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Donnerstag, 19. Mai 2011

Dieter Schlesak, REISEFIEBER UND ABSCHIED

ALLE WEGE FÜHREN NACH ROM.




Absenz, die sich zeigt: ein Zeit- und Trümmerfeld. Null-Lage. Summe von Unmöglichkeiten. VIELLEICHT geht der neue große Riss auch heute mitten durch jene, die schreiben. Alle Illusionen sind gefallen: Das schmerzliche Zerfallsprodukt Subjekt allein ist inmitten und zeitgerecht:
Viel Polizei, Angst vor den Brigatte rosse. Der einzige Freiraum der Raum der früheren Massaker: Colosseum, Forum Romanum. In einer Kneipe dahinter bei Frascati Gespräche mit L. über meine erste Ankunft in Deutschland. Die Abfahrten aber nehmen nicht ab. Leben: Zwischen Abfahrt und Ankunft? Überall in den Oleanderbüschen die Liebespaare. Abends aber der Philoktet von Sophokles, Glauco Mauro in der Hauptrolle im Teatro Argentina Leute in Alltagskleidung im Prachtheater. Schreibe noch nachts in den Thermen des Caracalla bei Vollmond:




Die Liebe stirbt, sobald die Götter fliehen.
Hölderlin

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Rom. Villa Massimo.
Innenstadt

Was nützt es mir, wenn ich so wiederkäm
in mir Bewusstsein, das zum Beispiel in der Innenstadt
Zersplittert wird durch die Signale rot und grün
Und Hupen/ Sausen, das mir in den Ohren klingt
Und doch nicht klingt, nur dumpf verhallt
Wie mir das Fremdwort und Begriffe noch im Gedicht
Die Innenwelt verschmutzen.

__________
Wie find ich in dem Hauch von Evidenz
Im Abgas und Erschütterung, das die alten Mauern grüßt
Und innen baut wie all die Reden, die dazu gehören,
Mich selbst.

Bin ich ein Asphaltliterat?/ Wir alle schreiben:
Lyrik des mickrigen Bewusstseins – völlig zeitgemäß.

Das Triviale, Profane des Verkehrs
Illustrierte - Bildzeitung
Lässt uns entleert als Reflex –
Nervenbündel liegen.

*
Das „allgemeine Idiom“(Yeats) lernte ich zuhause
Das so weit, so weg liegt, fast wie mein Ursprung, den ich
Morgens beim Rasieren sehn kann. Dabei denke
Ich (während die Klinge an der noch pochenden
Halsschlagader den Bart schabt, der nie ganz ab ist, um
Mein fliehendes Kinn zu verstecken) an den Tower im Schlaf
In den Eingehen die Flughäfen meines Abhebens von mir selbst
Wie jüngst Verstorbene und der nur halb erinnerte
Turm des Traums so zwischen vier und fünf Uhr
Früh/ der 5. Schlafphase, da dauern sie bis zu einer halben Stunde.

*
Die gemäße Sprache, die auch meine Mutter spricht
Wird versteckt und verschlüsselt
Die Klaviatur überzogen mit schallend genauen Begriffen
(Von wo?) Umgänglich nur in der uns geläufigen Umgangsspra-che

Wiederaufnahme alter Visionen (zum Beispiel Susos)
Wie gute Filme, die uns rühren
In einer alten Cinemathek, freilich mit Kleiderablage, falls wir ins Schwitzen kommen vor Begeisterung. Nacktsein mit Partne-rin.
*
(Ich hör eine alte Kosaken-Weise von zu Hause. Da kamen wir aus/ Fast ganz ohne Erinnerung. Hier scheint alles wie längst vergangen.)


_______________

Feierabend des italienischen Arbeiters

Wenn Ich Aufschreibend kommt er
Durchs Fenster den Cinquecento Fiat zu sich, der Angst ist
Höre: mein Hören ist er! Gezähmt. Denn Zu-
Hören ist umsonst.


Aufstehn dann vom Tisch, um meine
Wahnvorstellung mit den Augen
Zu prüfen: inzwischen fährt er ein
In die Blech Garage.

Ein blinder Schreiber wäre Figur und Fiat ver-nehmen zugleich
vielleicht besser Die Ähnlichkeit ist frappierend.

Heut aber denk ich an Verhöre
In ihren Kosmos zu stürzen
In dem Sukzession gilt.

Sympathie, das Werden als List der Figur/ wechselseitig be-leuchtet zwar markant freilich. Aber der Zusammenhang ist glo-bal.


Im Versraum zwar nur die Ähnlichkeit
Der Einfall aber kam von wo anders her
Die Metapher bevor sie einfährt
Ins Blech/ kommt aus/ ohne jedwelches Bild.

Das Erschrecken,
dass das Auto einfährt
und still steht. Nachdem es so gerade eben noch
auf dem Weg war.

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Untröstlich sitzt der Zweifler wie ein Dickhäuter
Auf dem zerschlagenen Porzellan und Glas
Seines Lebens: schneidet sich tief/ ins eigne Fleisch/ Betäubt den Schmerz
Durch Ausverkauf:
Redet sich ein, dass dies
Die Welt sei.




Christ als Mercurius/ strömt den Rücken hinauf: aufrecht
Bis in die Krone/ Entschüsselte Chance der Erweckung/
Im Ashram von Verona/ Hochfliegendes Es
Fiktive Liebesbriefe An Julia/ wie
eine Sophie/ Zärtlichkeit strahlt er herüber
Im Traubenkern/ am Rande
der Stadt: eine leere geistliche Mitte.

Wie Marginalien saust alles ein: Kreis (Dharmachakra)
Die Hand leicht wie Wasser, das strömt.
Vorn ein Gesang, der mit zitterndem Sprung
Wie ein feines Glas springt und ans Herz greift.

Etwas noch Ungeschehenes, das alles erweitert,
Öffnet den Raum. Als wäre ein großer Hammer
Für immer auf ein Kissen gelegt.

Die Tür öffnet sich und es tritt ein
Schwingt ein Hangtsa den Atem
Gibt ihn nach innen dem neuentdeckten
Augenblick ein.





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MEERE. KORSIKA

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SHELLEYS SINKENDES
Segelboot auf dem Weg nach Livorno;
das englische Fernweh jedoch dazu:
weit bis in die Kolonien,
kam hier schöner zu Wort (und das Meer war rein)
als der Dichter
ersoff in allzuviel
Ewigkeit (das waren noch Zeiten!)

(„Was ist die Lust der Welt?
Blitz, der die Nacht erhellt,
Zuckt und zerfällt.“
„What is this world´s delight?
Lightning that mocks the night,
Brief even as bright.“)
Nicht nur das Gras
auch die Gründe dieser Strandgut Landschaft
und dahinter
du,
müssen auseinander geschrieben werden von Herztautologen
mit allen Differenzen.
Vorläufig (das Warten auf Revolution hat sich längst
überholt in der Endgültigkeit eines
überholten Zustandes)
mach eine Querflöte aus meinem rechten Ellenbogen
(und die Finger der Faust spar dir auf: denn -
das neue Paradigma ist alt und noch immer
unsichtbar.)
Versuche durch Reisen Abstand zu gewinnen -
Arrangements der Reisebüros?
Nur noch Flug
über uns hinweg per TAROM, LUFTHANSA
ALITALIA - Vaterländer mit Hochgefühlen
und Schwindel der Entfernungsmesser?
Ich habe zurückgefragt. Der Rest ist Ironie.
Am Strand gab´s noch einen
der warf die Angst
bei tuckerndem Motor ins Wasser - und
auch mein Auge und Ohr standen beim
Schlag ins Wasser ihm bei;
ich aber schwor mir, so zu leben, wie ich schreibend
Sein kann, mich dagegen zu wehren:

„Aber in den Zeiträumen zwischen den Inspirationen ... wird der Dichter zu einem Menschen und ist der plötzlichen Rückflut der Einflüsse preisgegeben, unter denen andere immer leben“ (Shelley, Verteidigung der Poesie): preisgegeben also - dem Downer¬programm.
Kurz danach nämlich sind wir inaktiv
wieder allein,
die Sekunden vergehen wie Lichtblitze
rasend schnell auch in den schmalen Fensterschlitzen
eines angeblich schützenden alten Hauses, -
der Kirche
SANTA FELICITÀ
So versuche ich hier
vermessen
zu sein - Geschichten
einzurollen,
sonst dauert es zu lang -
Millionen Jahre
und ab jetzt ohne Liebe: immer länger!

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Trotz. Nicht da sein zu wollen. Ich weiß, der Mensch ist ein Alptraum der Natur./ Tiefer Schacht/ Dumpfheit/ unrein/ als ge-höre alles dir/ und müsse dir gehorchen/. Und wenn das nicht gelingt: - die Wut./ Der Mast klappert/ schon schreist du auf/ verletztes Tier./ und doch ist es Revolte/ die mich treibt. Das Einbezogensein in dieses Tier der Menschenwelt/ nichts als Motoren/ Gummiboote/ Anker/ mal kurz/ mal länger/ eingegraben im Hirn.
Das Selbstgemachte:/ bös vom Daimon genommen./ Kein „Pri-mitiver“ nahm von der Natur für sich/ ohne Dank/ und ohne et-was zurückzugeben!/ Wir aber geben ihr zurück/ den Dreck/ und Ausschuss, der wir selber sind./
So spürt ihr nie/ dass ich genau so alt bin/ wie diese Zeit/ zu ge-hen.

*
Man bedenke/ wie sich Zeichen durch mich setzen/ und wieder ist es die Festung von Calvi/ also Jetzt/ im Schnittpunkt meines Blickes/ die Hafen Mole/ einwärts gekehrt/ so im Treffen der zwei schäumenden Spuren eines Beibootes/ die sprechen durch mich hier:/ Gleichnisse/ sind gemeinsame Herzschläge.

*
Was ich noch zurückgeben kann?/ Ihr der Bestohlenen/ - Sprachopfer/ offen/ und meine Zeit/ hineingebuttert/ wieder zusammen/ bewegt/ Heimat Zeitopfer/ kein Leben mehr, doch ein Leben/ mit Ihm.
Mich selbst aufgeben/ in „Felsen-Höhlen“/ so aufgezeichnet/ in dem/ was ich mit Platon betrete/ an diesem „Ort“/ gebe ich mich und nehm mich zurück.

Ein Stahlboot aus Nizza/ ein Bärtiger/ kann nicht ankern./ Ge-stern trafen wir ihn auf der alten Mole/ angediente Seeleute sa-ßen auf der verrosteten Treppe von Ille Rousse/ und drehten sinnlos Garn in den Händen/ einer schönen Blonden wird vom Bärtigen die Hand gereicht/ aufs Trockne/ aus einem Gummi-boot gehoben…

*
Und wir lagen ineinander wie eine Eins/ nachts immer der glei-che Rhythmus/ vom Meer trug er sich zu/ die heißen Körper sanft und fruchtig./ Und ich legte dir einen Pflanzer/ wie einen langen dreiteiligen Blütenstengel/ zu deinem faltiges Ding/ zu einem Kind/ zusammen.


*
Der Baum oder der Fisch sitzt unter meinem Bootsschatten/ im Grün/ wundert sich nicht, dass ich ihn Fisch nenne. Ich erreiche ihn nur/ wenn ich ihn/ berühre- und er gleitet glitschig mir aus der Hand/. ein „Fisch“/ genau so schnell und nicht fassbar/ wie das „Leben“.

Warum mich die Toten Dinge/ zur Wut reizen/ Ekel nur/ im Machbaren/ das mir entgegensteht. All-Zeit Verlust

*
Der Preis des Erzählers/ es fängt auf der Zeile an/ ist hier die Dauer/ und zählt die Kürze/ fahl ein Leben träumend ab.

*
In der Nachfolge Scheherezades/ solange du nicht aufhörst / bleibt dir der Kopf.

Was er von Anfang an war/ wartet auf ihn/ die Reinigung/ im Tod/ Schlaf im zeittiefen Mineral.
die Turm-Uhr Calvis schlägt. / Nichts gilt als jeder Verlust/ der Trübung/ durch mich/ Name/ Adresse/ Beruf./ Und ein Warten auf den noch größeren Namen. /Der heisst: Bekanntheitsgrad.

*
Zur Probe/ dass du wagen kannst/ warfst du den Kunststoffbe-cher mit Marinezeichen (blau) ins Meer/ ein später Taucher zog in seiner roten Maske/ unter Wasser wie ein großer Fisch vorbei.
Die Nachricht kam von unserem Rechtsanwalt:/ der Hafen-kommandant d`Orca von Marciana Marina, wo uns eine Fran-zose am 22. Juli 2008 gerammt hatte/ gebrochene Hand, kaput-tes Boot,/ d´Orca wird von der französischen Versicherung ma-fiotisch bestochen/: in seinem Bericht an den Admiral von Li-vorno, schreibt er: es ist nichts geschehen, keiner ist verantwortlich, alles war „höhere Gewalt“! /Dass nun die Commisione in Livorno „inchiesta formale“/, diesem d´Orca Recht gegeben hat, schützt ihn/ und seine Behörde! Der Westen ist der große GeldSchein.

*
Was war so fahl/ als ich Novize im Okzident
Ankam/ Brot schmeckte nach Pappe
Die Leute saßen hinter Glas/ Auto- und Telefonkabinen/ die
Dörfer zu neu/ und in keiner Mauer Deutschlands
Gab es die Dichte/ Nie mehr als vierzig Jahre ZEIT
Sogar der Rhein schien plötzlich neu gemacht (zum
Verschwinden). /Unser heutiger Fluss nur/ sein Wasser kaum noch zu erkennen/ die Wälder durchkreuzt von sauberen
Leehrwegen und Sonntagsspaziergängern/ die Berge
Bebaut mit/ Einfamilienhäusern/ kein Stein
Strahlt/ alles ohne Aura und Überraschung/ das Fremde nur
Neu/ Nichts zu entdecken!/ die Jahrhunderte verschwunden
Wie die Ewigkeit/ Schutt in den Städten
Von Bomben/ was Deutschland war/ unauffindbar/ zerstört.

Wo finden wir es noch/ in alten Büchern und Fotos
In den Herzen der Alten und Toten./ Niemand mehr weiß
Was Deutschland / ein anderes Deutsch/ zu sagen wusste.
Mein Geheimnis und Rätsel Deutschland gab es/ als ich
es noch nicht kannte.

*
Und jetzt Italien/ Elba. Und dann Corsika.
Herzstottern und große Fürze einer Boening
Stören den Wind/ um Calvi/ und das
Blaue Riesenauge/ opal/ Möwen Züge
Ein Fischschwarm schwarzgebändert/ hören
Ihm nicht zu./ Sein Donnern ist viel zu jung
Unwirklich und kaum zu erkennen/ wie
ein Geist/ der fertiggemacht/ noch alles
Unter sich/ stinkend begräbt.

*
Schnellebig, das geht so fahl dahin
Megalith aber ist dicht/ schwer/ die Zeit
Pocht darin/ so rasend steht die Uhr/ ein
Menihr/ auf dem Feld/ vermessen in Filitosa
Hochschwebt er/ ohne Schwerkraft
Meinen Gedanken zu.

*
Und lese es noch/ bei Cioran nach/ in den Briefen an Kraus.
Beide längst Tote
.
Aber Kaurimuscheln wurden in Korsika/ früher
Den Toten auf das Geschlecht gelegt/ Köpfe in
Palästen und Felsengräbern/ mit Gips
das fehlende Fleisch ersetzt/ Gesichter und die
Augen weiße Muschelschlitze/ sahen zu/ das Licht
Nach sechstausend Jahren wieder erkannten
Freilich die Archäologen nicht.
*
Auch hier Erkenntnis ohne Liebe
Elysium/ minus/ oder Wissenschaft/ wie Ulyss´
Untergang in Dantes/ Hölle.

*
Gratia actualis/ gratia sanctificans
Weder Zeitung/ noch Unterseeboot/ ein Segel
Nur noch nature als Dreieck t/ oder Lambda
Des Pythagoras/ und die Nackte auf dem Deck
Des Holzbootes/ hebt das schöne Gestirn beim Ankern
Ein Dreieck/ die verdeckte Seite/ Lust leuchtet
Flimmernd über die Bläue/ Frische des Sommers.
Darüber die Festung von Calvi/ Fremdenlegion
Unweit Napoleons Ajaccio/ der einst Europa zerstörte
Und neu auf/ baute. Stalin und Hitler nach ihm Nichts
Als Zerstörung. Wir immer noch hier. / Und mit dem Fern-
Glas seh ich verstohlen hinüber/ zu erkunden wo/ ihr
Seegras wuchert./ Und es atmet immer noch
Schneller in mir. Urgrund der Macht? Sinn der Eroberung?
Das hat weder Zeit/ noch zeugt ES: SIE: alles nur Delta t.

Pythagoras sah es als Klang. Die vordere Seite als Saite.
Nein, als Zweiklang. A= Anfang der Schöpfung / und die
Gestaltbildung der/ Geschöpfe. (Siehe auch Kayser, 193)
Zahl des Raumes: Alpha: A   (Alpha= 1; Delta=4; Lambda=
A= 3 Striche-Anfang der Zahl des Raumes als Tonleiter: Dreik-lang.

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Calvi, 14. Juli 1985.
Wie „zufällig“ bin ich in Calvi/ die Zitadelle
spiegelt sich im Wasser des Golfes, in dem ich „liege“
Nahe am englischen Katamaran „Two Companys und
dem Eisenboot „Lys“ aus Nizza./ Vogelschreie und Autogeräu-sche von Land. Es ist sechs Uhr früh. Letzte Straßenlichter ver-löschen/ nicht mal zweihundert Jahre ist es her seit der Erstür-mung der Bastille./ und außer dieser Zeile
weiß niemand/ wie es weitergeht./ Wir
Aber haben es gut/ wie Millionäre, sagt Linde./ Gestern
In der Taverne Du Port/ ein tagebuchschreibendes
einsames Mädchen/ sah herüber zum Fremdenlegionär
mit dem geschorenen Kopf/ was verteidigt er/ und das
Tagebuch? A   .
Eine Ankerkette rasselt/ eine Yacht zischt ab/ Spiegelglatt/ in die Sonne ein Zipfel rotglühend hinter den korsischen Bergen/ Feuerball/ blendet am Anfang noch nicht/ und du darfst in sie reinschaun 6h12./ In meinen Augen enstehen Ringe/ Wie zarte Heiligenkronen/ der beginnenden Blindheit/ blutrot wird der Golf/ a-d-m- Adam, adm.

Nachts dieser Traum/ gegenüber darin ein balkonartiger Aufbau voller Menschen/ Detonationen.
In der Luft/ Bombardements/ das Haus neigt sich langsam/ stürzt ein./ Dann kam unseres dran/ doch ich sah hinter ihm den Feuerpilz/ lief und lief/ drückte mein Gesicht in die Erde/ Augen geschlossen./ Wie viele Schwalben schnitten gestern um die Zitadelle/ die Luft/ Zeichen/ nun hat die Sonne eine blendende Korona/ ich lief und lief/ in mir ein Zerren/ Hitze/ mein verschmierter Bart/ Wangen/ Nase und Augen/ die Stirn mit dem ursprünglichen rötlichen Ton/ von unserer neuen Sonne gebacken.

*
Aber was klingt da/ im 19. Psalm/ qâw ist Klingen/ Messschnur/ vermisst die „unhörbare Stimme“/ die Saite Eins “Werk seiner Hände“/ ein Tag, der sagt es den andern/ es reißt nie ab/ dies Gesetz

Ein doppeltes Tönen im Dreieck/ das Wasser schlägt an die Bordwand/ wir alle im Schiff/ der Herzschlag macht so den Qânon sehr nahe mit/ was er erzählt/ erzählt er in Intervallen/ hörst du Distanz jetzt/ tritt aus der Luke/ sieh den Golf wie er im Glanz des Lichtes ist/ allem Sein Auge/ das schwingt. -
Und es ist Sonntag/ von der Stadt her die Glocken/ in der Kirche eingesperrt/ sitzen sie.

*
Was aber der Welten- oder Lebens-Baum/ ist von dem wir gefallen/ weiter weg als jeder Apfel/ auch in zwei Hälften geschnitten wir Nichts/ bei Adam und Eva/ schönes Märchen.

Es schlägt wieder die Turm-Uhr. Und ein Surren/ alles geht ja zu weit/ ins unzählige Blau/ so brummt das Privatfluzeug auch am Himmel/ neuer der Abfall…?/ Gesetz der Wiedervergeltung/ diese Inflation vermehrt wird/ bis wir ersticken im Missklang des Neuesten/ ins Unendliche die Teilung/ die immer kleinere Weite ( Delta t) …

Wund in uns verborgen/ immer noch das größte Geheimnis/ als er verschwand/ trennten wir unsere Kraft/ und wurden Mann und Frau?
*

Lesen im Tagebuch von 1984/ 12.9. Portovenere/ Ligurien: Ein Hörbild zu schreiben/ Auch die Odyssee spricht von Musik und von der Zauberin Kirke. Nachlesen und aufnehmen? S. 51-. Ge-dichte nach Montale 56/57./ Juniabschied 63./ Die Tagebuch-form geschichtet und in Schnitten.
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20.7. 85.
Morgen Ajaccio. Noch Ausflug zu Robinsons Badebucht mit Kühen, einsames Haus.

21.7. Sonntag. gestern völlig falsche Entspannung. Dann M. Durras: La m…. de la Mort gelesen.

Diese letzte Entspannung/ heißt es doch das letzte Aufleuchten, eine Frau im Bett. Suchst sie aus, Zählst gar. Das Meer, sie, ist schwarz. Der Tod hat gebrannt. Müde die Augenlider.

Geliebt und getrunken. Mit einem livornesischen Lampenhers-teller Nachbarboot. Der Livorneser sieht maurisch aus.
Unlust der Müdigkeit.
Zu keinen Verbindungen mehr fähig.


22.-25. Juli.
Reise über Ajaccio und Porto Pollo nach Bonifacio. Von dort über Lavezzi, Cavallo in den Golfo dela Manza. Gestern gegen 13h angekommen. Dann nach Rondinara gesegelt. Der erste richtige Ferientag, entspannt trotz der gefährlichen Ecke.

26. Juli
Rondinara. Das langsame Wiedererkennen. Hier ist die Schrift nicht mehr nötig, um das Leben zu rechtfertigen, sie ist auch so zu sehen, die größere Schrift, die dort am schwarzen Felsen steht, an nackten Frauenkörpern, dem blaugrünen Kristallwasser/ Aale im kleinen Stagno/ Aale, der an der Angel hängt. Die Schrift: sich leben lassen/ ohne Anstrengung sein/ getragen (von Wem?). Manchmal nur zuckt mir der leise Schmerz auf, der Riss wird wieder spürbar, die Angst klingt/ ab, die mir di Kehle zusammenschnürt, atemlos, die Zeit mehr als halbiert, jetzt ist sie vereinfacht in der gestern völlig falschen Entspannung. In einer Bewusstlosigkeit strömt die Welt ein. Tiere um mich, Bergkuppen.

*
Beim Lesen von Ciorans Lacrimi ṣi sfinţi. Diese Unfähigkeit, dem Augenblick zu begegnen, ist die Folge der Dauerexstase durch Schreiben, eine Droge, ein Gottersatz, aus zweiter Hand, was die Heiligen aus erster Hand hatten, das Leben entschwindet vor einer anderen Größe, die die Sammlung ist, und uns absent sein lässt, was Genuss genannt wird, Sinnesfreude wird vertrieben. Askese also als Exstase?

Dieses Bedauern: Überzeugung und Gefühl, einen kleinen schwarzen Käfer im Moor gefangen, wo zehn schwarze Kühe mir zusahen, er war in eine Lehmkugel eingepackt/ er hatte sich tot gestellt. Ich wollte ihn als Köder beim Fischen verwenden. Als hätte ich plötzlich alles verloren, was mich vom großen Mordtier Mensch unterscheidet. Und dann spießte ich ihn auch noch auf eine Angel, sah, dass er transparente zarte Flügel hatte.
Dieses unbewusste Leben ist keine außerhalb stehende Anstrengung mehr, verführt, darin zu versinken. Wenn ich den Punkt außerhalb dabei hätte, wäre es Meditation.

Erinnere mich, noch vor einem Jahr in der Buch St. Cyprienne, die Hoffnung auf Liebe… Als hätte ich es aufgegeben, danach zu suchen in diesem Jahr. Je kleiner die Erwartung, umso kleiner auch der Zustand des Krankseins, als wäre alles aus. Früher meinte man, das Alter beginne oder man sei von allen guten Geistern verlassen, wenn diese Resignation eintritt.
Lese: Über die Ermordung der zwei Millionen Armenier 1915 durch die Türken..

26./ 27. Juli 1985 Rondinara.
Das Syrinx-Ufer von Jean-Pierre, dem Malerfreund und Noch-Frasquita-Besitzer. Dort habe ich die Figuren seines Zyklus wiedererkannt. Die Steinfiguren: Ein Eselskönig.. Neben ihm ein Mottenwesen als Frau./ Ein Mondskalb in der Spalte. Bode. Bode.
Ob die Rätsel nahe kommen./ Wieder bei der Masse des Ur-laubsproletariats. Camper überall. Und das Meer verwickelt sich in Plastik. Fast ist es manchmal wie in der Tüte klein gemacht.

Nachts Träume. Dass der Papst, in Weiss gewickelt/ wie ein Säugling/ starb. Ich hielt ihn in meinen Armen. Rettete ihn.

*
Dann Beitritt zu einer Räuberbande. Die gestohlenen Trauben und Äpfel räumte ich auf einen kalten Sack. Ich wusste nicht, wie ich aufräumen sollte und hatte Angst.

Unangenehme Brandung/ wir sagen „rissacca“. Kein Schlaf./ Folge des Ostwindes. Aus dem Radio dann morgens, mittags und abends/ die Nachrichten von „draußen“. Im „Spiegel“ ein ganzer Titel über Reagens Krebserkrankung./ Geht er?

Diffus und abstrakt/ diese Botschaften. Als kämen sie von einem verrückt gewordenen fernen Planeten/ doch was ist wirklich/ dieser ferne Sand morgens, das Geträumte – oder das Gekräusel der Wellen. Um vier Uhr der Sternhimmel/ im Norden die Cassiopeia/ ganz hell und groß auch der Hund/ wie auf meiner Sternkarte/ als wäre noch etwas da von der gewesenen Menschheitsfrühe/ und meine Kindheit Jetzt.







HERKUNFT GRIECHENLAND








Dann standen wir oben auf dem Berg
Kalabriens und sahen hinüber
Richtung Catania. Wie ein altes Märchen
ließ uns Sizilien das neurotische Herz
wieder höher schlagen.

Auf der Autostrada del Sole
kurz nach der Überfahrt (Ulyss hatte auf dem Wasserso komisch ge-lacht) kam es bei Messina zum Autounfall (ohne jede Schrecksekunde)
Scylla und Carybdis



Porticello/ bei Palermo
Gänsehaut. Fieber vom Scirocco. Gerüche in der Nacht dazu: Jasmin, Orangen. Endlich das Hotel. Im Fernsehraum ist es wieder furchtbar laut. Überhaupt dröhnt es hier stärker in den Ohren als in Frankfurt oder Köln. Autos, Motorräder, Lautsprecher, Fernseher. Das Geschrei, die lauten Stimmen der Leute. Alles auch viel brutaler, greller: der kleine Liftboy, Hotelsklave ist erst zehn, und arbeitet zwölf Stunden am Tag; niemanden stört das. Er klopft schon 6h20 , fragt , ob wir Kaffe wollen. Und es ist doch heimaltlich, Balkanerinnerungen, die Walachei. Marcello erzählt, wie er in der Schweiz gezwungen wurde, anders zu reagieren als hier, z.B. leiser zu sprechen, seine Freude we-niger stürmisch und herzlich zu äußern!
Heute und gestern waren wir vom Scirocco so dumpf, dass wir fast nichts von der Landschaft wahrnahmen. Außer in Messina und Umge-bung, wo die üppige Vegetation ins Auge stach. Ja, und wir waren ja unserer Sehnsucht nachgefahren, anders zu sehen als gewohnt. Lernen Ptolemaeus zu vergessen, zu sehn, was wir wissen, dass nicht die Sonne, sondern die Erde täglich untergeht. Doch die Kleider kleben uns fiebrig am Leib. Fieberträume Realität. In der Ferne sind die Lipa-rischen Inseln zu sehen, wie eine Verheißung, en Horizont erreichst du nie... (17. Mai)



SPÄTER GELA/ Sizilien
Aeschylos starb hier wie eine Halluzination
Sein Leben/ Occident, ein verschrobenes Irren Land, Gott es ist wahr,
Aeschylos starb hier, weil sein Kahlkopf einen Adler blendete,
der flog, welch ein tragischer Zufall gerade Jetzt
über ihn, den Erfinder des Trauerspiels kopfwärts
hinweg/ das Herz war von oben ja nie zu sehen
nur der blendende Kopf;: ach, der geblendete Adler oben
warf die Schildkröte (auf der ja bekanntlich die Welt ruht)wie einen ein goßen Stein vom Himmel also brachteden Kahlkopf um, er uns immer noch blendet:
Und du sagst, es gäbe kein Leben nach dem Tod?


Und dann Palermo, Siculina Marina, Agrigent und Empedokles, Palma und die Riviera des Ghattopardo mit der Donna Fugata, Caltanisetta, Piazza Armerina, Ragusa mit dem gewaltigen Canon. Noto. Syrakus mit der Grasblüte des Papyrus. Archimedes in Erinnerung. Und am 1. Juni „Medea“ im Griechischen Theater. Exil und Schrecken der Liebe: (Das furchtbarste in der Welt ist das Vaterland zu verlieren!) – Dann Catania. Aci Trezza (La terra trema!) Der Ätna und die Todesgefühle in der brennenden Steinwüste. Taormina. Tropea. Ach, Sizilien, in Eraclea Minoa, seltsamster Hafen des Mittelmeeres, entstand Sizilien: eine Handvoll Kreter kamen da an Land, zerrten die Insel so ins grelle Licht der Geschichte.
Und passend zur Logik des Occidents oder ists schon die Levante: Ein Kreter sagt, alle Kreter lügen, also lügt er auch, also sagen alle Kreter die Wahrheit: wo begann unsere Paranoia, hier? Oder langher im Minoischen Labyrinth?
Und dann wieder der Stiefel: Tarent. Brindisi: Der Tod des Vergil (Broch). Die Überfahrt. (8. Juni)


Patras. Korinth. Fahrt durch den engen Isthmus. Die harzige Luft. Das Meer blauer, die Luft flimmernder. Die Landschft karger. Wie ein Traum, kann kaum erwachen. An Eleusis vorbei. Ist das mögliche, da vorbeizufahren? Piräus. Einschiffung nach Kreta mit der „Minos“. Ach. Von der Souda Bucht nach Agios Nikolaos. Sitia. Dann zurück nach Kritsa. Und zur Dike-Höhle. Malia. Und Knossos.

Es begann in der Kindheit: als Kind war ich ein Einzelgänger, immer allein, und alle Zimmer des Hause waren von den Eltern, von den Großeltern, von den Geschwistern besetzt, in der Diele aß man, im Vorzimmer war immer große Bewegung, so richtete ich mich meist zwischen den Zimmern, auf der Schwelle ein. Also immer auf Über-gängen kam es mir vor, dass ich nach „ Hause“ kam, mich wohl fühl-te, an Orten, den die anderen kaum beachteten, der für sie gar nicht existierte, leer war, übersehen wurde; da ging man schnell darüber hinweg, um in einem Zimmer und damit wirklich in einem Raum zu sein. So ein Zwischenraum des Übergangs, eine Art Fluchtort und Vorläufigkeit ist aber auch ein Flug, ist jede Reise.





TURIN



17. Mai 2010 wieder „zuhause“. Anstatt schreiben und so „leben“, Haus, Garten, Boote, Kleidung, Fressen. In Turin sah ich aber, wohin ich gehöre, was mein Leben wäre.

Turin/ du saubere Königstadt/ mit dem wunderbaren Platz/ / Weiter, weiter ins Turinische/ auch Nietzsche, der hier, genau in dieser Straße wahnsinnig wurde/ aus Mitleid mit dem Droschkengaul. Ihn Umarmte, dann nicht mehr da war./ Pegasus/ wer ist Pegasus?/ Gefährliche Krankheit Poesie. Aber daran denken/ dass auch der fiktive Christus// hier im Dom weilt/ als Röntgenbild. Die Stadt vibriert in ihrer schönsten Form der Palazzi/ alles ist Kunst. Bücher und Bilder. Sogar der Bahnhof ist ein Gotischer Palast. Piazza S. Carlo./ Nietzsche aber nicht mit Ecce Poeta/ sondern mit Ecce Homo im Herbst hier. Seine Glücksstadt/ wo er sich wie zu Hause fühlte. Aber schon größenwahnsinnig/ Briefe an Bismarck. An den Kaiser schrieb. Leidet unter der Unbe-kanntheit. Und meint: „Warum ich ein Schicksal bin“. Und will sein Werk vom Wagnerverleger zurückkaufen./ Wahn schon im Zulauf: sieht König und die Königin in seinem Zimmer zu Besuch. Schmückt es. Die Familie Fino. Seine Vermieter berichten es. Am 27.Dezember 1888: Der Kutscher hatte das arme Pferd geschlagen. Auf der via Po/ er begleitet von Polizisten und einer kreischenden Menge, so sah man ihn. Und er schrieb dann Briefe an Freunde/ unterschrieben mit Nietzsche Caesar. Dionysos. Oder „Der Gekreuzigte“. Auch an Cosimo Wagner. Es sind die Wahnsinnszettel. Und auf der Straße:/ Ich bin Gott, ich habe mich so verkleidet, um mich den Menschen zu nähern. /Singt und tanzt nackt im Zimmer. Zerreisst Geldscheine. Dann ist Nietzsche/ ähnlich wie Hölderlin zehn Jahre ein lebender Toter./ Irrenanstalt Basel. In Jena bei Binswanger. Dann in Naumburg/ Weingarten 18. Hirntumor? Syphilis? Und dann die Werktragödie durch Elisabeth/ die Schwester in Naumburg/ mit ihrem uminterpretierten Nietzschearchiv./ Schließlich „Villa Silberblick. Weimar. Noch drei Jahre/ Nietzsche vorgeführt wie ein Zirkuspferd. Er brüllt oder schweigt. Er ist in Röken im Schatten einer Kirche begraben. Aber die Schwerster war sein Ruin: Wille zur Macht zur Hitlerei gut/ von ihr „gestiftet“.

Turin also. Und seltsam: Hier auch das Grabtuch. Und Nietzsches „Gott ist Tod.“ / Viel Volk. Alle wollen das Tuch sehen. Wir gehen durch den vorderen Eingang des Domes. Dem Altar zu./ Da ist es;/ Zweifel oder Glaube- längst ausgestanden. Der Zweifel ist wahr geworden. Kein Rätsel mehr. Denn das Tuch ist nicht echt. Es stammt aus dem 12. Jahrhundert./ Es heißt/ Lionardo habe diesen radiographischen Effekt auf Leinen erprobt. So das bärtige Gesicht eines älteren Mannes/ „schattenfoto¬grafiert“. Das sakrale Biolicht der Aura/ Körperaus¬strahlung/ Gotteshelle, sagen manche, sei es doch gewesen/ Christuslicht also/ Und war es sicher nicht. Doch wie schaffte Lionardo diesen Abdruck?/ Das Volk drängt sich, Gedankenblitz jetzt: ich sehe sie, Vater mit Sohn, Mutter mit Kind, alle mit leuchtenden Augen. Erhoben, meinen sie, sind sie HIER./ Schon in Viareggio. Der Bahnhof voll mit Menschen. Ganze Schulklassen. Es ist Samstag. Auch der Papst war schon hier. Schön dienlich das Grabtuch der Kirche. Da es alles so sichtbar macht, was eigentlich nur Legende ist. So tastbar. So nahe bringt es den nur geglaubten Christus. Der Christuskörper als Leintuchaufnahme ist DA!/ Für mich ist es anders:/ im Dom von Florenz/ Unter der Kuppel fühlte ich den Strahl. Hier aber lässt der Zweifelbeweis/ kein Rätseldenken mehr aufkommen,/ aufkommen ins Hinüber und als greifbare Transzendenz./ Ist es besser im Leben zu glauben? Da Nichts als bekannt/ angesehen werden kann: Täuschung der Augen?!



TURIN also im Februar 2011
Wie pack ich es an?/ Chronologisch/ chronokratisch/ indem ich den Zeitsinn einschalte, ihn ordne mit em Kopf/ oder Wahrheit folge, dem Diktat hier. Also Sprache. Wahrheit ist ihm Kopf nur halb versorgt.

Erregung/ ja, Lampenfieber fällt mir ein/ schon nachts am 5.April. Und es kann ein Probe sein, zu erinnern/ was in der Früh war. Bahnhof freilich in Viareggio: 11,h 17. Der Zug war pünktlich. /Les nochmals den Vortragstext/ lass mich ein/ und versuche stärker zu erinnern.
Dann Rapallo nach einer Stunde/ V. steigt ein.// Was ist noch von den Geistern da/ die V?

Auch im Hotel. /Halbsechs holt mich der Pressechef mit Taxi ab. Was sprach ich nur mit ihm?/ Ja aber die erfreulichen Erfolge/ das neue Buch./ Ich hatte es ja schon im Zimmer ausgepackt./ Und eins zu meinen Büchern in der Tasche.
Dann die Begegnung mit Claudio/ war etwas kühl. Und V dräng-te sich anmaßend/ auch noch vor./ Ich zu erregt im Vorraum/ um zu sprechen. Dreimal Espressso und das Aspirin/ hatt ich schon hinter mir./ Und musste dann auch noch auf dreimal Vortrag auf dem Podium/ am Schluss unendlich lang der Claudio/ fast wie verschüchtert warten. Ich hatte nicht mehr jene schöne Vollmundgkeit von früher. Gehört dies Kürzertreten auch zum Älterwerden. Zaghaftigkeit? Fast Angst? Als wäre es nicht mein Werk/ auf das ein Stolz berechtigt war.


Dann noch das Essen/ mit ziemlich viel Wein und Claudio Mag-ris./ Doch nur Gerede mit ihm/ kaum Kontakt/ erhoffte Freund-schaft. Ich weis nicht mehr/ was wir gesprochen haben. Es war also Verlust./ Nur Nicolazzini am andern Ende des Tisches/ winkte mir andauernd zu./ Ich weiß nur, dass der Magris/ an-dauernd abwinkte/ als ich in dann einlud nach New York/ und dann Sao Paolo./ Und auch Triest schien in den Wolken./ Dann so um zehn ins Hotel//Nur mit Caver jet noch etwas möglich/ Turin und ignoriert/ bis Mittags / bis Zwei am Bahnhof/ und Es-sen bis eine halbe Stunde vor der Abfahrt./ Was V erzählte/ hatte mein Interesse nicht. Und blieb mit dem Geschmack der Anmaßung. / Sie redete nur über ihre Minibücher/ die ohne jede Bedeutung sind,/ von meinen war nicht mehr die Rede. Als wäre sie der Autor/ nun ja bei ets soll unser Band LUCE erscheinen./ Ich finde ihr Geschreibe nur noch peinlich/ zusammen mit meiner Lyrik nun?

Um sieben dann die treue L. am Bahnhof/ ich, stürmisch von der schönen kleinen Dea begrüßt. Ich konnte viel erzählen und auch zeigen. Zuhause gings mit Sekt und Wein dann weiter. Bis Zwölf glaub ich. Den Film hab ich/ wie immer schon vergessen.
Und heute/ nichts als Schreiben fad wie immer./ Wahr ist, ich hatte Stress am Morgen/ und Angst vor meinem Alltag und dem Schreiben/ als sei die Reise wie ein Fest und eine Pause gewe-sen.





BRINDISI, OTRANTO, TARENT





11.April 2010. Flug Pisa-Brindisi.

Alles, um ihn zu erreichen: Unendlich detailliert. Der Wecker schrillt.
Angst, den Flug zu verspäten. Wie Immer.
3 Wecker. Schnellschnell. Dunkelheit. Noch. Kein Tag Das Auto über die gerundete Erde. Du merkst es nicht. Wie den Himmel nicht.
Letzt Frühsterne. Schaun von oben. Wir winzige Kreaturen.
Kaum erkannt. Nicht zu sehn. Bewegt. Das Herz schlägt.
Nur Autobahn. Parkhaus. Oh, welch Haus. Ich suchte ich sie.
Es bezahlt sich.
(Eins aber weiss ich nun/ nach sieben Jahren.
Zu Hause kann ich sein/ nur hier im Flug….)

Das war vor fast 5o Jahren. Und nun:Von der Praxis erwürgt.
Und bürokratischen Ängsten auch.
Ob der Ausweis übereinstimmt/ mit der Bordkarte.
Dann das Gepäck/ mehr als 10 Kilo an Büchern?/ Die können
Nicht fliegen?

Angstphantasien würgen. Ist es das Alter?
Dann die Flug-Kontrolle:
Darf ich das flüssige Meditonsin mitnehmen? Oder
Denken die an Sprengstoff. Ich also ein Kamikaze, so spät?

Doch ist nicht auch jetzt der würgende Stress da/
Ruhig sitzend hier
Auf der Zeile. Der Tod jagt als Zeitnot hinter mir/
Vor mir? Her?

Und dann am 11. Acht Uhr früh: die Flug Angst im Sitz.
Ich sehe nochmals durchs Fenster. Die Erde unter dem Flügel.
Umgebende Pisaner Berge. Felder . Mein letzter Blick?
Vorgestern ist Kashisinki, der polnische Präsident/ abgestürzt.
Tot. Weg. So schnell? Stürzte im Flug nach Smolensk ab. Um
Katyn zu gedenken. Der erschossenen polnischen Offizieren.
Er nun selbst ein Held? Zusammen mit ihnen genannt- unsterblich?
Der Kleine vom Himmel gefallen. Katyn schon als Kind gehört.
Verbrechen der „Bolschewiken“ Ja.. Als hätten wir damals nicht
Auch unser Auschwitz gehabt.

Brindisi. Brundisium. Wir jetzt hier/ im römischen Hafen?
Brochs Weltroman: Tod des Virgil handelt hier. Brochs Todes-
Ängste in Alt-Aussee … Er von den Nazis verhaftet/ ergaben
Fieberträume des todkranken Virgil in Brundisium. Hier.
(Sic memorians, largo fletu simil ora rigabat.)
„Stahlblau und leicht, bewegt von einem leisen, kaum
merklichen Gegenwind, waren die Wellen des Adriatischen Meeres
dem kaiserlichen Geschwader entgegengeströmt…
Feierlich und groß das Zelt des Cäsars. Doch
auf dem unmittelbar hinterdrein folgenden Schiffe
befand sich der Dichter der Äneis, und das Zeichen
des Todes stand auf seine Stirne geschrieben.“

Wir so spät hier. Stiegen aus dem Flug Zeug. Unversehrt
Und duftenden Boden Apuliens unter den Füßen.
Das ist schön. Wartehalle und abgeholt werden:
Hier aber herrscht eine andere Zeit: der Süden kommt immer
Zu spät. Hält sich nur grollend an Uhren. Paolo kommt irgendwann.
Ein Auto, Nissan von ihm für uns angemietet. Er bleibt.
Wir fahren nach Lecce. Der heimlichen Hauptstadt. Berühmte
Barockstadt im Süden des Stiefels. Wir nun am Absatz.
Immer nervengetreten. Nerven der Zeit.

Doch Südsüd. Flüge und Wunder. Hier greifbar. Nicht nur
Der Padre Pio bei Foggio, der sich verdreifachen konnte:
Menschen sahen ihn an drei Orten gleich-zeitig. Hier flog
Der Priestermönch Giuseppe di Copertino dem Altar zu.
Der ihn mit Christus anzog wie ein heiliger Magnet.




Priester in Copertino. Dann verdächtigt. Kam nach Assisi
Wird auch als zweiter Franciscus bezeichnet. Weil er Tiere
Mochte. Sie ihn. Vor allem die Vögel. Flogen mit. In Kloster
Osmo zwischen Loreto und Ancona im Alter.
Dort starb er. 1663. Später Heilig gesprochen.
Als Kind schon „ekstatische Verzückungen“ und Levitationen.
Seine soll so gestrahlt haben, als würden dort viele Kerzen brennen.
Wundersame Heilungen Die berühmteste Levitation: ein Flug 60 Me-ter
hoch, um ein 10 Meter großes, Kreuz zu empfangen, das er
„wie einen Strohhalm“ zur Erde brachte. Viele Zeugen bestätigten
unter Eid die Levitationen; so die Prinzessin Maria von Savoyen
und König Johann II. Kasimir. Copertino ist Schutzpatron der Flieger.
Er konnte „unreine“ Menschen wie Hunde/ am Geruch erkennen.
Wasser in Wein verwandeln. Blinde sehend machen. Meeressturm be-ruhigen.
Und flog über die steinige Ebne. Doch auch in Neapel, Rom und Assis wie ein
Daedalos
Schwachsinnig und Analphabet störte der Verstand die Innenwelt
Und den Glauben. Nicht. Und so flog er, siebzig Protokolle beeidigen es.

Kein Wunder: Il Salentino, so begrüßt schon der Flughafen. In Lecce
der Dialekt: immer noch Byzantinisch-griechisch. Doch vor allem rö-misch.
Und als wir die Gassen mit den barock überladenen schönen Palästen und Kirchen
Am Dom ankamen/ setzten wir uns in diesem Winkel neben Dom und
Balkongasse in eine abgelegene Trattoria, die natürlich „Al Volo“
(Zum Flug) hieß/ Al pranzo, zum Mittagessen. Und gedachten des
Quintus Ennius (er lebte 200 Jahre vor Christi) und hat das erste
Kochbuch des Abendlandes Vom guten Essen geschrieben.
Das Essen war gut. Immer die Domwand fast greifbar vor uns.

Zwei Schritte zum Domplatz dann: Der Palazzo Adorno, Cellestino.
Unser Philosoph lieh/ den Namen von hier? Die Mutter Calvelli-Adorno korsisch-italienischer Herkunft. War er je hier gewesen? Palazzo des Generals in Kaiser Karl V Heer Gabriele Adorno. Schwebend, fliegend, also leicht auch wie levitierend Putten und Girlanden, Blumen und Früchte in Ornamenten umschlungen. Als wäre die Natur umarmende Fröhlichkeit:
zum fliegenden Einen. Gesteigert noch ins EkstatischSakrale
in der Basilica Santa Croce. Nebenan, dem Dom.


Wer die Volkslieder hört, ich kaufte gleich am Morgen
eine an einem Kiosk, und merkte, wie sehr dies nicht mehr Italien ist.
Wir verstanden kein Wort der Liebeslieder, wo viel Griechisches mit-schwingt.
Auch die Schüler bei meinen Begegnungen in den Schulen
waren sehr schwer zu verstehen, obwohl sie hochitaliensch sprachen.
Und die Lieder, sie klinge fast wie Saudade:

Aremu rindineddha
Pe t´lassa se guaddi
Cce puté ste´ce tazi
Ma tokmalo nifti

Meine schöne Schwalbe
Welche Meere hat du überqueret,
woher kommst du
in dieser schönen Jahreszeit.



OTRANTO. Östlichste Stadt des Stiefels, am Absatz: nahe Byzanz.

Was fällt ein/ Der Dom. Die Basilika. Die 8 00 Männer als Knochen-ornamente. Hinter Glas.
So wirst auch du, DS, einmal Sein. (Nein. Knochenasche. Verstreut als Entfernung Wie Heimat. Urne auch zwischen lebenslang Leben raubenden Büchern. Tod, solang du Leben hast: der Stachel. Im Tode selbst aber: gelöscht. Nur Leben kennt den Tod. Der Tod kennt ihn doch nicht. Nur Denken macht ihn zum Fall. Vergisst ihn an dauernd.


Damals. Ein Massaker. Wie viele gab es danach. Gewalt und die Blutspur. Die weiter rieselt, fließt. Inzwischen ein Blutstrom. Damals nur 800 Menschen. Oh, fast idyllisch. Harm Los? Achthundert. Ge-köpft. Die Türken wollten einen Brücken Kopf haben.

Es gibt einen Stich. Ja tief ins Wahr Nehmen.
Eine Reihe Männer nackt. Nur ein Handtuch um die noch vibrierenden Lenden. Warten
Vor dem Holzblock, wo eben einer den Kopf hinhält. Das Krumm-schwert saust.
Dahinter ein Gepfählter, unter dem Block die blutenden Köpfe. Darü-ber Wolkensitze der Engel./ „Entweder ihr schwört Christus ab. Oder ihr werdet enthauptet“ Sie schworen nicht ab. War Christus in ihnen/ der Tod? Glauben versetzt Berge. Aber auch Menschen. In den
Himmel versetzt. Oder knochenschön in einer Kapelle? An dauernd bis heute! Sie sterben also: Nie. Ihr seid zu beneiden. Täglich wecken euch lebende Blicke. Auch unsere vorhin: auf.
Entsetzt-bewundernd. Und ihr seid in der Märtyrerkapelle Knochen für Immer.


Doch an schließend ein Mosaikboden. Ein früherer Toter. Der aber sanft starb. Wie vielleicht wir auch: der Mönchspriester Pantaleone vor achthundertfünfzig Jahren (1163 begann er) nur in zwei Jahren Millionen Mosaiksteinchen zu einer bebilderten Hölle gefügt: Der ganze Kirchenboden ist/ ein Riesenmosaik. Weltuntergang überlebt: So frisch wie damals in Farbe.


Dante nur hundert Jahre später war da. In seinem Exil erprobt: hat das Inferno schon 1300 im Alptraum/ eine Seelenreise OBE die ganze Di-vina: visionär gesehen. Und dann hier jenes Später. Und ich als Nie-mand/ in allem innen. Denn ohne mich jetzt, gäbe es nichts/ das Mo-saik wäre/ zumindest/ ganz anders. Gesehen. Alles ist Jetzt. Und un vergleichbar am Leben. Libro in pietra. Das Buch aus Stein, wie es vor uns/ liegt und die Decke ansieht/ ohne die wärs der Himmel/ von dem die bunten Stein Monster abgefallen/ herabgefallen. Ständig SIND. Zeichen freilich/ des Weltuntergangs. Europa/ das Eine vergaßen/ zerstückelt wie ein fremder Leib / dem Verstand nach Außen ging/ außer sich wohl. Aus. Die „Christenheit“ Und nichtmal mehr Lateinisch. Und Gott das Eine verging in Politik/ halb Himmel. Halb Hölle.









VENEDIG. TRIEST UND DUINO 2010







Venedig, das Rilke liebte. Abends meist auf dem Markusplatz
Mit der Fürstin. Und einmal wie in Toledo ein glänzender
Meteor über ihnen und San Marco. Welch ein Zeichen!
Nun auch wir im Heute: jetzt, am ersten Tag des Frühlings 2010. Ein Hier nach fast hundert Jahren. Doch zehrt kein Weltraum.
Mit diesem Meerwind an meinem Gesicht. Und ich
„Warte (vergebens) auf die Nacht, einzelnes Herz“, taub, nicht
enttäuscht. Schlaflos nur in den Laken mich wälzend, die doch
Sonst bei einiger Größe den Toten gehören.
Oder den längst Versagten in doppeltem Sinne der Schuld
den Neu Geborenen, die immer in uns schreien.
Liebende, ach, wohin denk ich: Strahl, der mich trifft. Kaum
Leichter wird so die Nacht, wenn wir wirklich einander „verdecken
Das Los, ungesehenen geworfen hierher und verworfen/ von wem?
Der „gedeutete Raum“, in dem wir bis zum burnout noch leben,
elektronisch gewordenes Herz, ein blinder Schein, ein Syndrom.

So einfach soll es sein? Aus den Armen
Werfen die Leere/als Herztiere auch von der Zeit
Gepackt. verpackt auch die Sprache
Hundert Jahre danach. Aber ich weiß es längst.
Schmalspurbahn der Seele auch in mir. Die Leere
Hinzutun. Damit die Fülle im Altern lerne mit uns?
Hier, wo die Vögel Weite uns zutragen. Da siehst du
sie fühlend im Jetzt zurück gesehnt im Zug und eng
im Rauschen des Abteils: Siehst du einen anderen Flug?
Ich weiß auf dem Segel Boot das andere Rauschen.
Und es entgiftet schon nach nur zwei atmenden Stunden.
Doch hier freilich wars nur dein Blick ins Weite. Im Frühling.
Wenn die Sterne reifen im Gefühl der milderen Luft von längst
vergangenen Fernen träumen. Dir zumuten: sie im Staunen
kühler zu fühlen. Von Wogen, die sich vergangen erheben.
Umspült vom dauernden Fels. Geritzte Haut
eines blutenden Fußes eines Hauswanderers. Der Geigen
hört aus einem geöffneten Fenster. Dies gab es nur noch
in der Kindheits Burg . Vergessene Rührung. Idylle.

Ja, ich weiß es schon, Rilke, mein Toter, weil ich dein Alter
Überstand. Und dass es „Auftrag“ bleibt auch heute.
Doch wie geht es zu so ohrlos. mundlos. Und mundtod.
Nur mit angegebenen „Herztieren“. Hinter her Winde
In Westberlin. Und Leipzig. Und im Babel New York.
Wo die Sau unverdient englische Buchstaben frisst.
Aus Fälle Größe. Die sogar im Tod nichts vergisst.

Nein, sogar die Erwartung nährend Geliebter
Macht nicht mehr froh. Und ist „verstreuter“. Die
Frauen sind mir „undeutlich“ geworden und
Nur noch Ge-Wesen. Oder gar „Helden“? Die Herztiere“
wollen es anmaßend sein. Anmaßend
In einer öffentlichen Lache.

„Liebende“? Glaube ich noch an sie?
Außer dem dicht behaarten Eingang zur Welt? Und
Das andere Geheimnis: dass es blitzen kann.
Rein im Kopf das Gewitter. Körperlos. Nicht
Diese schwitzenden Laken? Erschöpft die Natur
weil wir sie töten? Kannst du, Verliebter gar sie
im heutigen stinkenden Schund heraus retten?
In der häutenden Umarmung mit der Welt
sie waschen? Oder wenn dich das Unglück trifft
(manche nennen es „Glück“), dass du brennst
gebranntes Kind, immer wieder, bei ihr aber
der Ofen aus ist? Leid gegen Erschöpfung
Natur in dir/ durch dich neu aufersteht ?
Oh, heiliger Bimbam mit dem Wunder?
Gaspara Stampa auch nach dem Liebes-
Experiment im Rauch von Auschwitz?

Ohja, schön sagst du das, Rainer, dass wir
Es nehmend befreit haben / mehr zu sein als du und ich,
Als die Liebenden auch / im Absprung zu sein
In der wartenden Todeszone! Denn Bleiben
Ist nirgends / und Nie im Eingang und Kuss.
Natur stellt dich ruhig / wenn du stirbst.
Welch eine Inschrift, die ich nicht las
In Santa Maria Formosa / aus dem Fenster zu sehen
Im „Scandinavia“- Hotel, das wir zwei Tage
Mit Blicken bewohnten? / Von Rom und Neapel
Und den Knienden in jenem Ruf zu hören:
Die innere Stimme aus Stille, die in Venedig
Im lärmlosen Menschenmaß ist / und Gott uns
Zu Fuß erreicht / wenn wir ihn bilden können
Aus Toten in uns? Nicht nur aus jungen,
Denn die Zeit hier fehlte, die Er ihnen nahm,
Als wäre es gescheiter frühzeitig zu gehen.
Das nutzlose Wachstum zu überspringen!
Denn ist es nicht Unsinn und Wahn, dass
Wir uns hier brauchen, um dort dann besser
Und gehäutet im Kreis von Schwebenden
Zu sein?

Woher weiß er, was ist? Dass sie nicht mehr
Unsere Gewohnheiten üben / auch
Tieferen Sinn etwa der Rosen nicht sehen
Können als Zukunft auch, die für sie
Nichts mehr ist. Und jene, der damals Geborenen
Als du dem und uns schriebst?




Rainer Maria Rilke, DUINESER ELEGIEN
Die erste Elegie


Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel
Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme
einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem
stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts
als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen,
und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht,
uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.

Und so verhalt ich mich denn und verschlucke den Lockruf
dunkelen Schluchzens. Ach, wen vermögen
wir denn zu brauchen? Engel nicht, Menschen nicht,
und die findigen Tiere merken es schon,
dass wir nicht sehr verlässlich zu Haus sind
in der gedeuteten Welt. Es bleibt uns vielleicht
irgend ein Baum an dem Abhang, dass wir ihn täglich
wiedersähen; es bleibt uns die Straße von gestern
und das verzogene Treusein einer Gewohnheit,
der es bei uns gefiel, und so blieb sie und ging nicht.


O und die Nacht, die Nacht, wenn der Wind voller Weltraum
uns am Angesicht zehrt –, wem bliebe sie nicht, die ersehnte,
sanft enttäuschende, welche dem einzelnen Herzen
mühsam bevorsteht. Ist sie den Liebenden leichter?
Ach, sie verdecken sich nur mit einander ihr Los.

Weißt du's noch nicht? Wirf aus den Armen die Leere

zu den Räumen hinzu, die wir atmen; vielleicht dass die Vögel
die erweiterte Luft fühlen mit innigerem Flug.

Ja, die Frühlinge brauchten dich wohl. Es muteten manche
Sterne dir zu, dass du sie spürtest. Es hob
sich eine Woge heran im Vergangenen, oder
da du vorüberkamst am geöffneten Fenster,
gab eine Geige sich hin. Das alles war Auftrag.
Aber bewältigtest du's? Warst du nicht immer
noch von Erwartung zerstreut, als kündigte alles
eine Geliebte dir an? (Wo willst du sie bergen,
da doch die großen fremden Gedanken bei dir
aus und ein gehn und öfters bleiben bei Nacht.)
Sehnt es dich aber, so singe die Liebenden; lange
noch nicht unsterblich genug ist ihr berühmtes Gefühl.
Jene, du neidest sie fast, Verlassenen, die du
so viel liebender fandst als die Gestillten. Beginn
immer von neuem die nie zu erreichende Preisung;
denk: es erhält sich der Held, selbst der Untergang war ihm
nur ein Vorwand, zu sein: seine letzte Geburt.
Aber die Liebenden nimmt die erschöpfte Natur
in sich zurück, als wären nicht zweimal die Kräfte,
dieses zu leisten. Hast du der Gaspara Stampa
denn genügend gedacht, dass irgend ein Mädchen,
dem der Geliebte entging, am gesteigerten Beispiel
dieser Liebenden fühlt: dass ich würde wie sie?
Sollen nicht endlich uns diese ältesten Schmerzen
fruchtbarer werden? Ist es nicht Zeit, dass wir liebend
uns vom Geliebten befrein und es bebend bestehn:
wie der Pfeil die Sehne besteht, um gesammelt im Absprung
mehr zu sein als er selbst. Denn Bleiben ist nirgends.

Stimmen, Stimmen. Höre, mein Herz, wie sonst nur
Heilige hörten: dass sie der riesige Ruf
aufhob vom Boden; sie aber knieten,
Unmögliche, weiter und achtetens nicht:
So waren sie hörend. Nicht, dass du Gottes ertrügest
die Stimme, bei weitem. Aber das Wehende höre,
die ununterbrochene Nachricht, die aus Stille sich bildet.
Es rauscht jetzt von jenen jungen Toten zu dir.
Wo immer du eintratst, redete nicht in Kirchen
zu Rom und Neapel ruhig ihr Schicksal dich an?
Oder es trug eine Inschrift sich erhaben dir auf,
wie neulich die Tafel in Santa Maria Formosa.
Was sie mir wollen? leise soll ich des Unrechts
Anschein abtun, der ihrer Geister
reine Bewegung manchmal ein wenig behindert.

Freilich ist es seltsam, die Erde nicht mehr zu bewohnen,
kaum erlernte Gebräuche nicht mehr zu üben,
Rosen, und andern eigens versprechenden Dingen
nicht die Bedeutung menschlicher Zukunft zu geben;
[688] das, was man war in unendlich ängstlichen Händen,
nicht mehr zu sein, und selbst den eigenen Namen
wegzulassen wie ein zerbrochenes Spielzeug.
Seltsam, die Wünsche nicht weiter zu wünschen. Seltsam,
alles, was sich bezog, so lose im Raume
flattern zu sehen. Und das Totsein ist mühsam
und voller Nachholn, dass man allmählich ein wenig
Ewigkeit spürt. – Aber Lebendige machen
alle den Fehler, dass sie zu stark unterscheiden.
Engel (sagt man) wüßten oft nicht, ob sie unter
Lebenden gehn oder Toten. Die ewige Strömung
reißt durch beide Bereiche alle Alter
immer mit sich und übertönt sie in beiden.

Schließlich brauchen sie uns nicht mehr, die Früheentrückten,
man entwöhnt sich des Irdischen sanft, wie man den Brüsten
milde der Mutter entwächst. Aber wir, die so große
Geheimnisse brauchen, denen aus Trauer so oft
seliger Fortschritt entspringt –: könnten wir sein ohne sie?
Ist die Sage umsonst, dass einst in der Klage um Linos
wagende erste Musik dürre Erstarrung durchdrang;
dass erst im erschrockenen Raum, dem ein beinah göttlicher Jüngling
plötzlich für immer enttrat, das Leere in jene
Schwingung geriet, die uns jetzt hinreißt und tröstet und hilft.






CODA
Und es war schon so, dass Rilke im kleinen Schloss Berg/Am Irchel keine Bücher und vergilbte Familienschriften fand/So musste er sich welche erfinden. Sein Inneres arbeitete heftig/In Richtung der war-tenden Geister: und sie kamen aus seinem Zwischenreich auch.
Und berührten ihn ungesehen mit ihren Immaterialien und Lichthän-den.
Er aber nahm es als wär das alltäglich, er fürchtete sich nicht
Was denn waren die zehn diktierten Gedichte /vom Grafen C.W.
Der 1862 und nach Palermo verwiesen , gelebt hatte?
Aber es gab ja keine Zeit mehr, und jener, der dort am Tisch
Vor Rainer saß, in der Hand vergilbte Blätter, die rauschten
In seinem Klang: las vor und der Dichter schrieb, was ich jetzt
Lese und nicht begreife:
Toten Gedichte und der Tote, der durch Rilke aufstand und
Aufwachte: da Sein konnte, da er spürte wie im dichteren Herzen
Schwingend ein Tor sich auftat und mit allem im Raum sang.
Zehn Wort Laute, die nicht von Rilke sind.
Er nahm dies Todgeglaubte nicht in seine Werke auf:
Der Graf sprach sie ihm nachts ins Ohr. Und vermischt
Ihn mit dem Rätsel des Außen, reine Natur seines Innern
Dann zur Musik geworden bei Rihm in neuen:
Sonnen und doch für den Gekommenen so alt
„Gefühl des Ermattens“ vermischt mit hingegebenen Freuden
Des Jung Seins Neu Geboren; doch ihn ergreift beim
Schreibenden Sehen noch mehr „die Unschuld des neuen
Schattens“. Und ist doch in allem, was lebt:
„Schatten des frühesten Laubes, das du durchhellst,
Schatten der Blüten –: wie klar!
Wie du dich, wahr seiend, nirgends verstellst,
Offenes Jahr.

Unser Dunkel sogar wird davon zarter,
Genau so rein war vielleicht sein Ursprung.
Und einmal war das alte Schwarz aller Marter
so jung.“ Jung wie der Todesblick zurück ins Jetzt, wo wir
uns befinden, er, der nun auch tot ist, sich befand,
und wir, gewiss, uns einmal befinden werden – im
Ursprung? Auch dieses Moments, wo ich jetzt die
Lichtletter schreibe, verflogen schon, ja, dorthin, wo
Wir münden: im kommenden Ursprung:
„Dies überstanden haben, auch das Glück“
Und: „Dies überstanden haben, auch das Glück
(…)wer schaute nicht verwundert her zurück.“ Wo
wir jetzt noch sind: im Vorläufigen ganz gefangen,
wo Zeit, wenn wir uns umsehn, vergangen ist,
Nichts bleibt, klar: „Gekonnt hat es keiner; denn
das Leben währt/ weil es keiner konnte. Aber
Die Versuche Unendlichkeit! Das neue
Grün der Buche – sind unendlich - und
ist nicht so neu wie das uns widerfährt.“
Unter andern Umständen im Tod Sein: Ewigkeitskönnen
Das Heilige Kind in uns zur Himmelwelt bringen.
Ordinäre Schande nur Fleischwelt sein. Stimmt es doch:
„Weils keiner es meistert, bleibt das Leben rein?“
Ists nicht verlegne Kraft wenn ich am Morgen turne?
Und von der Kraft, die war, wie leise spricht der Stein.
Und auf dem leisen Stein wie fruchthaft schließt die Urne.“

Um das zu wissen, muss man Tod sein wie der Graf C. W.
Altes Palermo auferstanden. Doch über den Lebenden, Rainer,
Kommt schon wieder das Nochnichttodseinkönnen an:
„Ich habe nichts, die Waage auszugleichen,
Gewichte nehmen drüben überhand;
unschuldig steht im Himmel noch das Zeichen
und weiss noch nicht von meinem Unbestand.

Denn wie das Licht von manchen Sternen lange
im Weltraum geht, bis es uns endlich trifft,
erscheint erst lang nach unserm Untergange
vor unserm Stern seine entstellte Schrift.“

So sind wir todesunreif bis das Licht in jenem Unterwegsein
Uns erreicht. Was dann? Wir wissen nicht Bescheid.
Wir können es nur ahnen, indem wir der Gestalt von DORT vertrauen,
uns in sie eingeben und tief in ein Nichtwissendes dann schauen.
Mit Rilke, dem längst Toten, der an der weißen Krankheit
In Valmont fast lautlos in sein Nie ging, unwissend so auch er
Welch Wunder in den uns tief verschlossnen Dingen (noch im Leben) sind:

„Oft in dem Glasdach der verdeckten Beete
erscheint ein andrer Raum als Spiegelung
wie jener, der uns hier entgegenwehte:
ein künftiger, der an Erinnerung

sich fortgibt, ohne uns gewährt zu sein.
Wie eingeschränkt ist alles uns Verliehne!
Wer sagt den Inhalt einer Apfelsine?
Wer liest bei jenem Licht im Edelstein?

Musik, Musik, gesteh, ob du vermagst
ihn zu vollziehen den unerhöhten Hymnen?
Ach, du auch weißt am Ende nur zu rühmen,
gekrönte Luft, was du uns schön versagst.

UND DIE „NEUN ELEGIEN“

Was da auf uns zukommt/ parallele Universen
Flug- Körper plötzlich sichtbar
als könnten unsere sterblichen Augen
in diesem Licht "sehen" und gehören
anderen Ordnungen an/ treiben
unsere Gewohnheit auf die Spitze
die bricht ab
Dass sie sich trotzdem sehen lassen
kann/ wohin wohin Freund Tod
mit diesem sich zeigenden unsterblichen
Teil der Welt/ gewoben aus dem Stoff
und zwischen den Fixsternen unserer Astral Körper:
Durchgebrochen aus der ganzen Klaviatur
kosmischer Musik kurz in die Enge
einiger Töne unserer Sinne: Hier!
Verwirrt seh ich zu:
der chaotische Bereich des Todes
zuerst vielleicht ohne
Licht und jene Engel die als schrecklich bezeichnet
anfangs unsichtbar wie auch Jetzt
"da" sind: vibrierend wohin und ganz verloren,
ohnehin mit unserer winzigen Erinnerung
die nicht ausreicht:
Welch hässliche Namen wer sie begreift übersetzt:
Photonenstrahlen Laser Geodätik Plasmaenergien
oder gar Gravitonen der Superphysik.


HEBRÄISCHER BLOCK kommt näher. Fels nach dem Ende. Kein
fließen mehr. Nach
dem Fall I Jahrtausendespät versteinert das Hirn
Erschüttert,
aus dem Mund
kein Gott, Gebrochenes Hier.
Triest/ Duino 21./22. März 2010




III (Ecli.41,1-4) J.Brahms

O Tod, wie bitter bist du,
Wenn an dich gedenket ein Mensch,
Der gute Tage und genug hat
Und ohne Sorge lebet;
Und dem es wohl geht in allen Dingen
Und noch wohl essen mag!
O Tod, wie bitter bist du.
O Tod, tust du dem Dürftigen,
Der da schwach und alt ist,
Der in allen Sorgen steckt,
Und nichts Besseres zu hoffen,
Noch zu erwarten hat!
O Tod, wie wohl tust du!



DUINO 2010

1.
Aus der Engel Ordnungen? Nähme mich einer
Der hörte, was in mir stumm schlief,
Schrecken, der vergessen wird,
Um zu leben, käm ich dir nahe.

Ist es das Schöne mit dem Schwarzen Licht Schein
Von „Drüben“, wo einmal jeder von uns
Mit verzerrtem Gesicht oder gerade
Lichtüberflutet erwacht,
Im Sterben?

Hinter der Wand der Augen wohnt
Die ewige Nacht und die Angst Nein
Das Grauen vor dem Tod, dem tief
Sinkenden Grab Stein so lebendig
Begraben im dunkeln Schluchzen, alles dann
Aus dem Namen gefallen nackt
Im Lichtfinstern fallenden Abgrund
Gott.

2.
Kein Wunder, halbverrückt schien es, so dass der alte Carlo
Kopfschüttelnd und staunend sah: wie Serafico
Stundenlang auf und ab ging seine Verse
Mit wilden Gesten begleitend einsam
Für sich ins Da-Sein skandierte.

Wehte die Bora stärker, weil sie dich sah,
Auch mit den Augen des Baumes am Abhang?
Denn du gingst auf karstigem Fels diese Küste entlang,
ein Gehen zwischen den Bastionen, um den
leidigen Geschäftsbrief zu vergessen: „das Meer
leuchtete blau wie mit Silber übersponnen“.
Und aus dem Brausen des Sturmes kam die Stimme:
„Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn
aus der Engel Ordnungen?“ Und trugst
diesen Ruf im Notizblock hinauf in dein Zimmer.
So wird durch dich Gehen/ sehend zum Gedicht
Als käme der Weltraum/offen mit diesem Wind.
Das alte Zeitschloss: Raum im Blick des Fühlens!
Es stimmt! Mit den Möwen kams: das schwache Vertrauen
der Tiere in unsere gedeutete Welt. Der Vogelflug ja,
der schreibt die andere Sprache über dem Meer
in den Himmel. Und welche Gewohnheit kann
da schon folgen: jetzt, wenn ich zurück seh zu dir.

Hundert Jahre und ein Tag später
Erinnerter Blick nur der Augen im Zug
Und die fliehende Landschaft im Nebel
Triest-Venedig, mein Leben größer als sonst..

3
Beständiges Unwohlsein zwischen Bora und Scirocco.
Dottor Serafico passt nur ins Einsamsein: und
Nichts in dieser Welt ist er. Wie in der Erde:
ein Schlafwachsein, das Niemand träumt.
Die Toten, die jungen Toten, waren immer mit ihm.
In Duino die Frühverstorbenen: Theresina,
die fünfzehnjährige Polyxène, ihr Tod geborgen.
In Versen des Vicenzo Foscarini, der sie liebte?
Und die zwanzigjährige Raymondine,
Schwestern der Mutter jener Fürstin von Thurn und Taxis
Rilkes Mäzenin und mütterlicher Freundin
1910 und 1912 und bis zu seinem Tod im Jahre 1926:
„Nur wer mit Toten den Mohn/ aß, von den ihren,/
Wird nicht den leisen Ton/wieder verlieren.“
Die schöne Raymondine. Das blasse Gesicht.
Die feingebogene Nase. Die groß blauen Augen.
Die prachtvollen schwarzen Zöpfe. Alles war da.
Darf nicht für immer im Niemals mehr Wieder
Verschwinden. Erscheinen, auferstehn und DA Sein.
Und fand sie nah am dichtbewaldeten fallenden
Abhang: rücklings am alten Ölbaum, einem Besondern: gelehnt,
den Kopf aufgestützt gegen die Äste: ihre Arme von damals.
Die Präsenzen nah, berührt um ihn: wiedergekehrt
Aus dem Nie dieses fühlende Einst. Er wagte auch
Nicht mehr den Baum Aufzusuchen,
Jenen mit ihnen, die ihn bestürmten, leben
Zu dürfen: denn er wußte nicht, ob er selbst dann
Je „wieder kehren würde “, aus dem so
Heimgeleuchteten Sein im „Uralten Wehn vom Meer…“

Aura vibrierend gefühlt wie ein Hauch, doch so nah
ist in diesem Staub der alten Gemächer
Der Atem von anderswo, ein tieferer Blick:
das Gewesene: siehst du wie es heute blind wird
in uns allen - neu stirbt und so klein ist: um wegzugehen für immer.

Kaum mehr nachfühlbar jenes Erlebnis mit einer kleinen Amélie. Ein friulisches Landhaus, Rilkes Sommer als Kind mit seiner Mutter. Und das Spiel mit Amélie in den offenen Arkaden. Wenn sie Nicht kom-men konnte, lag irgendwo ein kleines Blumensträußchen.
Er aber schenkte ihr einen Ring. Dann der Abschied unter Tränen für
Immer . Und jetzt? Er kam mit der Fürstin. Verwachsene schmale Wege.
Menschenleerer Garten. Doch er suchte etwas mit dem Blick. Große Augen.

Unter Akazien ein Pavillon. Auf einem wackligen Holztisch lag
Schön zusammengebunden ein Veilchenbouquet. Und er nahm es. Ging auch fort für immer. Die Erinnerung aber trat auf ihn zu:
Einmal krank im Lazarett war sie ihm erschienen und hatte ihm
Etwas zugeworfen: es war der Ring. Denn sie ging ins Kloster.


CASENTINO



Dann fuhren wir los. Ins Casentino.

Was fiel ein/ heute Nacht? Frei der Fluss im Innern./ Nicht viele Namen. Der Eindruck./Unendliche Wälder. Trans sylvae? Man-ches/ als führe ich nach Hause.

Die Festung in Poppi/von wo aus man das Schlachtfeld sieht/ der junge Dante (24) einer der Anführer. / Wut: zwanzigtausend Menschen in zwei feldmäßigen Aufstellungen/ metzeln sich ab/ und die Pferde./ Mit Plastikfiguren dargestellt. /Nachts dann, ei-ne Nacht im Juni/ nachher schreiende Pferde/ Stöhnen der Ver-wundeten. Verblutende./ Krieg: Vater aller Dinge?/ Oh, Heraklit!
1289: Guelfen gegen Aretiner und Ghibellinen/ die besiegt wur-den auf diesem Feld von Camaldoli..

Welch Kontrast/ die kostbaren Folianten/ 25000 Wunderwerke tastbar/ gegen das e-book.
Und Dante mit dem Schwert. Machtkampf ist gut?/ Im Exil dann/ lebte er ein Jahr hier.
Auch er ein politischer Schlawiner/ Weißer Guelfe/ gegen den Pabst/ doch dann auch Ghibelline und für den Kaiser./ Durch-schaubar ist der Grund des Exils nicht./ Aber er war auch Prior/ Rat der Hundert…

Was aber noch bleibt: der Abend in Serravalle bei Freunde. Die Stille der umgebenden Wälder und Auen. Einsame Weiler und Häuser./ Und dann: Plötzlich kam ein Wildschwein nah ran. Stand lange wie angewurzelt. Da.

Aber es bleibt auch Camaldoli/ unser Hotel Baroni. Die Nacht und das Kloster/ die alte Apotheke/ und denke an Schäßburg mit seinen Beinsägen/ und Operationsmessern im Stundturm.
Und die Feier auch mit den Freunden/ das gute Gespräch/ das um Capesius ging./ Und mein Projekt: Der Ali-Roman. /ZU zei-gen/ die Fallen/ dass auch gute Menschen/zu Verbrechern wer-den./
Sie kamen aus meinem Nest: Ich hätte sie sein können.22





STUTTGART. Eine Art Heimkehr





23.-26. April. 2010. Was soll ich an Stuttgart lieben?
Und Stuttgart lernen/ mit meiner Frau/ Stuttgarterin?
Und so das Leben auswärts vertan? Immer in Italia, doch hier zu Haus?
Mit der Kollegin Hahn, die nach Stuttgart nicht kräht.
Im Gegenteil hasst/ mit der „unbändigen Kraft des Außenseiters“?
Königin Katharina-Stift am Schillerplatz oder Königin-Olga-Stift
Von Linde? Irgendwo Silberburgstraße und weiter dort bei der Katha-rina/ Zarenschwester?
Oh, ja, am Rothenberg, oder beissende Angst vor der Schule? Ting-tang jeden Tag
Aus der Schwarenbergstraße.

Was fällt da ein. Stuttgart von innen sehen? Am 23. Be-wusst/Rundgang. Meine Stadt? So kehr ich heim? Wohin, die Frage-zeichen überfallen mich wie Vielfachleere. Und doch Geborgenheit/ meint mich. Am Markt. Wie oft im Bräuniger oder zu den Haufler-Schreibmaschinen: Und leicht zur Stiftskirche, mit Foto? Wie klein bin ich. Auch das Gedicht, wenn sich Geschichte zeigt. Zwölf Uhr. Die Glocken klingen.

Am Schillerplatz der Dichter, ist er geneigt mit Lorbeerkranz ermüdet? Und wars mit Stuten Garten hier am Anfang. Da kannte er sich aus. Und alles hier versammelt, was war. Ists wahr? Die alte Kanzlei, wo Bürokraten arme Leute quälten, da isst man heute gut; im Prinzenbau des Schickhardt, da wohnt jetzt nur noch Frau Justitia bequem. Der alte Fruchtkasten uralt, Kornspeicher einst, da wohnt ein Museum der Musik, reich auch nach außen: unter Gotik spitzgieblig gen Himmel. Daneben ist die engste schönste Gasse. Fast gehst du da in eine alte Zeit. Und eingetaucht ins Damals alles/ ungewohnt ganz menschenleer fast schaudernd. Rückwand des Himmels. Hier wären Morde möglich. Im Rücken die Kirche, die Stuttgarter ja, die bauten lang. Die Stiftskirche: Begonnen in der Barbarossazeit und umgebaut durch Alberlin. Es reichte nur zu einem Turm, der andere fehlt. Halbhalb hier nur der Gott bei diesen Praktikern. Den siehste nicht, wo ist er, Freunde? Auch Hegel brauchte lang, ihn als das Absolute zu erreichen. Unweit kam er zur Welt. Am Eck/ der Eberhard Strasse. Und auch elf Grafen stehn beharrlich an der Kirchenwand. Das Alte Schloss dazu, so nah. Du gehst auf seinen Schlossplatz. Dunkelt intim, doch fremd aus alter Zeit. Was hat der mit dem Bart hier angestellt, und auch der Christoph und der Eugen. Da waren sie schon längst die Herzöge. Und dann kam auch der erste König, der doch Wilhelm hieß?

Ich kaufte im Museum gleich die Stuttgart-Bücher für einen Euro. So-gar den Astronomen Hahn/ mit allen den Maschinen, und den Sternen, da zeigt sich gleich/ der technisch vive/ wunderbar schwäbisch funk-tioniernde Bastelverstand./ Die Räder und die Uhren.. Trittst dann hi-naus: am Neuen Schlossplatz erwartet dich aber die Enge. Er setzt sich von oben auf dein Auge und lässt die Jubiläumssäule fallen. Am schönsten Platz des Schwabenlandes.

Und schön der Tag, da liegen sie zuhauf am Rasen, sonnen sich, halb-nackt, es gibt kaum einen freien Platz. Das Kunstmuseum auch, da gibt’s Erfrischung. Mit Jürgen saßen wir einmal da drinnen. Als wir noch Freunde waren. Oder zum Königsbau, da sitzt man auf den Treppen. Die Säulen wollen wohl sehr klassisch sein.

Am 24. Heilbronn. Und die Gesichter meines „Klassentreffens“, wie eine Droge, die vom Alter wie maskierte Gesichter, die doch hervor scheinen dann in jugendlicher Erinnerungsfrische. Doch 20 sind ge-gangen. Ein Schock als Bartmus ihre Namen las. Die Epitaphe las dann ich. So kam der Band „Der Tod ist nicht bei Trost“ hier an.

Ich mache nahe Fotos, filme, um die alten Gesichter mitzunehmen. Erinnerungen kommen hoch. Fuge, Otti, Hale, Miker oder Kibi. Ischa. Liane. Ischa ist inzwischen verstorben. Gehirntumor. Fuge sagt, wir haben uns oft geprügelt. Doch schon nach 2 Stunden versöhnt. Weisst du noch: Der Holzmarkt. Die anderen sind fremder. Hocke, Tschick, Paitz sind schon lange
tot.

Miker brachte mich von Heilbronn nach Haus. Wir verirrten uns, der Tunnel vor dem Charlottenplatz. Da fuhren wir hinein. Und an der Mosterstr. So vorbei. An der Stadtbücherei, der Landesbibliothek, dem Bahnhof nach Stuttgart Ost. Und als wir zurückfuhren sahen wir den Cannstatter Wasen mit den verrückten Ringelspiel und Riesenrad, alles überladen.

Moserstraße gleich an nr. 15 eine Geige, der Geigenbauer. Und vis- á-vis wohnte Mörike zeitweilig. Gleich neben den Staffeles. Sogar Musil wohnte einmal kurz hier.

Und heute fuhren wir am Wirtschaftshaus vorbei, da hast du ja oft ge-lesen, sagte L. Die Liederhalle dann. Und auch das Haus siehst du, da hat mein Vater gearbeitet. Und das gehört jetzt Thomas, dem Neffen. Sein Bruder hat ihn und uns um das Erbe betrogen.
.
26. Astoria. Und Elisa Beth. Ich ging ja nach Stuttgart Ost. Nichts als Bett und Erzählen. Ihr Lustschrei bis zum Buddha im Gärtchen. Dann im Schwäbischen Lokal an der Hoff.str. Hand in Hand. /Und nachts um 11 zur Werastr./ Zur Mosterstraße gepilgert. Und was zeigte ich sonst? Hier/ mein Bullaugenfenster, wo ich sitze/ und schreibe. Auch die Türschilder. Ja, ach Gott,/ hier bin ich auf deutsch zuhaus? Und zeigte auch die Oper mit dem Finger und Blick,/ gleich gradaus./ Wo küssten wir uns zum Abschied? Keine Ahnung. Schon nach 2 Tagen? Ach, vielleicht hinter der Säule am Stäffele der Eugenstraße?

27. 4, Und nachts um 24 Uhr. L. schlief schon fest, nur Dea begrüßte mich, kam ich nach Hause.
Morgens dann, am 27. Erst um halb zehn los.
Und kam zum Frühstück. Und kam. Und wir redeten wunder voll./ Dann aber, anstatt Spaziergang, doch ins Zimmer/ zum Morgenlieben. /Ich kann nicht Morgenfick sagen, weil es nicht stimmt./ Viel mehr.

Was war da./ Ach, abends im Taurino, dem spanischen Lokal. Bis 22. Uhr.

28. Und kam erst 13 Uhr „nach Haus“. Die Programme hatte ich aus der Staatsgalerie. Wie weit/ Welt. Nur die Programme teilen/ mit. Und lehren mein Nichts. Der Ötzi/ rekonstruiert: Der Mann aus dem Eis/ sieht scharf herüber. Bart Bärenmütze. Steinbeil mit Kupferklinge, Dolf mit Feurstein , Pfeil und Bogen, Rucksack aus Fell, Fellkleidung. Eine Art Opanken. Zu sehnen, auch/ in Bad Mergentheim, Würzburg. In den Ötztaler Alpen. Erst 2001, ein Nürnberger Ehepaar fand ihn. Auf 3210 Meter eisgekühlt erhalten./ Getötet durch einen Pfeil/ in den Rücken./ 500 Jahre. / Heute in Bozen.
Oder das Lindenmuseum:/ die Südseeinseln/ ein Boot. Lebensweise. Ein anderes Heute. Das lebt. /Parallel zu uns. Und wir sind bedeu-tungslos/ auch wenn wir all dieses wissend/ wecken. Und alle Prog-ramme zeigen: Viel Los außer jedem Einzelnen. Musik und Tanz, Theater. Oper. Ausstellungen./ Doch am 1. Mai geh ich zur „Kunst-nacht“ in die Staatsgalerie. Der Blauer Reiter nicht nur/ sondern Stir-lings Dach und Rondell:/ hier. Gleich um die Ecke.
Wie dicht darf es sein. Was ich jetzt schreibe?

Und die einzelne Liebe? Gestern/ Stuttgart Ost. Uhlandhöhe und die winzige Sternwarte/ unansehnlich ja. Doch der Vollmond heute/ bleibt ja./ Junges Grün und der Rundblick auf dem „Aussichtsturm“. Tiefe Küsse in der Sonne.






LYRIKARCHÄOLOGIE.
Gedichte aus den siebziger Jahren



Lass mich ein, hier kommst du nicht mehr raus, du trägst den Absatz mitten auf der Stirn.
Die Frage lässt sich sehr genau abzählen, wie jenen Reim, den ich auf dein Gedächtnis mach.”
1974

ES GEHT ZU ENDE WAS BISHER WAR,
und die Stimmen sind fern wie morgens um fünf,
wir werden uns nie mehr wiedersehen,
wir werden vergessen.

Man siehts an der Luft, an den Augen der Leute,
überall rollen sie die Erinnerungen ein,
heut sah ich Fotos der siebziger Jahre, da waren
wir jung und alles schien offen,
du stiegst in den fahrenden Zug,
der kam nie an,
und fuhr ab nur zum Schein.

Alt sind unsere Gefühle geworden.
Und oft ist es kalt und du spürst nur Gewohnheit,
als wäre über den Augen ein Schleier,
und wir gehen mit Abwesendem um.

In allem spür ich schon das Vergessen,
und die Leute sehn mich gar nicht mehr an;
so denk ich: vielleicht bin ich plötzlich gestorben
und hab`s nicht bemerkt, bin unsichtbar geworden.

Es ist nicht nur die Liebe die jetzt vergeht,
es ist nicht nur Eiszeit der Sinne, es liegt
ein Stillstand um uns in der Luft, der uns Angst macht
und uns den Atem verschlägt.

Denn es geht zu Ende was bisher war,
und die Stimmen sind fern wie morgens um fünf,
wir werden uns nicht mehr wiedersehen,
wir werden vergessen am Leben zu sein.

Ostwest Flug. Ein Ende

In der Boeing mit den Vögeln
aus gesetzt ausersehen
als ob es sich erkennen ließe
was im Flug zurück bleibt
im Vergehen

Und lassen die Rückkehr
irreversibel / als zweiten Satz
der Thermodynamik ein Nie spielen
dass niemand mehr an der Luke
etwas verspricht beim gewohnten hinaus Sehen
bei Zeitung und Kaffee.

Wo hast du dich hinausgestreut
ohne Kampf ohne Freud
über alle deine Sinne hinaus
in die Luft
und ziemlich an deiner Schwere vorbei
ohne dich blass als Toten zu sehn.

Die können ja alle in den Himmeln
gut fliegen.


Wo lässt du dich liegen
mit Kind und Kegel

zu Fuß über alle Berge gegangen
und doch immer wieder zurück
nie von der Stelle bewegt
wie das Rätsel das mir die Binde hält
vor Augen der Berg
und du bist ja Hinüber...


Bei längst Vergangenem so auch:
krank wie ich meine?
Die Frage hält sich fest an dein Wort
Kind ohne Laube
jetzt wurde
dein Herkommen fertig gemacht
und sag wann hast du den Boden
sicher und fußfrei noch vor

Im Klingen des Nie.





Der Anfang wie er sich immer verfing

Aus Ahnentafeln gebaut
und Hakenkreuzen
kam die Welt auf mich zu
und ließ mich teilhaben
am Ticken der leisen der deutsch
vergoldeten Bomben

Die Schuljahre waren voller Bilder
und durchzogen von schwarzen Böden
und deutsche Eichen in mir und so
zu sich gekommen
in gotischer Schrift

Mücken kamen auf die Oberlippe
und alle Wege sammelten sich als Scheitel
so gerade war diese Welt
dass sich andere Gedanken wie
Streichholzgroßmütter verkrümmen

Im Kopf begann die ernste Leere
groß zu wachsen.





Elegie bei Magdalenas Ausreise

Der Postbote bringt dich nie wieder
es werden andere Marken auf den Briefen kleben
kein Zeuge mehr erkennt dort unsere Zeiten
die nur nach innen offen
dort geblieben sind

Doch uns gibt es nicht mehr

Es ist als ob es auch Argeş nicht mehr gäbe
und wie ein Übermaß an Rückzug
deine letzte Reise wäre

Die nicht mehr anhält

Wir sind weit weg
von uns gezogen
einen Steinwurf weit

der uns getötet hat.



Ich möchte unsere Sprache wieder
haben sie lebt sehr nah und
sie ist gut

Denn diese hier sie trennt uns nur
wie könnt ich dir in diesen fremden Zeichen
in ungesprochenen Lauten
etwas sagen
was hier in dieser Sprache eines fremden Landes
nicht sein darf wie zu Haus.

Vielleicht ist es zu einfach
wenn ich dir “Feste” sage sãrbãtori
und dragãdragã
liegt so tief am Grund.

Es liegt am Boden
was ich fühlen kann.



1968. Aus Reise

Was habt ihr mit meinen Augen gemacht.
Sie gehen nicht über, sie finden mich kaum,
sie liegen im Eis im verdunkelten Raum,
lacht, lacht, - was
habt ihr mit meinen Augen gemacht..

*

Du sagest mir,
ein Haus sei keine Rose,
und auf dem Dachfirst ginge Jeder
über dich hinweg.
Du sahest keine Ringe, nichts
vor lauter blinden Augen
und Abaelard
sei wieder einmal tot.

Das weiße Brautkleid schien -
auf deinem Bett zu liegen.
Da wars ein alter Schirm
und dann ein Totenhemd.

*

Wir sind uns selbst entlaufen
an der Hand
nicht mehr.
Abwesend geht ein Mund am anderen auf
wenn nachts ein halber Atem
rückkehrt – zeitlos

onofrej


II


Im Schatten vom Mittelmeer, Schwester
Schwester, du
ich weiß nicht, was die Fernen sind
in uns,
wir gehen den Anfang ganz hinauf
bis sich der Mund am Ende zeigt
Hinabgesang
der weiß wie Nichts den Kopf umsäumt

Hale hi Ja
ist Trauer dir nah
und lach nicht über dein Verweilen
hier
außerhalb vom Mittelmeer
am Strand.

Wie Wind mir heut
den Mund verbrennt.
Halleluja
die Trauer ist hier
nah.






HIER, wo wir zu sein haben,
vorgeben zu sein,
dass wir da sind,
du ohne mich,
ich ohne dich
die Hand aufgetischt und gehst dann
mit leeren Händen
das Leben hinunter
mit mir.

FREMDWORT, unvergesslich I
(Plagiat, Du hattest beinah schon gelebt)
Das ist
hier zu behalten:
ein Wort darf nicht vergessen werden.
Ai nimănui -
und dir die Waffen halten,

wenn du vergisst,
wo sich Gedächtnis
über seinem Sehn behält,

Und so sein Wort hält.



FREMDWORT, unvergesslich II

Tu ce zici was sagst du Jetzt?
Zu sagen wär es
hast dir die Worte einsam
vorgesagt zu Haus
im Fremdwort.

Sind fremd wie aus der Mongolei
und doch zu Hause
vor lauter Fremde / freute sich die Silbe
nur an die Wand gesprochen
hallt es
gibt dich für eine Weile
wieder frei.

*
Nur wenn die Schwäche uns die Haut abzieht,
und wenn wir müde sind
vor lauter heute (das sich an diese Stunden
Uhr verkauft).
Sind wir mitunter auf der hellen Treppe
mit uns aufwärts
bis unsere Füße wieder auf die Steine fallen.

*
An dich hält
und an mich wenn wir vergehn im Tageslaut
der Dinge
wie sie schelten.

Es ist ein Lied
und das heißt
nimănui
es lässt sich niemals halten
oder hierher bringen.
Es springt hinauf bis an den letzten Schlag
wo es zur Zeit Hulube trägt
die Noahs Arche immer noch
erwartet.

Und wir mit ihr ein Rückwärts kaum
Gerbsäure deiner Eichwald Rinde
vergangene Tage / langsam nun
am Horizont verschwinden
und wie -
wir hatten einmal
beinah schon gelebt.

*


Notiz

Es darf nicht genau gesagt sein,
was war
sobald sie zur Hand genommen
verwelken die Bilder der Dinge

Ausnahmen gibt es:
dein kleines Schamhaar
bittet.
Ich nehme Notiz vom Bild
das sich noch immer in dir bewegt
und mich bittet.




Für M.C.

Von niemandem war die Rede
von dir
und die Rede sie ging bergauf
bis zur Talsohle ging sie
schnitt sich ins eigene Fleisch
Dissonanzen wíe Messer – und du

Wo finde ich dich / so sprachlos gemacht
wieder im Grund ohne Ihn
gottlos gemacht ein Versagen der Zeit

Ich laufe ihr nach ohne Gründe

Da drüben stehst du
ein Antigedicht in der Helle
die Worte sie spielen sich auf ohne Grund
und stoppen verzweifelt und heilig verpufft
Gottvater im Raketenboot / nur zu Gast
hier auf die menschliche Schnelle.


Messer, rostfrei

Es lässt sich nicht ausmachen
was in uns eingeht
denn die Silbenstränge beginnen zu rosten

Du hast dich abgesetzt und
ich trage zu dir
trage nur auf
trage den Kopf nicht mehr hoch
weil sich die Zeit verflüchtigt

In mir in dir in uns
ging sie nicht mehr in Farben
die Klänge sind mutlos geworden
am Pop entlang
jauchzt nur die leere Trompete

zur Eile und
Heile mit Weile am Storchen
und Wehwut wie
Fall hobst fand und nur
nach außen die Messer
und Grossen Wägen
glänzen so rost
frei.




Köln auf die Spitze getrieben

Sag wo treffen wir uns
ohne Punkt ohne Fest
weit
hergeholt

Manche Wörter sind unbrauchbar
geworden (heißt es!)
alles was uns aussagen könnte
sagt Nichts
(so heißt es)

Wohin mit dm Blinken
dem dunkeln jener
Gewohnheit der Tiere und Sphären
wenn die Flugzeuge tot sind

Wohin ohne Worte für uns
nur für sie
die gewissen Worte
die Fremdworte / reich
an Metalle geklebt
metallisch und müllreich
verschnürt in Paperbacks reich an

Umweg ohne Einstieg
mühsam im Gleichgewicht
auf der Spitze des Kölner Doms
der einig freie Blick

Balance ohne Seiltänzer
und ohne die weißen Tauben im Hirn
ohne Metaphern / im Sinn
nur die furchtbare Weite
der Revolution und
die Unfähigkeit der Revolutionäre.

Wer stürzt sich jetzt noch
von der Spitze sie
abzubrechen zum Leben.



Lyrische Notiz

Doch die Sprache wandert in mir
gen Westen
und springt dann zurück
in die unmögliche Heimkehr zu dir

Alles Gedachte ist hier
und wenn der Weindunst
die Ordnung
zerstört (mit der Zeit in Einklang gebracht
durch den sinnlosen Säufer)
bringt sie mich wieder
ins Morgenland / früh
wenn sich die Sonne
am Laut definiert
den ich schreibe.

*

Sie gehen wieder ein
die Splitter / in Sprache verwahrt
denn die Schärfen verwunden nicht mehr
sie sind in die Fernen gestellt
zum ganzen Leben gebracht
als ließe sich plötzlich begreifen
was fehlt.


Südlich irre Nacht

1
Heut Nacht war ein Rasen
(nicht nur auf Sächsisch)
die Vase die Türe die ich zerschlug
sie bleiben weiter nur die Splitter
gehen ein / sie lassen sich nicht mehr
wehtun

Das Fenster blieb
dem Berg zu offen heute Nacht
die Lieder südlich
mit zwei Gitarren gesungen Ole!
Die anders berührten
als Keulen / sie sangen
dem Meer zu als hätten wir Zeit
griechisch chilenisch und spanisch

Dann tobte die Nacht
oh südlich in mir
und ich zog mir
rumänische Pelzjacken an
denn ich fror vor ferner
Augenblicks Freude.

Weshalb und wozu auf den Weg
gebracht so unruhevoll und
ausgesetzt
ein vom Krieg bestelltes

dreimal geteiltes Leben
hier
und nicht dort
wo das Schicksal
verschied.

Und ein Niemand
sucht sich ein Haus.

2
Setz nicht ab hier
doch setz dich ab
eben hier

Außerhalb jeder Syntax
bist du länger da / als ich
der Vergangene
und länger als wir
alle

Sind wir

Du hast die Strasse nach Sesam
genommen
die Öffnung ein Spalt zwischen
Silbe und Sein
unausdenkbar alle Tage
die Springflut alle zehn Finger gespreizt
auch die Beine zum Kommen
gegen das Unheil

Und ganz nah und näher und näher
das Einzige das ihn noch berührt
deine Scham aus Immer

Denkt über uns nach.



Scharf fällt dann Schuld
wenn du dich nicht an ora et labora hältst
und frei verschnaufst
wie unter letzten Gräsern

Es spielt die Zeit sich auf
und schult in dir so atemlos
die Sinne an dem kleinen Zeiger

Scharf fällt dann Schuld dir zu
als hättest du dir selbst
das Leben weg genommen.



Ich weiß nicht wer du bist

umkreise dich / du bist
doch niemals du
und niemals nur ein Name

Ich rufe dich
auch wenn du immer da bist
wie Herzkot
aus mir gehst wenn
du dich zeigst

Unfassbar schon so
zwischen Aug Entfernung und
dem Schmerz
sich dreht im Niemandsland

Die unhörbaren Schüsse auffängt
die die Dinge abgegeben haben
die Leute und die Zeit

Abwesend bist du immer da
und triffst mich an
den Füßen

Deine Sanfte Bereitschaft
hell wie Himmelswasser geht
sie über unseren Tod hinaus
der an den Brücken wartet

Sieh wie sich unser Wort entfernt
vom Körper und die Sinne reinlegt
bis nichts mehr bleibt
und wir uns hell erkennen können
an dem was niemals war
und niemals sein wird.



Du hast die Welt verflucht
weil du mich kanntest
ist sie dir dann
entzweigegangen

Sie blieb ein Stück von mir

Du knietest vor ihr nieder
und sahst zu spät
dass ich es war
der dich bei Namen rief
die du nicht kanntest.

Was durch uns ging
war in uns nicht enthalten
und was wir werden sollten
kam nicht darauf an

Die Messen die du vorschlugst waren etwas
das ich nicht kannte
und meine Messen kamen nur am Marktplatz an
Der Clown war da
und schlug die Purzelbäume

Die palma die bekam dann niemand mehr
und ahnte nur dass sich am Oh
vorbei die Schläge kannten

Doch in den Händen gab es keine Zeichen mehr...

Wenn Dinge sich an Ordnung halten
die hier voran geht
und mich sauber hält
(die Verse gewaschen wie der Tag
mit Sinn)
dann ist mir eng ein Teil
der sich zur Schranke zählt
die zugeht wenn die Zahl vergeht

Das Schwergewicht das manchmal überschäumt
ist anmutig beim Tanz mit bläulichen Menhiren
die voll bis an den Rand der schieren Kopfstände
das Einmaleins erhalten kann
mit eingeschleppt banalen Alltags-Viren.


III


Es hält sich auf

Es hellt sich auf
bei Nacht ist alles kürbisklar
und blüht und blüht so hell
bis wir die Niemandsländer
überall erkennen können

Die Steigerung vom Vater Land zum Mutter Land
ins Niemandsland.

*

Es wird ein Wesen sein
es wird ein Stein sein
und alles wieder gut

Es wird ein Wesen sein
es wird ein Stein sein
bis dass der Herr
bis dass des Himmels Wasser große
Landschaft dann bei Nirgends
über mir sich auftut.


Die Stimme zerbrochen
die kleine Angst sitzt
gleich links an der Brustwarze

es klingt hohl wenn ich
meine Wirklichkeit abklopfe

Das Herz geht weiter
weit von mir entfernt

Es ist nicht was ich sein könnte

Die Stimme zerbrochen
wer ist schuld daran

Der Fuhrmann bringt keine
Pflastersteine mehr in den Hof
der Fuhrmann ist durch mich gestorben

Wie soll ich nun gehen
wie soll ich sprechen?


Du bist es wieder die mich rief
was soll ich hier mit dir
wo alles tief am Grunde
schon / und nicht mehr ist
weil ich nicht bin

Mein Wort geschickt im Okzident
geht langsam vor die Hunde.

*

Wie überqueren wir uns

Hier lässt sich nichts finden
Nichts auffinden nur die lichte Quere
wo wir ohne Hundeworte
wie Kapital und sozial
medial und mental
rektal und ideal nicht
auskommen könnten.



Anders und nicht wieder

Für M.C.

Gibt es ein Nachdenk / Gedicht das
mich finden lässt was ich sage
oder geht es aus / wie morgenland wie
rot wie Flammen bei besonderem Wind

Es darf nicht zu Ja sein
das Ja / und das Nein nicht zu Nein
dazwischen spinnen / sich Fäden
für alle Dafür-

Fäden / ein zu holende Fäden
wider den Tod -
hingegangen und hin geschieden
wie voreilige Denker der
Morgenröte

Ich halte sie hoffen ich halte sie offen die brüllenden
Worte in mir und schon
am Kreuz besorgt zuhaus / läuft / das Gedächtnis
als Betonsilbe aus

Voller Charme kommt Lernen
auf dich zu
wenn du deine Sätze nicht zwingst
als seis du noch ihr Herr
und nicht sie...

In dem Raum nämlich
geht Paradoxes um wenn du wieder für Herodes stimmst

Vorbehalt
für G. Büchner

Auf den Plätzen dr Revolte rufen
es lebe der König Nein!
Und im Palast der Diktatoren schrein:
es leb die Revolution!

Konkretes Gitter

Den Rundgang im Hof
nicht zu vergessen
den Rundgang wo nichts entschieden ist

Und wartet.


Vorbehalte

Es hält sich offen
das Frühjahr
schon in den Bäumen
der Zwang zum Grün
nicht nur
zum ausgesprochen /Schönen
es behält sich vor
zu wachsen
unsichtbar auch in unserer Sprache

Auch wir sollten uns vor-
behalten unausgesprochen
zu sehen.

*

Die Frage offen halten
offen zu bekennen
dass sie angekreidet (schwarz die Tafel!)
nicht ist

Und nur hier wenn der Ekel
vor dem Fest eingefahrenen Satz
dem Vor Satz für ein Blatt
blattlos und blass ohne jedes Grün
einen Menschen eine Linke
Hand die sich ausgestreckt hält
gar die Rechte von früher
Fest gefahren schon
in die geballte Faust
den angekreideten Gruss
die auf den Arm
genommene Welt
im Trug Glück
das Glück nimmt.

Ich stehe dann auf der Hut ab
Weide Augen Weide meiner
verewigten Worte
und führe sie aus
dem Kreis hinein
wo ich stehe

Wo ich stehe bleibt unklar
solange sie nicht wieder
zurück kommen.

Sotto Palmaria ( und ich denke an Platen)


Heute im Juli und August 2009

Die Sonne flimmert nach
mittäglich Wasser glitzert
silbern vor Frasquita dem Boot
zwischen Mast und Segel
das Seeräubernest Portovenere
im alten Blick: und meine Finger
auf dem winzigen Laptop
klopfen die armen liegengelassenen
Verse / fünfundreissig
Jahre im Dunkeln, jetzt erst
wie eine Schrift Archäologie
meines Lebens / entdeckt,
sieht mein Blick euch wieder
weckt diese schlafenden Wesen
von den Buchstaben-Toten auf.

29. August. Auf dem Boot liest es sich gut. Erlebnis Schopen-hauer neu. Denn alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht. /Ja. Wenn ich die Schlachthöfe seh. Die Delphine bei den Faröern. Die Kinder in Afrika oder Pakistan./ Die Hinrichtungen. Das Warten darauf. Die Einzelzellen. Die Dunkelzellen. Die 33 Bergleute untehn im Schacht in Chile. Zurück: Auschwitz/ oder Jilava/ Donau-Schwarzmeer-Kanal. Oder früher die Galeeren- Auch nur ein schreiender Krebskranker gibt ihm recht!

Und wir selbst: Der Trieb. Sex, der wühlende Wille. Die Illusion des schwachen Ich. Oder de des „Funkens“. Gibt s dies gar? In allem. Das Eine? /Doch warum lässt dieser Funke in allem Leid/ Schmerz/ Gewalt zu?

Er selbst, der ich bin, hielt sich nicht an Buddha, an seine Philosophie, sondern vögelte drauflos./ Und das Mitleid? Nein praktisch wurde es nie bei ihm.


Festivalletteratura. Hotel Bianchi
Mantua 8./10.September.


Ich bin erst jetzt/ angekommen: vor 3 Stunden
völlig fertig. Aber ich muss schreiben. Es war sehr gut,
fantastisch, schrieb ich an Elisa Beth:/ ein voller Erfolg
in Mantua/ eine Wunderstadt.
Und so viele Leute bei meinem Abend: ein
Riesensaal. Und die Frauen haben geweint...

Das Fernsehen…Rai und Sette nahmen mich auf.
Der berühmte Elkan./ Ein Gefühl wie selten/ wie es sein
sollte... niemals aber in Deutschland/ davon kann ich
nur träumen.../ das hat mich/ bei diesem Erfolg und
dem großen Verlag / der mich betreute/ Verlagsleiter und Presse
Wie früher /als ich noch bei Rowohlt war/ deprimiert/ bei aller Feststimmung...
Denk ich an Deutschland…/ Da stimmen die Titel: LOS/ Nie-mands. Los. Nichts/ und dritte Art. Ein unhaltbarer Zustand. Klarsicht. Wie nie zuvor! Und ich bin nicht glücklich/ nein, ich bin unglücklich!

Und zu Hause ist mein Name verflucht/ wegen Capesius wie mir Ein Schulfreund erzählte! Ach, Mantua. Mein Leben?

Anfangs müde/ alt/ Und/ immer mehr nur noch das Stocken. Un-ter Bruch. Punkt/ Punkt/ Komma Strich/ Fertig ist das Mondsge-sicht.
Der Körper/ das Herz/ das Hirn. Alles. Nichts. Ich? Wer? Wann? Wo?
Auf dem Piazza Sardella am 8. /war es so.
Und dann der Neunte./ Eine Verjüngung./Sie stimmt nicht mehr/ die Müdigkeit/ Altsein. Und zu L. sagte ich: Wenn ich wieder nur noch ab sagen will/ dann sag einfach: Mantua./ Nicht nur die schönen Plätze: Erbe. Sardella.
Nein: auch Jan Gavronski/Elkan/ seine Arroganz sogar./ Und im Café/ eine Frau/ kam auf mich zu: gratulierte./ Auf der Straße/ fragten wir nach dem Weg/ das junge Paar kam mit/ lief dan mein Buch/ zu kaufen/ am zurück wegen einer Widmung.
Abends Nicolazzini/ mit seiner Alessandra, der Sopranistin./

:






WIDMUNGSGEDICHTE


NICHTS ist kein Staub
Für E. M. Cioran
zu seinem Tode am 20.Juni 1995
Verwehend Sand
im Wissen Strandgras
Fliegend über das Meer/ nichts
wissend vom Nichts
Die Tote erweckt
im Reim - du warst Nie hier
und doch ein
wunder
Vers
du lebst in mir
du lebst. Die Tote ist
erweckt
die dich beweint
Verwehend Sand
wissendes Strandgras
ihr lesendes Auge
das du sahst
schlaflose Nacht
die sie längst lebte
die Tote jetzt ist deine
Heimatstadt
dein Heimatdorf
wir sehn es beide an
der Abgrund ist
allein
der Himmel
hoch in den Karpaten
war lange ohne dich
das Nichts von dir bewohnt
schlaflos geübt
hast du sehr lang
Sibiu in ihm
mein Gott nichts als
die laufende Absenz
denn Schlaf ist alles
nur der Demiurg
sein Wachsein im Ruin der Welt
die er geschaffen hat
weiß nicht
dass dieser Schlaf jetzt endlich
angekommen ist.

2006. BINA, der dritte Ast (oder die 3. Sphäre) die Ur- Mutter ermöglicht es.

Und es scheint doch zu sein, dass Schlafen
ein Kunststück bleibt, die Augen verklebt auch
von der Blindheit, ist es ein Geständnis, dass
der verwöhnte Körper hier ablegt: Blei wie
ein Schuss, die Lider drücken und schmerzen. Abgelegen
abgehangen und/ im Feder Bett, weißer Körper,
langer Krückstock, der jetzt in das Sterben fliegt.
Endlich löst sie, was dir blieb, Auflösung
und nichts mehr gilt, der Kopf dröhnt, packt
mich ein, das Denken: der Motor Verzweiflung.
Wachsein war einmal gut. Wo ist sie, wo,
die Zeitdienststelle fürs Leben, fürs Himmeln,
einem, es ist lang her, war es unangenehm,
nicht auf dem Kopf gehen zu können,
den Abgrund, wie bekannt: als Himmel
gespannt tiefgrau über sich.
Als sähe ich den Armen von oben.

Heute weiß ich mehr. Erstaunlich, wie ich mich verändert hab, als hätte ich Kontakt mit der Ewigkeit bekommen. Wieso aber ist Mutter jetzt weiter weggerückt, entfernter? Ich muss zwar noch immer wieder an sie denken, doch sie ist nicht mehr DA. Ich hatte ein Foto mitgenommen, in dieses Tagebuch gelegt, doch ich nahm es selten wahr. Anders war das bei unserer Mexikoreise gewesen nach Vaters Tod?




19. 8.
Eine Woche VT. Heute erst wieder Lyrik-Lust. Pessoa Alma-nacco 9. Pessoa ist Mystiker und Rosenkreuzer.

ALLE DICHTER BIST DU
Dies Übersetzte was ich meine
Ist zu Haus in mir/ so Scheine laufen/
laufe über/ wie die Milch zu Hause/ in der Küche
Eine Jause. Reime/ weine sie/ die Tränen die
Dich lähmen./ Hat aber Nichts mit meinem
Leben/ und seinen Scheinen zu Tun.


Pessoa war Rosenkreuzer und Kind.

Gestern der Stein/ sagt man
Müsse die Dinge küssen/ wunder/ Bar zum
Trinken/ jede Zeit gab Zeit- Gute Zeit.
Denk doch an Schin/ tanze wie meine Judenfreunde
Sei Chassidim.





Für Hildegard zu ihrem Sechzigsten
Am 9.Oktober 2006

DAS HELLSTE LICHT UND UNSERE SCHUTZENGEL
1
Verwirrt seh ich zu:
der chaotische Bereich des Todes
ist im Streit gegen uns, will uns töten,
zuerst vielleicht ohne
Licht und jene Engel, die uns behüten
SIE anfangs unsichtbar wie auch Jetzt
Wenn wir uns nicht mehr fühlen, ganz
Du und ich. Sie aber
Wissen es: wir gehören zusammen
Und wir leben wieder auf, wenn die Liebe uns wieder heilt
Und leben lässt, fast
Wären wir gestorben: du ohne mich,
ich ohne dich.
2
Was da auf uns zukommt/mit unseren Schutzengeln
Flug- Körper plötzlich sichtbar
als könnten unsere sterblichen Augen
in diesem Licht "sehen" und gehören
anderen Ordnungen an/ treiben
unsere Gewohnheit auf die Spitze
die bricht ab: und wir fühlen das Glück
Dass Liebe sich mit ihnen sehen lassen
kann/ wohin wohin fliegt unsere Liebe
mit diesem sich zeigenden unsterblichen
Teil der Welt/ gewoben aus dem Stoff
und zwischen den Fixsternen unserer Astral Körper:
DU und ich.
3
Durchgebrochen aus der ganzen Klaviatur
kosmischer Musik kurz in die Enge
einiger Töne unserer Sinne: Hier!
Unser Traumbett bei dir - eine metaphysische Schaukel

Vibrierend und glücklich wieder umarmt warm

Und ganz DA sonst wären wir ganz verloren,
ohnehin mit unserer winzigen Erinnerung,
die nicht ausreicht: zu wissen wer wir sind!



Für meine Linde
am 23. Dezember 2006

An deinem 68.Geburtstag wars
Heute im Jahr 2006/ wie
Lange kannten wir uns da schon/ dein Dreissigster
Weißt du noch wann das war
meine Liebe du
Am 23. Dezember 1968 war es

schon
wie Immer

Ein Weh ist dieses Jungsein im Alter
Als wäre es nie gewesen wie dieses
Dazwischen
Im Herzen im Leben/ lang her und doch
Mit uns beiden/ als gäbe es den Tod nicht
Wenn´s so ein langes Leben schon gibt
Zwischen Erde und Himmel

Als wäre ich längst tot und doch da/ du meine Liebe
Du hältst mich am Leben längst ist es so
Wenn es mein Gedicht nicht gäbe
Das mit dir spricht und bewegt
Was sonst nur noch Kinder können
Dass das Herz im Alter noch lebt

Meist ist es taub
Und betäubt den Schmerz da zu sein
Doch heute lebte er wieder auf
Ich roch unseren Staub
Und unter unserem ruhigen Glück heut
Fiel ich tief unter den Tag
Und fand auch nicht mehr hinauf

Nimm mich todlos wieder auf
Hol mich ein
Komm mit mir endlich zu Hause hier an
Sag auch: wir haben das Leben
Hier nicht versäumt sag doch:
Wir haben es nur
Zusammen geträumt.

Agliano, heute am 23. Dezember
Zu zweit am Kamin mit loderndem Feuer

TURIN. GRABTUCH UND NIETZSCHE



ES BEGINNT AUF DEUTSCH HIER,
Mein Freund, du bist Nah dran: Null dieser Anfang Denk sie immer als Weib und als Mann Doppelfigur wehes Sternbild Manchmal sogar im Paarreim Ist sie so weit und unerreichbar: Null.
Der Deutscheste ein Ich das sich nicht mag Gedichte lesend und verkostend Jüngste Erfahrung aus dem ehemals und immer weiter
geteilten Deutschland Der Deutschesten einer schmeck das Wort auf der geteilten Zunge Schmeck dich selbst das Beil im Kopf
Das auf dich zuhält
Wenn du die Hölderlinie verlässt
Richtung Alexanderplatz
in Fahrt bis Buna
weißt du wer du bist
außen nicht und innen ein Königskind
gewesen
die Erde ist viel zu tief
Bin hier noch zu leben
aus reiner Verachtung des Leibes
zu jedem Verbrechen ... unfähig
Widerstand in sich selbst zu leisten
Glaubst nicht dass es dich gibt
ein Phantom Lichtpunkt im All der sich weiß
wohnhaft im Turm der inneren Stimmen
Wahnsinn nicht wild
Nein: zu mild.
29.- September 2.Oktober 2009.
PARIS


Klar, Paris. Stimmen die Worte Hemingways, es sei ein „Fest“, und man bekomme da Lust zum Essen, Trinken, Schreiben und Lieben? Als er 1921 nach Paris kam, junger Amerikaner ohne einen Cent, war er und auch die beliebteste Stadt anders, als es der junge Emigrant aus dem roten Osten und Paris im Jahr der Studentenrevolte von 1968 war. Ich kam aus Luxemburg, hatte in Brüssel meine erste westliche Großstadt gesehen, war davon geschockt, kultur-geschockt, von Bukarest aus dem Securitate-land kam ich! Und dieser Zustand ist es, der außer den Zeit-schichten meiner Besuche, parallele Vergleiche, die Stadt anders, als diese millionenfache Beschreibung, in Milliarden Worten, gemalt, bedichtet, oder sogar mit Tränen und Nostalgie bedacht, wie mir eine Freundin sagte, dass sie immer weinen musste, wenn sie Paris verließ.

Doch auch das eine Frage: Kann diese glanzvolle, immer glanz-vollere Stadt heute solches noch auslösen? Denn ich habe den Eindruck, dass Paris „damals“ 1968 noch bescheidener, zurück-haltender war als dieser fast unverschämte Reichtum, mit dem sie sie sich jetzt präsentiert. Hier die Summe der Welt nach 1989? Und ich weiß nicht, warum ich eigentlich vor Ort über den Ort, wo ich dort eben war, sei es der Louvre oder einfach nur die Metro, gehemmt war, über sie zu schreiben. Zu essen schon, weniger zu trinken, (weniger als in Italien!) und eigentlich auch kaum zu lieben in dieser Hektik. Hinderte mich auch L. daran? Oder das Ältergewordensein? 1968 war das anders gewesen. Da war es freilich auch die erste Erfahrung mit käuflicher Liebe: Pigalle. Das ordinärste flacheste Zentrum zog mich an. Doch auch das war weniger glanzvoll, fast nah und bescheiden privat. Ojah. Pigalle klingt noch nach in meinen Ohren!

Und freilich auch jetzt waren wir „dort“ gewesen, und sahen die Schmuddligkeit! L. wollte schnell weg, auch aus Sacre Coeur. Aus dem ganzen Viertel. Obwohl es doch einmal ein berühmtes Künstlerviertel gewesen war! Und wir fanden nicht einmal den Ort des kleinen Holzhäuschens, wo 1900 die moderne Kunst ge-boren worden war wieder. Bateau Lavoir in der rue Ravignan, auf dem Platz Èmile-Goudeau. Ein Brand 1970 vernichtet das Häuschen. Picasso, Braque, und Gris arbeiteten hier. Picasso malte hier Desmoiselles d´Avignon, das den Kubismus einleite-te. Max Jakob und Apollinaire revolutionierten die Poesie. Auf der rue Leptic 54 wohnte van Gogh mit seinem Bruder. Und hier liegt auch die letzte Mühle, die ihn und Renoir inspirierten. Moulin de la Galette. Wir sahen sie an und ich fotografierte sie auch.
Nur freilich: das Holzhäuschen war weg, unsichtbar, wie die moderne Kunst es wollte: unsichtbar sein als wirkliche Form, nur die Hintergrundform wird sichtbar durch die Zerstörung der Sichtbarkeit. Genua wie in der modernen Physik, die genau auch damals entstand: Planck 1901.



Vorher hatten wir die Sacre Coeur und auch den Place du Tertre gesehen und wurden dauernd von Zeichner angequatscht, die eine Karikatur zeichnen wollten. Ich lehnte ab. Warum? War ich nicht die Karikatur meiner selbst?
Es war jetzt spät. L. wollte nicht ble98ben. Und, na ja, wir hatten beide Haftbeschwerden. Eigentlich wollten wir noch die Place Vendome sehen. Und es hätte sich sehr gelohnt, auch weil sich Paris in diese Richtung des Reichtums entwickelt hatte, also die berühmten Juweliergeschäfte (hatte Manolescu hier geraubt, Felix-Krull-Vorbild) und der berühmteste Goldschmidt auch. Ebenso das Hotel Riz, wo Marcel Proust einiges seiner „Suche nach der verlorenen Zeit“ geschrieben hatte, Coco Chanel gewohnt hatte. Und da sieht man, was Personenkult ist, der wunderbare Platz wurde zur Zeit Ludwigs IV. nur angelegt, um einem Reiterstandbild des Angebers eine würdige Umgebung zu schaffen. Angelegt von Girardon., (1687-1720) Das Denkmal während der Revolution aber zerstört. Gut so? Schmucklos aber mit vielen Palästen. Nr. 15 Riz, nr. 12 das Haus wo Chopin starb. In der Mitte Ehrensäule für Napoleon. Von hier aus der Rue de Paix mit ihren Luxusgeschäften. Eine der schönsten Pariser Straßen. Nr. 13 ist der Laden von Cartier.

Ich wollte alles „sehen“ und nachfühlen. Was in mir unsichtbar sich verbarg von früher! Was nicht gelang. Wir gingen anfangs am totalen Kontrast von Vendome , an Sexläden vorbei. Nich-tmal eine Hure in den Nebenstraßen der hier zu sehn. Die Moulin Rouge wie ein Phantasma ein Klischee! Elend abstrakt alles. Ich filmte. Hier, bitte solch ein Bild:

Wie soll ich die Zeitschnitten schneiden? Von 68 hab ich keine Notizen mehr. Da wars so, dass ich auf dem Flughafen Orly in einer Telefonzelle mein Notizheft mit allen aufzeichnen liegen gelassen hatte. Es war reiner Wahnsinn. Ich wurde nicht akzep-tiert von der Fluggesellschaft, weil mein Ost-Pass nicht akzep-tiert wurde. Und ich telefonierte mit Dr. Fehr von Inter Nationes, bat ihn, das in Ordnung zu bringen, was auch geschah. Aber der Notizblock war weg. Ich dann eben in Bonn nach 2 Stunden. Es war Nacht in Deutschland, Ende Oktober 1968.

Es ist eigentlich nicht viel zu sagen über meine Erlebnisse da-mals, sie sind auch merkwürdig abgeblasst, wohl weil es eine ganz andere Epoche war, das Vorvergangene sozusagen. Nichts mehr lässt sich nachvollziehen. Ich weiß nur, dass ich enorm viel zu Fuß ging, dass ich fast täglich im Louvre war, dass ich sonst in Nr. 11 (onze) nahe der Botschaft für 11 Franc in nr. onze kampierte, wahrscheinlich ein Secuhotel, dass ich einige male mit „Nr. onze“ aufgerufen wurde, wenn mich jemand suchte, anscheinend doch einige. Und dass ich von „Salam de Sibiu“, eine ganze Stange, und Rotwein (Vin rouge) lebte. Dass ich Nina Cassian traf, dass wir Celan sehen wollten, er aber schon in der Klapse war. Dass mir Paris eigentlich eher vertrauter war als heute. Dass ich mehrere Bekannte, auch einen Deutschen, der in Paris lebte, hatte. Dass mich eine französische Rumänischstudentin, mit deren österreichischen Freundin ich damals in Bukarest ein schönes Verhältnis hatte, mich mit dem Wagen ihres Vaters auf den Flughafen Orly brachte usw. Also doch Menschen wichtiger waren als die Stadt selbst.
Und auch das Pigalle-Erlebnis gehört dazu:
Ebenso der Klang der Namen, die melancholisch stimmen. Auch „Pigalle“ Oder Champs Elysees. Welches war die Metro, die ich jetzt so sehr vor mir sehe… Das gibt es jetzt nicht mehr. Paris-Sentimentalität ausgetrieben…. Nur noch Geschäfte werden da-mit gemacht. Jaja, ein ganz schönes Foto vor Sacere-Coeur , die Ziehharmonika spielte… Hier das Foto, der Ton?


Die Abreise freilich 2009, wo ich zu einem PEN-Kongress vom Goetheinstitut eingeladen worden war, verlief ruhiger. Wir fuh-ren von Pigalle über Montparnasse nach „Hause“, bezahlten das ziemlich elende Hotel Fred, vorher ein ebenso elendes Mittagessen in einer Bar „Entrecot“ sollte das sein, und fuhren mit einer Taxe nach Orly, ruhiges Einschecken und Flug dann. So viel Zeitverlust aber.

Wenn ich jetzt zurückblicke, bleibt Paris trotzdem ein Fest. Auch wenn der offizielle Auftritt eher jämmerlich war, trotz Einladungen von Goetheinstitut und Botschaft. Mein Lesen war verhallt. Buchverkauf null, außer einer jungen Frau, die unbedingt den „Capesius“ haben wollte, kein Interesse, geschweige denn von den Kollegen. Ich schenkte der jungen Frau „Landsehen“ mit Widmung. Da war aber noch ein Luxemburger Franzose, der gute Worte zur Lesung fand. Und mir tat es leid, dass ich nicht mit ihm den letzten Abend verbracht hatte, sondern mit dem Botschafter. Der Luxemburger sprach den ähnlichen moselfränkischen Dialekt.
Ich hatte in Paris nun eher Freunde verloren. Und weiß nicht warum.

Wenn ich zurückdenke, war auch die Ankunft so harmlos nach 22 Jahren: 1987 zum letzten al hier gewesen!

Damals war für mich die Concièrgerie mit den Revolutionsterror der interessanteste Paris-Teil gewesen. Wir gingen wider dorthin. Ich wollte vergleichen:


7.Oktober. Wie sich die Zeitschichten nun überschneiden wieder. Wie Paris weiter rückt. Ich überlege, was hatten wir und an welchem Tag gesehen:

Am 30. Bis 16.h.
Der Abend im Goetheinstitut, die Lesungen, Bis 7, Gabrielle und dann vom abwesenden Kunert und Finkelgruen Texte gelesen.
Dann Pause mit Getränken. Ich war seltsam aufgekratzt, obwohl ich eigentlich lesen sollte, bis morgen warten muss.
Und dann die langweilige Runde mit Goldschmidt und Honig-mann. Langweilig privat-
Ich revoltierte redend. Das brachte mir: Du hast gestört wie ein Schulbub – ein. Von Nadine, der frechen Münchnerin.
Ab 10 dann Abendessen Einladung von Goethe. Zurück zum Hotel mit dem Taxi. Das war eine schöne Nachtfahrt durch his-torische Zentrum.

Am 1. Vormittags Quartier Latin. Notre Dame. Vor allem aber die Conciergerie. Und der Vergleich mit 1987. (Siehe).
Dann zurück ins Hotel kurzer Mittagsschlaf. Und Vorbereitung zur Lesung heute.
Um 13. Uhr mit GA und Nadine. 14 h Bibliothek National.




ADRIAKÜSTE. MALI LOSINJ


Und überlege hier, wie so der Zufall spielt. Wie hängt eigentlich Meeresurlaub, Verbrechen und Wahnsinn zusammen. Wie kann er zusammenhängen, Und erinnere mich an unseren Meeesausf-lug an die Adriaküste:

MALI LOSINJ
Der Ältliche da liest, er liegt zwischen lauter verschlossenen Spalten, unter Schirmen und Illustrierten, verschmiert mit Nivea und Bronzol, geschlechtslos der Brusthof, die Warzen liegend. Und der Ältliche liest, der sonnengebräunte Schwanz – eine Seltenheit hier auf der paradiesischen Konsumwiese – reckt sich der untergehenden Sonne entgegen. Ich bin ziemlich erstaunt (denn mir war die Lust beim Lesen dieser Literatur vergangen), wie der Mann, Mensch selbstvergessen mit der linken Hand nachfasst am Glied, als nun der gefesselte spanische Pater von Simone, die den Rock abgelegt, den seidigen Schlüpfer, die Hose genüsslich abgestreift, traktiert wurde auf nacktem Hintern. Selbstschuss für den geilen Pfarrer, seine Pistole reckte sich, als sie ihm die Kehle anfing zu drücken, da soll er aus Sauerstoffmangel im halben Ersticken halluziniert haben wie Erhängte; das ganze Leben, ein Film überflutet vom pisernden stauchenden Krampf des Orgasmus. Der Autor, dieser Kryptofaschist, ich höre, er kam nachher doch in den Widerstand, erschrocken wohl, wie die Phantasie hemmungslos die Wirklichkeit zerstören kann.

FKK hingegen passend zur milchigen Mattscheibe, wie ein Kunstflug aseptisch über der schönsten Gegend. Fast lob ich mir da Bataille, Salò, den natürlichen Ekel. Hier wurde er überholt, hier hat man ihn integriert.
Ein Graukopf neben mir liest, ich schiele hinüber, er liest die Augengeschichte: Simone, die in Sevilla Fellatio treibt mit der glänzenden Eichel des lustbrüllenden Paters; wie sie in den Taufkelch pisst und der trinkt. Die schreckliche Sehnsucht nach den stärksten Gerüchen, dem fadesten Geschmack, sich der Existenz versichern durch Hinfassen, Lutschen an Worten, Lecken an der Nomina, Fressgier des tierischen Auges. Ekstase des Schweinischen, gröbstes Hiersein: in dieser versunkenen Umnachtung saugen zwischen den Beinen am Schamhaar, Eingang, wo wir diese Welt betreten, die Zunge an zarterer Lippe und springendem Saft, trinken das feine Stöhnen, das aus dem duftigen Atem des Mädchens von da oben herab kommt.

Weit überschwemmt, am Meer, am Meer –
die Freiheit siecht dahin im heißen Sand.
Die Kinder nur und jene kleine schwarze Katze,
sie sind noch hier.

Mein Blick geht außen um
und fängt die Gier sich ein,
das schwarze Dreieck,
dieser Ein- und Ausgang aller Menschenkinder,
den man als Ton und Sprung erfahren kann,
ruht hier nun träg als reine Spiegelung
im ausgedörrten Hirn
als wärs ein schweres Ding.

Nahm den Schwanz, nachdem ein Leben den nackten Paterkör-per erschüttert, durchzuckt hatte, steckte die Rute in Simones nassen Spalt, die würgte weiter die Kehle, der Atem blieb weg, der Steife in der geilen Vulva, der dunklen Höhle, aus der er ge-kommen war, auch er, die Kreatur. Und Simone spürt nun den Samen des Sterbenden, einen Erguss in ihr, Erguss für die Lust-mörderin. Und der Lesende auf der FKK-Wiese röchelt leise und schmatzt mit den dünnen Lippen, wackelt mit dem Graukopf, kann sich nicht halten. Jetzt kommt das mit dem Auge, dem toten Glaskörper, dem ehemals durstigen und im Turm (trink oh Auge, oh, und die Wimper, und die Tränen, was sie schön hält, die Wimper, Häute!) herausgerissen nun im schweinischen Buch von Bataille natürlich, gelesen von diesem alten Arschloch, der den Pimmel kaum halten kann und ins Meer rennt, um sich zu kühlen. Und ich sagte noch: Darf ich? Er japst: bitte! Das Priesterauge wurde zwischen Simone und den Autor getan, das rollte auf ihrem nackten Bauch wie im Akt, und dann verstaute sie das blassblaue Auge tief in ihrer behaarten Vulva, Same des Autors ergoss sich darüber; das üppige Schamhaar dampfte; mir scheint, hier riecht’s nach Fäulnis und Fisch.

Ein Braunschweiger war’s stellte sich heraus am gemeinsamen Tisch im großen Abspeiserestaurant von Val Alta, in der Nähe von Rovinj, Istrien, wo herangeführt wurden auf kleinen Ser-vierwägen die von den Deutschen gewünschten Speisen. Kraut durfte nicht fehlen und Bier nicht. Brav saß man da bei Tuborg und Kaffee, Nudelsuppe und Hackbraten. Manchmal, nicht oft, kroatische Gerichte. Nein, in den Ferien nichts anderes als zu Hause, familiär, die gleiche gewohnte Umgebung, wenn auch auf FKK-Weise.
Der kühle Norddeutsche ist gar nicht kühl, ein wenig förmlich. Kleine Verneigung, bevor er am Tisch Platz nimmt. Ich bin an-fangs schockiert, als ich ihn angezogen wieder erkenne. Der Hängende fest in der hellen Sommerhose (mit Bügelfalten), der Kopf grau, aber mit sehr frischem Ausdruck, grünlichblau die Augen, der Mann da, immer noch sprühend vor Energie und von einschüchternder praktischer Helligkeit im Kopf, vollgestopft mit technischen Details, dass ich Komplexe bekomme und auch nicht mitreden kann bei so vielen praktischen Beispielen. Im Augenblick aufgehen, davon war dieser Mann ganz und gar ausgefüllt.
Der ehemalige Panzeroffizier ist, darauf ist er sehr stolz, aufgestiegen aus einer braven Tischlerfamilie zum Versicherungsrechtsberater. Er kennt sich aus. Er muss nicht in jedem Urlaub Orte aufsuchen, wo er im Krieg war, um zu sagen: Sieh, Mutti, hier bin ich damals Chef gewesen. Er weiß zu erzählen von Braunschweiger Originalen. Ich fühlte mich an Kaisersaschern erinnert und an Kaiserslautern, US Army, Dirnen im Jägerhof. Doch geht es nun um das verstorbene Braunschweiger Original, den Rechen-August, der einmal, so der Graukopf, als eine Art Computer bei der Braunschweiger Bank eingesetzt worden war. Er bekam alles raus, der Rechen-August, jeden Fehler, aber sonst, na ja, war er ein völliger Idiot, dumpf wie ein Tier. Doch lang hielt’s den Panzeroffizier nicht bei dem Thema. Jugenderinnerungen schlugen durch: Das waren noch Zeiten: Nulluhrdreißig ist die beste Zeit zum Abmarsch, sogar für Autobahnreisen; auch wir sind aus der Kaiser Wilhelmstrasse zu Hause Richtung Süd zu dieser Stunde aufgebrochen. Unser Spaziergang nach Paris im Jahre vierzig begann ebenfalls um Nulluhrdreißig. Und Gleiwitz? Auch, ja. Nur der Angriff war selbstverständlich später: Vieruhrfünfundvierzig. Ich bin kein Nationalsozialist, das sollen Sie nun nicht glauben, war’s auch nie. Trotzdem: die Feinde haben die Kriegspropaganda über das Kriegsende hinaus und bis heute durchgehalten. Das Bild von Deutschland, von Führer und Reich, haben sie diktiert und diktieren es bis heute. Wer denn sonst als Hitler hat dem deutschen Arbeiter Brot und Arbeit gegeben, damals, als die Scheiß-Demokratie versagte, das Parlamentariergeschwätz, das sich bis heute wiederholt… aber lassen wir das. Den Krieg haben wir ja doch noch gewonnen, mein Herr, mit unserer starken Wirtschaft und harten D-Mark. Durch Kriegswirtschaft hatte Hitler das Reich gerettet…
L. verwies wütend auf die Fosse ardeatine in Rom, ereiferte sich über den Tisch, verschüttete vor Aufregung den Rotwein, par-don, der Nachbar hilfsbereit und höflich, winkt energisch den Kellner herbei, und im Spaß: Sofort, he, weg, dann ein paar rus-sische Brocken, drohend im Spaß, immer mit zwei erhobenen Fingern, Tatatata…

Kriegsrecht, Haager Landrecht, sagt der quicke Graukopf aus Braunschweig in Val Alta, ist doch klar. Keine regulären Solda-ten, die gefährden doch alle, diese Banden. Sie gefährden Zivil-bevölkerung und Heer, sie dürfen deshalb abgeurteilt werden, auf höheren Befehl: 1:10 wars bei Kappler, gut – aber die Italiener in Albanien, 1:200, galt für die nicht das Recht?

Der Feldwebel und fünf Soldaten legen die Bretter auf den zu-gefrorenen Strom, müssen mit der Axt ein großes Eisloch schla-gen, dann erst werden die Verurteilten gebracht; zweiunddreißig Grad unter Null ist es in jenem Winter 1943. Die Frauen stehen da, blaugefroren. Die Schweine da machen sich noch einen Spaß mit den jungen Frauen, reißen ihnen auch noch das Hemd vom Leibe, so stehen sie wie nacktglänzende Madonnen in dem unendlichen Weiß, zittern und schluchzen. Manche wissen noch gar nicht, was sie erwartet. Der Feldwebel und zwei Männer greifen nach dem schmalen Brett, da schwebt ein Mädchen auf sie zu, sie fassen hart nach ihr, es ist ja das letzte Mal, die Schwarzuniformierten grinsen, tapsen den warmen Körper an, der letzte Mann legt Hand an: He, du Aas, du eisige Braut, und fassen zu, Partisanin oder Partisanenfrau, am Hintern, pressen die Brüste und Schenkel, ein letzter Schrei, langsam verschwindet der Frauenkopf im Eiswasser, taucht wieder auf, schöpft Atem, einer schlägt mit dem Gewehrkolben zu, und sie taucht unter die Eisdecke der Donau… die Nächste…



KLOSTERNEUBURG. IRRENKUNST.







IRRE

Alexander hatten wir in Klosterneuburg, in jener kleinen Stadt bei Wien besucht, von wo aus man den Weissen Berg sieht.
In einem Wiener Privatzimmer geschlafen. Dr. Navratil., der Psychiater, empfing uns nach einer unruhigen Nacht (Verkehr vor dem Fenster, zu dicke Federbetten), empfing uns in seinem Zimmer, vor dem drängelten sich die Patienten wie vor den Himmelspforten die Verdammten. Keine Einlassung, sondern Entlassung, flüsterte mir einer ganz plötzlich ins Ohr, dass die Stimme in der Muschel kitzelte und tiefen Eingang fand.
Als wir dann Alexander kennen lernten und auch seinen Mitpa-tienten O.T. (der einst Funker bei Generalfeldmarschall Paulus gewesen war) – jetzt im Irrenarzt-Zimmer, da dachte ich, die ha-ben sich selbst im Kessel zurückgelassen. Die Schlacht war an-ders. Und das kann selbstverständlich dem Verstand reichen.
Alexander saß vor uns mit vorgeschobenem Unterkiefer, er sah wie ein abgetauchtes Fischmaul aus. Oder wie ein uraltes Kind mit einem zu großen Kopf, in dem die ganze vergangene Welt drin liegen geblieben ist und freilich auch das Ende . So stand er nun vor uns und sagte etwas, das mich sehr anging:
In der Schule war ich froh
In der Klasse war ich immer so
Gelernt habe ich sehr viel
Zuhause und in zivil.*

War das nicht wie mein eignes Damalsstehengebliebensein, das auch Alexander in dauernde Trauer versetzt? Wie ein Elternhaus, das lange, das für immer verlassen wird, Spinnweben überziehn es wie die Jahrzehnte, ein ganzes Leben in der Anstalt! Alles nun so alt und wie versteinert!
Im Park vor dem grünen Männerpavillon saßen wir (ziemlich verlegen) mit diesem kleinen Mann, der seine Linke so hielt, als stütze er sich andauernd auf einen unsichtbaren Spazierstock. Ein Teich vor uns, darauf Enten, die manchmal (für uns völlig unmotiviert) aufflogen, ein Leichenwagen, der sich im Wasser spiegelt und, wie ich meinte, das Wasser schwärzer kräuselte. Patienten in Anstaltskleidung kehrten die Wege, die alle hier zu-sammenzutreffen schienen, wo wir saßen, nein, wo wir mühsam an Sätzen bauten, denn ich meinte, so stumm zu werden wie er.
Waren Sie auch einmal Patient? Fragte er überraschend. Und ich: Nein, aber ich habe Angst, Patient zu werden. Er: Keine Ursache. Die Dinge und Menschen sind leider nur sächlich. Früher, da wurden sie schön gelöst: von Kunst und Gebet.
Ich merkte, dass er jenen unsichtbaren Halt, den ich für einen Spazierstock gehalten hatte, wirklich besaß; er meinte später, es hänge mit seiner innern Frau zusammen, die sitze in der linken Brustgegend. Jeder habe eine innere Frau, mit der müsse sich je-der Mensch verständigen und vereinigen, dann erst sei Gott vorhanden, jederzeit: Gott hat gesagt, seid einst einig, seid Einverständnis zeigend, dass die Liebe erwacht… und was Adam in sich trägt und vorhat, den Geist erweckt, zu sagen: vielleicht habe ich den Mut, vielleicht auch nicht, Gott zu gehorchen, und einen Sohn, eine Tochter zu malen, aufzuschreiben, so wie es damals war!
Ich schob alles auf den Kessel, in dem er einmal gewesen war, ein Kreisen, eine Spirale, ein Dröhnen muss es gewesen sein. Vom Jüngsten Gericht aber redete er nie. Er machte uns nur dar-auf aufmerksam, dass die Vögel im Park, z.B. Amseln, reden könnten. Sehr mitteilsam manchmal, sagte er: Amseln pfeifen heer im Wind. Alles sei Klang. Wichtig sei es, dies im Wissen zu hören. Die Vögel singen fast ohne Bewusstsein, sagte er. Es sin-ge einfach aus ihnen heraus. Und so würden sie sich wundern über die STIMME, die sie zwar fühlen, aber nicht verstehen könnten. Auch wir müssten uns darüber wundern. Wir aber tun so, als wüssten wir Bescheid. Daraus entstehe der Krieg. Und die Sprache sperre die Seele in ihre Käfige, wie es auch mit den armen Vögeln geschehe, die nicht nur Patienten seien. Buchstaben aber: vertrocknete Tränen. Wissen Sie das? Er sah mich durchdringend an: Jedes Ding ist nur ein zweideutiges Etwas… diese Leichtigkeit des Dinges, ein anderes Wort dafür einzusetzen. Ich: Die feste Welt… Und er:… durch Kauf, ja. Und dass der Mann draußen sozusagen die Wahrheit stempelt und beiseite schiebt, die Wahrheit, die Ware wird, weil sie ja nicht mehr ist, sie wird aufgehoben durch die Währung und die Kraft des Geldes.
Und leise, fast unverständlich, was am Ausgesprochenen (ich nahm’s auf mit dem Magnetohr) zu entdecken und entziffern war:

Ich bin da,
aber/ ich weiß nicht
wann
ich kommen werde.
Das Denken der Ungewissheit
habe ich
wie mein Bruder.
Für die Ewigkeit besteht
das Licht
meines und seines.

Zögernd nur dürfen wirs
Hören, sehen
Nicht.
Der Klang allein ist in die
Wege geleitetes Zentrum.












DER LETZTE ABSCHIED. DER TOD

1.April 11. Nun ist unser letzter Bauer auch gegangen. Schlaganfall, gelähmt. Er hat noch Felder bestellt. Jetzt wird alles verfallen. Auch die Oliven. Alles ist anders. Die Verlassenheit wächst. Gli bei tempi andati endgültig vergangen.
Müssen auch wir gehen, hier wegziehen? Trauer und Nostalgie.
Ich überlege, ob das auch mein neues Lebensgefühl mitbedingt?
Ist unsere Lebensform erst jetzt endgültig vorbei? Wofür wir angetreten.
L. sagte, dass sich die Jungen ein Beispiel an uns nähmen… Aus.


„WEG TAUCHEN wollte ich aus diesem Licht. Die Uhren wollte ich nicht mehr sehn. Sich verbergen, verschwinden. Ein Niemand sein...“ Wie schön wäre es, wenn ich es jetzt könn-te! und so wehre ich mich auch, wenn nachts jene Gedankenfet-zen hochkommen - seit jener Nachricht, deren Folgen ich vor-aussehen kann! Als griffe mir diese Fremdheit an die Gurgel. Und als wäre es lachhaft, dies zu denken: - Der Tod als Höhe-punkt des Lebens? Und Rilke dazu?



DAS VERGEHEN, IST SEIN VERGEHEN, VERGEHEN DES HERREN


Auch ein Klaglied zu sein im Mund der Geliebten, ist herrlich,
Denn das Gemeine geht klanglos zum Orkus hinab, kann das Gedicht sogar Tun /was geschieht, nicht nur hier zu überleben / durstig nach dem Einen / bist du das „Gemeine“ nie, es muss HIERSEIN und klingen / das Netz Indras, König der Götter end-los in alle Richtungen /Fischer Netz Gottes gar / und in jedem Knoten ein funkelnder Edelstein / sich gegenseitig spiegelnd, Meer mehr Meerestropfen Meer unendlich ist ein Ja: Varuna Wassergott. / Jeder Teil des Ganzen ist das Ganze, Leibnizmo-nade, kosmische Holographie, Inter-Net / durstig und durstig sags / sich grenzenlos überlagern / interconnected.

Freunde, fangt es mir /im Kunst Netz / als Netzkunst ein. / Wenn wir Glück haben / wird Er dabei sein. Mit Sinn in den Sinnen:

Die grausame Illusion / des Lebens Schimären zu schaffen
Du weisst es im Herbst / dass das Leben / dir am Ende
alles stiehlt / wie ein Betrug

Doch ER wo ist er / er ist in der Liebe
in Uns / ist er / im Wort / das auf dem Blatt
brennt.


„Ich meinte, es gäbe eine Rettung, nämlich alles auf sich
zu nehmen, und ganz konsequent dem nachzugehen, dass alles
nur von mir geträumt ist, so jedes Verbrechen auf mich selbst zurück-weist, meine geträumte Welt ist, und ich dafür die Verantwortung tra-ge. Doch auch der eigene Tod, der Muttertod, ja, der Tod überhaupt ist nichts als ein Hirngespinst, und so gehe ich von der Unfassbarkeit des Todes aus, die ja absurd ist:
Nein, ich kann es nicht glauben, und nichts ist beweisbar,
auch nicht, dass Mutter tot ist. Ist nicht auch die ganze Phänomenolo-gie
Hegels solch ein riesiger Traum“?

Der beste Trost ist aber immer noch das Schreiben. Und so schrieb ich:

Wird endlich klar, dass Alltag nur ein Traum ist?
Und wie Erinnerung / sie baut uns auf
ein großes Aber kommt dazu
was hast du dir dabei gedacht?
War denn der Tod ein Helfer dir und Freund?
Die meisten reden lieber übers Wetter.

Und jetzt? Der Tod ist nicht diskret
und wettermäßig umgebogen
als wär ein blauer Himmel alles
der schwarz ist / Sonne trügt!
Jetzt kommt sie: schonungslos die Offenheit.
Ich bin jetzt nicht mehr Ich
ich bin der Andere
der längst vergangen ist / er lacht.
Nein ratlos ist er
der für diesen andern stirbt
dies nur ein kleines Stück
vom Leben hier.

Vergessen
dass wir gehen müssen?


3./4. April
Wir fuhren zu einer der schönsten romanischen Kirchen der Versilia, so heisst ja als Ganzes unsere Gegend, inklusive das Meer: Pieve a Elici
Chellucci- Castle
All dieses zu sehen, vor allem die schöne Vorsommerlandschaft in Blüte, dieses andauernd, fast „wonnige“ Déjà-vu, bringt eine Art Glücksgefühl mit sich. Und ich muss an Platons anamnesis, das Wiedererkennen als Ur-Grund des Denkens und Wahrnehmens denken. Das auch zu Freud und Jung führte. Erinnerungs-Arbeit als Therapie. Vergessen aber kann auch Ärger sein, Unglück. Und ich merke meine Namens-Ausfälle, das Ab-nehmen der Wahrnehmung, was ja altersbedingt sein kann. Ich aber spinne von einem Tumor im Kopf, das dies Nebelgefühl, anstatt Schärfe des Gedankens erzeugt. Und fühle mich bei all dem Reichtum hier, auch bei der wunderbaren Kirche von Pieve a Elici mit ihrer Au-ra und Atmosphäre, ihren heiligen Fresken hinter dem Altar wie über-fordert. Schönheit auch als Sinn. Und ich überlege, warum überhaupt über sie und Gualdo schreiben, es gibt so viel schon davon. Dann überlegte ich: Meine Chance ist, alles ins Deutsche zu bringen, was fast einmalig sein dürfte (ich habe vor, über die Versilia und „Meine Toskana“ zu schreiben. Ganz nahe hier verläuft die Frankenstraße, sie geht mitten durch Camaiore und seine Badia, die einmal Hospital war. Und dann nahe von unserem Haus über die Bergwege, die heutigen.



KOPFTHEATER EINES STERBENDEN
Denk an dein Kopftheater, denk weiter, lass es nicht abreißen, sonst bist du am Ende in dem du liegst weicher im Bett, und umhüllt von der weißen nassen Frau, ists die Decke am Ende, warm über dir, kein Doppelbett, Ehebett, keine Bettgeschichten mehr vom Aus ist die Rede. Sie hatte das Radio angestellt, um die Zeit abzukürzen, und da hörte er auch schon die Stimme. "Nein", sagte sie, es ist doch schon zwölf, ich höre jetzt die Nachrichten.
Er aber hörte deutlich etwas anderes, eine sehr tiefe Stimme;
einen schönen Bass: "In dir war niemand. Aber warum be-klagst du dich!
Auch hinter deinen Worten war niemand, ein wenig Kälte,
von niemandem geträumt. Und anfangs glaubtest du,
alle Personen seien wie du. Irrtum. Alle waren befremdet,
deine Familie, die wieder ganz laut und ganz warm den Raum
einheizte, durcheinanderredete und die letzten Backrezepte
besprach, als du von dieser Leere reden wolltest."

Kindheit Blindekuhspiel schwarze
Binde hinter den Augen mit den
Händen ausgestreckt ins Leere
fassen nichts fassen?
Todesspiel ja der Schuss
wartet schon lang
und merkst es erst jetzt
dass er um ein Haar schon
grau widerhallt.
Alles wär Hölle
ahntest du nicht, dass
am Ende ein Wunder dich
mitnimmt augen-
öffnend befreit.
Christus vor dir
der Tote.



BACH NUR GAB DEM BRUCH
als ganzes Abgrund, die Musik, sein Herz.
Kunst zerstritt dein Leben,
hat die Nächsten sehr verletzt,
um den alten Gott hier
notdürftig zu kleben.
ES nimmt mich hier mit, der Rücken ist wund,
Mark und Bein und geht durch dich nur mehr:
als schlafender Tod bis er erwacht, die Bettstatt ist
nun seine Werkstatt, die Weisheit sein Feder Kissen
ist schwer, löst alles auf, was noch ein Gesicht hat,
Gesichter, mein Herr, das stimmt wie die Violine,
gestern Nacht: die´s Gesicht hat, allein noch hier
und wirklich zu sein, hast deinen schmerzhaftesten Teil
nicht mehr, und dann kommt er:
der Klang-Körper, hörbarer als die Welt. Und schwingt ab
und sich auf. Dieses Modell der Auflösung und das Lernen jetzt so himmelst du ohne Bundesgenossen, die noch im Körper mein Gott, wie festgefahren sind.
Der Fluss in dir es fließt
und kommt nie an. Im Kopf.
Nur wenn du träumst ein Kind
dort an der Trauerweide
grünt das Loch
dann tönt dein alter Körper schwimmt
den Bach hinab die Flöte
Ein Märchen. Einmal wars Scheherezad.

Oh, Kind erzähl ich es dir,
wird alles wieder gut.
Hoch oben siehst du
Vögel
in der Wunde
Und die Zeit pickt
dich dann auf.




27. November 1985. Mittwoch.
Wie ein Kinderspiel wars, damals:
“Wir fahren sie ab / unsere Gegenden / wund
wir gehen und leben / sind wieder
in Bagni di Lucca gewesen / in Granaoila / wo Montaigne
die Höhe hinauf geritten war zum Friedhof / welche Tote
von damals sind noch kenntlich? / und er?
Wir sind die Lima entlang gegangen / milchiges
Wasser / gelbe Kastanienblätter, das Sonnennetz
unter der Brücke / Montale hat es gemalt /
auch er tot / doch spürt er es nicht mehr / wie das
langsame Sterben ist. / Wir sind
an jenem Ort gewesen / Barga / die romanische Kirche steht
noch / der Christophorus mit dem Kind /
die engen Gassen / die Mauern mit den Gittern
und Einschüssen / die Bar vor dem Stadttor /
doch immer war jener Dritte dabei / und Ls Hand, die
ich nehmen wollte / fiel ab / Worte fielen
herab / erreichten dich nicht mehr / deine Lippen
zusammengekniffen ...


28.11. 1985 Donnerstag
Das Datum / das vergangene zu Mal
Ist wie ein Todeszeichen ganz real
Zeigt es Vergehen an / und deine dir
Verbleibende Zeit noch hier
Dein Leben dir bewusst zu leben: ja lies es
Laut vermischt mit Todesängsten
Du liest hier so / als wär es Nichts.
Der Name deines Henkers.


DRUCK und Morbus. Sind seine Bilder an der
Wand /die Todesbilder. Vom Abschied hier gerundet
Mein Leben / wird alles noch mal
Wild / und jung / tut weh.
Dies ist es und es gibt / kein anderes.
Und was im Buch nur steht / hat es zerstört.


Vielleicht lieb ich in dir nur / was er sieht
Das Andere was mir unerreichbar ist
Weil ich nicht bin / nicht sein kann
Was ich doch erahne
Ist hier zerstört / ein Leben lang
Nur Ungeduld mit dem was aufscheint jeden Augenblick
Und auftaucht ansatzweise nur / in jedem Ding
Und Blick / Langweile geht / hier nur nach außen um
Und innen brennts / als wäre dieser Abschied
Der uns tötet / viel zu langsam.


Als gäbe es Orpheus wieder

(XIII) Sei allem Abschied voran...
Sei allem Abschied voran, als wäre er hinter
dir, wie der Winter, der eben geht.
Denn unter Wintern ist einer so endlos Winter,
dass, überwinternd, dein Herz überhaupt übersteht.
Sei immer tot in Eurydike -, singender steige,
preisender steige zurück in den reinen Bezug.
Hier, unter Schwindenden, sei, im Reiche der Neige,
sei ein klingendes Glas, das sich im Klang schon zerschlug.
Sei - und wisse zugleich des Nicht-Seins Bedingung,
den unendlichen Grund deiner innigen (Rilke aus: Die Sonette an Orpheus)

1
Auch bin ich aufgewacht, und weiß,
Und bin nun schlaflos jede Nacht,
Der Vogel singt / ich bin ganz im Gehör
Am Baum der diesen Winter uns erfror
Und weiß, dass ich wie dich auch ihn
Zu wenig hier umgeben und geschützt.

Es kommt nun einer, der den Baum nicht kennt
Doch der den armen Platz nun für sich selber nützt

Und dieses Blatt das nicht mehr ist
Doch brennt
MEIN Vogel der aus deinem wehen Herzen singt
Der das Vergangene Leben wieder bringt
Als wärt er allem Abschied voran
Als es uns gab / nun in mir selber klingt.

2
Und dann frage ich dich / mein Gott wie
Alt / sind unsere Gefühle / doch
Und wie neu / diese Welt - wo wir
Hineingestellt sind / Atome in uns
Wie in anderen Dingen Tieren und Pflanzen hier
Elementen auch wir
Und Schluss ach Schluss
Trotz Radar
Und trotz Trotz: haben wir uns?

3
Erweckung

Orpheus und Eurydike / so erweckt
An wem / an was
An einen bärtigen Ulyss?

Auch er Atom, na und wohin
Mein Freund / tauch tief in dein
Inferno / wo die Schatten blühen.

Und alles ist
Nichts als Kontur.


UND fragen, ob du hier nicht bestehen musst
Ihr Gesicht / das abfällt / und sich einem Dritten
Zu neigt

Und du warst ja so weit
Und stehst nun vor ihr wie ein Schatten / wie ihrer
Der einmal auch vor dir stand.
Schattengleich. Schattenzeichen. Nun bist du bei ihr
Und einer ist in dir / der weint / bitter ein Kind
Das noch viel Zukunft hat, hier
Du aber weißt / und spaltest dich so
Und gehst / lässt sie los
Bist erst so / für immer mit ihr.



28./ 29.
Traum von einer Schwarzhaarigen
In einem Amt. Annäherung. Küsse., Rendez-vous.
Um acht Uhr abends. Da kommt MRRanicki zu Besuch.
Ein großes Bett / meine Bücher liegen auf der Decke.
Er sieht sie flüchtig an: Sie beschäftigen sich wohl mit
Joyce? Ich sage ja. Aber nur in Maßen. Versuche
Innere Monologe. Habe dabei Angst
Die Frau zu versäumen. Es ist halb acht.

Wenn ich nun ans Allgemeine binden will / was uns
Geschieht, ist es die Auflösung der Zeit,
Der wir (mit Überdruss nur) sicher waren.
Denn das Leben schien nicht mehr weiter zu wollen.
Jetzt wenn die dir unsere Freuden schenken will. Wer?
Also die erregenden Utopien / wohin reisen wir,
die Ausflüge in die Berge, Boots-Reisen /
was machen wir noch / wie wird’s uns ergehen?
Jetzt wenn die Utopien sich als Trug erweisen?


Dann unser Ort hier. / Schnitte in der
Mauer / blutrotes Ereignis in den Wolken über Pedona /
Widerschein in den Fenstern / darin spiegelt sich der
Garten / die Bäume / wir, unsere Jahre. / Als wäre alles
Unsere Geschichte / der Küchenschrank / hier gekauft,
Von dir “restauriert” / 82 im Februar, als der Selbst-Mörder
Fotograf kommen sollte / mich aufnehmen für Serkes Buch.
Oder Widerschein im Zinngeschirr / auf einem antiken
Eckschrank / ja wann war das / Amsterdam 1972
Grachten / Trödlermarkt / und dem Lupenschleifer
Baruch / der de Monaden kannte / in uns allen.
Ein glühend roter Lichtstrahl / fällt fast horizontal ein /
ein Abschied neigt sich der Erde zu / wie ein sehr langer
großer Schatten / wie der Tod / vorstellbar / fällt
auf die Hopi Kashinas hier / 1979 im Juli / im Jahr
Als mein Vater starb / aus Amerika/ Moecopi/ mitgebracht.
Alles hier in ein jung gebliebenes Jetzt.

Schnitte “combinazioni dei fondi”, / ich suche im Herzen Schichtontologien / Schnitte, alte Tage Bücher und Nacht Bü-cher/ und eben brachtest du von den Fischers
aus Pieve eine Buch Kassette: Wölfli / wann war das: 1976?
Bei Elka Spoerri in ihrem “Stöckli” bei Bern.
Von der Wiege bis zum Graabe. Oder
Durchsichtig arbeiten und schwitzen, leiden, und Drangsal
betend zum Fluch?

Schnitt. Und musst einsehen/ großes Gespinst
Eurydike/ und hol sie... Oder die / Unterwelt / Ulyss
lässt die Mutter Blut trinken
um kein Schatten mehr zu sein.

Und wenn wir uns vornehmen / am 6. Dezember
nach Neapel zu fahren / müsste
natürlich Cumae und auch die Sibylle
besucht werden/ denkst du an Waste Land
von Eliot? / Und die Ebenen müssen zusammen-
kommen / parallel laufen,
das ist die Rettung.

“Nichts zählt als die Inständigkeit der
Zuneigung.” (H. Pound).

Und erlaube mir / an die Kristallisation des
Herzens zu denken / bei Stendhal / auf Monte
Christo / er war ja dort gewesen.
Ich mit Linde und dem Anderen / diesen Sommer
zählte sie da / diese Inständigkeit / oder werde ich später
so beschenkt / von zwei Frauen / oder beschenke ich sie
denn nichts zählt mehr als Liebe/ Himmelsgeschenk: Erfüllung/
diesen tiefen Grund auch des Meeres zu erleben, tauchend sehn / 40 Meter tief sahen wir seine Wunder
Gottes Liebe/ der zärtliche Blick / alles klingend
angenommen / Banales wird heilig / dass der Kustode uns
nicht landen ließ / ein scharfer Wind blies später / als wären
es Aeolos Windsäcke / und waren doch ein Geschenk.
Und so wurden wir wieder weit hinausgetrieben / Heimat
irgendwo? / Dass ich nicht lache!


Genialität / heißt es
sei ein gutes Gedächtnis.

Alef: Eins – das Stierhaupt ist zu sehen
Un du denkst an Knossos / ein Kitschfilm
von gestern Abend oder eignes Knossos-Ich
vor Jahren?
Oder heute der rotglühende Sonnenuntergang mit Adam
Adom (rot) dam wie ein Damm/ das Blut vor dem Sterben
Stier / ein rotes Tuch spanisch
aber Leben - heute....

Beth: zwei: das Haus / wie die Lippenöffnung
einer Frau/ so oben wie auch unten
und blüht auf / der Atem

Auch dieser "kleinen" Verlust tut weh, er war unser Hausgenosse seit 17 Jahren; / und schrieb eine Kleine Hundeballade.
Mein Gedicht in Marciana vom 30. Juli 94. Heute neu geschrie-ben, wo es leider, leider nun endgültig gilt, du warst noch fast neun Monate bei uns.


Einfach
Was der Tod nicht angibt
Ist ein Leben.

Über ihn hinaus nur
Atmen.

Erstick Anfälle/ Jahrzehnte
Lang
Wer erlöst wird
Durch das Unglück sieht
Mehr.

*

Sprache
Auch anders/ möglich: im Toten Gespräch
Alles was ist
Kann nicht da sein.

*


15.6.86 Gestern Borges gestorben. L. trauert. Die Welt ist leerer geworden. Sartre tot. Böll tot. Auch Vater ist tot.

Geistersehn (Diktat)

Lass Diktate fließen Wort für Wort
Gereimt im Tagebuch nur Sein
Kein Banalgedanke ungereimt vom Tag
Unangestrengt beschein die Welt

Orpheus sagt/ so lass den Zweifel überwintern
Schwarz zu sehn heisst nicht das Elend sehn
Tauglich wieder schwer erfassbar Hirnbilder schlagend
sich zur Schwäche so hinaufzumühn.

Alles was ich nachts albträumen konnte
Seile um den Hals und dann die Himmelsleitern
Waren meine kleinen armen inneren Propheten
Die ich ausschlug/ wenn ich die Tage
blöde lebte.

Nichts die Null nur gilt
Ich lass mich aus und fallen
Die bewegte Hand allein gehört noch Ihm.
Der erreicht dass ich mich verlassen konnte
Einmal wach ich auf/ und lass mich aus/ gehn

Doch was soll noch dieser Name
Ob er ein Ganzer ist oder schon Herr Christ
Was er hier tut/ ich die Hand bewege
Ist eine Öffnung zum Leinen/ auf das Er mir schrieb
Was hier und zugleich doch hinüber ein Zweieiner IST?

Sag Herr Verweser der sich die Worte vertreten lässt
Verwesers was sich hier aufbaut baut am Tag
Der Geister Welt: Stelle sie hoch und verwandle endlich
Augenhäuser bis Löcher verschwunden sind.

Was heißt hier „rühmen“ Schwarze Löcher sind die Tore
Und ein Stottern muss der Weg zum Andern sein.
Lass dich gehen/ was kommen soll
Hast du in dir,
Die bewegte Hand ist ihr Teil.

Boden Los will ich begegnen können
Wer die Grenze schweißen will
Nimmt den alten Sinn aus seinem Hirn
Und Engel schlagen Flügel/ trennen
Einfach ausgetragene Frucht die Eins

Erst ein Beides wie umarmt
Das Unsichtbare hat die Stimmen
Hörbar täglich fein wie Glas
Ein Klirren im Tunnel der Zug
Hinter dem Licht ist angenähert
Am Ende Ausgang

Mund: der spricht!

Und das Vergehen stürzt
In ein tieferes Sein.

Nicht verzweifeln Freund du bist ein Übersetzer: nimm es auf
Was stört/ verknotet im Geschehen
Schwingungszahl- so las die Dinge
Klingen gegen den bloßen Gedanken dass
Er auflöst jede Qual Vergehen
Ist Schein.

Häng ich am Tage was erscheint
Und mich umgibt: Genuss
Der Blumenblätterzahl der Tür
Such dich besser was doch schlägt
Wie stürzende Wasser Fälle
Löst die Kopfhaut Knochen-
Heiler dass der Tod nicht sei
Denn DU steigst aus!


Einzige Heimat. Und der Schweifende ist das Ergreifende –


Aalen
Einstürmt verloren/ was Siebenbürgen bringt:
Schwere/ und ich gehöre nicht dazu
Kommunal etwa oder die Honterus-
Brücken/ drückt Realität stärker
Ins Gewicht der Maßnahmen: harter
Alltag. Andererseits ist das Vergangene
Nicht vergangen: Prozess der

Schwarzen Kirche mit
Gottesdienst, ratlos geht der Herr
Waffenschmidt und
Verbirgt das Fremdrentengesetz in
Der Tasche.

Das I-Tüpfelchen zum Glück freilich fehlt.
Von irgendwoher kommt ein
Schwermütiges sächsisches Volkslied
Und bricht auf/
Die Wohnung meiner Mutter hier holt mich mit der Zeit ein.
Eine Kruste bricht auf
Und ich fürchte mich vor dem
Heimfahren-
Der Zustand des Gefühls ist einfach
Darüber gestülpt. Hell dieser Müll
Und die Maske!

Der Mensch von gestern war in mir
Gestorben/ und jetzt stürmt alles wieder auf mich ein:

Niederdrückend aber ist es
Dass Andere nicht mehr zu sehen
Es ist die Kraft die mit dem Alter abnimmt.

Wie zieht mich das alte Gefühl
Herkunft zumal ins Einfache hinein
Dass ihm nur wie ein Würgen im Hals entspricht!

Und vielleicht sehn sie sich so gern
Um dies erinnernd zu wiederholen
Aber das Einfache nicht das so
Schwer zu machen ist: es ist
Nicht zu machen.

Ein klarer abendrötlicher Novemberhimmel sieht zu meinem Fenster herein, eben ist die Sonne im Meer untergegangen, die Bäume werden dunkel, die Konturen der Berge der Erde zu schwarz, dem Himmel zu noch lichtvoll rosig, hoffnungsvoll frei und offen; doch die Käuzchen verkünden schon die Nacht. Bekanntlich steht jetzt der Wald schwarz da und schweiget, Anfang und Ende. Leben und Tod treten zusammen und dies Tagesende an: das zugleich für uns die Liebesstunde ist, unsere Antworten, unser "Emils", welch Scherz: auch das weiße "Mehl", in dem wir wohl gepökelt und dann gekocht als Liebesschnitzel oder arme Würstchen im Maul des großen Schicksals zappeln und doch glücklich sein können. Ist das der große Verführer, der uns so in seinen Händen hält, und er tut mit uns, was er will!

Und schreibe jetzt, und versuche ihm ein Schnippchen zu schla-gen, wie der andere, der große Kollege aus Prag. "O süßes Lied" - wenn der Schreibende, Schrift, Kunst , die ihn rettet, nicht nur der einsam und vergänglich Liebende da ist, der davon als armer Mensch nur verzehrt und sogar getötet wird, sondern der sich dem großen Andern übergibt, und das so Dauerhafte, auch in Zukunft nicht nur Gewesene, rettet, das über jedem vergänglichen Gefühl steht, auch dem der vergehenden Liebe, ihm erkennbare Gestalt gibt, angstloser macht, und das undurchschaubar Erlebte, das rätselhaft uns entzogen ist und uns so wehtut und bedrängt, mit aufgehoben sein darf: HIER. Jaja, genau HIER in diesen Worten für Dich.


Im Bad dachte ich dann unter der Dusche, während mir das Wasser wie weiche Hände über den Körper floss, einen beson-ders wichtigen Zwiespalt heute im Webzeitalter: es geht noch weiter in der Zerstreuung, dies Entkommen aus dem bisherigen Zwang zur Substanz, zur Bindung, ja, zu einer seelischen Ver-pflichtung und Entwicklung, die als etwas Veraltetes ironisch zitiert wird, löscht den Abgrund des einmaligen Subjekts; es bleibt der austauschbare Sexpartner und unzählige Sex-Objekte; das Vorhandene, das Faktische, das Chat-Jetzt, dies ist der eigentliche Grund der feuchten Stelle in uns, die auf die Dauer dem Charakter schadet, und so eigentlich die beständige Liebe unmöglich macht, oder Verliebtheit nicht mehr umsetzen kann in ihren Ernst.

Das Medium hat an uns und unserer Liebesfähigkeit verheerend gearbeitet. Der Text war die Liebe, und nicht die Liebe der Text. Textphantome fanden sich und nicht Mann und Frau. Es ist dieser Zwang zur Diesseitigkeit im elektronischen Raum, der weder das Geheimnis des Einzelnen, noch Transzendenz kennt, anstatt des Ganz Anderen, diese wahnsinnig vielen Andersheiten von Sexidentitäten; Zwiespalt zwischen Substanz und Wegwerfgesellschaft, Schein und Sein? Dabei sind wir doch alle... jeder für sich und Gott für uns alle - EINS, Teil davon.

Wer wusste je das Leben recht zu fassen,
Wer hat die Hälfte nicht davon verloren
Im Traum, im Fieber, im Gespräch mit Toren,
In Liebesqual, im leeren Zeitverprassen?

Immer schlimmer diese Zeitvergeudung! Auch im Schreiben die Schnelle. Schreiben und Lesen werden zu erotischen Vollzügen, und der Schreibende wird reingerissen in ein netzartiges wab-berndes Gefüge von Millionen Partnermöglichkeiten. Ein rhizo-martiges Bild seiner Wünsche, darin spiegeln sich alle daraus herausgehobenen potentiellen Wortbett- Liebesgenossinnen ... und alles ist unendlich wie die Lust, denn jede Lust will Ewig-keit, will tiefe, tiefe Ewigkeit...
Was lamentiere ich da... und suche nach der Einen, suche doch nur das Eine, wie alle!

2000.Mai/Juni. Mein Krebs damals. In der Urologischen Klinik, U1,/ Privatstation des Prof. Eisenberger, Zimmer 007./ Bad, zwei Betten, jetzt,/ nur ich./ Zwei Ständer für den Tropf, eine Leiste mit elektrischen und Telefonanschlüssen,/ dem Notruf, mit dem man auch das Fernsehen und das Licht betätigen kann./ Dann Anschlüsse für Air, O2, Vac./ In der Ecke der einfache Kasten, eher ein Spind/ für Patient 1 und Patient 2 und Pflegemittel./ Dann eine Bank, davor ein Tisch, 3 Stühle. /Es ist schon eine Art Zelle./ Die vordere Wand ist Glas, 3 öffenbare Fenster in Richtung Park, man sieht also Grün, Blumen, Bäume, und das Lindenmuseum./ Und da habe ich nun 20 Tage verbracht.

Und welche Gefühle hast du D. beim Fensterhinausschauen?
Angst, was ist das? Du wartest auf den Befund, das
Wird sich dann hinziehen, und Linde sagte heute brutal: ich werde allein bleiben und es geht mir so wie meinem Vater im Pflegeheim: Allein/ deine Lebenserwartung ist nun sehr eingeengt... Eingeengt, eingesargt schon jetzt ... zu tief in den Abgrund, wo sich die Worte verlieren, geht nachts die Angst nicht hinab ins Zittern.

O viele Freunde und Alte sind schon drüben
Im Licht?
Nichts ist zu tun? Zu warten? Du kamst ja, woher? Und du
Gehst, wohin?
Sie, werden es Tun für dich?

Am Schluss ein Blitz vielleicht / und dann
Tief ist die Nacht, die dich
für immer besitzt?

Und dann die alternativen Therapien. Zwischen 16-21. August waren wir wieder in Ligurien segeln. Körperlich war ich in Ord-nung, seelisch aber der Todesgedanke, der mich nicht mehr los-lässt, und die Blickrichtung, ja, das Licht der Welt verändert hat; ich kann mich eigentlich nicht mehr freuen. Einen Tag nur war diese Freude da, ich sah im Golf von Lerici alles wie ein Wunder an, und dachte plötzlich alles zum erstenmal zu sehen….

Abendessen im Garten, noch mit Sternhimmel, und wieder zeigt sich, dass man nur vom Krebs sprechen muss, sofort ist jemand da, der zum Leidens-Club gehört. Editt D., die Bildhauerin aus Kanada, die ein Atelier in Pietrasanta hat, sie stammt aus Iaşi, fing sofort an von ihrem Vater zu erzählen, der – erst 80-jährig im März gestorben war.

Dann musste sie Tag und Nacht an ihn denken, den sonnigen Menschen, der jetzt eine schwarze Sonne geworden war. Sein Auge, das sie wie von drüben angesehen hatte, verfolgte sie. Vor allem, das im letzten Augenblick seines Leben im rechten Augenwinkel eine Träne hervorkam und dort hängen blieb, nicht übers Gesicht lief.

LACRIMA rerum nicht nur gespiegelt in der Träne
Die Welt:/ wir sind wie ein Auge der Toten / und nur ihre Träne rinnt in unsre Lichtwelt.
Im Augenwinkel langsam / wie die Zeit, die einmal
Geblüht hat, fällt sie als Ende
Auf das was zurückbleibt,
auf den ihm gleichen, den Herzschlag der Tochter,
ein letztes Geschenk seiner Sonne,
die in Gedanken nie mehr vergeht.

Schwarze Sonne der Augen
Mit einem Lichtblick der Iris
Täuscht sie Welt vor/ ist sie
Der Eingang, wenn sie
Das Auge schließt/ um es drüben
Zu öffnen?

+

Sie erzählte, dass sie am Meeresstrand plötzlich ihren eigenen Schatten über den Sand habe fallen gesehen, ein Bild der Ver-gänglichkeit. Und daraus ist "Schatten" entstanden. Dieser auf-erstandene Grabstein mit dem Skelett:

WIEDERKEHR DER TOTEN mit einem blitzenden Licht
der schwarze Kopf, um uns zu zeigen, dass es eine verborgene schwarze Sonne gibt, die wir nicht sehen! Liebe ist von der anderen Seite hier / Ein-Leuchten berührt, was unser Herz wach macht - und wieder singt.

Das Auge blitzend in der Pupille
Licht in der Träne:

Schwarzer belgischer Marmor/ gerippt
Wie ein Pilz / wie ein Fächer
Schwarze Sonne, unsichtbarer Schmerz.

Die Träne aber fällt nicht,
fällt nicht, rinnt nach innen,
wie die Tränen der Heiligen, aus denen diese
Gotteswelt wird.










NACH WORTE ZUM TAGEBUCHGEDICHT


Das Tagebuchgedicht, das ich jetzt schreibe, reinigt wieder, stellt den verlorenen Zusammenhang her, entwickelt die im Unbewussten liegenden Fotonegative, und versucht die ihnen zugehörigen Zusammenhänge in die Assoziation zu bringen, um ihrer tieferen Natur gerecht zu werden. Der Gang der äußeren Tage, die nur die erste Ebene, ja, der Rohstoff für dieses bessere Gefäß und Gespinst ist, werden so sublimiert. Denn wenn es geschieht, wissen wir noch nicht, was uns geschehen ist. Es ist eine Rettungsaktion, in der wir mithelfen, wenn auch mit geringen Mitteln und das Einzelne die Welt zu waschen, zu beseitigen, was der Verstand, die Gewohnheit, unsere Ichsucht und Eigenliebe, der praktische Verstand, unsere Vorsicht und Rücksicht mit soviel Mühe an Gefängnissen oder angeblichen Sicher¬heiten um uns aufgehäuft haben. Man dürfte vielleicht wieder vom instinktiven Leben (auch des Publikums) reden, und dem Talent, als Autor sein eigenes Unbewusstes auszudrücken, sprechen, um so zum Leser zu kommen, ihm nichts anderes zu bieten als Lupen, um sich selbst zu erkennen. Die größten Feinde aber sind die sogenannten "praktischen" und "sachlichen Leute, die das wichtigste, etwa den Tonfall einer Stimme, einen Geruch, die Nuance des Morgenlichts als Kinderei bezeichnen. Ich erinnere mich meist an solche Beobachtungen von Lebensaugenblicken, die nach¬her hier in diesem Buch zum Gewebe wurden, wie die Beschreibung einer badenden Blinden auf der Insel Capraia.


Oder jenes Badegefühl in Cinque terre, aber auch das Erlebnis von Eisengefühl an der Hand oder an der Zunge festgeklebte Türklinken bei 20 Grad unter Null, die zu den unvergesslichsten und intensivsten Momenten meines Lebens gehören! Auch dieses, nicht nur der Traum überzeugt mich vom rein unbewusstem und Traum-Charakter der sogenannten Wirklichkeit. Bacovia und Arghezi waren darauf bedacht, den "Kitt", also jede rein "gedachte" Verbindung zwischen den Worten zu eliminieren, um so zur Natur der Dinge zu kommen, die nichts mit dem Intellekt zu tun haben kann.






INHALT

Rom…………………………………
Turin…………………………………
Venedig……………………………….
Casentino ……………………………
Stuttgart………………………………
Lyrikarchäologie …………………….
Mantua ……………………………….
Adria. Mali Losini ……………………..
Klosterneuburg. Irrenkunst ……………
Widmungen……………………………..
Der letzte Abschied …………………..