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Dienstag, 23. März 2010

Neue Dokumente über den Auschwitzapotheker Capesius und der Dokumentarroman"Capesius" (Bonn, Dietz 2006)

Erschienen auf ZEIT ONLINE.

23.03.2010, 18.09 Uhr

Die Frankfurter Rundschau bringt am 22. März 2010 folgende dpa-Nachricht:


SS-Ärzte



Papiere aus Auschwitz



Warschau. 65 Jahre nach Kriegsende sind in Polen bislang unbekannte Dokumente über SS-Medizinpersonal aus dem Vernichtungslager Auschwitz aufgetaucht. Sie enthielten Informationen über die Lager-Apotheker Adolf Krömer und Victor Capesius sowie prominente SS-Ärzte, sagte Adam Cyra von der KZ-Gedenkstätte Auschwitz am Montag.



Die Sammlung habe historischen Wert, weil sie Personen betreffe, die an den medizinischen Expe-rimenten an den Häftlingen sowie an "Selektionen" der Juden vor ihrer Ermordung teilgenommen hätten, erläuterte der Historiker. Unter rund 280 Dokumenten befinden sich Nahrungsmittel-Bezugsscheine für prominente SS-Lagerärzte, darunter Horst Fischer und Heinz Thilo. Laut Cyra steht auf einem Schein der Name des "Todesengels von Auschwitz", Josef Mengele, allerdings in entstellter Form als "Josef Mergerle".



Unter den Dokumenten befindet sich auch die Todesurkunde von Krömer. Demnach starb er 1944 an Herzversagen. Sein Nachfolger, Victor Capesius, hatte nach dem Krieg behauptet, Krömer sei wegen Verbreitung von Defätismus erschossen worden. Capesius war 1965 im Auschwitz-Prozess zu neun Jahren Gefängnis verurteilt worden, kam aber bereits 1968 frei.



Die Sammlung soll auf einem Dachboden in der Nähe des ehemaligen Konzentrationslagers in Os-wiecim bereits vor 15 Jahren gefunden worden sein. Ein Hobby-Historiker überredete demnach am vergangenen Freitag den Finder, die Dokumente zur Untersuchung zu Verfügung zu stellen. Der anonyme Finder will die Originale aber behalten. (dpa )



Im Dokumentarroman „Capesius, der Auschwitzapotheker“ (Bonn, 2006, 2. Auflage, Hermannstadt 2009), dessen deutsche und polnische Fassung sich im Auschwitzmuseum befinden, hat der Autor die sich selbst rechtfertigenden Erzählungen des Auschwitzapothekers, wie er sie in den langen Interviews in Göppingen (1976) auf Tonband gesprochen hat, eingefügt. Dieses Grauen kommt so nahe und wurde romanfähig, weil der Autor Capesius seit seiner Kindheit kannte, er aus der gleichen Stadt kam, er mit seinen Eltern „befreundet“ war.



Durch diesen neuen Fund von Dokumenten in Warschau erweist sich, dass Capesius durchwegs lügt, um seine schlimmsten Taten zu verschleiern oder zu rechtfertigen. Zur Charakterisierung dieses Massenmörders, der seine Schuld niemals anerkannt, gar eingestand, gehören diese Lügen, die die Schuldunfähigkeit all dieser Täter zeigt. Sein Porträt mit allen dazugehörigen Dokumenten und seinen Erklärungen sind im Dokumentarroman „Capesius“ nachzulesen. Adam Cyra, der Historikewr des Auschwitzmuseums, weist in seiner polnischen Nachricht ausführlich auch auf die polnische Übersetzung des „Capesius“ (Libron, Krakau) hin, und in den italienischen Nachrichten (das Buch erschien bei Garzanti, Herbst 2009, und geht in die vierte Auflage) wird ebenso wie in den rumänischen (Polirom, 2008) und der polnischen Übersetzung auf dieses erste Buch über den Au8schwitzapotheker Capesius hingewiesen, der das Zyklon B verwaltete und ausgab, selbst beim Massenmord mitwirkte. In den deutschen Nachri9chten zum Fund fehlen die Hinweise.



Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern und durchwegs großen bedeutenden Verlagen: so in New York, Prag, Amsterdam, Sao Paolo, London, Barcelona, Jerusalem etc. wo das Buch übersetzt wird, fand das Buch in Deutschland kaum Aufmerksamkeit.



Ist die Vergangenheit in Deutschland schon vergangen? Dass sie nicht vergehen kann, vor allem das Gedenken an Auschwitz nicht vergehen darf, zeigt sich nun wieder. Dass Capesius selektiert hat, sogar Bekannte und Kollegen und ihre FRauen und Kinder gnadenlos ins Gas schickte, war durchaus nachgewiesen durch die Zeugen auch während des Auschwitz-Prozesses; doch unklar war, ob er auch als Apotheker medizinische Versuche durchgeführt oder zumindest daran teilgenommen hat, ein Fall kam auch vor Gericht. Nun zeigt sich, dass er viel enger als bisher bekannt, mit Mengele "mitgearbeitet" hat! Im Dokumentarroman „Capesius, der Auschwitzapotheker“ gibt es ein ganzes Kapitel über Mengele und die medizinischen Experimente, auch eine ausführliche „liebevolle“ Beschreibung des Todesdoktors durch Capesius:



CAPESIUS: „Und der Klein Fritz hat als Untergebener vom Mengele Dienst gemacht in Birkenau und ist bei Selektionen und so immer hinter dem Mengele her spaziert und hat mitgemacht und so weiter, teils selbst gemacht, teils hat der Mengele gemacht. Und da kommt der eine Arzt aus Tg. Mureş mit seinen Zwillingen. Und der Klein hört wie der sagt, es seien Zwillinge, die bringt man dort gerade fort, und der Klein sagt: Zwillinge? Wo sind die? Und dann ist er gleich gesprungen zum Hauptsturmführer Mengele, der zwei Grad höher war“...



„Den kennt jeder, der ist sehr bekannt geworden“.



CAPESIUS: „Naja, weil sich alles um dies gedreht hat in Auschwitz. Denn die Amerikaner haben die Studien, Erbforschung... Zwillingsforschung und Erbforschung“...



FRAU FRITZI CAPESIUS: „Furchtbar“...



CAPESIUS: „Na sicher. (Pause). Und der Mengele hat abgewunken, weil es nicht eineiige waren. Und dann kommt der Klein zurück und klopft dem Mann auf die Schulter und sagt: Na, lassen Sie, in einer Stunde treffen Sie sich ja wieder...



Doch genau in dieser Szene, die Capesius Klein zuschreibt, hat Capesius selbst gewirkt, bis in die WOrtwahl: "In einer Stunde werdet ihr euch wiedersehn!"



Man muss sich Capesius in der Uniform eines SS-Sturmbannführers vorstel-len, er sah Dr. Mengele mehrmals in der Woche auf der Rampe neben dem siebenbürgischen Landarzt Dr. Fritz Klein stehen. Er beschrieb den SS-Arzt und Massenmörder auf seine bürokratisch-pingelige Weise so:



CAPESIUS: „Mengele war 174 cm groß, hatte eine kurze gerade Nase, Sommersprossen und einen stechenden Blick. Die Augen dunkelbraun, der Haarscheitel links. Mengele hatte eine mittlere Statur, drahtig, sportlich, und erinnerte wohl an seine Zigeunervorfahren, aus der Zeit wahrscheinlich als die Mengelewerke noch eine Schmiede waren. Mengele war ein Gerechtigskeitsfanatiker und sehr impulsiv“.



Das klingt so schön klar. Freilich gehört dazu, was am meisten bei Capesius irritiert, die weichgepresste und doch lockere Sprechstimme mit dem siebenbürgischen Akzent; ich bin überzeugt, er hat, wie es bei psychotisch veränderten Kranken der Fall ist, eine befehlsgewohnte Stimmveränderung im Lager und dann wie einen tiefen Sturz in der Haft eine Persönlichkeitsveränderung zum vernebelten Weichkopf eines Jammerlappens erlitten.



Beim Schreiben war er weniger analphabetisch, auch wenn er viele Fehler machte. Dafür ist die Schrift, wie das bei uns hieß, „knutzlig“, winzig, und würde einem Graphologen so manches an seelischer Magerkeit und Unreife verraten; dafür konnte er pingelig genau vor allem Äußerlichkeiten, Sichtbares und am besten Zahlen, Namen, Titel, Orte, Körpermaße etc. wiedergeben, wie ein kalter Bürokrat und Personalchef eben, er beschrieb Mengele in seinen Gefängnisaufzeichnungen so: „Dr. Dr. Joseph Mengele, Dr. phil. und Dr. med., auch „Pepo“ genannt (geboren in Günzburg an der Donau am 16.März 1911) war „Erster Lagerarzt“ in Birkenau“. Er fuhr einen Opel…Schon sein Vater besaß in Günzburg die Mengele Werke die landwirtschaftliche Wagen, ähnlich Unimoc, herstellt. Mengele war seit 1.12.42 in Auschwitz, seit 1.5.43 in Birkenau BIIf. "



Zu dem tödlichen Gas Zyklon B und dem für tödliche Spritzen gebrauchte Phenol, sagte der Zeuge Prokop, der als Häftlingsapotheker in der Auschwitzapotheke arbeitete:



Der Drogist Prokop: „Als ich in dieser Apotheke arbeitete, konnte ich oft beobachten, wie Viktor Capesius zusammen mit Josef Klehr in einen Raum des Kellers dieses Blockes gingen. Aus Neugierde beobachtete ich diesen Raum ge-nauer und eines Tages sah ich, dass der SS-Oberscharführer Jurasek in Begleitung von Josef Klehr in diesen Raum ging. Jurasek war technischer Mitarbeiter der Apo-theke. Durch die offene Tür erblickte ich einen Wandschrank. Aus der Unterhal-tung der beiden hörte ich, dass der Schlüssel zu diesem Schrank in der Apotheke liege. Als Jurasek die Schlüssel holte und den Schrank öffnete sah ich, wie er Josef Klehr zahlreiche Büchsen übergab. Dabei hörte ich etwa folgenden Satz: „Es wird wahrscheinlich eine größere Aktion“. Klehr bejahte es. Ich hatte es mir sofort gedacht, dass Jurasek im Auftrage von Capesius die Büchsen mit Zyklon B heraus-gab. Diese Vermutung hat sich auch bestätigt, denn tatsächlich vergaste man an diesem Tage ca. 32 000 ungarische Juden. (Randbemerkungen von Capesius dazu, er konnte in der Zelle immer Einsicht in die Prozessakten nehmen: „Theoretisch 6o Dosen, das sind 5 Kisten. Alles erfunden! 9000 war einmal am 29.6.44 Rekord!“) Erst später hatte ich davon gehört, es handele sich dabei um so eine große Aktion, dass infolge Platzmangels in den Verbrennungsöfen die Leichen der Ver-gasten in Gruben und auf Scheiterhaufen verbrannt wurden. Durch die Verbren-nung der vielen Leichen im Freien entstand in der ganzen Gegend ein unangeneh-mer süsslicher Geruch. Man suchte deshalb nach einem Mittel, um diesen Geruch zu neutralisieren. Mit dieser Angelegenheit befasste sich auch Jurasek, der selbst Drogist war. Ich vermute, er tat es im Auftrage von Capesius. (Randnotiz von Capesius: Vielleicht im Auftrag von Dr. C. weil er so etwas als Apotheker nicht wis-sen konnte?) Jurasek fragte mich als Drogisten, wozu Naphtalin gut sei. Ich erklär-te ihm, dass es sich um ein Mittel handele, welches unangenehme Gerüche in Räumen wie auch im Freien neutralisiert. Danach ging Jurasek weg.



Das Zyklon B stand in der Auschwitz-Apotheke neben dem gelben Schrank. Capesius aber hatte einmal zum Häftlingsapotheker gesagt, er wolle nichts damit zu tun haben. Und so lag das Zyklon dann im Keller neben dem Phenol, mit dem durch eine Spritze direkt ins Herz getötet wurde. Aufgeschichtete Büchsen standen da wie harmlose Konserven. Einige auch im alten Krematorium. Und im soge-nannten Theatergebäude“.



Doch auch was seinen Vorgänger Krömer betrifft, hat er, wohl um sich selbst zu rechtfertigen, nämlich wie gefährlich es gewesen wäre, Selektionen oder auch nur die normale Tätigkeit in der Auschwitzapotheke zu verweigern, gelogen, Krömer ist nämlich nicht hingerichtet worden, son-dern er ist an Herzversagen gestorben. Hier die Capesius-Version, wie er sie mir erzählte, und wie sie im „Auschwitzapotheker“ steht:



CAPESIUS: „Der Mann jedenfalls (Krömer) ist damals wegen Defätismus erschossen worden, weil er allen Ankommenden erzählt hat: sie werden noch Au-genmachen, da ist Sodom und Gomorra. Es gibt noch etwas mit der Unterwelt, ir-gend so ein Zitat, das auch vorkommt, das man so sagt, wenn es einem mies geht, am miesesten geht“...

„Die Apokalypse?“

CAPESIUS: „Nein, nicht das“...

„Das Inferno?“

CAPESIUS: „Ja, das Inferno in der Unterwelt sei nichts dagegen, so in der Art. Er hat aber eine kleine SS-Nummer gehabt, aus dem ersten Jahr“...



Nochmals nun und ausführlicher die Nachricht über die 280 neu gefundenen Dokumente, die Capesius von neuem entlarven! in der „freienpresse.de“:



Unterlagen über KZ-Arzt Mengele in Auschwitz entdeckt



280 Dokumente über hochrangige Nazis aufgetaucht

Bei Renovierungsarbeiten im früheren Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau sind zahlreiche Doku-mente über den berüchtigten KZ-Arzt Josef Mengele und andere hochrangige Nazis entdeckt worden. "Es handelt sich inso-fern um eine wichtige Entdeckung, als die Namen auf den Dokumenten nicht einfachen SS-Leuten, sondern sehr bekannten Nazi-Verbrechern gehören", sagte Adam Cyra, ein Historiker der Gedenkstätte Auschwitz im Süden Polens, der Nachrich-tenagentur AFP. Dazu gehöre der Lagerarzt Mengele, der mit seinen menschenverachtenden Experimenten an Zwillingspaa-ren und anderen Häftlingen traurige Berühmtheit erlangte.



Insgesamt wurden rund 280 Dokumente entdeckt. Mengeles Name war den Angaben zufolge auf zwei Papieren zu den Nah-rungsmittelrationen der Lagerinsassen eingetragen worden. In einem Eintrag mit der Hand sei der KZ-Arzt offenbar falsch buchstabiert als "Dr. Josef Mergerle" erwähnt. Dennoch sei davon auszugehen, dass es in den Unterlagen tatsächlich um das SS-Mitglied Mengele gehe, sagte Cyra. Der KZ-Arzt war nach dem Zweiten Weltkrieg nach Lateinamerika geflohen, 1979 starb er bei einem Badeunfall in Brasilien. Andere Dokumente betreffen laut Cyra den Chef-Apotheker des Lagers, Victor Capesius, der Häftlinge für pharmazeutische Experimente missbrauchte.



Auch Unterlagen über Capesius' Vorgänger Adolf Kroemer und den Arzt im Konzentrationslager Auschwitz III-Monowitz, Horst Fischer, wurden gefunden. In den neu entdeckten Dokumenten fänden sich Namen von Nazis wieder, "die eine ent-scheidende Rolle bei der Vernichtung der Juden in Auschwitz-Birkenau spielten, die sich um die Selektion der Juden, die Anwendung von Zyklon B kümmerten", erklärte Cyra.



Die Nazis hatten das KZ Auschwitz 1940 errichtet. Zunächst wurden dort politische Gefangene aus Polen inhaftiert, ab 1942 wurde es im Wesentlichen zur Vernichtung der europäischen Juden genutzt. Mehr als eine Million Menschen wurden in Auschwitz-Birkenau ermordet, die überwiegende Mehrheit der Opfer waren Juden.



Erschienen am 22.03.2010



In der italienischen "La Reppublica":



Varsavia, 20:47

0

SHOAH: AUSCHWITZ,TROVATE NUOVE CARTE CHE INCHIODANO CAPESIUS



Nuovi documenti sulle responsabilita' di Victor Capesius, il farmacista di Auschwitz, sono venuti alla luce nella soffitta di una casa poco lontano dal campo di sterminio. Piu' di 200 documenti sulle SS che gestirono il campo sono state trovate dagli operai che lavoravano alla ristrutturazione dell'abitazione nella cittadina polacca di Oswiecim, e tra questi - secondo quanto riferito dallo storico Adam Cyra - molti riguardano l'attivita' di Capesius. Il capo farmacista che dal febbraio 1944 fino alla liberazione di Auschwitz-Birkenau uso' i prigionieri come cavie per i suoi esperimenti, fu condannato a 9 anni di car-cere da un tribunale tedesco e mori' nel 1985. .



Oswiecim, Poland - More than 200 documents on the Nazi SS which ran the Auschwitz death camp have been found in an attic of a house in a nearby Polish town, the PAP news agency reported Sunday.



A number of the documents concern the doctor Victor Capesius, who conducted drug experiments on prisoners from Febru-ary 1944 and was the camp's last chief pharmacist, according to Auschwitz-Birkenau Museum historian Adam Cyra.



The documents were found in the attic of a house undergoing renovation in the town of Oswiecim, outside of which the Nazis built the Auschwitz-Birkenau death camp where they exterminated more than one million people, mostly Jews.



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Capesius, who was sentenced to nine years prison after the World War II by a German court, died in 1985.



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