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Mittwoch, 29. Dezember 2010

Zum Roman "Blindlings" von CLAUDIO MAGRIS

6.Dezember 2010

Lieber Claudio Magris,

über Triest und unsere schöne freundschaftliche Begegnung, Ihre Einleitung, Ihre einfühlsam-wissende Moderation, das Gelungene des gemeinsamen Lese-Abends in Triest, das Runde dann durch den Abendessen- und Gesprächs-Abschluss zusammen mit Paola und Alexandra, - alles, habe ich wieder Ihnen zu verdanken: Auch sonst freilich mein literarisches Ankommen in Italien, mit dem „Auschwitzapotheker“ vor allem, und der Vorbereitung von „Transsylwahnien“!

Jetzt aber ist Ihr Roman „Blindlings“ da (Hanser 2007, dtv 2009), auch in mir, in meiner Schreib-Biografie, und verändert diese wieder. Das Buch hat in mir wie ein Stil- Erkenntnisblitz eingeschlagen, und ich bewundere Ihre Intuition, dass Sie mir das Buch unbedingt mitgeben wollten! Es gehört zu mir! Ja genau in diese schmerzhafte Kerbe des historischen Wahnsinns schlägt es rein. Und ich will es auch schnell sagen: Es fällt auf einen so fruchtbaren wartenden Boden, wo die „Rote Hölle“ nun nach dem „Apotheker“ wuchs. Doch gibt es noch eine ganz ungewöhnliche Faszination, einen bisher so nie gesehenen Rahmen
von „Transkommunikation“ und „Reinkarnation“!! (Sie haben ja mein Buch dazu).- Dieses alles verbindet sich und führt, davon bin ich überzeugt: zum vielleicht wichtigsten europäischen (zeitgeschichtlichen) Roman! Zu einer bisher (von mir jedenfalls) nirgends gelesenen absolut notwendigen Stilalchemie heute!

. Es greift auch einem noch ausstehenden, aber so wichtigen neuen Paradigma vor, und sollte als Vorbild einer neuen Geschichtsbetrachtung dienen, die freilich nur von der Literatur (vorgreifend) eingelöst werden kann. Und das haben Sie getan, und sonst in Europa noch niemand.
In Amerika vielleicht Thomas Pynchon, doch bei weitem nicht so überzeugend und auch so eingeschmolzen alles Not Wendige, auch die neue Physik, also LESBAR und überzeugend bei Ihnen!

Von der großen Schönheit vieler Szenen, die mir Glücksgefühle der Berührung beschert haben, so die Meeres- und Walfischszenen, überhaupt das Meer und die Schiffe, die Sturmschilderungen, das ist so STARK, dass es vielleicht nur ein Mensch vom Meere schreiben konnte, oder die Szenen der Hexenverbrennung, überhaupt von den filmischen Schnitten durch alle Epochen, ganz zu schweigen!

Triest! „Blindlings,“ ein neuer aber ganz anderer Joyce oder Conrad. Und durch die Furchtbarkeit tragischer Schicksale entdecke ich auch Parallelen zu Virgil Gheorghiu „25 Uhr“, doch das ist ein viel schwächeres Buch.

Und das alles in einem einzigen Gedankenstrom fast eines Kollektivbewusstseins! Der dichteste Ort des Alls: der menschliche Kopf, hier fast Prototyp oder Phänotyp! Und doch abenteuerlich und spannend. Das ist großartig in diesem Zusammenfinden, und dieses nur, weil da ein geborener Erzähler am Werk ist, einer, der auch „theoretisch“ „Bescheid weiß“ und alles kennt, es aber „vergisst“ und im Erzählen ankommt! Im durchdachten Erzählen und Jetzt des LEBENs aller Zeiten! Kein Zufall, dass die Literatur von Wissenden, auch im Theoretischen und Poietischen Beschlagenen, wie Sie und Eco, erneuert wird, neu gefasst und erfasst wird, als Avantgarde eines kommenden Stils, der ein kommendes Paradigma widerspiegelt Nur, Sie sind im Stil radikaler und wegweisender, doch von der Lesergemeinde, wohl auch von den Kritikern noch nicht erkannt und fassbar. Der Stil ist absolut revolutionär, und setzt neue Maßstäbe, ist so ungewohnt, dass man zuerst einen Schlag erhält, sich das Bewusstsein, die Lese- und Literaturgewohnheit, auch die eines Schreibers wie mir, sich umstellen muss, neu stellen muss!

Aber so geht es; Blindlings ist im Verhältnis zu seiner Bedeutung viel zu wenig bekannt. Und ich schließe mich ein, fühle mich verantwortlich, dass ich „Blindlings“ nicht selbst entdeckt habe!
Die Kollegin Herta Müller erhält für ihre Stilrüschen und ihren „Widerstand“ im längst Vergangenen, den Nobelpreis und nicht Sie. Doch es ist ja noch nicht aller Tage Abend!

Ich möchte so gerne etwas dazu beitragen! Doch meine Kräfte sind schwach. Ich kann vorerst in der großen Presse nur so etwas wie eine Rezension als eine Art „Aufruf“ anbieten, wohl nicht mehr. Höchstens Krüger hilft mit. Leider ist auch das Buch als Taschenbuch schon älter. Und das Original sogar 5 Jahre alt.
Doch eigentlich sollte das überhaupt nicht wichtig sein!

Ich bin nun wohl einer der ersten Autoren, der in Ihnen das Vorbild sieht, und mein nächstes Buch nun ganz in diesem Zeichen angefangen habe.
Indem ich parallel zur „Roten Hölle“, das ja wie der „Apotheker“ in gleicher Struktur auch eine Art Dokumentarroman sein sollte, nun dieses neue Buch über die Securitate und die rote Hölle hinaus schreiben will. Dabei möchte ich den Folterfaden und Gefängnisfaden durch die Qual der Geschichte ziehen, eben auch als „Gedankenstrom“ eines Einzelnen, einer durch das Erlittene zerstörten Seele in der Heilanstalt. Jedoch nun mit Szenen in all den vielen Jahren zum Thema, auch zu Auschwitz, entstandenen und noch unveröffentlichten Texten, so dass mein neues Buch, ich nenne es vorerst „ANGST“, wieder eine Collage zum Thema wird, freilich im Stil völlig verändert!

Lieber Claudio Magris, meinen ganz großen freundschaftlichen Dank für dieses Buch
Und die vielen so wunderbaren Anregungen, die ich durch Sie erhalten habe!
Ganz herzlich
Immer Ihr Dieter Schlesak



15.12. 2010

Lieber Dieter,
Ihr Brief hat mich glücklich, glücklich gemacht. Blindlings enthält einen großen Teil meines Lebens, meines Fühlens und Denkens,. Ich habe viele Jahre daran gearbeitet. Eben auch wegen der Schwierigkeiten der Form, der Unmöglichkeit, eine irrsinnige, gebrochene Geschichte ordentlich und verständlich zu erzählen. Ja, es ist ein Buch oder wenigstens ein Thema und eine Tragik, das es verbindet. Natürlich wäre ich glücklich, wenn Sie darüber schreiben würden, sehr glücklich.
Nächstes Jahr denken wir an Transsylwahnien. Ihnen und Ihrer Frau Alles Liebe und Gute. Bis auf bald! Claudio

21./25. Dezember 2010
Lieber Claudio,
Ja, ich werde weiter über „Blindlings“ schreiben. Freilich anders als in Rezensionsform, denn wie ich sehe, haben ja in Deutschland, in der Schweiz in Österreich schon 2007 alle großen Zeitungen sehr positiv über diesen wunderbaren Roman geschrieben, der ja von Ragni Maria Gschwend auch sehr schön übersetzt wurde. (Wir kennen sie, Lindes Kollegin, Linde ist ja selbst Übersetzerin aus dem Italienischen, hat viel übersetzt!)
Aber meine Art an das Buch heran zu gehen wird anders sein, ganz persönlich und als Notizen eines Autors, der da etwas entdeckt, was sonst nirgends zu finden ist!
Und es dann in einer Zeitschrift veröffentlichen; in meinem Blog (www.schlesak.blogspot.com) wird es, wie auch mein erster Brief, sowieso enthalten sein und auch in meinen Tagebüchern.

Es ist ja auch so: ich habe mich jahrelang mit Patientenkunst und mit Heilanstalten beschäftigt, über das Gesetz 180, Basaglia, sogar ein ganzes Buch bei Rowohlt herausgebracht (die geöffnete Anstalt Arezzo „dokumentiert“). In meinem Leben zwischen Ost und West ist es ja so, dass ich in der roten Zeit zuerst in Bukarest wie in einem Irrenhaus gelebt habe, dann durch die Aussiedlung und den Kulturschock nochmals gefährdet war, und mich nur Schreiben gerettet hat, einige der Kollegen, so Rolf Bossert, haben mit dem Tod bezahlt. Alexander (Klosterneuburg bei Leo Navratil), vielleicht der bekannteste schreibende Patient, fragte mich sogar: „Sind Sie auch?“
Dies also der Urgrund, warum mich „Blindlings“ so angerührt und für neues Schreiben („Angst“) geöffnet hat. Schon dieser MDP-Hintergrund: Ich bin viele berührt mich zutiefst und der Fragezeichen-Beginn.

Es ist seltsam, doch ich habe von Anfang an, seit Sie auch so nah durch den „Capesius“ kamen, doch es war ja schon bei der ersten Begegnung in Triest 1988 wohl, eine freundschaftliche Wahlverwandtschaft gespürt, die ja auch durch Triest (wo ich mich übrigens wie „zu Hause“ fühle, die Grenze, die k.und k.-Atmosphäre, als gehörte Siebenbürgen immer noch im Untergrund dazu, zwei meiner Großonkel haben in Triest studiert, und Sie haben ja all das tieferliegend Atmosphärische und Prägende schon im „Habsburgischen Mythus“ und immer mehr herausgearbeitet, nun in „Blindlings“ wie ein großer synthetischer Schlussstrich auf mich zukam.
Und ich fühle mich dabei auch mit „Transsyl-wahnien so nah. Und es würde mich ganz glücklich machen, wenn wir im nächsten Jahr wieder zusammen in diese Zone an Literaturabenden eintreten würden!

Ganz herzliche Grüße nach Triest von uns beiden aus unserem kleinen Agliano (alieno:der Fremde)
Auch viele liebe Weihnachts- und Neujahrsgrüße und Wünsche
Von
Dieter


NOTIZEN zu „Blindlings“

Wenn man in das Buch, wie in ein Leben eintritt, nicht einfach so „zusammenfassend“ darüber hinweg schreibt, als ginge es nur um ein überschaubares „Buch“, irrt man sich in der „Gattung“, dieses ist mehr als ein Buch, will es andauernd überschreiten, weil kein Leben fassbar ist, schon gar nicht solch ein Leben. Und die Gattung? Die fehlt, weil es dauernd um Fehlendes geht. „Was fehlt dir“- heißt ja krank sein.

Schon die ersten Seiten haben es in sich. Der Patient ist so alt wie meine Mutter, 1910 geboren, hat also die Hölle des 20.Jhdt. Mit 82 (1992) also erst eingewiesen? Klingt gar die Altersdemenz dieses blutigsten Jahrhunderts der Geschichte mit.

Schon gleich am Anfang erweist sich jeder bekannte Stil problematisch. Und doch wird’s gleich durchkomponiert, mit der „cartella clinica“, der Zellerfahrungen, der Arbeitslager als „Motive“, die durchklingen, und antiwilhelmeisterlich ein „hic et non“ setzen.

Gleich zwei Stilparallelen aus meinem Schreibleben fallen mir ein, denn ich will ja „Blindlings“ auch als Spiegel, nein als einen Spiegelsaal sehn, diese Notizen als Kollegengespräch, wobei wir beide „viele“ sind, sie aufbrechen lasen, das Ich also
Gleich aufgelöst wird, und nur Assoziationen gelten lassen.

Aus der Heilanstalt Arezzo brachten wir ein Manuskript einer Kranken mit, die 1914 zwangseingeliefert wurde und 65 Jahre im Irrenhaus verbrachte: Adalgisa Conti. Wir haben ihre Briefe an den Arzt als Buch herausgebracht.

Genau um solche Briefe eines Kranken, Salvatore Cippico, der durch Gefängnisse, Irrenhaus, Lager, auch Dachau, aber vor allem Titos Strafinsel Goli Otok, eine zerstörte Psyche hat, an seinen Arzt, den er „Cogoi“ nennt, oder ist es nicht der Arzt, sondern er selbst?handelt es sich. Nichts ist sicher, nicht einmal die Namen oder die Personen! Salvatore sich aber auch mit einem Dänen Jörgenson aus einem andern Jahrhundert vermischt, überhaupt wie ein Wiedergeburtswesen durch die Zeiten geistert, bis ins alte Rom, also wie eine kollektive Figur agiert, ähnlich wie mein Adam aus dem „Capesius“.

Denn ich denke von Anfang an an „Capesius, der Auschwitzapotheker“ bei dem es unmöglich war zu erzählen, daher eine Collage entstand und Stellvertretererzähler, wie Adam nötig wurden.

Schön hat das große „Lamento“ dieses irren Gedankenstroms die ZEIT beschrieben, dass Salvatore:
"wie im Delirium" seine Lebensgeschichte auf Band spricht. Im Verlauf dieses hoffnungsvernichtenden Monologs rechne er mit allen Utopien ab. Am Ende sei er verschwunden und nur noch das Tonband da. Wir erfahren, dass der Held mit dem sprechenden Namen Salvatore Cogoi an allen revolutionären Fronten des 20. Jahrhunderts gekämpft und gelitten hat - Spanischer Bürgerkrieg, Weltkrieg, Konzentrationslager und Titos Gefängnisinsel. Daher ziehe sich auch das Grauen der verschiedenen Todeslager der ideologischen Systeme wie eine Blutspur durch die Suada dieses Heimatlosen, dessen Ich von der "Flutwelle der epochalen Schrecken" zerstört worden sei. Trotz der geschilderten Verheerungen muss das Buch von großer Schönheit sein… (Kristina Maidt-Zinke)

Genau. Nochmals drei Momente, die dieses Buch wie zu meinem eigenen machen. Diese Kunst des Verschwindens. Und das übriggebliebene Tonband. In „Transsylwahnien“ das Spiel am Ende des Buches mit der „Tatsache“ im Flugzeug, das bei einem Absturz im Buch, das Buch verschwinden würde. Der Autor aber in der „Wirklichkeit“ überlebt.
Und dann: Das Gift der Ideologien, der Versuch, ihnen zu entkomme. Sie, ja alle Utopien als blutige Illusionen zu entlarven. Was im „Capesius“ besonders drastisch geschieht. In der „Roten Hölle“ auch für den Kommunismus mit seiner Securitate gilt!
Dabei ist Salvatore Kommunist, hat unter den Kommunisten vor allem zu leiden! Was besonders absurd, aber auch erhellend ist und bleibt.
Ich muss daran denken, wie mir schallendes Gelächter der Securitateleute beim Verhör entgegenschlug, als ich treuherzig bekannte: „Was wollt ihr, ich bin doch Kommunist!“ So blauäugig, als hätte es die „großen Säuberungen“ nicht gegeben, und als wären nicht die Hauptgegner des Gulag-Kommunimus die gläubigen Kommuni-sten selbst.

Wie oberflächlich doch die Rezensionen sind, so in der NZZ (Richter), wo nicht einmal der Name der Hauptfigur richtig geschrieben worden sind: dazwischen mischen sich Wahnvorstellungen, in denen Cippio sich mit Jorgen Jorgensen verwechselt, einem dänischen Dichter, der 1803 in Tasmanien eine britische Strafkolonie gründete und drei Wochen lang König von Island war, fasst der Rezensent den komplexen Stoff zusammen. Für Richter bietet der Roman so etwas wie die "Summa" aus dem bisherigen Werk des Autors. (…) Tief beeindruckt ist der Rezensent von Magris' Fähigkeit, seinen umfangreichen Stoff zu bewältigen

Die Identitätsverwirrungen sind wichtiger. So dass Salvatore gleichzeitig auch JUrgenson ist, der 1803, Hobart Town, die Strafkolonie in Tasmanien gegründet hat, wo 1910 dann Salvatore noch einmal geboren wird. Irrenphantasie oder Wahrheit. Jedenfalls Roman.

Ich habe solche Zeitauflösungen mehrfach probiert, sie sogar zum Programm erhoben.
Im Roman „Der Verweser“ praktiziert, wo eine Figur im sechzehnten Jahrhundert im Torre Matilde von Viareggio lebenslang eingemauert wird, dort, um sich zu retten im Finstern auf die Mauer die Lebensgeschichte des heute lebenden Autors Templin projiziert, dieser wiederum erinnert, als Wiedergeborener sein Leben als Nicolao Granucci in Lucca. Im Roman „Vlad, die Dracula Korrektor“ häufen sich solche Wiedergeburtsszenen. Und in meinem Essayband „Zwischen Himmel und Erde. Gibt es ein Leben nach dem Tod“ (2010), versuche ich mit reichhaltiger Bibliographie Indizien und theoretische Grundlagen dafür zu finden, das wir alle mehrere Leben leben, auch für „Ich bin Viele“..

Und heute Nacht fielen mir Irrenhausgedanken zu „Blindlings“ ein, dass auch Pastior „eingeliefert“ worden war, träumte ich, und dass wir uns umarmten und streichelten. Ich dann bei einem OP-Fest, zu einem Text von ihm, der aus vier Kapiteln bestand, der aber unauffindbar war, etwas sagen, ja, erfinden sollte.

Und dann eine Hommage an „Blindings“, der Anfang meines Romans „Angst“:


1
Ich heiße „Ich“ und bin ein kranker Mensch, sagen sie! Wer aber ist nicht krank? Nur die Toten sind „gesund“.

Bald wird die Spritze kommen. Der Nadelmund mit einem Tropfen an der Spitze, rausgelassene Luft, zugelassener Schmerz, die Nadel tief in den Bauch. Heute wieder die Platten auf der Brust, ein Schlag, du bäumst dich auf. zwischen Mühlsteinen. Bald kommt die Schwester... nicht Korn, der Körper wird zwischen den Platten zerrieben und gemahlen... Da geh ich lieber aufs Meer hinaus, eine Kajüte, sogar am Meeresgrund ist besser. Kabine mit Hängematte, kein Gitterbett. Meer, Meer in Triest oder auch hier in V. Lieber vom Felsen ein Kopfsprung und gespaltener Schädel, als die kalten Metallelektroden an der Stirn, die mich zuckend abhorchen, ausspionieren, um nachher dem Doktor zu berichten. Das Meer tut so etwas nicht, es ist zu groß, es weiß schon alles. Die Gitterstäbe aber, das Leintuch, die Kissen, sogar mein Atem horchen mich aus; nichts als Spitzel und IMs um mich. Nur wenn ich die Augen schließe, mir die Ohren zuhalte, den Mund fest verschließe, scheinen sie aufzuhören, mich zu beobachten. Ich sehe es genau, jetzt dies Bildschirmfenster… immer blickt es mich, alles blickt mich frech und grinsend oder hohlwangig und zum Sterben müde, an, blickt meinen Blicken als Spion zurück!
Es bleibt das Zahnfleisch, rot, nicht nur weil der Skorbut auch hier bei den Ex-Fischern von San Fruttuoso abgeschafft wurde ,die Stimmung am 1. März, wenn der Himmel bewölkt und das Meer schwarzblau bewegt ist, es ist fast das gleiche wie vor hundert Jahren. Und ich sehe auch Mario wie er zaubert und peitscht, die Dinge tanzen lässt, wenn ich das doch auch könnte! Mich aber bringen sie um! Dabei heisst es doch, sie seien „Gottes Werk“, wie ich übrigens ja auch, und wir gehörten zusammen, sollten uns lieben. Salvidan , kalvidan, Brahma! Alles. Blödsinn!

2
Ich schließe also die Augen, höre die vielen Phantome der Ars lettera, lange unendlich lange Fahnen von Berichten… aus einer Höllenmaschine wie ein riesiger Anus. Endlich aber was Schönes und Leises: ein Motorboot und noch eins, Wassermotorrad, wahnsinnig schön, weil reallaut, Verkehr wie mittags der Berufsverkehr in Rom. Ich hatte Gottseidank die Ohren nicht mehr zugehalten, das höllische Summen war weg; und ich höre mir das Wasser an, wie es schlägt und rauscht. Wie damals im minoischen Kreta als die Welt rot unterging. Wir waren da gerade beim Liebesakt; wie hieß sie nur, wie hieß sie nur… Es war doch eben jetzt!

Aber ich täusche mich, das Wellengebraus hört Mich, ich höre mich, im Ohr ist der kleine Herrgott, Herr ICH. Furchtbar, nie allein sein zu können! Nur Spitzel, Spitzel, Spitzel. Von oben aus dem Himmel grinst „Stein Otto“ durch einen Wolkenspalt und sagt: Ich seh dich! Du versteckst dich ganz umsonst! Und der „Leopold“ neben ihm, stapelt eine Riesenleiter aus Büchern bis herab zur Erde, ganz unten „Das Kapital“ als Bettvorleger, legt sich ganz flach wie ein brüllendes Bärenfell an meine Füße, und der alte Leopold aus Cernowitz, mein bester Freund damals, sagt: Du warst ganz schön blöd, mir alles zu erzählen. Und jetzt wieder! Schreib doch nicht so viel, bekenne nichts! Ich les alles, kopiere es mit der Minolta. SIE bekommen alles, alles. Und sie drehen dir daraus einen Strick, nein eine schön tönende Klavierseite, die schneidet tief in den Hals, bevor du erwürgt bist! Dazu „Silviu“ im Morgenmantel mit einem Dolchgesicht, mein Lehrer. Er macht eindeutige Gesten. Er greift mir an den Hosenschlitz. Und auch „Walter“, der plötzlich einen IM-Tango mit „Tatiana“ hinlegt, die mir ihre Schwarze wie einen flüsternden Mund am Ohr von Jordan zeigt, der sie leckt! Und alle singen lachend die „Internationale“ mit Endgezisch auf Rumänisch. Ich liebte sie einmal diese Sprache…!


Und lese nun heute wieder weiter, ich sage keine Datum, weil ja jeden Tag „heute“ ist, es also für alle Tage gibt, auch wenn heute der 23. Dezember ist.
Ich bin also auf S. 152 und gerade ist von der absolut fortschrittlichen Wirkung des Gefängnisses die Rede, weil man so viel da lernt, vor allem auch den Abschied, aber auch, dass nicht das persönliche Leid zählt, sondern das aller. Gemeinsinn also lerne man „Diese Stationen sind die des Fortschritts, man steigt mit erhobenem Kopf auf, es ist unser gemeinsamer Weg, die Milchstraße unserer Pilgerfahrt samt Heil.“ Sogar zur Securitate würde ich das sagen. Man gewinnt als Autor, ja, als Einzelner an Bedeutung, an Wert, so vom Staat beachtet und beobachtet zu werden. Wie wenig gilt man dann im Westen und in „Freiheit“. Da kommt dann alles Menschliche, die condition humaine schlimm auf uns „privat“ zu, der Tod, diese andere, schlimmere Angst.

Doch noch etwas wird gesteigert: die Wahrnehmung in der Zelle ist stark konzentriert. Und – jeder lernt, dass Kultur, Geist der wichtigste Widerstand sind. Einige sprachen sogar von „unseren Universitäten“, denn in Gemeinschaftszellen wurde heftig gelernt, es wurden Vorträge gehalten, Seminare, Diskussionen gab es. Wenn auch nicht gerade im Foltergefängnis „Piteṣti“, wo sich die Insassen gegenseitig Tag und Nacht quälten.




Einen Tag später ist Heilige Nacht dann wohl. Und ich mache mir „Blindlings“ zum Geschenk, denn die Assoziationen, die mich glücklich machen und meine Depressionen vergessen lassen, laufen weiter wie die Parallelen. Und entdecke in Kapitel 22, dass er sich auch mit Salvatore, was ja Retter heisst, alles aneignet und „einverleibt“ mit diesem Hunger auf Welt; so auch die Autobiographie des Dänen, der Hobart Townes 1803 gegründet hat, die er im Hinterzimmer eines Antiquariats liest, und sofort als seine eigne entdeckt, er also Johansen IST! Wie er dann auch der später Wiedergeborene Salvatore, wie ich die von Nicolao Granucci in der Biblioteca Statale von Lucca, mir auch sofort klar war, dass ich doch mal Nicolao gewesen war. So hat Salvatore plötzlich viele genaue Details vor allem von den vielen Schiffsfahrten. So mit der Alexander ums Kap Horn.

Und noch etwas wird mir klar, es gibt keinen Anfang und kein Ende, weil es keine Zeit gibt, die nichts als Menschenillusion ist; so ist es auch egal, wo man das Buch aufschlägt und liest, wenn ich jetzt auf S. 367 bin, so finde ich genau die Liebesgeschichten, die ja eigentlich Todesgeschichten sind, mit den Galionsfiguren, so mit „Maria“, die er persönlich mit der Axt köpfte, im Meer versinken ließ, „Galatea“ oder „Rebecca“, die Galionsfigur eines Walfangschiffes, die sie am Ufer begruben mit „Leichenbier“ begossen. Samt Requiem. Maria aber wurde den Haien übergeben und dem Meer. Verliert bald jede Form, wird ein Stück Holz, wie auch der Mensch, von Fischen zerfressen, ein Stück unkenntliches Fleisch. Und muss an Shelley denken, der hier vor Viareggio ersoff, der auch nur durch Bücher, die er in der Rocktasche trug, erkenntlich war, Byron verbrannte ihn dann hier am Strand.

So wie ich schreibe, ähnlich wie „Blindlings“ strukturiert ist, lese ich auch, niemals schön eine Seite nach der anderen, von Anfang an, sondern meist vom Ende her, dann in der Mitte, vielleicht die Anfangsszene am Schluss.

Doch dieser Schluss, die totale Befreiung, die der Absenz, wenn das Zimmer leer ist, wenn auch die Patientenakte verschwunden ist, alle Gesetze, nach denen Leben funktioniert.




Rezensionsnotiz zu „Blindlings“:
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.01.2008
Beeindruckend, aber auch ein wenig zwiespältig scheint Pia Reinacher dieser Roman von Claudio Magris. Sie bewundert die komplexe, musikalisch komponierte Erzählstruktur des Werks, den Reichtum an starken mythologischen Bildern und den unbändigen Strom der Sprache. Im Mittelpunkt sieht sie einen Mann mit gespaltenem Bewusstsein, der in einer psychiatrischen Klinik in Triest seine ausufernde, abenteuerliche Lebensgeschichte berichtet, immer getrieben von der Suche nach der eigenen Identität. In diesem Erzählschwall spiegeln sich für Reinacher Schrecken und Schönheit, Wirrnis und Erleuchtung des europäischen Jahrhunderts. "Unerwartet" wachsen dem Leser in ihren Augen "Einsichten" zu. Allerdings tut ihr der Autor mit den zahllosen Anspielungen aus Mythologie, Literatur- und Menschheitsgeschichte zu viel des Guten. So fühlt sie sich bisweilen überfahren von der "Überfülle an geballtem Wissen".
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 08.11.2007
Als ausgesprochen heilsam hat Rezensentin Kristina Maidt-Zinke die Lektüre dieses Romans empfunden, obwohl es sich aus ihrer Sicht um "ein gewaltiges Lamento", einen "gnadenlosen Abgesang" auf das 20. Jahrhundert handelt. Schauplatz ist Maidt-Zinke zufolge eine psychiatrische Anstalt an der Peripherie von Triest, wo ein Patient seinem Arzt "wie im Delirium" seine Lebensgeschichte auf Band spricht. Im Verlauf dieses hoffnungsvernichtenden Monologs rechne er mit allen Utopien ab. Am Ende sei er verschwunden und nur noch das Tonband da. Wir erfahren, dass der Held mit dem sprechenden Namen Salvatore Cogoi an allen revolutionären Fronten des 20. Jahrhunderts gekämpft und gelitten hat - Spanischer Bürgerkrieg, Weltkrieg, Konzentrationslager und Titos Gefängnisinsel. Daher ziehe sich auch das Grauen der verschiedenen Todeslager der ideologischen Systeme wie eine Blutspur durch die Suada dieses Heimatlosen, dessen Ich von der "Flutwelle der epochalen Schrecken" zerstört worden sei. Trotz der geschilderten Verheerungen muss das Buch von großer Schönheit sein, woran der Rezensentin zufolge im Deutschen auch die Übersetzerin einen beachtlichen Anteil hat. Und beeindruckende Frauengestaltten, an denen Claudio Magris die Klagewelle immer wieder brechen lasse.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 18.10.2007
Den Roman "Blindlings" preist Steffen Richter begeistert als wohl bisher bestes Werk von Claudio Magris. In dem Bericht, den Salvatore Cippio seinem Psychiater in einer geschlossenen Anstalt bei Triest von seinem Leben gibt, versammeln sich die Schrecken des 20. Jahrhunderts; der italienische Kommunist Cippio erzählt von Dachau, wo er als Partisan von den Nazis inhaftiert wurde und von der Gefängnisinsel Goli Otok, wo er unter Tito von den eigenen Genossen eingesperrt wurde, dazwischen mischen sich Wahnvorstellungen, in denen Cippio sich mit Jorgen Jorgensen verwechselt, einem dänischen Dichter, der 1803 in Tasmanien eine britische Strafkolonie gründete und drei Wochen lang König von Island war, fasst der Rezensent den komplexen Stoff zusammen. Für Richter bietet der Roman so etwas wie die "Summa" aus dem bisherigen Werk des Autors. Tief beeindruckt ist der Rezensent von Magris' Fähigkeit, seinen umfangreichen Stoff zu bewältigen und trotz der zahlreichen Abschweifungen, in denen sich der Autor ergeht, seiner Geschichte einen überzeugenden Rhythmus zu geben. Am Ende lobt er noch die Übersetzerin Ragni Maria Gschwend, an die dieser Roman hohe Ansprüche gestellt habe.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 09.10.2007
Weniger wäre hier mehr gewesen, meint Lothar Müller zu diesem aus der Spur laufenden Zeitroman von Claudio Magris. Was der Autor an Historischem aufnimmt (die jugoslawische Strafinsel Goli Otok zum Beispiel), um die Irrwege der italienischen Linken zu verarbeiten, erscheint dem Rezensenten im "monströsen Monolog" der Erzählerfigur erst authentisch uneins, bald jedoch zu sehr der Privatmythologie des Autors folgend, als dass er sich an einen roten Faden halten könnte. Magris' "Leidenschaft für die Literatur des Meeres" katapultiert den Text für Müllers Begriffe etwas übers schöne Ziel eines "europäischen Gesamtromans" hinaus.

Claudio Magris: Blindlings. A.d. Ital. v. Ragni Maria Gschwend. Hanser, München. 416 S., 24,90 €. – Der Autor stellt seinen Roman am 23.9. um 20 Uhr in der Akademie der Künste am Pariser Platz vor.

Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2009.

Freitag, 17. Dezember 2010

Die "Aktionsgruppe Banat" in den Akten der Securitate. Sinn und Form November/Dezember 2010

Dieter Schlesak
17.Dezember 2010


Sehr geehrte, liebe Frau Dr. Kienlechner,

eben habe ich Ihren ausführlichen und sehr genau recherchierten Artikel über die „Aktionsgruppe“ gelesen und einiges Neues und Wichtiges erfahren, das mir auch in meiner Arbeit und in der nun notwendig gewordenen Aufarbeitung des eigenen Werkes, ja , des eigenen Lebens auf dem dieses Werk beruht, neue Denkanstöße gibt, ein Werk, das ja mit den beiden Diktaturen, braun und rot, sowie mit den Folgen, dem Exil umgeht. (Vgl.– www.dieterschlesak.de). Wobei ich eben an einem Securitate-Buch („Die rote Hölle“) arbeite, und nicht wenig, mir vor allem jetzt durch den Fall Pastior, der mich bespitzelt hatte, sehr viel an aufzuarbeitendem „Akten-Material“ über die Gulag-Securitate-Epoche vorliegt. Die darauffolgende Securitate-Epoche war dagegen „sanfter“, wenn auch in der Spitzeltätigkeit intensiver.

In William Totoks Buch „Die Zwänge der Erinnerung“ ist auch einiges an Information enthalten, wie ich damals (in den siebziger und achtziger Jahren) vom Westen aus versucht hatte, der „Aktionsgruppe“ mit meinen Mitteln beizustehen!

Mir liegt viel daran, dass Sie dieses wissen, da Sie sich ja nun ausführlich mit der „Aktionsgruppe“ in jener schwierigen und gefährlichen Phase befasst haben, und sich einige kleine Fehler in Ihren Aufsatz eingeschlichen haben.

So etwa: Dieter Schlesak, einem „in der BRD lebenden rumäniendeutschen Schriftsteller“ gelangte Totok-Brief und Material zum Artikel in der FR vom 10.Juli 1976 nicht irgendwie „in die Hände“, sondern wurde mir von der Familie und Freunden damals zugeschickt, um etwas zu unternehmen, damit Willi und die andern der Aktionsgruppe geschützt werden; ich habe dann einen Artikel „Kulturpolitik mit Polizeieinsatz“ verfasst und veröffentlicht. In diesem Artikel hatte ich, wie Sie richtig schreiben, auf Verlangen der Aktionsgruppe, „dekonspiriert“, nämlich, dass Totok und Ortinau als „Doppelagenten“ wirkten.

Weiter: Es handelt sich bei der Veröffentlichung in der FR zu den zwei wichtigsten Momenten der Unterdrückung , eben jenen der „Dekonspiration“ und jenen der Befreiung William Totoks, nicht um zwei verschiedene Artikel. Bei jenem, der angeblich auf einem Totok-Brief beruhte, den Wichner „der Presse zugespielt“ haben soll, handelt es sich um den gleichen Artikel, nämlich um meinen Artikel vom 10. Juli in der FR. Es stimmt auch nicht, dass durch Ernest Wichner oder wen auch immer „in den anderen westlichen Ländern“, die „Öffentlichkeit darüber informiert“ wurde, sondern es handelte sich um eine Veröffentlichung in „Le Monde“, die ich über meinen Freund, den Romancier Dumitru Tepeneag, der in Paris lebte, in „Le Monde“ untergebracht hatte, der dann parallel, als „Aktion“ also, mit dem FR-Artikel erschien und ( wenn auch nur als Notiz) einen ähnlichen Inhalt hatte!

William Totok wurde dann auch nicht irgendwann „im Sommer“ entlassen, sondern gleich nach Erscheinen des Artikels in der FR und der Notiz in „Le Monde“. Von einer „Verwarnung“ weiß ich nichts. Willi Totok wurde vor eine Kommission geladen, wo sogar ein General den Vorsitz führte, und sollte nun den FR-Artikel dementieren, einen Text verfassen und der Zeitung zuschicken, aber auch mit anderen bekannten Rumäniendeutschen im In- und Ausland Kontakt aufnehmen, und sie bitten, gegen diesen Artikel anzuschreiben, was William Totok tapfer verweigerte. Es gibt dazu einen ausführlichen „Maßnahmeplan“ der Securitate, den mir Totok zugeschickt hat. Ich kann Ihnen diese ganze ausführliche Akte per mail zukommen lassen. Oder auch Willi Totok könnte dieses tun.

In meiner eigenen Akte, die ich jetzt eingesehen habe, ist ebenfalls eine maßlose Verfolgung gegen mich nachzulesen; ich befand mich 1976 Gottseidank schon im Westen, diese Verfolgungsakte, die freilich auch wegen anderer „Delikte“, vor allem wegen meines „illegalen Grenzübertritts“ (transfugul),Zeitungsartikel, Radiosendungen etc. gegen das Gulag-Rumänien und dann auch das Ceauṣescu-Regime angelegt wurde, führte letztlich dazu, dass ich als „persoana nondeziderabila“ und „Staatsfeind“ „erfasst“ wurde, und ein Militärgericht mich (in Abwesenheit) zu sieben Jahren Haft verurteilte.

Es gibt viel zu zitieren. Und das alles gehört ganz sicher zu Ihrem Thema „Die Aktionsgruppe Banat in den Akten der Securitate.“

Ich habe vor, im März für mein Buch „Die rote Hölle“ einen Essay mit viel Aktenmaterial zu diesem Thema zu schreiben, da sich in meinem Nachlass auch viele Briefe und Tonbandbriefe von Nikolaus Berwanger, mit dem ich befreundet war, befinden, die die späte Phase der „Aktionsgruppe“ neu beleuchten könnten. Ihren wichtigen Aufsatz werde ich dabei gern und oft zitieren.

Ihnen alles Gute und schöne Grüße nach Berlin

Von Dieter Schlesak

Dr.h.c. Dieter Schlesak,
Pieve 327. Agliano
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In Deutschland: Tizianweg 5, 70192 Stuttgart
schlesak@tiscali.it; dieter.schlesak@gmail.com
www.dieterschlesak.de ; schlesak.blogspot.com

Donnerstag, 9. Dezember 2010

ZU PASTIOR Interviews und mein Radiogespräch

Herta Müller: Pastiors andere Seite verbittert mich

Herta Müller lernt einen anderen Pastior kennen.
Berlin (dpa) - Nach der Enthüllung neuer Spitzelvorwürfe gegen den Schriftsteller Oskar Pastior (1927-2006) zeigt sich seine langjährige Kollegin und Freundin Herta Müller (57) «verbittert».
Die Berichte des früheren rumänisch-deutschen Literaturredakteurs Dieter Schlesak, nach denen Pastior in den 60er Jahren Autorenkollegen für den rumänischen Geheimdienst Securitate bespitzelt habe, hätten ihr Bild Pastiors verändert, sagt die Literaturnobelpreisträgerin in einem exklusiven dpa-Interview.
Wie reagieren Sie auf die neuen Vorwürfe gegen ihren langjährigen Freund Oskar Pastior?
Herta Müller: «Ich bin entsetzt. Mit den Gefühlen muss ich allerdings selbst fertig werden, das Hauptproblem sind die Tatsachen. Die neuen Berichte haben mein Bild über Oskar Pastior verändert. Mit der Unschuld ist es nun vorbei. Ich werde ihn nicht mehr in Schutz nehmen können und diese neuen Fakten entsprechend einordnen müssen.»
Haben Sie die Enthüllungen von Dieter Schlesak überrascht?
Herta Müller: «Ja, denn bisher hatten man in der Securitate-Zentrale in Bukarest keine Spitzelberichte gefunden. Ich glaubte bisher, Pastior habe wie tausende anderer "Inoffizieller Mitarbeiter", die in den 50er und 60er Jahren unter dem Druck der Haftandrohung standen, durch eine Verpflichtungserklärung versucht, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Man unterschrieb, lieferte aber dann keine Berichte. Solche Fälle gibt es tausende aus jener Zeit. Diese Annahme hat sich als Irrtum erwiesen. Ich halte es nun für wahrscheinlich, dass es weitere Berichte von Oskar Pastior gibt.»
Dennoch bleibt der Fall Pastior ein tragischer Fall...
Herta Müller: «Es die Geschichte eines Menschen, der aus einem sowjetischen Lager in die Unfreiheit entlassen wurde. Er war in einem Spagat gefangen zwischen seiner Homosexualität und den Erpressungsmöglichkeiten der Securitate wegen sieben Gedichten, die er über das Lager geschrieben hatte. Sie wurden ihm zum Verhängnis, galten als anti-sowjetische Hetze.»
Ihr Buch «Atemschaukel» beruht auf Pastiors Schicksal. Würden Sie das Buch in Kenntnis dieser neuen Vorwürfe heute anders schreiben?
Herta Müller: «"Atemschaukel" beruht hauptsächlich, aber nicht nur auf Pastiors Erinnerungen aus dem Lager. Ich hatte das Bedürfnis, das Buch zu schreiben und hatte vorher schon recherchiert und mit anderen Personen Gespräche geführt. Es wäre zu der Zusammenarbeit mit Oskar Pastior wohl nicht gekommen, wenn ich von seiner Verstrickung mit der Securitate gewusst hätte. Ich habe drei Jahre lang mit ihm an dem Buch gearbeitet, wir wollten es sogar gemeinsam als Autoren herausgeben. Wir haben viel über seine Kindheit vor dem Lager gesprochen, aber kein Wort über die Zeit danach.»
Hat es von Pastior keine Andeutungen über seine Zusammenarbeit mit der Securitate gegeben?
Herta Müller: «Es gab von ihm nie einen Hinweis auf dieses Kapitel in seinem Leben. Ich habe jetzt den Eindruck, Pastior hatte damit für sich innerlich abgeschlossen. Die Akten in Bukarest waren damals noch nicht zugänglich. Pastior hatte sich ja nach dem Wechsel in den Westen dem bundesdeutschen Verfassungsschutz, der CIA und dem britischen Geheimdienst "restlos anvertraut", wie es auf einem handschriftlichen Zettel steht, den wir nach seinem Tod in der Wohnung gefunden haben. Der Verfassungsschutz sagt, er habe keine Akten mehr aus dieser Zeit. Vielleicht finden sich bei den Alliierten noch seine Erklärungen von damals.»
Dieter Schlesak hat angedeutet, dass Pastior für das Schicksal des siebenbürgischen Lyrikers Georg Hoprich verantwortlich sein könnte, der verhaftet wurde und 1969 Selbstmord beging.
Herta Müller: «Das beruht nur auf Hörensagen, dazu gibt es bisher keine Dokumente und ich finde es unverantwortlich von Schlesak, aus Behauptungen solch schwere Vorwürfe zu erheben. Den IM "Stein Otto", wie Pastiors Deckname lautete, gab es noch nicht, als Hoprich 1961 verhaftet wurde. Sollte es allerdings stimmen, dass Pastior später Hoprich nach der Haft bespitzelt hat, wäre das fürchterlich. Bisher wurde nur Hoprichs Gerichtsakte gefunden, in der "Stein Otto" nicht vorkommt. Seine Securitate-Akte ist noch nicht gefunden worden.»
Welche Konsequenzen haben die Enthüllungen nun für Sie persönlich?
Herta Müller: «Es gibt Oskar Pastior zweimal. Ich lerne erst jetzt den zweiten kennen. Und das verbittert mich. Ich gehe davon aus, dass wir von der Pastior-Stiftung bei unserer nächsten Sitzung eine Forschergruppe beauftragen werden, das ganze Umfeld Pastiors zu untersuchen. Und wir müssen uns jetzt zur Aufgabe machen, die Verstrickung von Schriftstellern und Geheimdienst in der Diktatur - auch an Oskar Pastiors Beispiel - zu untersuchen. Aber das geht nicht von heute auf morgen. Die Öffentlichkeit muss Geduld haben. Dafür braucht es Zeit.»
Interview: Esteban Engel, dpa

Wichtiges Radiogespräch zum FALL:

http://www.google.com/url?sa=t&source=web&cd=91&ved=0CBUQFjAAOFo&url=http%3A%2F%2Fwww.podcast.de%2Fepisode%2F1898423%2F%252522Ich_muss_meine_Erinnerungen_korrigieren%252522_-_Schriftsteller_Dieter_Schlesak_zu_den_...%2F&ei=gFMBTZinDNT34AbUpIX0Ag&usg=AFQjCNEEYjPUn-CsacuZfr4l13qHO1rceg&sig2=YXKQaPnKsfpBfP3bq-Sr0w




DIE VERKEHRTE WELT IN DER WIR LEBEN
Gesteigert noch durch den Securitate- und Nazisumpf
Vergangenheiten, die nicht vergehn

Wer sich mit der sogenannten „Öffentlichkeit“ einlässt, mit den Medien, der Presse, und meint, auf diese Weise Recht und Gerechtigkeit zu finden, Wahr-heit und Wahrhaftigkeit in einer Welt von Rachsucht und Lüge, Ellenbogen-technik und Machtkämpfen herzustellen versucht, Lügen oder gar Rufmord entgegenzuwirken sucht, ist sehr blauäugig. In der Welt der Literatur nicht weniger als in jener der Politik. Gestern las ich einen erhellenden Artikel in der „Südddeutschen“ (8.12.), wo die Rolle der Rache bei wichtigen deutschen Politkern untersucht wurde; der Schlamm, der da hochkam, ist erschreckend.
Aber die Sache ist ja alt und ist bekannt. Karl Kraus hat in „Literatur und Lüge“, den Begriff „Journaille“ geprägt für Unlauterkeit, Verantwortungslosigkeit und Demagogie in der Presse und mit Hilfe der Presse. Man weiss, mit Meinungsmache, Gerüchten und Lügen, noch schlimmer, Halbwahrheiten und Verdrehung von Tatsachen, kann eine Hexenjagd gestartet werden, die schon Menschen in den Tod getrieben hat. Wenn nun diese Beziehungshölle gar auf keiner „normalen“ Politik oder Literatur, sondern im Trüben von Geheimdienstpraktiken und ihren Intrigen basiert, ist der erreichte Wahnsinnseffekt ins ungemessene noch gesteigert und doppelt gesteigert durch die Unkenntnis der manipulierten Öffentlichkeit und der Leser, die von diesem infernalen Untergrund keine Ahnung haben.

Auch wenn die gegenwärtige Securitate-Diskussion noch nicht dieses Ausmaß erreicht hat, muss sie gleichwohl in diesem Rahmen gesehen werden.

Erstaunlich finde ich etwa, dass mein Artikel „Schule der Schizophrenie“ ( FAZ-Feuilleton vom 16. November), wo ich durch einen anfangs aus Fairnessverfassten Verteidigungsartikel zum Fall des IM-Oskar Pastior, nach Entdeckung der Ausmaßes einer historischen Schuld Pastiors, zur Korrektur gezwungen war; dass diese Entlarvung eines IM, ich fand gefährliche Spitzelberichte des ehemaligen Freundes Pastior, in meiner Bukarester Akte, so einen Wirbel, vor allem auch gegen mich, eine Verdrehung von vielen Tatsachen, ausgelöst hat, wundert mich zwar, aber langsam längst nicht mehr!

Denn ich hatte ja nach Einsicht in meine Akte in Bukarest über den auf mich von der Securitate angesetzten ehemaligen Freund und IM „Stein Otto“, Oskar Pastior, als Opfer dieses Spitzels berichtet, und aus meiner Securitate-Opferakte zitiert. Und nun wird nicht der Täter, sondern sein Opfer angegriffen, als müsste dieses sich für die Entlarvung rechtfertigen! Immer wieder wird dabei der Fall des Pastior-Freundes Georg Hoprich, den möglicherweise „Stein Otto“ bespitzelt hat, als Argument zitiert, als hätte ich auch diesen Fall, Pastior als bewiesen angelastet. Das Gegenteil ist wahr, und wer lesen kann , der lese nochmals genau nach: Ich hatte in meinem Artikel, nichts anderes getan, als den Fall Hoprich als Beispiel für den Umgang mit diesen Geheimdienst-Akten, die eine Beziehungshölle sind, zur Vorsicht bei jeglicher Securitate-Philologie angemahnt. Zur Vorsicht gemahnt, da dieser Fall Hoprich nicht bewiesen ist, sondern nur auf Zeugenberichten beruht. Es scheint so, als wollten diese Kommentatoren von der Hauptschuld Pastiors, einen Kollegen durch seine Berichte ans Messer geliefert zu haben, ablenken, alles auf ein Nebengleis schieben. Mir, dem „Stein Otto“-Opfer, das als „Staatsfeind“ und Widerständler damals in den sechziger Jahren, als Pastior Zuträger der Securitate war, auch wegen seiner Aussagen, vor einem Prozess stand, drohte Gefängnis, ja, sogar die Todes-strafe.

Schlimmer noch, dieser DS, ehemaliger „Staatsfeind“ des roten Regimes, der von der Securitate-Paranoia, ich war damals Redakteur der Zeitschrift „Neue Literatur“, als Umstürzler geführt, wird nun von einem Spitzel der Securitate „Moga“ und „Marin“, der damals als Redakteur der gleichen Zeitschrift, Zuträger und Securitate-Ohr bei der Zeitschrift war, attackiert und verleumdet. Es war ein gefährliches Leben damals für alle, auch weil es diese Agenten gab, die die Securitate-Paranoia oft auch in eignem, ja, Karriereinteresse, schürten. Der Geheimdienst führte mich, wie aus meiner Akte jetzt hervorgeht, und lässt mich in der Rückschau erzittern, als angeblichen Anführer einer Gruppe von jungen Poeten, die den Umsturz planten, als einen Umstürzler und Westagenten, weil ich kleine Gesten des Widerstandes, vor allem auch die „feindliche Ideologie“ der Moderne, der modernen Poesie in der Literatur propagierte, versucht hatte, in Metaphern verpackt, gefährliche Wahrheiten über das Regime an den Leser zu bringen, und meine Mitarbeiter ebenfalls dazu anleitete. Mehrere Agenten, darunter auch „Stein Otto“, aber auch „Leopold“ (Alfred Kittner), viele Freunde von mir, nährten in Spitzelberichten diesen absurden Geheimdienstverdacht, ich sei „Staatsfeind“ und Umstürzler. Ich war in einem dichten Beobachtungsnetz von „Freunden“ gefangen, lebte wie der Reiter über den Bodensee. Wenn ich das damals gewusst hätte, wie gefährlich ic lebte, hätte ich gar nicht mehr meinen Alltag leben können! Aber abgesehen von mir, alle diese „Kollegen“ (Pastior, Kittner, Stephani, ein „Walter“, eine „Tatiana“ und Dutzende andere, die Klarnamen sind mir noch lange nicht bekannt!) machten sich einer zerstörerischen, ja, historischen Diversion schuldig, und das ist im Falle Oskar Pastior besonders schlimm, ja, abgrundtief absurd, denn es war die Geburtsstunde der modernen rumäniendeutschen Literatur, die viel später durch einen raffinierten und neuen Stil, der in jener Hölle gewachsen war, mit Herta Müller zum Nobel-preis führte!

Der damalige Spitzel „Moga“ und „Marin“ hat nun aus Rache, weil ich ihn in meinem FAZ-Artikel vom 16.11. enttarnt hatte, versucht, in eine langen Selbstbezichtigungschrieb ebenfalls in der FAZ, ausgerechnet mich, aber auch Herta Müller, „gleichzuschalten“ und zu „Gesinnungsgenossen“ zu machen, bei mir eine „Vorlaufakte“, die man auch „Drohungsakte“ nennen kann, zu einer „umfangreichen Täterakte“ umgedichtet. Wieder der absurde und unglaubliche Tenor: Die Opfer sollen zu Tätern gemacht werden, die Täter zu Opfern?

Aber es kommt noch besser, der berüchtigste und „berühmteste“ Neonazi der Rumäniendeutschen, Gerd Zikeli, ehemaliger Mitarbeiter von Remer (der schlug den Aufstand vom 20. Juli nieder), rechtsradikaler Hetzer und Auschwitzleugner mit Einreiseverbot in die Schweiz und nach Österreich, benutzt die Gelegenheit, auf die er wohl lange gewartet hat, kein Wunder, da ich ein weltweit erfolgreiches Anklage-Buch über den siebenbürgischen Auschwitzapotheker Capesius veröffentlicht habe, griff mich in einem FAZ-Leserbrief (3.12.) als „Linker“ an und versuchte mich, den von der Securitate Verfolgten, zum „Kommunisten“ zu machen.

Rache, überall nur Rache und Intrigen, Verfälschungen von Tatsachen, Ver-leumdungen und Lügenmärchen zuhauf. Das Modell der „Journaille“ und „Beziehungshölle“ stimmt genau, ein Schlamm und Sumpf, vor dem es einen nur ekeln kann!

Die Frage aber bleibt: Sollen sich die Opfer, die in den sechziger Jahren verfolgt wurden und die „Stein Otto“ und andere als IM entlarvt haben, nun etwa rechtfertigen müssen, die Täter aber (in meinem Falle waren auf mich sechs „angesetzt“, darunter „Stein Otto“, doch im Ganzen vielleicht vierzig) einfach vergessen werden?






Erstaunlich finde ich, dass mein Artikel „Schule der Schizophrenie“ (Feuilleton vom 16. November), so einen Wirbel, vor allem auch gegen mich ausgelöst hat. Denn ich hatte ja nach Einsicht in meine Akte in Bukarest über den auf mich von der Securitate angesetzten ehemaligen Freund und IM „Stein Otto“, Oskar Pastior, als Opfer dieses Spitzels berichtet, und aus meiner Securitate-Opferakte zitiert. Und nun wird nicht der Täter, sondern sein Opfer angegriffen, als müsste dieses sich für die Entlarvung rechtfertigen! Immer wieder wird dabei der Fall des Pastior-Freundes Georg Hoprich, den möglicherweise „Stein Otto“ bespitzelt hat, als Argument zitiert, als hätte ich auch diesen Fall, Pastior als bewiesen angelastet. Das Gegenteil ist wahr, und wer lesen kann , der lese nochmals genau nach: Ich hatte in meinem Artikel, nichts anderes getan, als den Fall Hoprich als Beispiel für den Umgang mit diesen Geheimdienst-Akten, die eine Beziehungshölle sind, zur Vorsicht bei jeglicher Securitate-Philologie ange-mahnt. Zur Vorsicht gemahnt, da dieser Fall Hoprich nicht bewiesen ist, sondern nur auf Zeugenberichten beruht. Es scheint so, als wollten diese Kommentatoren von der Hauptschuld Pastiors, einen Kollegen durch seine Berichte ans Messer geliefert zu haben, ablenken, alles auf auf ein Nebengleis schieben. Dem „Stein Otto“-Opfer, der als „Staatsfeind“ und Widerständler vor einem Prozess stand, drohte Gefängnis, ja, sogar die Todesstrafe.

Schlimmer noch, dieser ehemalige „Staatsfeind“ des roten Regimes, der von der Securitate-Paranoia, ich war damals Redakteur der Zeitschrift „Neue Literatur“, als Umstürzler geführt, wird nun von einem Spitzel der Securitate „Moga“ und „Marin“, der damals als Redakteur der gleichen Zeitschrift, Zuträger und Securitate-Ohr bei der Zeitschrift war, attackiert und verleumdet. Es war ein gefährliches Leben, auch weil es diese Agenten gab, die die Securitate-Paranoia oft auch in eignem, ja, Karriereinteresse, schürten. Der Geheimdienst führte mich, wie aus meiner Akte jetzt hervorgeht, und lässt mich in der Rückschau erzittern, als angeblichen Anführer einer Gruppe von jungen Poeten, die den Umsturz planten, als einen Umstürzler und Westagenten, weil ich kleine Gesten des Wider-standes, vor allem auch die „feindliche Ideologie“ der Moderne, der modernen Poesie in der Literatur propagierte, versucht hatte, in Metaphern verpackt, gefährliche Wahrheiten über das Regime an den Leser bringen wollte, und meine Mitarbeiter ebenfalls dazu anleitete. Mehrere Agenten, darunter auch „Stein Otto“, aber auch „Leopold“ (Alfred Kittner), Freunde von mir, nährten in Spitzelberichten diesen absurden Geheimdienstverdacht, ich sei „Staatsfeind“ und Umstürzler. Sie machten sich einer zerstörerischen, ja, historischen Diversion schuldig, und das ist im Falle Oskar Pastior besonders schlimm, ja, abgrundtief absurd, denn es war die Geburtsstunde der modernen rumäniendeutschen Literatur, die viel später durch einen raffinierten und neuen Stil, der in jener Hölle gewachsen war, mit Herta Müller zum Nobelpreis führte!

Der damalige Spitzel „Moga“ und „Marin“ hat nun aus Rache, weil ich ihn in meinem FAZ-Artikel vom 16.11. enttarnt hatte, versucht, in eine langen Selbstbezichtigungschrieb ebenfalls in der FAZ, ausgerechnet mich, aber auch Herta Müller, „gleichzuschalten“ und zu „Gesinnungsgenossen“ zu machen, bei mir eine „Vorlaufakte“, die man auch „Drohungsakte“ nennen kann, zu einer „umfangreichen Täterakte“ umgedichtet. Wieder der absurde und unglaubliche Tenor: Die Opfer sollen zu Tätern gemacht werden, die Täter zu Opfern?
Aber es kommt noch besser, der berüchtigste und „berühmteste“ Neonazi der Rumäniendeutschen, Gerd Zikeli, ehemaliger Mitarbeiter von Remer (der schlug den Aufstand vom 20. Juli nieder), benutzt die Gelegenheit, auf die er wohl lange gewartet hat, kein Wunder, da ich ein weltweit erfolgreiches Anklage-Buch über den siebenbürgischen Auschwitzapotheker Capesius veröffentlicht habe, attackiert mich in einem FAZ-Leserbrief (3.12.) heftig. Zikeli, rechtsradikaler Hetzer und Auschwitzleugner mit Einreiseverbot in die Schweiz und nach Österreich, griff mich in einem FAZ-Leserbrief als „Linker“ an und versuchte mich, den von der Securitate Verfolgten, zum „Kommunisten“ zu machen.
Mir ging und geht es in erster Reihe um die Schuld von „Stein Otto“, nicht um den Fall Hoprich und die andern Fälle. Sollen sich die Opfer, die in den sechziger Jahren verfolgt wurden und die „Stein Otto“ und andere als IM entlarvt haben, nun etwa rechtfertigen müssen, die Täter aber (in meinem Falle waren auf mich sechs „angesetzt“, darunter „Stein Otto“, doch im Ganzen vielleicht vierzig) einfach vergessen werden?

Dr. h.c. Dieter Schlesak, Camaiore



Der ältere Artikel lautete:


In meinem Artikel „Schule der Schizophrenie“ (Feuilleton vom 16. November) habe ich nach Einsicht in meine Akte in Bukarest über den auf mich von der Securitate angesetzten IM „Stein Otto“, Oskar Pastior, berichtet. Dabei habe ich als Beispiel für den Umgang mit diesen Geheimdienst-Akten, die eine Beziehungshölle enthalten, anhand des Falles Georg Hoprich zur Vorsicht bei jeglicher Securitate-Philologie gemahnt.

Mein Artikel hat viel Erinnerungsstaub aufgewirbelt. Eine ganze Gemeinde von Verteidigern Hoprichs, um den es mir gar nicht in erster Linie ging, klagt mich nun an, den IM „Stein Otto“, also Oskar Pastior, verleumdet zu haben, indem ich ihn der Mitschuld am Selbstmord von Georg Hoprich bezichtigt hätte. So wird von der eigentlichen Schuld Pastiors abgelenkt.

Zum Fall Georg Hoprich und meinen Anmerkungen im Artikel dazu muss gesagt werden, dass dieser Fall noch nicht durch Aktenbelege aufgeklärt wurde, da weder ich, noch der Münchner Wissenschaftler Stefan Sienerth oder der Sohn Hoprichs noch Experten der Oskar-Pastior-Stiftung die fraglichen Akten bisher einsehen konnten.

Meine Darstellung des Falls Hoprich wollte ich als Möglichkeit gelesen wissen, niemals als bewiesene Tatsache; deshalb habe ich den Konjunktiv verwendet. Ich bitte alle, die noch Zweifel daran haben, meinen Text in dieser Zeitung nicht nur oberflächlich, sondern genau zu lesen. Dort schreibe ich: „Alles bleibt nur Annäherung, auch im Absurden: Das muss uns zur größten Vorsicht bei den Einschätzungen der Spitzeltätigkeiten anhalten. Manches gleicht eher einem Dokumentarroman als einem Tatsachenbericht, den man wissenschaftlich lesen könnte - so auch bei der Tragödie Hoprich, die Pastior, der diese Freundschaft ebenso wie die zu mir, offenbar zu Spitzelzwecken ausgenützt hat, mit zu verantworten hat.“ All das, auch das „mit zu verantworten“, steht unter diesem Fragezeichen, dass es nicht als Tatsachenbericht gewertet werden darf. Falls noch Zweifel bestehen, erkläre ich hiermit noch einmal, dass ich mit diesem Fall Pastior nicht zusätzlich belasten und ihm keinesfalls die Mitschuld am Selbstmord von Georg Hoprich geben wollte. Für die ungenauen Formulierungen, die zu diesem Missverständnis führen konnten, entschuldige ich mich.


Angegriffen wurde ich (in der FAZ) aus Rache vom skrupellosen IM „Moga“, Claus Stephani, den ich in meinem Artikel entlarvt hatte; indem er eine "Vorlaufakte", wie es sie zu Tausenden gibt, in der Hoffnung, die Betreffenden gewinnen zu können, zu einer "Täterakte" macht, und von einem bekannten Neonazi, Gerd Zikeli, rechtsradikaler Hetzer und Auschwitzleugner mit Einreiseverbot in die Schweiz und nach Österreich, der mich als Linker angriff und zum Kommunisten machen wollte.

Mir ging und geht es in erster Reihe um die Schuld von „Stein Otto“, nicht um den Fall Hoprich. Sollen sich die Opfer, die in den sechziger Jahren verfolgt wurden und die „Stein Otto“ und andere als IM entlarvt haben, nun etwa rechtfertigen müssen, die Täter aber (in meinem Falle sind auf mich „angesetzt“ sechs, darunter „Stein Otto“, doch im Ganzen vielleicht vierzig) einfach vergessen werden?

Dr. h.c. Dieter Schlesak, Camaiore




--
Dr.h.c. Dieter Schlesak,
Pieve 327. Agliano
I-55041 Camaiore, Italien
T.0039/0584951214. Fax 951907
Mobil: 00393356508780
In Deutschland: Tizianweg 5, 70192 Stuttgart
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www.dieterschlesak.de
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www.geocities.com/transsylvania

Montag, 6. Dezember 2010

Brief an Claudio Magris zu seinem großen Roman "Blindlings", den jeder lesen sollte!

Endlich wieder etwas anderes, endlich LITERATUR und nicht immer wieder der Stress mit der Securitate und allen Plattheiten und "Beziehungshöllen".

Lieber Claudio Magris,

über Triest und unsere schöne freundschaftliche Begegnung, Ihre Einleitung, Ihre einfühlsam-wissende Moderation, das Gelungene des gemeinsamen Lese-Abends in Triest, das Runde dann durch den Abendessen- und Gesprächs-Abschluss zusammen mit Paola und Alexandra, - alles, habe ich wieder Ihnen zu verdanken: Auch sonst freilich mein literarisches Ankommen in Italien, mit dem „Auschwitzapotheker“ vor allem, und der Vorbereitung von „Transsylwahnien“!

Jetzt aber ist Ihr Roman „Blindlings“ da (Hanser 2007, dtv 2009), auch in mir, in meiner Schreib-Biografie, und verändert diese wieder. Das Buch hat in mir wie ein Stil- Erkenntnisblitz eingeschlagen, und ich bewundere Ihre Intuition, dass Sie mir das Buch unbedingt mitgeben wollten! Es gehört zu mir! Ja genau in diese schmerzhafte Kerbe des historischen Wahnsinns schlägt es rein. Und ich will es auch schnell sagen: Es fällt auf einen so fruchtbaren wartenden Boden, wo die „Rote Hölle“ nun nach dem „Apotheker“ wuchs. Doch gibt es noch eine ganz ungewöhnliche Faszination, einen bisher so nie gesehenen Rahmen
von „Transkommunikation“ und „Reinkarnation“!! (Sie haben ja mein Buch dazu).- Dieses alles verbindet sich und führt, davon bin ich überzeugt: zum vielleicht wichtigsten europäischen (zeitgeschichtlichen) Roman! Zu einer bisher (von mir jedenfalls) nirgends gelesenen absolut notwendigen Stilalchemie heute!

. Es greift auch einem noch ausstehenden, aber so wichtigen neuen Paradigma vor, und sollte als Vorbild einer neuen Geschichtsbetrachtung dienen, die freilich nur von der Literatur (vorgreifend) eingelöst werden kann. Und das haben Sie getan, und sonst in Europa noch niemand.
In Amerika vielleicht Thomas Pynchon, doch bei weitem nicht so überzeugend und auch so eingeschmolzen alles Not Wendige, auch die neue Physik, also LESBAR und überzeugend bei Ihnen!

Von der großen Schönheit vieler Szenen, die mir Glücksgefühle der Berührung beschert haben, so die Meeres- und Walfischszenen, überhaupt das Meer und die Schiffe, die Sturmschilderungen, das ist so STARK, dass es vielleicht nur ein Mensch vom Meere schreiben konnte, oder die Szenen der Hexenverbrennung, überhaupt von den filmischen Schnitten durch alle Epochen, ganz zu schweigen!

Triest! „Blindlings,“ ein neuer aber ganz anderer Joyce oder Conrad. Und durch die Furchtbarkeit tragischer Schicksale entdecke ich auch Parallelen zu Virgil Gheorghiu „25 Uhr“, doch das ist ein viel schwächeres Buch.

Und das alles in einem einzigen Gedankenstrom fast eines Kollektivbewusstseins! Der dichteste Ort des Alls: der menschliche Kopf, hier fast Prototyp oder Phänotyp! Und doch abenteuerlich und spannend. Das ist großartig in diesem Zusammenfinden, und dieses nur, weil da ein geborener Erzähler am Werk ist, einer, der auch „theoretisch“ „Bescheid weiß“ und alles kennt, es aber „vergisst“ und im Erzählen ankommt! Im durchdachten Erzählen und Jetzt des LEBENs aller Zeiten! Kein Zufall, dass die Literatur von Wissenden, auch im Theoretischen und Poietischen Beschlagenen, wie Sie und Eco, erneuert wird, neu gefasst und erfasst wird, als Avantgarde eines kommenden Stils, der ein kommendes Paradigma widerspiegelt Nur, Sie sind im Stil radikaler und wegweisender, doch von der Lesergemeinde, wohl auch von den Kritikern noch nicht erkannt und fassbar. Der Stil ist absolut revolutionär, und setzt neue Maßstäbe, ist so ungewohnt, dass man zuerst einen Schlag erhält, sich das Bewusstsein, die Lese- und Literaturgewohnheit, auch die eines Schreibers wie mir, sich umstellen muss, neu stellen muss!

Aber so geht es; Blindlings ist im Verhältnis zu seiner Bedeutung viel zu wenig bekannt. Und ich schließe mich ein, fühle mich verantwortlich, dass ich „Blindlings“ nicht selbst entdeckt habe!Sie haben den Nobelpreis verdient. Doch es ist ja noch nicht aller Tage Abend!

Ich möchte so gerne etwas dazu beitragen! Doch meine Kräfte sind schwach. Ich kann vorerst in der großen Presse nur so etwas wie eine Rezension als eine Art „Aufruf“ anbieten, wohl nicht mehr. Höchstens Krüger hilft mit. Leider ist auch das Buch als Taschenbuch schon älter. Und das Original sogar 5 Jahre alt.
Doch eigentlich sollte das überhaupt nicht wichtig sein!

Ich bin nun wohl einer der ersten Autoren, der in Ihnen das Vorbild sieht, und mein nächstes Buch nun ganz in diesem Zeichen angefangen habe.
Indem ich parallel zur „Roten Hölle“, das ja wie der „Apotheker“ in gleicher Struktur auch eine Art Dokumentarroman sein sollte, nun dieses neue Buch über die Securitate und die rote Hölle hinaus schreiben will. Dabei möchte ich den Folterfaden und Gefängnisfaden durch die Qual der Geschichte ziehen, eben auch als „Gedankenstrom“ eines Einzelnen, einer durch das Erlittene zerstörten Seele in der Heilanstalt. Jedoch nun mit Szenen in all den vielen Jahren zum Thema, auch zu Auschwitz, entstandenen und noch unveröffentlichten Texten, so dass mein neues Buch, ich nenne es vorerst „ANGST“, wieder eine Collage zum Thema wird, freilich im Stil völlig verändert!

Lieber Claudio Magris, meinen ganz großen freundschaftlichen Dank für dieses Buch
Und die vielen so wunderbaren Anregungen, die ich durch Sie erhalten habe!
Ganz herzlich
Immer Ihr Dieter Schlesak

Donnerstag, 2. Dezember 2010

Jetzt als FAZ-Leserbrief: Korrigierte Fassung des Briefes vom 2.Dezember„STEIN OTTO“ (OSKAR PASTIOR) IST IN DER FAZ VOM 16.11. NICHT DER MITSCHULD AM SELBSTMORD VON GEORG HOPRICH VERDÄCHTIGT WORDEN. Ein Dementi

In meinem Artikel „Schule der Schizophrenie“ (Feuilleton vom 16. November) habe ich nach Einsicht in meine Akte in Bukarest über den auf mich von der Securitate angesetzten IM „Stein Otto“, Oskar Pastior, berichtet. Dabei habe ich als Beispiel für den Umgang mit diesen Geheimdienst-Akten, die eine Beziehungshölle enthalten, anhand des Falles Georg Hoprich zur Vorsicht bei jeglicher Securitate-Philologie gemahnt.
Mein Artikel hat viel Erinnerungsstaub aufgewirbelt. Eine ganze Gemeinde von Verteidigern Hoprichs, um den es mir gar nicht in erster Linie ging, klagt mich nun an, den IM „Stein Otto“, also Oskar Pastior, verleumdet zu haben, indem ich ihn der Mitschuld am Selbstmord von Georg Hoprich bezichtigt hätte. So wird von der eigentlichen Schuld Pastiors abgelenkt.
Zum Fall Georg Hoprich und meinen Anmerkungen im Artikel dazu muss gesagt werden, dass dieser Fall noch nicht durch Aktenbelege aufgeklärt wurde, da weder ich, noch der Münchner Wissenschaftler Stefan Sienerth oder der Sohn Hoprichs noch Experten der Oskar-Pastior-Stiftung die fraglichen Akten bisher einsehen konnten.

Meine Darstellung des Falls Hoprich wollte ich als Möglichkeit gelesen wissen, niemals als bewiesene Tatsache; deshalb habe ich den Konjunktiv verwendet. Ich bitte alle, die noch Zweifel daran haben, meinen Text in dieser Zeitung nicht nur oberflächlich, sondern genau zu lesen. Dort schreibe ich: „Alles bleibt nur Annäherung, auch im Absurden: Das muss uns zur größten Vorsicht bei den Einschätzungen der Spitzeltätigkeiten anhalten. Manches gleicht eher einem Dokumentarroman als einem Tatsachenbericht, den man wissenschaftlich lesen könnte - so auch bei der Tragödie Hoprich, die Pastior, der diese Freundschaft ebenso wie die zu mir, offenbar zu Spitzelzwecken ausgenützt hat, mit zu verantworten hat.“ All das, auch das „mit zu verantworten“, steht unter diesem Fragezeichen, dass es nicht als Tatsachenbericht gewertet werden darf. Falls noch Zweifel bestehen, erkläre ich hiermit noch einmal, dass ich mit diesem Fall Pastior nicht zusätzlich belasten und ihm keinesfalls die Mitschuld am Selbstmord von Georg Hoprich geben wollte. Falls es ungenaue Formulierungen, die zu diesem Missverständnis führen konnten, gab, bedauere ich diese.

Mir ging und geht es in erster Reihe um die Schuld von „Stein Otto“, nicht um den Fall Hoprich. Sollen sich die Opfer, die in den sechziger Jahren verfolgt wurden und die „Stein Otto“ und andere als IM entlarvt haben, nun etwa rechtfertigen müssen, die Täter aber (in meinem Falle sind auf mich „angesetzt“ sechs, darunter „Stein Otto“, doch im Ganzen vielleicht vierzig) einfach vergessen werden?
Angegriffen wurde ich aus Rache vom IM „Moga“, Claus Stephani, den ich in meinem Artikel entlarvt hatte; und von einem bekannten Neonazi, Gerd Zikeli, rechtsradikaler Hetzer und Auschwitzleugner mit Einreiseverbot in der Schweiz und Österreich, der mich als Linker angriff und zum Kommunisten machen wollte.


Dr.h.c. Dieter Schlesak, Camaiore