen Rumänien zu sagen hat. Zum Beispiel dies, dass man ihm jüngst sein altes Geburtshaus in Schässburg zurückgegeben habe, das er mit Hilfe einer Stiftung zu einem Literatur- und Kulturzentrum machen wolle. (Aus: Rainer Wochele, Literarischer Mönch, Stuttgarter Zeitung)


Mitglied des Deutschen P.E.N Zentrums, des P.E.N Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland (London), VS u.a. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen, zuletzt: Ehrengabe der Schillerstiftung 2001. Ehrendoktor der Universität Bukarest 2005, Lyrikpreis „Umberto Saba“, Triest, 2006; Preis der „Kunststiftung Baden-Württemberg“ Stuttgart 2007. Werke zuletzt erschienen: Lyrik: Herbst Zeit Lose, Liebesgedichte, München 2006; Sette volte sete. Grenzen Los. Oltre limite. italienisch-deutsch, Pisa 2006; Namen Los, Liebes-und Todesgedichte, Ludwigsburg 2007.. Essays und Prosa: Eine Transsylvanische Reise, Köln 2004, Romans Netz, Roman, Köln 2004; Capesius, der Auschwitzapotheker, Bonn 2006; Vlad. Die Draculakorrektur, Ludwigsburg 2007.
Zeuge an der Grenze unserer Vorstellung, Porträts, Studien und Essays, Uni München 2005; Übersetzer- und Herausgebertätigkeit. Nichita Stănescu, Elf Elegien, Übersetzung und Nachwort: Metapoesie der roten Zeit, 2005.

Sekundärliteratur und ein Verzeichnis des Gesamtwerkes, dessen Vorlass sich im Marbacher Deutschen Literaturarchiv befindet unter:

www.dieterschlesak.de
Würdigung
 


Andreas-Grypius Förderpreeis,1980.
Jahresstipendium des Deutschen Literaturfonds (l982 und l987).
Stipendium des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst von Baden-Württemberg l988.
Schubart-Literaturpreis l989, alle für "Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens, Roman und die Fortsetzung: Der Verweser.Roman.
Förderstipendium der Akademie Schloß Solitude Stuttgart,1990-1992.
Nikolaus-Lenau-Preis 1993 für seine Lyrik.
Für die Prosa den Hauptpreis des Ostdeutschen Kulturrates 1994.
"Tunneleffek", Gedichte. Buch des Monats, "Text und Kritik", 1998.
Ehrengabe der Schillerstiftung 2001.
Stipendium, Kulturamt der Stadt München, Villa Waldberta 2004.
Ehrendoktor der Universität Bukarst 2005.
Literaturkabinett "Dieter Schlesak" am "Colegiul National Mircea Eliade in Sighisoara Schässburg, Transsylvanien. 2005.
Lyrikpreis „Umberto Saba“, Triest, 2006.
Maria-Ensle-Preis der „Kunststiftung Baden-Württemberg“ Stuttgart, 2007.


STIMMEN DER KRITIK

Bücher über DS: Oliver Sill
Marian Victor Buciu


Die Ausführungen von Dieter Schlesak haben den Vorzug der Klarheit. Was bei Heiner Müller bisher dunkel "deutsches Verhängnis", "Kolonisation" oder "Über-fremdung, bei Volker Braun locker "das nicht Nennenswerte" hieß und von Christa Wolf als "dunkle wilde Jagd" bedichtet wird ... ist hier plötzlich deutlich." Iris Ra-disch, DIE ZEIT

Sein Ich ist sich des Zeitsprungs gewiß, sein Ich warnt den Leser vor allzu großen Erwartungen ... Die enge Verbindung von gegenwärtigem Geschehen, das das Be-wußtsein noch nicht aufnehmen kann, und einer eben abgelaufenen Vergangenheit, die als Traumsequenz in eine Zukunft reicht, in welcher alles erst entwickelt wird, was im Präsens zu schnell vorüberjagt - ist der Übergang, in dem das Schlesaksche Ich stehengeblieben ist, um in der Fülle des Augenblicks seine vielschichtigen Beo-bachtungen machen zu können. Es wählt den quälenden Weg der Offenlegung von Wunden im Zeitbewußtsein am Ende des 20. Jahrhunderts.
Wolfgang Schlott, Kommune 2

Haben wir 1989 den Beginn eines neuen Zeitalters erlebt? Einen Umbruch, we er nur mit der Reformation oder der Französischen Revolution vergleichbar ist? Werden Historiker bei der Periodsierung der Vergangenheit Jahrhunderte einteilen in ein gro-ßes Vorher und Nachher? Dieter Schlesaks Essay über den Umsturz in Rumänien deutet Ereignisse vom 21. und 22. Dezember 1989 in Bukarest als welthistorischen Einschnitt, nach dem nichts mehr so ist, wie es war.

Schlesak erzählt von der Melancholie , die sich einstellt, wenn das jahrelang Ersehn-te plötzlich Wirklichkeit wird und dann doch alles ganz anders ist, als man sich vor-gestellt hatte. "Der Zustand der Sehnsucht wird gelöscht"
Frankfurter Allgemeine Zeitung

In Ihrem Buch sind all die Erfahrungen versammelt, die über zwei Jahrhunderte hin-weg viele, viele Revolutionäre gemacht haben. Ich denke an die Reden von Robespi-erre und Danton... an Kropotkin und Bakunin, an einige arkane Passagen bei Marx, an die Enthusiasmen der irischen, der spanischen, der vietnamesischen, der südame-rikanischen Rebellen und Revolutionäre. Sie alle versuchen das zu sagen, was Sie in Ihrem Band auf das trefflichste und... auf das tiefsinnigste präzisiert haben, nämlich das enthusiastische Erlebnis, den Furor gleichsam aus der Zeit zu fallen, dieses of-fenkundig beglückende Geühl, an einem Schnittpunkt der Geschichte stehend die Geschichte selbst förmlich "abzuschneiden".
Michael Naumann, Ehemaliger Leiter des Rowohltverlages

Dieter Schlesak, vigoroso e sottile narratore... sembrava riconoscersi nell´ indicativo presente. La vita, come diceva Svevo, originale e lascia presto indietro il suo ritratto stesso da una penna (...) Nel suo intervento a Trieste, Schlesak (...)ha detto genial-mente che soltanto dopo Stalingrado é comniciata, per la sua gente, la possibilita di' una vera letteratura che nasce dalla consapevolezza e dall' esperienza della disfatta del perverso sogno di dominio. Ii romanzo ,Giorni della patria di Schlesak é un´espressione poetica di questo amore di patria puro e purificato e reca significati-vamente ii sottotitob L´arte di sparire.

Claudio Magris, Corriere della Sera (8 febbraio 87).

Fassungslosigkeit breitet sich aus nach dem Zusammenbruch der Weltbilder. Aber sie hat ihr Gutes. Die vorgefaßten Denkweisen haben immer Sehen verhindert und Leben geraubt. Der Fassungs-Lose versucht, „ohne Vorbehalt zu sehen, den Wahr-nehmungsprozeß als gelernten zu entlarven. Jungsen heißt (nach Nietzsche: noch Chaos ins ich haben. Freisein heißt: sich dem Augenblick hingeben können (…) Ver-trauen in die Kräfte, die uns tragen, Kräfte, die größer sind als wir“ – Vertrauen auf Jugend, Liebe, Leben. Schlesak wiederholt damit trotz aller hier nicht berücksichtig-ten Differenzierungen die Antwort, die die sogenannte Lebensphilosophie schon vor hundert Jahren auf das Industriezeitalter gab. Hermann Kurzke in der Frankfurter Allgemeine Zeitung

Sprachgewaltig bannt Dieter Schlesak die Verhältnisse …. in das Bild des achten Tages der Menschheitsgeschichte. Neue Zürcher Zeitung


Hier ist, um mit Musil zu reden, nicht nur eine neue Seele da, sondern auch der da-zugehoerige Stil. Das vitale Sprach- und Erfahrungsmaterial ist in großraeumige Rhythmen uebersetzt, die in der Ferne die Zentnerschwere einer lyrischen Traditi-on von Gryphius bis Guenter und Klopstock ahnen lassen, bei denen die Form gerade noch die alles sprengende Erfahrung fasst... Man moechte auf die formale und sprachliche Kunstleistung hinweisen, auf die Vielfalt der Themen - und koennte doch nur sagen: Ecce Poeta. Viele dieser Gedichte lassen den Leser nicht los, sie greifen seine Erfahrung, sein Bewußtsein an.

Walter Hinderer, Frankfurter Allgemeine Zeitung


Er zeigt uns quer zu manch herrschender Meinung, dass im Mikrokosmos des leiden-den Ich die Veränderung der Welt radikal anders bewertet wird als im praktischen Optimismus des politischen Tagesgeschäfts. Hans-Jürgen Schmitt, Süddeutsche Zei-tung.

Sein Ich ist sich des Zeitsprungs gewiß, sein Ich warnt den Leser vor allzu großen Erwartungen ... Die enge Verbindung von gegenwärtigem Geschehen, das das Be-wußtsein noch nicht aufnehmen kann, und einer eben abgelaufenen Vergangenheit, die als Traumsequenz in eine Zukunft reicht, in welcher alles erst entwickelt wird, was im Präsens zu schnell vorüberjagt - ist der Übergang, in dem das Schlesaksche Ich stehengeblieben ist, um in der Fülle des Augenblicks seine vielschichtigen Beo-bachtungen machen zu können. Es wählt den quälenden Weg der Offenlegung von Wunden im Zeitbewußtsein am Ende des 20. Jahrhunderts.
Wolfgang Schlott, Kommune 2

Schlesak erzählt von der Melancholie , die sich einstellt, wenn das jahrelang Ersehn-te plötzlich Wirklichkeit wird und dann doch alles ganz anders ist, als man sich vor-gestellt hatte. "Der Zustand der Sehnsucht wird gelöscht"
Frankfurter Allgemeine Zeitung



Bitte besuchen Sie meine Homepage: www.dieterschlesak.de




PROJEKTE und Werkstatt:


Werkstatt Online (PDF)
Engelszungen – Roman, 1994-2006

Plädoyer für den Abschied – Liebesroman, 2002-2006

Tagebücher 1968-2006

Das Überlebenstagebuch eines Krebsschocks – 2000-2004

Der Tod ist nicht bei Trost – Gedichte

Terplan und die Kunst der Rückkehr – Roman

Zukunftsräume. Gibt es ein Leben nach dem Tod?

Lauter Letzte Tage – Essays und Porträts



Online-Veröffentlichungen
Die Dracula-Korrektur (Inhaltsverz. + Teil 1, PDF) –

Wer weiterlesen möchte – die Dracula-Korrektur wird für
den Druck vorbereitet, der Roman erscheint voraussichtlich
im August bei Buch&Media, München


Der Verweser – 2001, 2006

Bibliographie und Archiv
(Agliano und Marbach)
Kindlers deutsches Literaturlexikon 1999

Schlesak, Dieter, wurde am 7. 8. 1934 in Schässburg/Sighisoara als Angehöriger der deutschen Minderheit in Rumänien geboren. Nach dem Abitur unterrichtete er zwei Jahre an der Volksschule in Denndorf, von 1954 bis 1959 studierte er Germanistik in Bukarest, wo er anschließend als Redakteur der Zeitschrift Neue Literatur, Autor, Übersetzer und Herausgeber tätig war. 1969 reiste er in die Bundesrepublik Deutschland aus, ging 1973 ins selbst gewählte Exil nach Italien und lebt seither als freier Schriftsteller abwechselnd in Stuttgart und Camaiore.

1980 erhielt Schlesak den Andreas-Gryphius-Preis, 1982 und 1987 das Jahresstipendium des Deutschen Literaturfonds, 1989 den Schubart-Preis (für Vaterlandstage), 1993 den Nikolaus-Lenau-Preis, 1994 den Hauptpreis Prosa des Ostdeutschen Kulturrats und 2001 die Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung.


Im Brennpunkt von Schlesaks literarischem Schaffen steht von Anfang an das Phänomen Grenze, das ihn nicht allein in seiner politischen, sozialen und kulturellen Relevanz, sondern vor allem in seinen sprachlichen und metaphysischen Dimensionen beschäftigt. Der Debütband Grenzstreifen (1968) ist noch rumäniendeutschen Bedingtheiten verhaftet: Wie schon vor ihm Oskar Pastior verweigert auch Schlesak gereimte Partei- und Klassenkampfparolen und sucht sich mit dem Instrumentarium moderner Poesie „Die große Störung, Leben“ (ebd.) zu erschließen.

Der „Weltenwechsel“, den Schlesak als Schock erlebt, konfrontiert ihn mit neuen Grenzerfahrungen, die er in dem Prosaband Visa. Ost West Lektionen (1970) dokumentiert. Nun ist es nicht mehr der Denk-, sondern der Sinne- und Sinnverlust, der ihm als verdeckter Realitätsverlust zusetzt und ihn zum „Zwischenschaftler“ werden lässt, der sich schreibend im „Grenzraum der Erkenntnis“, „im Strom des Wechsel-Spiels oder des Wechsel-Ernstes zwischen beiden Teilen der entzweigeschnittenen Welt“ bewegt, um nicht an der „Melancholie wirklich erlebter Unwirklichkeit“ zu Grunde zu gehen (ebd.).

Lyrisch verdichten sich diese biografischen wie historischen Bruchlinien zu dem Band Weiße Gegend – Fühlt die Gewalt in diesem Traum (1981). Im „weglosen Gelände“, das die Diktaturen des 20. Jahrhunderts in Europa zurückgelassen haben, ertastet sich jede Gedichtzeile ihre eigene Vorläufigkeit:

Wie aufgelöst in diesem weißen
Licht der Nacht mit ihrer Wange
Ist die verbrannte Erde
Der Vergangenheiten –

Was liegenblieb, nur mit Ideen
begangen

Und Haut an Haut
mit dem Versäumten

(„Achtuhrschmerzen“, ebd.).

Dass mit den falschen Gewissheiten auch die Sprache gesplittert ist, materialisiert sich in Schlesaks „Hirnsyntax“, die zu seinem poetischen Markenzeichen wird: Der Vers zerfällt, syntaktische und semantische Strukturen fransen aus, wuchern ad hoc oder führen sich ad absurdum, die Funktion der Differenzierung verlagert sich vom Wort in die „Wortzwischenräume“, da es einzig in diesem Spannungsfeld noch möglich ist, Sinn zu generieren – wenn auch bloß als „Zwischensinn“ („Schreiben als posthumes Leben“ in So nah, so fremd, 1995).

An „Sinn- und Sprachrändern“ bewegt sich auch Schlesaks dritter Gedichtband Aufbäumen (1990), der statt der Schöpfung die „Erschöpfung der Welt“ thematisiert und als Strukturmodell den kabbalistischen Sprachbaum heranzieht, der mit seinen zehn Ästen auf den Kopf gestellt wird: Die Kapitel sind rückläufig angeordnet, das letzte ist das erste, „das Eine als treibende Absenz“, das jedoch auch alle anderen „als Hohlform unverzichtbarer Hoffnung“ (ebd.) mit einschließen:

Hölderlins
Bordeaux? Und Patmos, die Insel?
Und dann Johannes 15?
Wer doch verkommen wie er,
in der Sprachzeit langsam nach Haus
kommen könnte. Zu Fuß
nur mit einem Zeitwort auf
staubiger Landstraße. Wir aber
tragen den Augenblick im Autofenster
und die Sekunde rollt an den Reifen.
Kein
Land, Nie, Land,
dieses Anderswo

(„Chronokratie“, ebd.).

Die Facetten von Absenz und Angst im ortlosen virtuellen Zeitalter fächert Schlesak im Gedichtband Landsehn (1997) auf und schreibt sie in Tunneleffekt (2000) fort, wo sie, flankiert von zeitlosen Traumerinnerungen und Todeserfahrungen, zu Bausteinen einer „posthumen Poetik“ (ebd.) werden. – Nach dem „Poesia Erotica“-Intermezzo von Lippe Lust (2000) wendet sich Schlesak in Los (2002) erneut den zu inneren Ereignissen gewordenen Landschaften seines Exil zu, um in älteren und neueren Reisegedichten den „unbekannten Ort möglicher Erfahrung“ (ebd.) einzukreisen.

Neben den Lyrikbänden Weiße Gegend und Aufbäumen zählt auch der dazwischen verfasste Roman Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens (1986) zu Schlesaks bedeutenden literarischen Würfen. Mit gattungstypologischen Rastern nicht zu erfassen und am ehesten als Gedankenroman zu bezeichnen, rückt hier ein halbes Jahrhundert Lebens- und Zeitgeschichte mit den Hypostasen ihres Scheiterns seit den 30er Jahren ins Bewusstsein. Anstoß zum Nach-Denken ist für den Ich-Erzähler die Suche nach einer möglichen Heimkehr ins Land seiner Herkunft, aus dem er, von zwei Diktaturen beschädigt, emigriert ist. Also erfindet er ein Alter Ego, den Schriftsteller Michael T., und schickt ihn statt seiner nach Osten. Was jedoch wie eine tatsächlich stattgefundene Reise anmutet, ist eine sprachlich vollzogene Revision eines geschichtlich wie gesellschaftlich verbogenen Ichs mit all seinen Brüchen und Widersprüchen, die bei dem von zwei Erzählinstanzen vorgenommenen unausgesetzten Verhör und Selbstverhör zu Tage treten. Das Erlebte und Erinnerte zersplittert in unzählige Partikel, die sich weder chronologisch noch kausallogisch zusammenfügen: „Die Sprache ist blockiert und zerstückelt und vom Alptraum verwandelt bis hin zum sprachunfähigen Stottern, in dem sich sprachlos die Realität in Fratzen auflöst, in Kopfsummen des Wahnsinns" („Analyse meiner Selbstbiografie“ in Nachruf auf die rumäniendeutsche Literatur, 1990).

Historisch schließt an Vaterlandstage der Essayband Wenn die Dinge aus dem Namen fallen (1991) an, der die „enteignete“ Revolution von 1989 untersucht, gefolgt von dem synoptischen Journal Stehendes Ich in laufender Zeit (1994), das den europäischen Nach-Wende-Geist bis 1993 kritisch ausleuchtet.

Schlesaks zweiter Roman Der Verweser (2002) ist ebenfalls als Fiktion in der Fiktion angelegt, doch ist hier nur die Rahmenhandlung autobiografisch geprägt und aus der Ich-Perspektive eines in der Toskana lebenden Autors erzählt. Als auktorial gestaltete Binnenhandlung wird eine Luccheser Liebes- und Mordgeschichte des 16. Jahrhunderts herangezogen, deren Hauptfigur, der Arzt und Schriftsteller Nicolao Granucci, dem Ich-Erzähler so zusetzt, dass dieser meint, Granucci gewesen/geworden zu sein. Als metapsychischer Schaltkreis fungiert u. a. der Schreibprozess, dessen Magie wie Missbrauch Schlesak nachgeht.

(Text: Edith Konradt)


Werke:

Francisc Munteanu: Der Himmel beginnt beim dritten Stockwerk, En., Übs., Bukarest 1965; Michael Albert: Ausgewählte Schriften, Hg., Vorw., Bukarest 1966; Schiller: Gedichte, Hg., Vorw., Bukarest 1967; Imperiul demonilor. Proza austriaca moderna, Anth., Hg., Vorw., Bukarest 1968; Nichita Stanescu: 11 Elegien, G., Übs., Bukarest 1968; Grenzstreifen, G., Bukarest 1968; Rainer Maria Rilke: Gedichte, Hg., Vorw., Bukarest 1969; Grenzgänge. Deutsche Dichtung aus Rumänien, Anth., Hg. zus. m. Wolf Peter Schnetz, Regensburg 1969; Fische und Vögel. Junge rumänische Lyrik, Anth., Hg. zus. m. Wolf Peter Schnetz, Regensburg 1969; Visa. Ost West Lektionen, Pr., Ffm 1970; Luchterhands Loseblatt Lyrik: Deutsche Gedichte aus Rumänien, Hg., Neuwied 1970; Geschäfte mit Odysseus, Pr., Bern 1972; Briefe über die Grenze, G., zus. m. Magdalena Constantinescu, Göttingen 1978; Weiße Gegend – Fühlt die Gewalt in diesem Traum, G., Reinbek 1981; Königin, die Welt ist narr, Hsp. 1981; Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens, R., Zür. 1986; Der neue Michelangelo, 4 Bde., Bildmeditationen, zus. m. Fabrizio Mancinelli et al., Luzern 1989-1995; Aufbäumen, G., Reinbek 1990; Wenn die Dinge aus dem Namen fallen, Ess., Reinbek 1991; Stehendes Ich in laufender Zeit, Tageb., Leipzig 1994; So nah, so fremd. Heimatlegenden, Tageb. und Aufs., Dinklage 1995; Landsehn, G., Berlin 1997; Gefährliche Serpentinen. Rumänische Lyrik der Gegenwart, Anth., Hg., Nachw., Berlin 1998; Tunneleffekt, G., Ess., Berlin 2000; Lippe Lust, G., München 2000; Weiße Gegend, G., Neuaufl., München 2000; Der Verweser, R., München 2002; Los. Reisegedichte, München 2002. Romans Netz, Liebesroman, Köln 2004; Eine TRanssylvanische Reise, Köln 2004; Zeugen an der Grenze unserer Vorstellung, Essays, Studien, Porträts, München 2005; Sette Volte sete, Grenzen Los, Poesie, Gedichte, Pisa 2006; Herbst Zeit Lose, Liebesgedichte, München 2006.

Archive (Agliano und Marbach)
Bio/Bibliographie bis Ende 2006 (PDF-Datei)

Marbacher Bestände (PDF-Datei)







Rainer Wochele

                                                     Literarischer Mönch

                                    Ein Besuch bei Dieter Schlesak in der Toskana


Leute, das Lesezeichen kriegt diesmal Flügel, es flattert diesmal über Grenzen hinweg, äußere, innere, nimmt Kurs gen Süden, will sich ganz leicht machen in mediterranem Licht, hat aber auch Ballast an Bord, der erdwärts zieht. Italienisch eingefärbt kommt"s heute daher und zugleich rumänisch grundiert und schicksalhaft beladen.

Was zusammenhängt mit einem existenziellen Grenzgänger, einem, der Reisen und Länderwechsel zur Lebensmetapher gemacht hat, mit allem Gewinn, mit aller Beschwernis. Ein verwurzelter Wurzelloser, der morgens beim Öffnen der Fenster seines alten italienischen Bauernhauses, in dem er mit Frau und Hund und Kater oben am Hang lebt, in der Ferne das Meer gleißen sieht und der gleichzeitig tief empfundene Heimatgefühle für Stuttgart hegt; Lebenszeit verbringt er hier und dort. Dieter Schlesak heißt er, in seinem Weiler nahe dem norditalienischen Städtchen Camaiore ist er "Signore Dieter, il tedesco", unter Stuttgarter Schriftstellern eher ein Rumäne. "Ich bin ein ,Zwischenschaftler"", sagt er.

"Zwischenschaftler", was ist denn das für ein Erdenbürger? Vielleicht einer, der sich eingerichtet hat, am Platz zwischen allen Stühlen, zwischen allen Grenzen? Schöner Platz, das. Dort oben, halbhoch irgendwo, da muss er wohnen, der rumänisch-deutsche, stuttgarterisch-toskanische Dichter Schlesak. Auf Schmalstspursträßchen, ein Stück weit hinter Camaiore bergwärts, vom Kirchplätzchen in Pieve aus lotsen die Schlesaks zum Weiler Agliano hinauf. Wo man dann in satter toskanischer Idylle sitzt, die beiden alten, zum Dichteranwesen verschmolzenen umgebauten Bauernhäuser im Rücken, Tal und zwischengelagerten Hügel davor, in der Ferne rechts ein Zipfel Meer, links ein Zipfel Meer, ein Landschaftsbild voller Grenzbereiche. Und um Grenzen geht"s denn auch im Lebensbericht des Hausherrn Dieter Schlesak, während die Ehefrau Linde Birk-Schlesak, eine namhafte literarische Übersetzerin aus dem Französischen und Italienischen, Tee und Kuchen serviert.

Doch wie Dieter Schlesaks Lebensodyssee zusammenraffen aufs Wesentliche? Vielleicht so. Er wird 1934 in Schässburg als Angehöriger der siebenbürgischen deutschen Minderheit in Rumänien geboren, studiert nach Schulbesuch Germanistik in Bukarest, arbeitet als Redakteur der Zeitschrift "Neue Literatur", ist Schriftsteller, Herausgeber, Übersetzer. Nach vorherigen Kontakten zur deutschen Organisation Inter-Nationes, dem damaligen Besucherdienst des Auswärtigen Amtes in Bonn, erhält er 1968 eine Einladung zu einem Schriftstellertreffen in Luxemburg, lernt Grass, Bernhard, Handke kennen. Er wird nach Bonn geholt, bei Verlagen herumgereicht, lernt in Frankfurt beim S. Fischer Verlag seine heutige Frau kennen, nimmt aber Deutschland wahr als Kulturschock. "Diese Mattscheibenwelt, die allgemeine Hetze und Kälte stieß mich ab, alles wie hinter Glas." Das in Rumänien heiß ersehnte Deutschland wird ihm zum "Hassobjekt". Nach sechs Monaten im Westen kehrt er nach Rumänien zurück, sieht dort alles mit "Westblick", ist "geschockt vom Gestank, Fusel, der Armut, der Langsamkeit", hat nun zwei Heimaten verloren. Dennoch, 1969 endgültige Ausreise nach Deutschland. Nach Frankfurt und Köln wird Stuttgart Station, wo die Schlesaks mittlerweile eine Zweitwohnung haben. 1973 entdecken sie bei einem Italienaufenthalt die beiden halb verfallenen Bauernhäuser, kaufen sie mit einem Kredit, "wir waren arm, wir hatten nix", lassen sie umbauen, ziehen weg aus Deutschland, denn, wie Schlesak sagt, "in Italien war mein Heimweh nach Rumänien, waren meine Schuldgefühle dem verlassenen Land gegenüber, geringer".

Es folgen Reisen durch Europa und Amerika. "Fernweh über den Globus gezogen / die Riesenfrucht möchte ich essen", heißt es in einem Gedicht des Lyrikers, Essayisten, Übersetzers, Herausgebers und Romanciers, der bis heute dreißig Bücher veröffentlicht hat, darunter neun Lyrikbände und drei Romane. In dem Roman "Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens" hat er in mitreißender assoziativer Prosa Biografisches verarbeitet, hat sich im 2002 erschienenen Roman "Der Verweser" mit einer alten Kriminalgeschichte aus dem nahen Lucca befasst, hat im Lyrikband "Tunneleffekt" sein Grundthema des Grenzgangs lyrisch variiert.

"In Rumänien bin ich der Fremde, hier in Italien der Deutsche, und in Deutschland bin ich der Rumäne", sagt er, eben ein "Zwischenschaftler". Seine innere Emigration und Einsamkeit, diese Abweichung vom Normalen, begreift Schlesak für Schreiben und Leben mittlerweile als "ontologisch", leitet daraus "eine Art literarisches Mönchtum" ab. Und hat doch, im Äußeren, so gar nichts Mönchisches an sich, wie er da vor seinem Haus sitzt und mit leidenschaftlicher Stimme, in der gleichwohl ständig ein Ton der Melancholie mitschwingt, von Leben und Schreiben erzählt. Während dann Kater Romeo herbeischleicht, auf den Tisch springt, aus der Nähe hören will, was der toskanische Dichter aus dem fernen Rumänien zu sagen hat. Zum Beispiel dies, dass man ihm jüngst sein altes Geburtshaus in Rumänien zurückgegeben habe, das er mit Hilfe einer Stiftung zu einem deutsch-rumänischen Literatur- und Kulturzentrum machen wolle. "Ich kehre auf diesem Wege geistig nach Rumänien zurück." Und oben dann, in seinem Arbeitszimmer, von dem aus er an klaren Tagen bis Korsika blicken kann, da sagt er, er habe jetzt Hand an seine Kindheit gelegt.

Und meint den Umstand, dass er herausgefunden hat, dass die deutsche Minderheit in Rumänien tief mit Nazideutschland verstrickt war und dass fast alle seine männlichen Verwandten in der SS gewesen sind und zu den Wachmannschaften deutscher Konzentrationslager gehört haben. Aus dem Freundeskreis seiner Eltern stammte der Auschwitz-Apotheker Victor Capesius, der das Zyklon B verwahrt hat. Schlesak hat diesen für ihn albtraumhaften historischen Hintergrund nach vielen Interviews mit Zeitzeugen jetzt zu einem bestürzenden, halb dokumentarischen Text verarbeitet.

Wahrlich, dieser grenzgängerische Schriftsteller scheint bewundernswerte Kräfte zu haben, um geistige Schmerzen auszuhalten. Und ist doch dann, als man unten vorm Haus in landschaftlicher Abendidylle die Gläser zum Abschiedstrunk hebt, wieder ganz toskanisch heiter.


Stuttgarter  Zeitung, 21.9.2005








Bilder und Zeiten
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.12.2006, Nr. 293, S. Z4

Walter Hinck
Elegie des Abschieds

Dieter Schlesaks Dichtung ruht im Elegischen. Im Band "Herbst Zeit Lose. Liebesgedichte", in dem diese Verse stehen, mischt sich noch in den Taumel des Sinnlichen und den Jubel der Sprache ein Zug von Trauer; über alle Himmel Schlesaks zieht eine Wolke. Der 1934 im rumänischen Transsylvanien als Angehöriger der deutschen Minderheit geborene Lyriker, Romanautor und Essayist, nach seinem Studium in Bukarest Redakteur der Zeitschrift "Neue Literatur", kam 1969 in die Bundesrepublik und lebt seit 1973 in der Toskana und in Stuttgart. Seine bedeutendste Übersetzung rumänischer Dichtung ist sicherlich die Übertragung der "Elf Elegien" von Nichita Stanescu, dem Dichter der inneren Emigration zur Zeit der Diktatur Ceauçescus (Neudruck 2005). In der italienischen und rumänischen Literaturkritik gilt Schlesak als einer der wichtigen Vertreter moderner deutscher Lyrik; ein Band von siebzig Gedichten mit Übersetzungen ist kürzlich in Pisa erschienen. Jenseits der Alpen hat Schlesak ein Echo gefunden, das man ihm auch in Deutschland wünscht.

Mit seinem Band "Herbst Zeit Lose. Liebesgedichte" schließt sich Schlesak an die Tradition einer Liebeslyrik an, die man heute leicht in den Verdacht der prickelnden Oberflächlichkeit bringen kann, wenn man sie erotische Lyrik nennt - einer Lyrik, mit der wir Namen wie Catull und Horaz verbinden, die Liebesgenuß und -erfüllung preist. Sie begegnet uns auch in Goethes "Römischen Elegien", deren Titel in einer Handschrift noch "Erotica Romana" lautet. Zumal Schlesaks Gedichte im Abschnitt "Komm, schlaf jetzt mit mir" zieren sich nicht, beschreiben Liebe als "Vulkan" in "Flammen". Aber fast immer geht aus dem Aufruhr der Sinne das Besinnen hervor. Ein an barocke Vergänglichkeitsklagen erinnernder Ton ist Signal: das Begehren nach dem Augenblicksbegehren verstummt; wahre Liebe will Ewigkeit. "Doch die Liebe ist Leben für immer", heißt der Sammeltitel für eine der Gedichtreihen.

Im Gedicht "Meine Liebste laß uns gehen" ist nach der Zeit der wilden Vereinigungen nun die Zeit des Abschieds gekommen. Die über die Augen gelegten Hände deuten an, dass sich der Vorhang vor der Welt der sinnlichen Wahrnehmungen schließt. Aber noch einmal bringt sich Erotisches in Erinnerung, das weibliche Geschlecht, als poetisches Bild für Geburt und Zeugung. Was den Augen mangelt, kann das Herz bewahren - Herz verstanden als Inbegriff für jenes Unbeschreibbare, das mit der Seele, dem ebenfalls unbeschreibbaren Spirituellen, verschwistert ist. Unendliche Traurigkeit durchdringt die vierte Strophe. Trennung der Liebenden und Einsamkeit des einzelnen werden unwiderruflich, und nicht zufällig wählt Schlesak in der Zeile "doch gehen ja gehen" eine die Gemütssaite berührende Wiederholungsform des Volkslieds. Noch gewähren die Erde des Grabes und "die Seele im Flug" eine "Umarmung". Aber bleibt auch das poetische Bild des offenen Himmels in Kraft, so besiegelt doch der Schlußvers eine Endgültigkeit: "Denn alles fällt ab was wir waren."

Es gibt im Band auch Gedichte von geringerer Direktheit, Beispiele wie in der Strophe: "Denn was dann nicht mehr ist / und war / die Erde, jede Zelle / Atome dieser Hand die wir so warm berühren werden! / Du meine und ich deine Hand / Sind ihre Elemente. Sie drehn sich rasend schnell / wie Glücksgefühle / und duften weiter." Von "Verjüngung" wird gesprochen. Die Abschiedselegie "Meine Liebste laß uns gehen" ist von herber Trauer. Hingenommen wird das Bedingte unserer Existenz mit einer Kraft der melancholischen Gefaßtheit, zu der wohl nur eine Liebe verhelfen kann, die ihrer Unverlierbarkeit gewiß ist. Dieses Liebesgedicht schön zu nennen wäre zu wenig; es macht dem Gefälligen keine Zugeständnisse, ist aber nicht fatalistisch, es ist bewegend, doch nicht erweichend, die poetischen Bilder leiten uns unaufdringlich, aber unausweichlich zur Frage nach unserer Endlichkeit, kurz, dies ist ein großes Gedicht.

- Dieter Schlesak: "Herbst Zeit Lose". Liebesgedichte. Buch & Media GmbH /Lyrikedition 2000, München 2006. 172 S., br., 17,50 [Euro].

Redaktion Marcel Reich-Ranicki

Kastentext:
Dieter Schlesak

Meine Liebste lass uns gehen

sieh wir haben uns schon die Hände über die Augen gelegt.

War nicht dein Geschlecht schon wie immer der Aus- und der Eingang zur Welt?

Bleib mir im Herzen wenn wir vergehen.

Der Himmel ist uns hier offen doch gehen ja gehen muss jeder allein diesen Weg.

Die letzte Umarmung Liebste die letzte ist wenn wir uns nicht mehr sehn der Leib in der Erde die Seele im Flug

Denn alles fällt ab was wir waren.


Alle Rechte vorbehalten. (c) F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main



Renate Färber-Husemann

          Dieter Schlesak: „Capesius, der Auschwitzapotheker“
Dieses intensive Buch ist schwer zu ertragen.  Doch wer sich darauf einlässt, wird es vor der letzten Seite kaum aus der Hand legen.  Dieter Schlesak  treibt den Leser  durch alle Schrecken des Vernichtungslagers. Trost gibt es keinen, auch am Ende werden nicht die Guten belohnt und die Bösen bestraft, denn das Buch handelt von Auschwitz. Noch lange nach Ende der Lektüre glaubt man, die nicht mehr menschlichen Schreie der Opfer in den Gaskammern zu hören.  Im Mittelpunkt steht Viktor Capesius – ein Name wie aus einem Arztroman der fünfziger Jahre. Doch der Mann hat wirklich gelebt, leitete als SS-Offizier die Apotheke , wurde im Frankfurter Auschwitz-Prozeß zu neun Jahren Haft verurteilt und verbrachte anschließend ein Alter im Wohlstand.
 Und das ist die Geschichte, die klingt, als habe  jemand mit einer bizarren Fantasie  sie ausgedacht und die doch passiert ist: An der Rampe in Birkenau standen sich eines Tages die früheren Kunden, Nachbarn, Bekannten aus Schäßburg in Siebenbürgen und ihr einstiger Apotheker gegenüber. Die nicht Arbeitsfähigen schickte er kaltblütig ins Gas. Aus dem rumänischen Städtchen stammt auch der vielfach ausgezeichnete Romancier, Lyriker und Essayist Dieter Schlesak, Jahrgang 1934.  30 Jahre seines Lebens hat er mit dem gutbürgerlichen Massenmörder verbracht. Er hat mit überlebenden Juden aus Schäßburg gesprochen, hat Dokumente, Briefe, Tagebuchaufzeichnungen gesammelt, sich in die Akten des Auschwitzprozesses vertieft, bevor er dieses Buch schrieb.
  Auch  Capesius wurde von Schlesak mehrmals befragt. Der Schriftsteller traf  einen Mann, der sich keiner Schuld bewußt war. Er hatte  Alte, Kranke, Mütter und ihre Kinder mit einem jovialen Lächeln im Gesicht in den grauenhaften Tod durch Cyklon B geschickt und wurde  im Prozess mit den herzzerreißenden Zeugenaussagen der wenigen Überlebenden aus seiner Heimatstadt konfrontiert. Sein ungerührter Kommentar später war:  “Eine kommunistische Verschwörung gegen mich. Ihnen war ich ausgeliefert. Sie machten mich fertig.”
Viele der Täter von damals  - diese Geschichte ist tausendfach erzählt worden – sind nach dem Ende der Nazizeit unauffällig  in bürgerliche Existenzen zurückgeschlüpft. Capesius hatte bald wieder eine Apotheke in Göppingen, dazu  einen Kosmetikladen in Reutlingen und lebte – so Schlesak  – in geradezu protziger Umgebung. Woher kam das Geld? Überlebende Häftlinge berichteten im Prozess von seinen Beutezügen: Er  durchsuchte die Koffer der Ermordeten, fand versteckte Juwelen in Salbendöschen und Zahnpastatuben. Er hortete Goldzähne, die den Toten aus dem Munde gerissen worden waren – und setzte sich  aus Auschwitz vor der Befreiung durch die Rote Armee vermutlich mit diesem zusammengestohlenen Vermögen ab.   So profitierte also auch die Wirtschaftswunderzeit von Auschwitz. 
Während die Täter  mit ihrem notorisch guten Gewissen wieder in die Rolle der Biedermänner schlüpften, haben die Opfer Auschwitz nie verlassen.  “Der Entkommene entkommt nicht. Auch das Opfer wird nicht verschont”, schreibt  Schlesak und  schildert seine Begegnung mit Baila, einer Überlebenden aus Schäßstadt, die nicht weiss, warum sie überlebt hat, denn ihre beiden Kinder wurden  von der Rampe direkt ins Gas geschickt.  Und sie lebt mit einem Schmerz, der nicht heilen kann, nämlich mit dem Wissen, dass ihre Kinder vor dem Tod nach der Mama geschrieen haben und die Mama nicht da war.
Warum geht gerade dieses Buch so nahe? Das liegt auch an der besonderen Begabung  Dieter Schlesaks, in dieser hopchkomplizierten Collage nie den roten Faden zu verlieren. Er hat eben nicht nur die Geschichte der Schäßburger Juden und ihres Mörders geschrieben, sondern , wenn diese Wortwahl erlaubt ist, den grauenhaften Alltag von Auschwitz geschildert und die absolute Gefühlskälte der Täter.
 Alles was Schlesak erzählt, beruht   auf historischen Quellen und auf Interviews.  Entstanden ist dabei etwas ganz Eigenes: Kein Roman, kein Sachbuch, keine Dokumentation, stattdessen vielleicht eine Essenz von Auschwitz  mit dem Facit: Es  gibt keine Gerechtigkeit. Die Täter schliefen gut, die Opfer aber haben auch nach ihrer Befreiung  Auschwitz nicht verlassen.
Redaktion:  Uwe Kossack
Sendung:   Dienstag, 30. Januar 2007,  10.55 Uhr, SWR 2








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