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Freitag, 9. April 2010

Stefan George, der Geist-Päderast



Dieter Schlesak

Du schlank und rein wie eine flamme


Du schlank und rein wie eine flamme
Du wie der morgen zart und licht
Du blühend reis vom edlen stamme
Du wie ein quell geheim und schlicht

Begleitest mich auf sonnnigen matten
Umschauerst mich im abendrauch
Erleuchtest meinen weg im schatten
Du kühler wind du heisser hauch

Du bist mein wunsch und mein gedanke
Ich atme dich mit jeder luft
Ich schlürfe dich mit jedem tranke
Ich küsse dich mit jedem duft

Du blühend reis vom edlen stamme
Du wie ein quell geheim und schlicht
Du schlank und rein wie eine flamme
Du wie der morgen zart und licht.         (GA IX 138)


Es war am Anfang meines Lebens als Autor - unter Umständen, die meinem Zugang zu Stefan George eine besondere Note verleihen: in der Diktatur. Ich hatte gehört, dass er sich zum Preisen des Führertums erniedrigt habe. Ich hatte gehört von seinem Herren­menschentum und Herrschaftswillen, der auch seine Gedichte so oft störe, wo er sich einmische, anstatt der Inspiration freien Lauf zu lassen, um sie zur in sich selbst liegenden Form werden zu lassen, und doch überwog er als Legende und Gegenteil dessen, was uns gepredigt wurde.
Das Tauwetter kam bei uns etwas früher an. Eines meiner wichtigsten Erlebnisse der Öffnung - ein fast rauschhaftes Freiheitsgefühl erfüllte mich damals - war, als mir der Postbote, wohl im Jahre 1964, das erste 'Westbuch' überreichte, ein Akt, der einer atemberaubenden neuen Normalität angehörte, die wie eine unheimliche grenzüberschreitende Zauberei auf mich wirkte. Ich konnte es nicht fassen. Es war die Taschenbuchausgabe einer Anthologie von Curt Hohoff, im List Verlag erschienen, und als erstes schlug ich zufällig Georges Gedicht 'Du schlank und rein wie eine flamme' auf, das letzte Gedicht aus dem Neuen Reich. Ich werde diesen Augenblick nie vergessen. Ich las es ganz unkritisch, obwohl ich Lyrik-Redakteur bei einer Zeitschrift war, ja, unkritisch, denn die Worte, die kamen von ganz fern, die kamen aus einem erträumten Land, liessen mich beben, hatten einen ganz eigenen Freiheitsklang, als wäre der Widerschein einer Utopie angekommen, und dieses himmlisch Morgenjugendliche der Zartheit einer Mädchenerscheinung aus dem Gedicht 'Du schlank und rein wie eine flamme' vermischte sich mit allen meinen Hoffnungen; übertrieben und gefährlich war diese Vermischung von Traum und Realität, wo die Grenze in jenes bisher verbotene Gebiet nun wenigstens imaginär offen stand, ein ganz konkret existierendes Gebiet, das wir der 'Freiheit' zurechneten, ohne zu wissen, dass es Freiheit, existentielle Freiheit, Körper-, oder gar Todesfreiheit im Menschen­leben nicht geben kann!
Das Mädchenhafte dieser Aura aus dem Gedicht vermischte sich mit meiner Verliebtheit, mit jener Erscheinung einer engelhaft-zarten jungen Frau, der diese Verse so nah waren..
Der Leser schafft Gedichte neu, er zeugt sie neu. Er bringt sie zu einer explosiven Geburt in seinem Herzen.
Die Umstände in Diktaturzeiten waren völlig ungesund, und so war auch die Rezeption ungesund, unkritisch zumindest. Sie umgab das Gedicht, die Anthologie, George mit einer Art Heiligenschein, und schon der Gegenwille zum offiziellen Verbot machte aus jenem Leseaugenblick fast eine Sonnenwendfeier. Damals standen, was mir später als Anmassung von Würde erschien, die schon Rudolf Borchardt gestört hatten (wobei Konkurrenzneid nicht auszuschliessen ist!), standen die Posen in manchen Versen, die Authentisches dort erst aufscheinen lassen, wo es nicht 'durchzüchtet' und gewollt ist, nicht zur Debatte. Jene Posen fielen nicht auf, wäre da nicht "Du blühend reis vom edlen stamme", was manieriert ins Elitegläubige, verstaubt Retrograde und Mittelalterliche weist, sich aber stilistisch einfügt, stimmungsmässig harmoniert mit der schlanken Flamme. Auch bin ich geneigt, dieses Gedicht gegen Adornos Verdikt, er würde es in eine imaginäre George-Auswahl nicht aufnehmen, zu verteidigen, und, wenigstens in diesem Fall, auch Theodor Haeckers Verdikt, dass man bei George nur die Grossschreibung und Interpunktion einsetzen müsse, um zu erkennen, dass so manches Gedicht fatal Stammbuchversen ähnlich sei.
Nein, dieses Gedicht fällt ganz sicher nicht in die Albumkategorie. Auch da, wo es an schwülstige Barockliebesgedichte erinnert: 'Ich schlürfe dich mit jedem tranke', ist es eher ein zeittypisches 'Schlürfen', wie in andern Gedichten "die hinde" und andere von der Lyriksprache heute verpönten Ausdrücke, die man sich schnell wegdenken kann, sich vielleicht bei gelungenen Gedichten 'übersetzen' muss, um über dem Ausdruck nicht die wesentliche, dahinterstehende, wahrhafte Aussage zu vergessen, die auch heute noch, auch im Pop- und Chat-Zeitalter Verliebte berührt, mich berührt hatte, als mir das 'Schlürfen' nicht viel ausmachte, obwohl ich schon damals ein reizbares Sensorium für die falschen Töne, falschen Worte und den Pathos der Jugendstilzeit, ihre erfundene Ornamentik, vor allem aber für jene über die innere Leere getünchte Sentimentalität und pathetische Rhetorik der dreissiger Jahre hatte. Am anderen Ende standen doch Marschmusik und das Brimborium der Reichsparteitage. Gründgens Mephisto, die Enthüllungen von Klaus Mann zielen in diese Richtung und zeigen, woher das Desaster, der Erfolg des Gröfaz gekommen war.
Nein, dieses Gedicht gehört nicht dazu:

Du schlank und rein wie eine flamme
Du wie der morgen zart und licht
Du blühend reis vom edlen stamme
Du wie ein quell geheim und schlicht

Du blühend reis vom edlen stamme
Du wie ein quell geheim und schlicht
Du schlank und rein wie eine flamme
Du wie der morgen zart und licht.

Die Umkehrung der ersten Strophe ist nicht nur eine Wiederaufnahme, ein Refrain des 'ersten Eindrucks'. Die vier Strophen in den vier letzten Versen (jeder Vers vertritt eine Strophe) sind vielmehr so verschränkt, dass auf den Mittelteil (zwei Strophen), in dem das innere Liebesgeschehen zur 'reinen flamme', zum Bild wird, nun von den 'stellvertretenden' Versen aufgenommen und mit der ersten und sich selbst verschränkt werden: Inneres Geschehen und äussere Erscheinung kommen zu einer Einheit und schliessen nicht, sondern weisen mit einem Neubeginn ("morgen zart und licht") wieder mit Glücksgefühlen ins Offene!
Die Korrespondenzen stimmen: Erste Zeile der ersten und der letzten Strophe, zweite Zeile der ersten und der letzten Strophe.. Sie reimen sich, und man könnte diese Formkonsonanzen weiter untersuchen. Die selbstauferlegte Formstrenge, die für manches eine neue Gedichtform erfindet, ist nicht übertrieben, manieriert oder preziös, sondern ergibt den tieferen Sinn einer hinter der Erscheinung des Gedichtes aufscheinenden 'Hirnsyntax' formaler Erleuchtung, ähnlich wie ein Auflösen der verborgenen, aber genau festgelegten Strukturen der Kabbalah, die mit qualitativen Zahlen und Namen arbeitet.
Vielleicht hat das den Zwölftöner Schönberg auch dazu verführt, einen grossen Zyklus aus den Hängenden Gärten, sowie u.a. 'Litanei' und 'Entrückung' aus dem Siebenten Ring zu vertonen. Und hier hat Adorno wohl recht, wenn er in den Noten zur Literatur IV (Frankfurt/M 1974, S.527) sagt, dass dies Thema 'Vergänglichkeit' (vielleicht das wichtigste Thema der Poesie, das die tiefsten Gefühle der Trauer und des Nachdenkes mit sich bringt, aber auch eine Pause des Glücks ist, als wäre Zeit aufgehoben, etwa in der Liebe: Zeit, Zeitvergehen dem Tode zu) - auch bei George zum Gelingen beitrage, dort wo das Ephemere, zur Verssprache gebracht, anrührt, nicht loslässt, weil es wahrer ist als das nur Anschauen, weil es dem Sterben, das alles unsichtbar macht, nahe steht. Und dass mit Georges Gedicht von der Vergänglichkeit 'Sprich nicht immer' Schönberg eine ganze musikalische Gattung bis zur punktuellen Komposition der fünfziger Jahre geschaffen und beeinflusst hat.

Sprich nicht immer
Von dem laub.
Windes raub.
Vom zerschellen
Reifer quitten.
Von den tritten
Der vernichter
Spät im jahr.
Von dem zittern
Der libellen
In gewittern
Und der lichter
Deren flimmer
Wandelbar.         (GA III 111)

Ist es ein Gedicht über die Abschiedsfähigkeit? Und gegen das Nur-Sprechen? Das alles überdeckt, zumal das Ungeheure des Niemalsmehrwieder, des Verschwindens, des Vergehens als gnadenloses Gesetz, das niemanden ausnimmt? Wessen Gesetz sollte das sein? Gottes? Sagt uns dieses Gedicht, dass sogar auf das Licht kein Verlass ist, Dauer ein unerfüllbarer Wunsch und eine Chimäre bleibt, auf die wir doch eingestellt sind, dass wir den Schein lieben - und sonst wegsehn? Sagen uns diese Verse, dass wir die Endpunkte nicht sehen, den Absturz, und uns ins Fäustchen lügen, um die winzige, aber unwandelbar harte und grausame Faust dieser Punkte nicht sehen zu müssen? Wir lesen darüber schnell hinweg, anstatt zu stocken, da doch das endgültige Stocken grausam und unerbittlich unterwegs ist. Ein Punkt erwartet uns, nicht drei.
Wir lesen und leben so schnell, als würde der Zeitfluss gegen Ende offener, weil dieser Zeitfluss Hoffnung zu geben scheint, dabei ist er das Gegenteil! Im Alter wird die Zeit immer schneller, und gleichzeitig macht sie immer mehr Angst, so dass dies als das Lebensalter erscheint, in dem die Wahrheit der Todesnähe verschwiegen, aber von Angesicht zu Angesicht gelebt wird, angesichts des bitteren Zeitgefühls, das einer heimlichen, wachsenden Katastrophe gleichkommt und das Ich schon jetzt nicht mehr leben lässt!
George weiss viel davon: vom Grauen, vom Tod. Sein einziges Prosabuch besteht aus Alptraumprotokollen: Tage und Taten. Es beweist, wie sehr ihm das Grauen und der Tod zusetzte. Dieses reife Wissen, das Ephemere, macht paradoxerweise das 'Bleibende' seines Werks aus, wie viele seiner Übersetzungen; in diesem Sinne rechnet ihn Walter Benjamin dem Jugendstil, dem "erfundenen Ornament, einer Unmöglichkeit" zu, wo das Weltschmerzliche noch ungeschützt zutage tritt, das er in den späteren Werken, vor allem im Siebenten Ring zu verdecken sucht. Nur "wo George ohne Vorbehalt, ohne statuarische Veranstaltung sich, im Einklang mit dem Jugendstil, der Vergänglichkeit des eigenen und des geschichtlichen Augenblicks überlässt, war das Glück mit ihm" (Adorno, aaO, S.533). "Nun heb ich wieder meine leeren augen/Und in der leeren nacht die leeren hände" (GA IV 31).
Das Ephemere als Kernpunkt, das 'Fragile als das Stärkste', wie der Tropfen im Tao-te-King, der den Stein höhlt; das 'Nichts', das Unfassbare zwischen den Dingen, in den Zwischenräumen der Existenz, das Wirkliche, das im Kommen ist, zeitsteigend-zeitfallend, bestimmt dieses Werk; Zeit als Lebensenergie; glücklich, wer sie noch hat, ungewusst noch, selbstverständlich wie dieses Bild hier:

Es lacht in dem steigenden jahr dir
Der duft aus dem garten noch leis.
Flicht in dem flatternden haar dir
Eppich und ehrenpreis.      (GA IV 93)

Das "leis" deutet an, wie die Schwermut des Vergänglichen ins Bewusstsein tritt, wo das "flatternde haar" noch Zeithaben, Jungsein zeigt. Doch so schnell, fast übergangslos wird das anders, das "leis" hat mehr im Sinn als nur eine kleine Warnung, ebenso wie das stimmungsmässig so traurige "noch", das sich in der zweiten Strophe wiederholt, sich im "vielleicht" steigert und im "mehr" zurückblickt und vergleicht:

Die wehende saat ist wie gold noch,
Vielleicht nicht so hoch mehr und reich,
Rosen begrüssen dich hold noch,
Ward auch ihr glanz etwas bleich.

Zweimal das warnende zurückblickende "noch", wie retardierend, pausierend im verheerenden Zeitfluss, der keine Gnade, keine Rast kennt. Wenig Trost spendet das kleine "noch" gegen das fast ironische "etwas bleich", das tröstend abschwächen soll, aber eher ein Schreckbild des Totengesichts ist, zur dritten Strophe, die aus dem Spätsommer auf den Herbst, dann auf den Winter und zum Ende des Naturzyklus überleitet. Aber noch ist Spätsommer, mit dem man das vierte Lebensjahrzehnt im Menschenleben vergleicht. Nach C.G.Jung gilt das vierzigste Jahr als Wende, wo nicht mehr nur hoffnungsvoll nach vorn geblickt wird, sondern der Blick auf die Zukunft mit Schrecken vor der abnehmenden Zeit erfüllt ist. Eine Ahnung dessen, was uns erwartet, ohne dass wir es wahrhaben wollen, dämmert auf. Die Synthese in der dritten Strophe bringt diesen Schrecken, wenn auch nur verkehrt zur Sprache, versteckt ihn in der Umkehr: "Verschweigen wir was uns verwehrt ist" - also die Unsterblichkeit, das Todeswissen vielleicht, das uns die Angst nimmt, aber unheimlich bleibt, und uns auf Lebzeiten "verwehrt" ist?

Verschweigen wir was uns verwehrt ist,
Geloben wir glücklich zu sein
Wenn auch nicht mehr uns beschert ist
Als noch ein rundgang zu zwein.

"Geloben wir glücklich zu sein" ist von Adorno moniert und als Beispiel für Georges 'Gewalttätigkeit' als eine Art Befehlsvers zitiert worden. Es ist aber eher ein verzweifelt schlichtes Geloben, vom Wissen her, und tritt aus jedem L'art pour l'art und schicken Ästhetizismus heraus, ist vom Inhalt her, völlig unpoetisch zu lesen und übertrifft jede Art von Literatur als ein spätes Existential, das ja doch nicht zu schaffen ist. Denken wir nur an Jean Amérys Altersanalyse und sein Alterssyndrom, das er fast mit allen teilt, und das bei ihm zum Selbstmord führte. Wissend setzt auch George unheldisch und unpathetisch den kleinsten noch möglichen Nenner im Ephemeren, so dass er wahr und grossartig im tragischen Abnehmen jeder Zeitfülle und Hoffnung wird, genau so, wie es wirklich ist. Er setzt es geradezu dem "Geloben glücklich zu sein" entgegen, nimmt das Tapfere daran, das Aufbäumen als Unmöglichkeit zurück. Oder ist gar dies das letzte Glück?

Wenn auch nicht mehr uns beschert ist
Als ein rundgang zu zweien.

Der Bogen von "Du schlank und rein wie eine flamme/Du wie der morgen zart und licht..." bis zu diesem "rundgang zu zweien" ist schmerzlich und so wahr wie das Ungeheure, das der Mensch ist, wie der Gang des Menschenlebens, ein Bogen, der auch Georges Werk umschliesst.


Und fast absurd kommt mir jetzt „So schlank und rein wie eine flamme“ vor, wie konnte ich mich nur von solch einem „Geist“ so verführen lassen, auch ich.
Heute, 9.April 2010 lese ich in der FAZ:


Päderastie aus dem Geist Stefan Georges?

Er versuchte, das antike Modell der Meister-Schüler-Beziehung neu zu etablieren: Stefan George
Er versuchte, das antike Modell der Meister-Schüler-Beziehung neu zu etablieren: Stefan George
Was lief da eigentlich sexuell, als zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Dichter Stefan George junge, gutaussehende und für Poesie empfängliche Männer auf der Straße ansprach und sie in seinen Kreis aufnahm? Und was hat es zu bedeuten, wenn im Zusammenhang der jetzt bekannt gewordenen Missbrauchsfälle an der Odenwaldschule als geistiger Übervater der Reformpädagogik immer wieder der Name Stefan George fällt? Gibt es eine historische Verbindung? Ist es zulässig, vom Missbrauch aus dem Geist Georges zu sprechen?
Thomas Karlauf, 55, der vor drei Jahren seine große George-Biographie veröffentlichte („Stefan George - Die Entdeckung des Charisma“, siehe auch: Zum Vorabdruck der Stefan-George-Biographie Thomas Karlaufs), hat uns auf diese Fragen Antworten gegeben. Karlauf ist nicht nur ein ausgezeichneter Kenner des Georgeschen Werks. Er hat nach dem Abitur selbst zehn Jahre lang in dem von Wolfgang Frommel betriebenen George-Kreis „Castrum Peregrini“ in Amsterdam gelebt.
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Hat eine große Biographie des Dichters Stefan George verfasst: Thomas Karlauf
Hat eine große Biographie des Dichters Stefan George verfasst: Thomas Karlauf

In Ihrer Biographie nennen Sie den Dichter Stefan George einen Homosexuellen, der im Laufe seines Lebens eine eigene Weltanschauung entwickelte, in der die „Überwindung des Sexus“ durch die „übergeschlechtliche Liebe“ als Sieg des „pädagogischen Eros“ gefeiert wurde. Das klingt sehr abstrakt und, wie ich finde, ein wenig verklärend. Georges Obsessionen waren ja sehr real. War es nicht Päderastie, die den Männerbund zusammenschweißte?

Ich würde daraus, dass das Männer waren, keinen Punkt machen. Nehmen Sie die Leidenschaft des alten Goethe für die 17-jährige Ulrike von Levetzow. Das ist die gleiche Eruption, das gleiche Wissen, dass das gesellschaftlich eigentlich nicht geht, und es ist der gleiche Erregungsgrad, der dann zu ungeheuren Gedichten führt.
Zum Thema
·                                 Odenwaldschule: Die Herren vom Zauberberg
·                                 Im Gespräch: Ulrich Raulff über Stefan George
·                                 „Castrum Peregrini“: Eine solche Zeitschrift wird es nicht wieder geben
·                                 Thomas Karlaufs George-Biographie nennt die Dinge beim Namen
·                                 Zum Vorabdruck der Stefan-George-Biographie Thomas Karlaufs

Sie beschreiben die Rituale im George-Kreis: das Ansprechen der Jungs auf der Straße, Fototermine, Besuche bei den Eltern, die „Erweckungs“-Zeremonien, bei denen dem Meister im Gemach Tee serviert werden musste. Was genau da sexuell ablief, benennen Sie nicht. Warum nicht?

Weil ich den Begriff „pädagogischer Eros“ trotz aller Problematik ernst nehme. George ist kein Mann, der sich vergnügt und die Jungs dann wieder wegschickt. Einen solchen Fall gibt es in der Vita Georges nicht. Es gibt Hinweise, dass George seine Sexualität, jedenfalls eine Zeitlang, mit Strichjungen ausgelebt hat. Da sitzt ihm natürlich die katholische Herkunft im Nacken: Sex ist etwas ganz Schlimmes, Schmutziges. So wie die Madonna rein bleiben muss, muss auch der Knabe rein bleiben. Das ist ja nicht leicht, zumal die gleichgeschlechtliche Liebe unter einem ungeheuren gesellschaftlichen Stigma stand und auch gesetzlich verfolgt wurde.

Er hat die Jungen vielleicht nicht weggeschickt. Trotzdem gab es deutliche Zwänge, die zu den Gesetzen des Kreises gehörten: Berthold von Stauffenberg zum Beispiel durfte nicht heiraten. Das wurde verhindert.

Sicher. Aber das war von Fall zu Fall unterschiedlich. Gerade im Fall Berthold von Stauffenbergs können Sie das genau sehen: Berthold, also der ältere der Brüder, der sehr eng mit George war, über viele Jahre bis zu Georges Tod, der darf nicht heiraten, weil George ihn nicht teilen will. Der jüngere Bruder Claus heiratet 1933, das steht überhaupt nicht zur Debatte.

Sie meinen, man kann die Zwänge nicht pauschalisieren?

Nein, das kann man nicht. Bei Max Kommerell zum Beispiel sieht der Fall wieder ganz anders aus. Da erkennen Sie übrigens die Ambivalenz der Päderastie am deutlichsten.

Inwiefern?

Kommerell war eine Zeitlang der intimste Freund Georges, und 1930 sagte er von einem Tag auf den anderen: Ich kann nicht mehr. Das ist das Problem. Das Problem ist nicht, wie die Jungs hineingeraten, sondern dass die meisten da nicht mehr von allein rauskommen. George hat für das Ausscheren aus dem Kreis keine Lösung vorgesehen. Wer sich davonmachte, galt als Verräter, George sprach dann vom „kranken Blut“. Das ist der Zwang. In diese Jungs werden Ideale implantiert, die so ungeheuerlich sind, dass sie den Weg zurück in die bürgerliche Existenz gar nicht finden können. Mitte zwanzig entdecken sie dann, dass sie an der Universität Karriere machen wollen, Geld verdienen müssen, möglicherweise eine Familie gründen möchten. Und all das steht in so diametralem Gegensatz zu dem, was sie bei George gelernt und gelebt haben, dass sie mit diesem Problem nicht mehr zu Rande kommen.
Da kommt es zu ungeheuren menschlichen Katastrophen. Da gibt es Selbstmorde. Kommerell sagt: Was vor fünf oder sechs Jahren richtig war, ist heute nicht mehr richtig. Er macht aber, was die Sexualität angeht, George überhaupt keinen Vorwurf. Er hält noch zehn Jahre nach dem Bruch hoch, dass George das antike Ideal der Meister-Schüler-Beziehung wiederentdeckt und für das 20. Jahrhundert lebendig gemacht hat. Er sagt nicht: Ich bin ein Opfer der sexuellen Begierden dieses Mannes geworden. Das eigentliche Problem ist das Problem vieler Sekten: Wenn Sie da einmal drin sind, kommen Sie da nicht mehr raus.

In Ulrich Raulffs Buch „Kreis ohne Meister - Stefan Georges Nachleben“, das gerade mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet worden ist, gibt es, sehr versteckt, eine Fußnote, auf Seite 515, in der von „Fellatio“ im George-Kreis die Rede ist. Mein Eindruck ist, dass, wenn es um George geht, gerne auf das Schlüsselloch gezeigt wird, dann aber ein vornehmes Taschentuch davorgehängt wird. Wenn man fragt, was da wirklich lief, gilt man entweder als skandallüstern oder als spießig. Das finde ich merkwürdig.

Aber ist nicht auch eine gehörige Portion Voyeurismus dabei?

Trotzdem muss es doch erlaubt sein, zu fragen!

Mir würde es genügen, dass man auf die Frage, ob es zu sexuellen Kontakten zwischen George und einzelnen seiner jungen Freunde gekommen ist, mit einem ganz klaren Ja antwortet. Wie die sich da im Detail vergnügt haben und was dabei der Ältere und was der Jüngere an Lust empfunden haben mag: diese Frage halte ich für ähnlich überflüssig wie die Frage, welche Stellungen ein Liebespaar bevorzugt, wenn es Liebe macht. Die Abstufungen bei George waren sehr groß. Es gab sicher sehr intensive Beziehungen. In den späteren Jahren - da spielte auch die Krankheit Georges eine Rolle - genügte es ihm, in einer erotisch aufgeladenen Atmosphäre mit diesen Jungs zusammen zu sein. Es gibt also verschiedene Abstufungen wie überall in der Sexualität.

Die Quelle der „Fellatio“-Fußnote haben Sie gefunden, Sie haben sie aber nicht verwendet.

Sie wurde mir erst nach Erscheinen meiner George-Biographie zugänglich. Im Anschluss an eine Lesung in Bonn, im Frühjahr 2008, kam eine ältere Dame zu mir, eine Frau von Falkenhausen, überreichte mir in einem verschlossenen Umschlag einen Brief und sagte: Das gehört in Ihre Hände, das wird Sie sicher interessieren. Als ich später im Hotel war, habe ich den Umschlag geöffnet, und ich muss sagen, es hat mich im ersten Moment ziemlich umgehauen. Da ist von irgendwelchen „Süßenhemdchen“ die Rede, die die Jungs, bevor sie phallisch initiiert wurden, anziehen mussten. Aber ich habe große Probleme mit dem Quellenwert dieses Dokuments.
Der Brief stammt aus den sechziger Jahren aus Marokko, von einem bekennenden Homosexuellen, der dort einen der jüngeren Freunde Georges, Robert von Steiger, kennenlernt und sich die Geschichten erzählen lässt. Da muss man erst mal fragen: Kommen die Geschichten wirklich von Steiger selber? Oder ist das mehr die schwule Gerüchteküche? Marokko in den sechziger Jahren war das Eldorado für Schwule. Die saßen da und haben sich gegenseitig mit Anekdoten überboten. Und wenn es dann von einem hieß, der war mal bei George, stieg der Erregungsgrad natürlich gewaltig.

Was haben Sie mit dem Brief gemacht?

Ich habe ihn ins George-Archiv gegeben, und da hat ihn Ulrich Raulff offenbar drei Tage später in die Finger gekriegt.

Wie erklären Sie es sich, dass die Eltern der Jungen, die George ansprach, die Aufnahme ihrer Söhne in den Kreis gebilligt haben? Fühlten sie sich geschmeichelt, ihre Kinder einer Bildungselite anheimzugeben, und blendeten die Möglichkeit der sexuellen Verführung aus?

Die Reaktion war, in den Fällen, die belegt sind, erst mal: Um Gottes willen! Weil natürlich, ohne dass darüber gesprochen wurde, alle vermuteten, dass da was passiert. Und das ist für eine Mutter, die einen 16- oder 17-jährigen Sohn hat, natürlich ein Moment, wo alle Alarmglocken angehen.

Eben.

Im Fall der Stauffenbergs ist die Gräfin Stauffenberg, drei Wochen, nachdem die beiden Brüder, Berthold und Claus, George vorgestellt worden waren, zu George nach Heidelberg gefahren und hat lange mit ihm geredet. Das Ergebnis war, dass sie der Sache ihren Segen gab. George muss auf die Gräfin einen solchen Eindruck gemacht haben, dass sie sich sagte: Wenn meine Jungs mit diesem Mann Umgang haben, ist das eine gute Sache.

Sie selbst haben in einem Aufsatz für die Zeitschrift „Sinn und Form“ beschrieben, wie Sie 1970, da waren Sie 15, auf der Buchmesse, wo Sie den „Rheinischen Merkur“ verteilten, von Wolfgang Frommel angesprochen wurden, dem Gründer der George-Zeitschrift „Castrum Peregrini“. Nach dem Abitur haben Sie zehn Jahre in Amsterdam bei Frommel verbracht, der das George-Modell nachlebte. Ihre Mutter war zunächst in heller Aufregung. Würden Sie heute sagen, sie hat sich zu Recht Sorgen gemacht?

Wenn Sie Mutter eines Sohnes in diesem Alter wären und da zögen plötzlich am Horizont solche Wolken auf und Sie hätten jemanden, der Ihnen einen Rat geben könnte in diesen Dingen, weil er sich auskennt, würden Sie es ihm verbieten? Die von Frommel mobilisierten Hilfstruppen haben damals auf meine Eltern eingewirkt, haben angerufen und Briefe geschrieben. Das waren angesehene Leute, die meiner Mutter versicherten, es könne einem Jungen gar nichts Schöneres passieren, als von Wolfgang Frommel eingeladen zu werden. Wenn ich mich selber heute befragen würde, würde ich sagen, es war eine sehr ungewöhnliche Erziehung, die mich herausgehoben hat aus der Masse und die mir einen besonderen Blick auf das Leben geschenkt hat, der bis heute anhält.

Sie sprechen mit großer Distanz. War es schwer, diese Distanz zu gewinnen?

Da herauszukommen, war ein Prozess, den ich niemandem wünsche.

Waren die Strukturen in Amsterdam dem George-Kreis ähnlich?

Sie waren identisch. Es ging darum, das Erbe des Dichters weiterzugeben an junge Männer.

War der Ablösungsprozess wie das Aussteigen aus einer Sekte?

Ja, ich hatte zunächst ja niemanden, mit dem ich über meine Probleme reden konnte - zum Beispiel über den ungeheuren Druck, endlich selber einmal einen jungen Freund heranzuziehen. Dazu fehlte mir, sagen wir mal, die Begabung. Dann hatte ich aber das große Glück, im Freundeskreis einen älteren Leidensgefährten zu finden, der dreißig Jahre vor mir einen ähnlichen Prozess durchgemacht hatte und der mir immer mehr Einblicke in die tatsächlichen Verhältnisse gab. Allerdings gibt es sowohl im George-Kreis als auch bei „Castrum Peregrini“ viele, die mit dem Aussteigen nicht zu Rande gekommen sind.

Über die wird interessanterweise nicht geschrieben. Das wäre doch eigentlich auch mal wichtig.

Auf jeden Fall: die Verschollenen und Gescheiterten. Die Materialsuche wäre aber nicht leicht, weil Opfer in der Regel schweigen.

Verkehrte in Amsterdam auch Hellmut Becker, der 1937 in die NSDAP eingetreten war, beim Carl-Schmitt-Schüler Ernst Rudolf Huber Assistent war und Anfang der sechziger Jahre Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, Mitglied des Deutschen Bildungsrates und der Denker der deutschen Bildungsreformen wurde?

Ich habe ihn nicht erlebt in meiner Zeit. Es gab Beziehungen Frommels zu Hellmut Becker, aber sie waren eher distanziert. Das hing vielleicht mit einer gewissen Rivalität zusammen, damit, dass Frommel nach dem Krieg selber versucht hatte, in Deutschland eine Reformschule zu gründen. Sehr viel intensiver waren Frommels Beziehungen zu Beckers Vater gewesen, mit dem er Anfang der dreißiger Jahre gut befreundet war. Als preußischer Kultusminister hat sich C. H. Becker damals sehr für die Ideale des George-Kreises interessiert und auch manches bewirkt, zum Beispiel bei der Besetzung von Lehrstühlen.

Hellmut Becker war ein begeisterter George-Leser und forderte die Wiederaufnahme von George-Gedichten in den Kanon der Schulen. Dabei müsse, so schrieb er 1985 in einem Beitrag für „Castrum Peregrini“, „die hermetische Form von Georges Dichtung durch eine gewisse Einführung, die auch ruhig ein Stück Verführung sein dürfe, aufgelöst werden“.

Das Wort „Verführung“ steht da im Text?

Ja. Wie verstehen Sie das?

Ich verstehe darunter die Suggestivwirkung, dass die Gedichte nicht nur rezipiert und interpretiert, sondern in einer bestimmten, nämlich in der Georgeschen Weise gelesen werden sollen, so wie Psalme. Lehrmeister bei dieser Übung ist der ältere Freund, der über ein Wissen verfügt, das der Jüngere, der in diese Dichtung eingeführt wird, noch nicht besitzt. Die beiden sitzen da nebeneinander auf dem Sofa und lesen diese Gedichte und lesen sie noch mal, um sie besser zu verstehen. Die Wirkung ist dann die, dass in dem Jüngeren plötzlich der Gedanke aufschießt, das „Du“ und das „Ich“ im Gedicht, das könnten jetzt eigentlich wir beide sein. Das ist mit Verführung gemeint.

Stimmen Sie mit der These von Ulrich Raulff überein und würden eine historische Linie vom George-Kreis bis zur Reformschulpädagogik der Bundesrepublik ziehen?

Der geistige Vater der Reformpädagogik, der Landschulheime, heißt Gustav Wyneken. Der hat den Anschluss an George gesucht, hat sich immer und überall zu George bekannt und in seinem 1906 veröffentlichten Programm der Freien Schulgemeinde - die erste gab es in Wickersdorf in Thüringen - George mehr oder weniger wörtlich zitiert. George hat sich sehr dagegen gewehrt und hat 1930 durch seinen Biographen Friedrich Wolters ausrichten lassen, was er von den Leuten hält: nämlich, dass sie den Jungs an die Wäsche gehen.

Was? Ausgerechnet George?

Wyneken wurde als Leiter von Wickersdorf dreimal entlassen, 1910, 1920 und 1931 - dreimal wegen Päderastie. Er hat versucht, das Georgesche Modell auf sein reformpädagogisches Konzept zu übertragen. George wollte davon nichts wissen. Offiziell sagte er, die Schüler würden durch diese Reformschulen zu intellektuell, zu früh kritisch - das war für George ja ein Horrorbegriff, „kritisch“. Gemeint hat er aber auch: Die benutzen meine Ideologie, um sich an den Jungs zu vergehen. Er hatte sie im Verdacht, wie es bei Wolters hieß, „das erotische Ideal der Jugenderziehung . . . zu persönlichen Reizungen zu missbrauchen“. Deutlicher konnte man das 1930 nicht sagen.

Hellmut Becker hat Gerold Becker, der jetzt der sexuellen Übergriffe auf seine Schüler beschuldigt wird, zur Anstellung an der Odenwaldschule empfohlen. Er erfuhr von dessen Neigungen, weil Gerold Becker sich nachts zu seinem Patensohn ins Bett legen wollte. Die Erziehung der Bildungsreformer war ein elitäres Projekt, in das ein Netzwerk von bildungsbürgerlichen und adligen Familien involviert war: die Weizsäckers, Hartmut von Hentig, die Beckers oder Gräfin Dönhoff. Muss man, angesichts dessen, was jetzt an Missbrauchsfällen bekannt geworden ist, nicht von eklatantem Versagen der Eliten sprechen?

Gewisse Erkenntnisse liegen nicht jederzeit auf der Straße. Die Tatsache, dass sexuelle Übergriffe 1999 von der „Frankfurter Rundschau“ öffentlich gemacht, aber nicht weiter verfolgt wurden, spricht dafür, dass das Bewusstsein noch vor zehn Jahren nicht da war.

In der aktuellen Diskussion wurde, etwa in der „Zeit“, allerdings der Verdacht artikuliert, dass Gerold Becker ein geachteter Veteran der Pädagogik nur bleiben konnte und sein Lebensgefährte, Hartmut von Hentig, der sich vor Becker stellt, nur geschont wurde, weil beide im Schutz einer Elite von Intellektuellen, mächtigen Politikern und Publizisten standen.

Das würde ja bedeuten, dass die Gräfin Dönhoff, Richard von Weizsäcker oder Hellmut Becker Gerold Becker gedeckt haben, weil er der Freund von Hartmut von Hentig ist. Das halte ich für eine Verschwörungstheorie. Eine Verschwörungstheorie übrigens gegen die protestantische Elite im Land. Die Aufregung ist vor allem deshalb groß, weil ausnahmsweise einmal nicht nur die katholische Kirche am Pranger steht.

Aber Sie würden schon sagen, dass der George-Geist in der Reformpädagogik weiterlebte?

Sie haben George adaptiert. Sie haben das, was sie aus George herauslasen, für ihre pädagogischen Ziele umgewidmet und in George eine Art geistigen Übervater gefunden. Man kann sich ja aus der Dichtung immer ein bisschen das herauslesen, was man will: Die Jugendbewegung, die Umweltbewegung, die Reformpädagogik, die Nationalsozialisten, alle haben das auf ihre Weise getan. Im Fall der Reformpädagogik bedurfte es sicher keiner allzu großen Vergewaltigung des Georgeschen Geistes.

Sieht man jetzt, wie das, was bei George angelegt ist, völlig entgleisen kann und zu Missbrauch führt - und zwar auch in einem linksliberalen Milieu, also in einem Umfeld von Leuten, die beansprucht haben, moralische Integrationsfiguren zu sein?

So würde ich das sagen. Aber ich würde umgekehrt nicht sagen, dass man die Georgeschen Gedichte dafür verantwortlich machen sollte, dass in der Odenwaldschule gemischt geduscht wurde.

Also kein Missbrauch aus dem Geist Georges?

Natürlich sucht man immer nach dem Urheber. Wenn Sie George als denjenigen identifizieren, der, wie Max Kommerell gesagt hat, das Urbild Meister-Schüler-Beziehung im 20. Jahrhundert neu etabliert hat, inklusive sexueller Handlungen, dann ist Ihre Vermutung richtig: Es handelt sich durchaus um eine Ableitung, die für die einzelnen Opfer schreckliche Folgen gehabt hat. Einem solchen Opfer sollte man heute keine George-Gedichte mehr vorlesen. Umgekehrt wird aber keine Beweisführung draus: Ohne George hätte es das genauso gegeben. Man hätte dann eben andere Heiligenbilder aufgestellt.
Interview von Julia Encke



Text: F.A.S.
Bildmaterial: Christian Thiel, picture-alliance / dpa