Dieses Blog durchsuchen

ALL TAG

Mittwoch, 20. Januar 2010

Ernst Seler, Zum Kruzifixurteil

Hier der erschütternde Bericht von Ernst Seler über seine Heilanstaltserfahrungen!
Siehe auch meinen Post "In welcher Zukunft leben wir" über "ontologische Zensur" und Heilanstalten.

Buchauschnitt von Ernst Seler zum Kruzifix-Urteil II
Das psychiatrische Gefängnis
"Nach geraumer Zeit betritt der zweite Weißkittel, zusammen mit einer jungen Krankenschwester wieder den Raum, verlangt mit Ihnen zu gehen. Jede Widerrede oder Widerstand ist zwecklos. Zu keinem Augenblick wird mitgeteilt, warum die Polizei mich in die Psychiatrie gebracht hat, was man will, was man mir unterstellt. Es bleibt nichts anderes übrig, als sich vorerst der Willkür der Ärzte zu fügen. Gehe also mit den Beiden.
Zuerst über einen Hof, sehe zum letzten Male Gras, den blauen Himmel. Ein Drahtzaun, mit Stacheldraht bewehrt, ein Tor wird hinter uns verschlossen. Als wir so weiter durch das Gelände dahin schreiten, meine Person eingekeilt zwischen Arzt und Pflegerin, werden wir durch eine junge Frau aufgehalten, die den Weißkittel anstrahlt. Mit schnellem Schritt eilt sie auf ihn zu, streckt ihm ihr Gesicht entgegen. Sie reiben ihre Wangen aneinander, wie bei einem Ritual. Die junge Frau lächelt, geht fröhlich ihres Weges. Während wir weiter schreiten, erzählt der junge Mann der Pflegerin einiges von der Frau.
Es ist schon staunenswert, als Gefangener der staatlichen Psychiatrie eingeklemmt zwischen den beiden Fachkräften und diese unterhalten sich über eine Patientin, ihre Krankheit, die Hintergründe. Höre diskret irgendwie weg. Offensichtlich gilt der Insasse einer Psychiatrie von vornherein als unzurechnungsfähig, nicht aufnahmefähig, man kann vor ihm die ärztliche Schweigepflicht ruhig verletzen.
Nachdem mehrere Türen auf und zugeschlossen werden, müssen wir zuletzt eine schwere Stahldoppeltüre passieren. Die kleinen milchigen Glasfenster sind mit Drahtgeflecht verstärkt. Werde zu dem Stationszimmer geführt. Niemand erklärt irgend etwas.
Wir warten auf dem Flur, bis der leitende Oberpfleger dieser geschlossenen, durch eine ausbruchsichere Tür isolierten Station zu uns heraustritt. Er bekommt von dem Begleitpersonal eine Mappe überreicht.
Beschwere mich, als die Begleiter sich entfernten. Es sei zuvor behauptet worden, wäre schon einmal in einer Nervenklinik gewesen.
Der leitende Pfleger antwortet, wortwörtlich(!):
'Es ist schon schlecht, wenn man sich nicht mehr erinnern kann'. Dann schlägt er die Mappe auf, sagt verschmitzt:
'Ja wenn man dem Ministerpräsidenten schreibt', zieht sich danach in sein Stationszimmer zurück, läßt mich einfach stehen.
Also besitzen sie auch diesen Brief. Er war an den neuen Ministerpräsidenten gerichtet. Fast will Ohnmacht mich ergreifen. Keine Chance. Wenn der leitende Pfleger ebenfalls behauptet, Herr Seler sei schon früher in der Psychiatrie gewesen, dann gibt es keine Aussicht mehr, aus der geschlossenen Station herauszukommen. Es sind tatsächlich gefälschte Dokumente im Umlauf, die das Personal gezielt täuschen.
Als nächstes führt mich eine Pflegeschwester in einen Raum, indem sich lauter Schließfächer befinden. Vor den wachen Augen der Schwester müssen alle Taschen geleert werden, der Inhalt wird weggeschlossen. Sehe zum ersten Male den Blick des Pflegepersonals der besagt, wir wissen, du bist krank, niemand wird dir helfen, wir werden keine einzige Äußerung ernst nehmen, denn du bist ja verrückt, das beweist ja deine Anwesenheit. Dieser Blick ist gepaart mit einem seelischen Ausdruck: ja, wir wissen, daß dies kein beliebter Job ist, aber aus lauter Menschenliebe befassen wir uns sogar mit euch Verrückten. Es wird diese seelische Reaktion des Pflegepersonals wohl nur für die Ausnahmesituation gelten. Sie wissen nie, was sie erwartet, vor allem, wenn keine äußeren Merkmale des Eingelieferten eine klar einschätzbare Situation ermöglichen.
Wieder im Flur, befiehlt ein Pfleger, mich vor die Wand hinzustellen. Er holt eine Polaridkamera hervor, knipst ein Bild. Es wird im Pflegezimmer an die Pinnwand geheftet, darunter der Name. Auch dies erfolgt ohne Erklärung.
Man läßt mich wieder einfach stehen.
Da wirst du mit der Polizei in ein psychiatrisches Gefängnis verbracht, ohne irgendeinen erkennbaren Anlaß. Wie ein Versuchstier stellt das Personal dich ab und du weißt tief in dir drinnen, politisch/kirchliche Kräfte sind am Werke.
Richter, Polizei und Ärzte spielen mit. Jedes Aufbegehren, ja jeder Ansatz eines Gespräches mit dem Personal ist nach den ersten Erfahrungen vollkommen sinnlos. In dir versucht sich Angst und Furcht zu verkrampfen. Es ist die Furcht und die Angst Tausender von Mitmenschen, welche vor dir Ahnliches erfuhren. Die so viel gepriesene Würde des Menschen, das ganze Grundgesetz ist in diesem Momente hohl und leer. Du spürst, du bist denen da ausgeliefert. Die Verantwortlichen des Krankenhauses sind sicherlich in alle Rechtsbrüche eingeweiht. Sie sind die Hauptschuldigen. Stationsärzte und Pfleger sind nur deren willige Werkzeuge, welche die Gelegenheit nutzen, um durch vorauseilendem Gehorsam schneller auf der Karriereleiter empor zu klimmen.
Verlange nach den bisherigen Erfahrungen bewußt weder den leitenden Arzt, noch den für meinen Zwangsaufenthalt rechtlich verantwortlichen ärztlichen Direktor. Jede Beschwerde ist von vorneherein aussichtslos, hier waren politische Kräfte im Hintergrund am Werke gewesen, hatten die Umstände der Einlieferung vorbereiten lassen. Der ausgetüftelte Plan war gescheitert, die Festnahme schlug fehl, damit mißlang der Überraschungsangriff, doch das Personal war offensichtlich massiv beeinflußt worden. Der Wortwechsel mit dem leitenden Pfleger der Station war zu aufschlußreich. Wenn jedes Wort nur als Zeichen einer Krankheit angesehen wird, keine Klärung eines möglichen Irrtums möglich ist, dann wird Niemand in dem Bezirkskrankenhaus helfen. Zu sehr sind diese Menschen in ein Hierarchiesystem eingebunden.
Konnte das weitere Schicksal nur noch der göttlichen Vorsehung übergeben. Es war klar, die vielen Provokationen, Rechtsbrüche, Demütigungen, die Mißachtung der menschlichen Würde nach der Einlieferung sollten mich aus dem seelischen Gleichgewicht werfen. Man erwartete einen seelischen Zusammenbruch, denn wenn Dokumente einen früheren Aufenthalt in einer Nervenheilanstalt belegten, dann war es klar, diesen Ort würde ich ohne ständige Einnahme starker Psychopharmaka wohl kaum mehr verlassen. Meine Erfahrung, mein Wissen, nachdem die Planspiele in die Hose gingen, wurde zu einer Gefahr für diejenigen, welche alles daransetzten, um in diesem Bundeslande jedem Bürger das Schulkreuz mit Beginn des Schulbesuches aufzunötigen. Man hatte viel gewagt, das Geplante war bisher schief gegangen, aber desto ungewisser, bedrohlicher erschien die nahe Zukunft.
Während ich mich im Eingangsbereich der Station bemühe, das seelische Gleichgewicht aufrecht zuhalten, wird ein Mitbürger eingeliefert, der sich sichtlich wehrt. Er zappelt, strampelt mit den Beinen. Doch zwei Pfleger kennen kein Pardon, sie packen mit festem Griff zu, schleifen ihn den Flur entlang, lassen das schreiende, um sich schlagende Bündel Mensch einfach auf den Boden gleiten. Man sieht dem Eingelieferten an, er ist von Geburt Außenseiter der Gesellschaft.
Nach einer kurzen Weile faßt sich der junge Mann, läßt sich im Schneidersitz auf den Flurboden nieder, holt einen Walkman aus der Tasche, setzt den Ohrhörer auf und versinkt in seine Musikwelt. Dabei setzt er ein Grinsen auf, das zwischen Ironie und Hilflosigkeit hin und her pendelt. Er ist wieder bei sich, in seiner geliebten Welt und die Station ist ihm jetzt einfach egal. Sicherlich ein 'Drehtürpatient', der weiß, was ihn erwartet, der sich auch deshalb wehrt. Ist er unangepaßt, lebt er bei seinen Eltern, in einem Heim?
Er war wieder ruhig geworden, neben der Tür zum Stationszimmer, wo man ihn sich selbst überließ. Nach geraumer Zeit kommt der leitende Stationspfleger. Die Aufforderung, er solle aufstehen, wird ignoriert. Es nützt wenig, ihm den Kopfhörer wegzuzerren. Angstlich und mürrisch zugleich reagiert er auf die Wegnahme seiner Musik. Weil Zureden erfolglos ist, kommt ein weiterer Pfleger aus dem Stationszimmer. Zu zweit versuchen sie ihn hochzuziehen. Der Junge wehrt sich mit Händen und Füßen, grinst ängstlich, läßt sich immer wieder auf den Boden fallen. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, lassen die Pfleger ihn einfach am Boden sitzen. Der Eingelieferte greift wieder nach seinem Kopfhörer. In seine Musik versunken, hockt er da, ein nicht pflegeleichter, nicht angepaßter Mitbürger.
Frage mich, warum hat das Schicksal es gewollt, dies hautnah zu erleben.
Da sind weiter zwei schwankende Gestalten, die den Flur auf und ab schreiten, die sich gegenseitig stützen, mich irgendwie wissend angrinsen, den Neuankömmling. Durchaus freundlich, verschmitzt und leider auch mit einer Portion Blödheit, die aber mehr von den Medikamenten zu kommen scheint, als aus den Personen selber. Staune doch, als die Friedlichen urplötzlich aufeinander einschlagen, sich wüst beschimpfen. Mehrere Pfleger kommen angerannt, trennen die um sich Schlagenden. Nach einer Viertelstunde schlurfen sie wieder eng umschlungen den Flur auf und ab, als wäre nichts geschehen.
Kein Mitbürger, auch wenn er sich in "Inkognito" auf eine solche Station begibt, wird nachvollziehen können, was ich hier erfahre, wenn Stahltüren sich krachend hinter einem schließen, wenn du wortlos abgeliefert wirst, wenn sich kein Aas um dich kümmert, du alleine den Schock erfährst, daß ab jetzt andere über dich bestimmen wollen. Jemand, der sich mit Absicht so einsperren läßt, wie dies Journalisten taten, er weiß ja, er hat die "Freikarte' nach draußen, er hat sich abgesichert, er kommt wieder raus aus der Klapsmühle.
Bietet die "verrückte" Situation die Gelegenheit, das Wirken der "göttlichen Vorsehung" zu erfahren? Wird die Lauterkeit meiner Person einer harten Prüfung unterzogen? Wenn auch nur ein kleiner (egoistischer) Fehler in der seelischgeistigen Erkenntnis um das Schulkreuz vorhanden wäre, ich würde nur als abgespritztes Wrack der staatlichen Psychiatrie entkommen.
Farbdrucke von Van Gogh sind an den Wänden der Gänge aufgehängt. Sie schenken ein Gefühl der Sicherheit, der Größe des Schicksals. Auch wenn grassestes Unrecht geschieht, begleiten mich Werke jenes Mannes, der in der Jugend so viel Seelennahrung schenkte. Es war das seelische Ringen dieses Malers, nach dem Wesen der Farbe, welches den eigenen Weg hin zur Kunst mitformte. Reiste mit 21 Jahren nach Südfrankreich, um dort Malstudien zu betreiben. Damals vor 18 Jahren führte der "Pilgerpfad" auch nach St. Remy, der Irrenanstalt, in der sich Van Gogh aufhielt. Betrat mit tiefen Empfindungen das Zimmer des herausragenden Malers, dessen Reproduktionen mich nun in dieser Irrenanstalt empfangen.
Welch großartige Kunst des Schicksals, welcher Schicksalskünstler war am Werke? I
In Südfrankreich gelangte ich vor Jahren zu Fuß wandernd von Avignon zufällig nach Oppédele-Vieux, dem einstigen Sommersitz der Päpste von Avignon. Dort fand sich ein Zimmer bei einer Deutsch-Russin. Ihr Ehemann bekleidete in Paris ein öffentliches Amt, welches in der Bundesrepublik der Position eines Kultusministers entspräche, so die Hausherrin. Sie war Stewardeß bei der Lufthansa gewesen. Aufgrund eines Rückenleidens hatte sie diesen Beruf aufgeben müssen. Sie ließ sich umschulen, erhielt als erste Frau das Patent als Schiffsoffizier. Es wohnte weiter ein deutscher Maler am Platze, dessen Ehefrau erwähnte, sie sei direkter Nachfahre der Albigenser. Vor Jahrhunderten hätte sich in diesem Dorf ein grausames Massaker an Hunderten von ihren Vorfahren zugetragen.
Durchstreifte während des halbjährigen Studienaufenthaltes oft die Ruinen des Ortes, der nur teilweise wieder aufgebaut war. Besonders nachts bei Vollmond konnte man auf einem kleinen Plateau über dem Dorfe, ein steiler Abgrund versperrte den Weg zu den umgebenden Bergen, das Raunen der Geschichte vernehmen. Tiefe Stunden der Meditation, nach den Schulungsanweisungen von Paramahansa Yogananda, des Autors "Autobiographie eines Yogi", welche wöchentlich von Los Angeles in Südfrankreich ankamen, formten die Zukunft.
Es waren die Kunstdrucke von Van Gogh, welche Erinnerungen an den Aufenthalt in Südfrankreich hatten aufleben lassen. Eine Botschaft seiner Kunst, Quelle allen Lebens ist Farbe und Form, Klang des Raumes.
Das Pflegepersonal trug durchwegs weiße Kittel. Ein vollkommen verfehlter therapeutischer Ansatz, die bewußte Trennung durch eine stigmatisierende Kleiderordnung zwischen den sog. Patienten und dem Pflegepersonal. Gerade die Anwesenheit von Menschen in weißen Kitteln verstärkt nur das Gefühl der Eingeschlossenen, dem Unbekannten vollkommen ausgeliefert zu sein. Welche "Experimente" wird man wohl unternehmen, um deinen Geist, deine Seele zu erforschen, oder sind die "Seelen- klempner" gar bloße Materialisten, die versuchen werden, mit Molekülen, mit Psychopharmaka dich zu beeinflussen, dich abzustempeln, so fragen sich Menschen, die gegen ihren Willen in der Psychiatrie festgehalten werden.
Hatte den Eindruck, das Personal war selbst Gefangener dieser Situation, nur von der anderen Seite eben. Eine gewisse Routine, ein Mechanismus war auf der Station zu spüren, eine Verwahrsituation, die unterste Ebene menschlichen Daseins. Ausgeliefert den "Befehlsempfängern" der Ärzte.
Solche Gedanken lebten auf, neben der Frage nach dem weiteren Schicksal. Als Erdenbürger die berechtigte Empörung gegen die bewußten Rechtsbrüche, beugungen, welche von gleich mehreren Berufständen in fast krimineller Vereinigung (wohl tatsächlich) begangen wurden. Aber ich wußte auch "ER/SIE" ließ mich auf der geschlossenen Station sein, damit die geschundenen Menschenseelen meinen Lebensweg kreuzten.
Ein weites Gefühl des Mitleids keimte auf. Dachte an all die Jahrhunderte, an die Menschen, die als Gefangene der Herrschenden dahinvegetierten. Sie hatten keine kriminellen Straftaten begangen, nein, sie wagten es gegen die politischen Verhältnisse, gegen die Staatsgewalt, gegen die Macht der Kirche aufzubegehren, für Menschenrechte einzutreten. All die Freiheitskämpfer der Menschheit, all die Märtyrer tauchten in Gedanken auf. Wie ein roter Faden, wie eine Perle auf einer Perlenschnur, so schien diese Gefangenschaft in dem Bezirkskrankenhaus. Wie eine Einweihung in den verborgenen Sinn des sog. Bösen, welches die Geschichte aufrührt, erahnte die Seele den Schnittpunkt des Schicksals.
Umwandlung von Kräften. Spürte, die Menschheit reifte in ihrer Geschichte gerade durch solche Menschen, die durch Unrecht hindurchgingen, die in einer solchen Situation ihre Lauterkeit bewahrten, wie etwa Martin Luther, der eben sagte, "und wenn tausend Teufel ...., ich kann nicht anders". Er lebte fortan mit der Bedrohung für seine Einsicht, seine Gerechtigkeit umgebracht zu werden. Es war die umfassende Schicksalsfügung, welche von Anfang an Martin Luther dazu ausersehen hatte, die erstarrte Katholische Kirche in Bewegung zu bringen. In den Vorträgen Rudolf Steiners finden sich aufschlußreiche Hinweise hierzu. Letztlich scheiterte die Mission Luthers auf halbem Wege.
Erst nach mehreren Stunden Aufenthalt in der geschlossenen Station des Bezirkskrankenhauses bittet ein Pfleger zum Arzt. Gehe mit recht gemischten Gefühlen zu dem Stationszimmer, welches eine Schleusenfunktion hin zu den Ärzten bildet. Die bisherigen Erfahrungen mit dieser staatlichen Verwahranstalt für unangepaßte Individuen ließen kaum hoffen, der Mensch mit seinen seelischen Bedürfnissen stehe im Mittelpunkt aller Bemühungen, sondern das vom Staate vorgegebene Sozialverhalten des Einzelnen wird korrigiert, zurechtgestutzt, mit der chemischen Keule der Norm der Gesellschaft angepaßt. Natürlich ist dies subjektiv überzeichnet, wird aber im Einzelfall der Realität entsprechen.
Der Arzt empfängt im Stationszimmer, eine Begrüßungsformel. Der nächste Satz, der über die Lippen dieses Mannes kommt, ist als soziales Todesurteil gedacht:
'Sie sind sehr krank'. Dann erst betreten wir seinen Arbeitsraum.
Der neue Weißkittel, welcher es ebenfalls unterließ sich als Arzt vorzustellen, hat den Bürger noch nie gesehen, geschweige gesprochen oder gar eingehend untersucht und begrüßt mit einer fertigen Diagnose. Es ist sofort klar, aus menschlicher Sicht, ist die Freiheit in weite Ferne gerückt.
Ohne eine Reaktion abzuwarten, kommt der nächste Satz des Psychiaters, wie ein Pistolenschuß. Er offenbart die ganze Boshaftigkeit staatlicher Psychiatrie, wenn sie sich als Vollstrecker der Politik versteht, wie sich dies im Dritten Reich mit scheußlichsten Verbrechen an Menschen erwies:
'Ich gebe Ihnen ein Medikament, damit Sie anders denken.'
Zeit und Raum treten in den Hintergrund. Hellwach ist das Bewußtsein. Erahne all die Schicksale der Frauen und Männer, die wegen ihrer Gedanken von der Katholischen Kirche gedemütigt, gefoltert, verbannt und verbrannt wurden. Wie fühlten jene Menschen, denen Kirche und Staat ihre ureigenste Gedankenwelt nehmen wollten, weil die Herrscher Angst um ihre Macht über Menschen hatten. Ein Jan Hus wurde nur wegen seiner Gedanken und Ideen von der Katholischen Kirche verraten, zum Tode verurteilt und auf dem Scheiterhaufen demonstrativ verbrannt.
Fühle mich eingebunden in die Menge der unzähligen Opfer der Kirche. In mir schreit geballter Zorn, nie ist dies der Wille Gottes. Der Weltenplan sieht nie vor, der eine bestimmt, was und wie der andere zu denken hat. Nein, nie werde ich akzeptieren, daß Staat und Kirche mein persönliches Denken vorschreiben.
Würde der Arzt sagen, Sie sind erkrankt, Sie könnten sich selbst oder gar andere Menschen gefährden, deshalb will ich Sie medikamentieren, könnte man ja noch versuchen hier nachzuhaken. Nein, der Seelendoktor will 'nur' mein persönliches 'Denken' ändern.
Inquisition der Moderne.
Es ist das Denken um das Schulkreuz, welches die Hintermänner meiner Zwangseinweisung mit der chemischen Keule unterdrücken, ausschalten wollen.
Im Mittelalter wäre einer wie ich in den Kerker geworfen worden. Man hätte mich gefoltert, als Letztes sicherlich verbrannt, außer ich wäre noch schnell zu Kreuze gekrochen, wie es die Katholische Kirche durch die Jahrhunderte besonders von den Frauen und den Völkern der Erde erzwang. Erinnern wir uns nur an die unzähligen Ureinwohner Nord- und Südamerikas. Diejenigen, welche ihrer Einsicht abschworen, erhielten den Gnadenerweis, daß sie vor ihrer öffentlichen Hinrichtung vom Kerkermeister erwürgt wurden. Die anderen ließ man die Flammen kosten oder zerstückelte ihre Leiber. Mit welch religiöser Inbrunst und Freude haben Täter ihre Opfer brennen sehen. Mit Trommeln und Fanfaren, mit Kostümen, Prozessionen und Kruzifixen, der ganze Zinnober bewußtseinslähmender Dramaturgie, wie wir dies auch später im Dritten Reich mit Hilfe des mißbrauchten 'Sawastika' erlebten, mit all diesen Psychotechniken hat die Katholische Kirche den Fortschritt jahrhundertelang geknechtet. Auch die Evangelische Kirche vergewaltigte das Hakenkreuz. So war an einzelnen Bischofsstäben Kreuz und Hakenkreuz miteinander angebracht.
Daß wir in einer Zeit leben, in der die Macht der Kirche im Brechen ist, die Aufklärung die religiös umnebelten Hirne der Massen dem Dunstkreis der weihrauchgeschwängerten Luft der Altäre entzieht, ist den Opfertaten der Humanisten und vieler, vieler Freiheitskämpfer zu verdanken, die ihr Leben für die Freiheit des Individuums einsetzten. Besonders hervorzuheben sind die sog. "Suffragetten", deren Mut erst zu einer Änderung des weiblichen Menschenbildes führte. Die Bevormundung der Gesellschaft durch männliche Priester, deren Denken sich in vielen politischen Parteien fortsetzt, muß endlich von dem individuellen Menschen aufgebrochen werden. Auch ein Goethe wandte sich gegen die Dominanz des christlichen Kreuzes.
Menschenmassen haben sich im Mittelalter zu Untaten anstacheln lassen. Greuelgeschichten wurden erfunden, wie die Schändung von Hostien durch Judenkinder, um Minderheiten von der Mehrheit verstümmeln zu lassen und sich ihre Besitztümer anzueignen. Es wiederholte sich immer wieder aufs Neue, wenn den Herrschenden Geld fehlte, dann wurde es eben bei den Juden geraubt. Die millionenfachen Morde an Juden sind "Kulturleistung" des so hochgelobten Christlichen Abendlandes. Ein Hitler konnte den Menschen vorgesetzt werden, weil sie jahrhundertelang durch die Priesterschaft auf eine kommende Erlösergestalt fixiert wurden. Das Bewußtsein der Christen war durch Jahrhunderte durch die "Offenbarungen des Johannes" geprägt worden. Angst und Schrecken vor dem Weltenuntergang nistete sich in das kollektive Unterbewußtsein ein. So können leicht "Führergestalten" im Namen Gottes ihr Unheil verbreiten. Hitler wurde von der Katholischen Kirche als Gottgesandter verkündet, der das ersehnte Heil brächte. Hätten die Christen nur den Worten ihres Friedenstifters gelauscht, der vor falschen Christussen mahnte. Rudolf Steiner warnte noch vor seinem Tode im Jahre 1925 vergeblich vor der Machtübernahme durch die Braunen. Erschütternd das Schicksal des Osterreichers. Dieser sei während eines Gasangriffes im Ersten Weltkrieg etwa 20 Minuten ohnmächtig gewesen. In dieser Zeit hätten "asurische" Mächte das "Ich" des Menschen Hitler "herausoperiert" und die Hülle "Hitler" zu einer Marionette ihrer Ziele gemacht. Asurische Wesenheiten sind Gegenspieler des Sonnenlogos, der Christuswesenheit. Steiners Warnung verhallte ungehört. Hitlers "Erfolg" ist mit menschlichen Maßstäben, mit Vernunft unerklärlich. Erst Steiners Hinweise vermögen die Tragik des Deutschen Volkes aufzuhellen. Wer Photos von Hitler vor und nach dem Gasangriff betrachtet, sieht in dem veränderten Augenausdruck, der "Mensch" Hitler ist nach dem Krieg verschwunden. Hitler ist nur mehr eine leere Hülle, willenloses Werkzeug für menschenfeindliche Mächte. Geheimnisvolles Weltenwirken, dessen Sinn uns unbegreiflich bleiben muß, griff in das Erdenschicksal ein. Rudolf Steiners Warnung blieb ungehört.
Solche Gedanken, die sich während der Stunden der bisherigen Gefangenschaft verdichteten, stärkten den Schicksalswillen. Werde mich auf keinen Fall der Staatsmacht und seinen Handlangern beugen. Der Weißkittel symbolisiert die Häscher und Henker der Menschheit, die ihr göttliches Geburtsrecht verleugnen, um andere Menschen zu quälen, ob physisch oder psychisch. Es war, als stünden all die Geschundenen der Geschichte unsichtbar im Raume, als wäre ich aufgenommen in ihre Gemeinschaft. In der realen Begegnung dieses Unrechtes, welches Staat und Kirche an meinem Ichwesen begingen, offenbarte sich das sog. Böse, damit es durch eine weitere Bewußtseinstat in diesem Urkonflikt der Begegnung der Seelen, umgewandelt werde. Wenn wir in Freiheit uns für Christus entscheiden, so werden durch uns viele andere geistigen Wesenheiten miterlöst. Verschreiben wir uns dem sog. Bösen, so hat dies umfassende Auswirkung. Unsere menschlichen Taten sind bedeutungsvoll für die Erde, für den Kosmos.
Gedanken von Rudolf Steiner, dem ich so viel verdanke. Sein Hinweis, das Bild in der Bibel, da das Opfer nach dem Schlag auf die Wange, seine andere dem Täter hinhält, werde falsch verstanden, wurde vor Jahren Meditation. Steiner verweist darauf, wenn der Einzelne die seelische Kraft entwickelt, er würde bei einem Schlag auf die Wange ohne Murren, ohne Klagen, ohne einen Gedanken an den Schlag zu verschwenden, seine andere Wange dem Täter hinhalten, dann, nur dann wird auch der erste Schlag auf die Wange unterbleiben. Das Böse hat keine Kraft über eine solche Person. Jesus Christus will mit dem Gleichnis auf die Weiße Magie der Zukunft hinweisen, die nur aus der Lauterkeit der Person erwächst. Die Priester und Theologen haben dem "Volk' jahrhundertelang Falsches gepredigt. Duckmäuserisch soll der Christ sich schlagen lassen, er solle sein "Kreuz" auf sich nehmen. Nur so kommt er in den "Himmel", erlangt Erlösung.
Durch den meditativen Umgang mit dem Lebenswerk Rudolf Steiners war Geistesgegenwart gereift, in der unmittelbaren Begegnung des "Bösen" das eigene Ich zu bewahren.
Einzelne Mitbürger, die versehentlich oder aufgrund bürokratischer Willkür gegen ihren Willen in eine Psychiatrie eingeliefert worden waren, verfielen in Angst und Panik, fingen an zu toben, wurden mit der "Spritze" ruhiggestellt. Ein Leben lang verfolgten diesen Getretenen die traumatischen Erlebnisse, die Ohnmacht, die erlittene Willkür durch den sog. Vater Staat.
Wußte nun, es handelte sich bei dem Weißkittel um einen Arzt, weil er ein Medikament zu verabreichen beabsichtigt.
Verbitte mir sein Ansinnen.
Der Mann wird etwas unsicher, behauptet aber gleich frech, "ich habe die schriftliche Erlaubnis des Richters, Sie gegen Ihren Willen zu medikamentieren".
Fordere ihn sofort auf, doch dieses Dokument vorzulegen.
Man stelle sich einmal vor, da sitzt ein leitender Stationsarzt, wie sich später herausstellt, der sicher die gesetzlichen Grundlagen einer Zwangseinweisung, einer Zwangsbehandlung kennt, der mit bewußten Lügen eine Therapie zu erschleichen versucht. Der Arzt kannte ja den Inhalt des richterlichen Beschlusses, der "nur" die Erstellung eines Gutachtens vorsieht. Außerdem ist gegen jeden Beschluß eines Richters, sollte dieser - ohne den Bürger je gesehen zu haben - eine Zwangstherapie auferlegen, die sofortige Beschwerde möglich. Der Herr Weißkittel hätte also auch mit einem richterlichen Beschluß keineswegs eine Behandlung gegen den Willen des Bürgers durchführen können.
Mein Gegenüber, nun sichtlich verunsichert, setzt sich auf seinen Drehstuhl, wendet sich nach links, beugt sich über irgendwelchen Karteikästen, beginnt nervös zwischen Papieren zu blättern. Es vergeht eine Weile, ohne daß er das gewünschte Dokument findet.
Angriff ist die beste Verteidigung so ein Sprichwort.
"Dachte bisher, nur in der ehemaligen Sowjetunion - dieses politische System brach in jenen Tagen auseinander - wurde die staatliche Psychiatrie für politisch Andersdenkende mißbraucht", so mein Kommentar zu der vergeblichen Sucherei. "Nicht nur in der Sowjetunion, nicht nur in der Sowjetunion", murmelt der Arzt vor sich hin, wobei er aber schon wieder provozierende Blicke um sich wirft, wohl hoffend, der uneinsichtige "Patient" werde ob seines Hinweises endlich innerlich zusammenbrechen.
Denke, welches Spiel treibt dieser Mann nur. Kann er ein solch übler Handlanger der Regierenden sein, daß er völlig seinen ärztlichen Eid verrät? Niemals würde ein wahrer Psychiater einen wildfremden Bürger so begrüßt haben, wie dieser Mann es tat. Kein Arzt würde ohne Beleg behaupten, er habe die schriftliche Erlaubnis für eine Zwangsbehandlung. Auch ein Arzt weiß, gegen eine richterliche Entscheidung können stets Rechtsmittel eingelegt werden, bis hin zum Bundesverfassungsgericht. Bevor ein Richter eine Zwangsbehandlung anordnen kann, benötigt er erst ein Gutachten, welches an der Person erstellt worden ist. Vor allem muß er den betroffenen Bürger erst selbst zu Gesicht bekommen haben, ihm rechtliches Gehör gewähren, bevor er eine Zwangsbehandlung beschließt. Natürlich ist dies auch nur bei nachgewiesener akuter Selbstgefährdung oder Fremdgefährdung möglich. Last not least kann ein richtiger Arzt eine Diagnose erst nach eingehender persönlicher Untersuchung stellen. Für die Psychiatrie gilt, erst nach wiederholten Gesprächen, bei denen grundsätzlich ein Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt gegeben sein muß, darf eine Diagnose ins Auge gefaßt werden. Diese ist aufgrund der Natur der Dinge stets subjektiv, kann durch nichts überprüft werden, wenn sie Krankheiten aus dem Formenkreis der sog. Schizophrenie berührt. Es gibt keine meßbaren Vergleichsdaten. (5. Fachliteratur, die eingehend die Diagnosevoraussetzungen darstellt). Die Wissenschaft bemüht sich neuerdings zwar krampfhaft auch "Schizophrenie' im Blut nachzuweisen, doch schon streiten sich Wissenschaftler, ob dies möglich ist. Vor allem gibt es bisher keine genaue fachärztliche Definition, was unter dieser sog. Krankheit zu verstehen sei.
Muß in jenem Augenblick erneut an das Dritte Reich denken, an die Ärzte und Richter von damals, die durch die Bank hinweg, bis auf die stets auch damals existierenden löblichen Ausnahmen, versagten. Hatte die Ärzteschaft geschlossen aufbegehrt gegen die Euthanasie, gegen die Judenverfolgung, gegen die gezielte medizinische Vernichtung von Minderheiten? Wie verhielten sich die Ständevertretungen der Richter, der Anwälte? Es begegnet mir in dem Bezirkskrankenhaus exemplarisch der funktionierende Staatsapparat, wie er überall auf der Welt eben funktioniert. Ob Diktatoren oder falsche Demokraten. Alle mißbrauchen ihren Staatsapparat. Die einen offen, die anderen verdeckt. Denken wir nur an "Watergate". Der einzige Vorteil in den Demokratien besteht in der Möglichkeit, ein Journalist wagt es, die Dinge aufzudecken.
Während der ersten Stunden des Aufenthaltes in der Psychiatrie, frage ich mich, wie konnte es sein, daß so viele Jahre nach dem Dritten Reich in Deutschland immer noch die blinde Obrigkeitsmaschinerie funktioniert. Schließlich waren mehrere Personen an den Vorbereitungen beteiligt gewesen. Der Regierungspräsident Herr Kr. hatte kurz vor Weihnachten 1988 einen Brief gesandt, nachdem zuvor schriftlich unsere Befürchtung an ihn gerichtet wurde, der Staat könne wegen des Eintretens gegen das diktatorische Schulkreuz uns die Kinder wegnehmen. "....Die angeordneten Maßnahmen dienen dazu, die Kinder in die Schule zu schicken", so der Regierungsmann. Natürlich dachten wir nie daran, die "Maßnahmen" würden die "Psychiatrisierung" des Vaters bedeuten. Wie bereits erwähnt, war der Regierungspräsident "Grabesritter". Der Ministerpräsident des Bundeslandes ist ebenfalls Grabesritter. Wer dieses Regierungsamt antritt, wird dies automatisch. Welche verborgenen Riten mögen in dieser exklusiven katholischen Geheimgesellschaft wohl vorgenommen werden. Welche Schwüre werden bei der Aufnahme abverlangt. Sicherlich werden irdische Gesetze außer Kraft gesetzt, sollen bestimmte Ziele der Katholischen Kirche erreicht werden. Ständig wird das Grundgesetz bewußt verletzt. Die Trennung von Staat und Kirche wird mißachtet.
Es bleibt offen, inwieweit der Weißkittel keine Skrupel hat, sich und mich zu belügen, versuche deshalb, ihn mit etwas "Futter" zu bedienen. Vielleicht wird er dann von einer Zwangsabspritzung vorerst absehen.
Als er beginnt, persönliche Dinge abzufragen, lenke ich das Gespräch auf die Begegnung mit der Anthroposophie. Erzähle einige Einzelheiten, doch nur an der Oberfläche. Gebe zu erkennen, bin kein blinder Anhänger dieser Weltanschauung. Erzähle von Gesprächen mit einem direkten Schüler von Rudolf Steiner, den die frühere Inhaberin der Weltfirma Staedler vermittelt hatte. Erzähle weiter, damals habe die schicksalshaft erlangte Gabe des Hellsehens zunächst durchaus seelische Schwierigkeiten bereitet und der direkte Schüler Steiners half, mit der Fähigkeit des Hellsehens verantwortungsvoll umzugehen. Es wurde erklärt, wie das Hellsehen entsteht.
Seltsamerweise stellt der Arzt keine weiteren Fragen.
War seine Strategie durchkreuzt? Indem ich zu erkennen gab, das Hellsehen habe seelische Schwierigkeiten bewirkt, die dann durch einen direkten Schüler des Gründers der Anthroposophie begleitet wurden, konnte er schlecht als Psychiater das Hellsehen für sich angreifen, ohne näher auf die Anthroposophie als Weltanschauung einzugehen. Als Fachkundiger wußte er, Hellsehen ist in der Anthroposophie ausführlich als seelischgeistige Fähigkeit dargestellt. Der Begründer Rudolf Steiner war selbst herausragender Seher gewesen. In seinen Vorträgen schilderte er weit zurückliegende Menschheitsereignisse. Ganze Inkarnationsreihen bekannter Persönlichkeiten, wie die von Goethe und Schiller werden dargelegt.
"Hellsichtigkeit", schlummert in uns allen, wird von Steiner als zukünftige allgemeine Seelenfähigkeit prophezeit. Mahnende Worte dieses Lehrers. Wenn wir es versäumen, diese in einem nächsten Leben allgemein auftretende neue seelische Fähigkeit jetzt zu verstehen, so werden die Menschen während ihrer nächsten Inkarnation dann zwar Bilder ihrer eigenen früheren Leben erfahren, doch sie werden daran verzweifeln, sogar erkranken. Alle Menschen werden in der von Steiner ausführlich geschilderten Zeit, ein neues physisches Organ besitzen, welches sich aus der jetzigen verkümmerten Zirbeldrüse entwickelt. Jeder ist dann in der Lage "seherische Bilder" seiner vergangenen Inkarnationen wahrzunehmen. Aber nur die, welche in vorangegangenen Leben die allgemeine Bewußtseinsentwicklung mitmachten, werden sich in dieser Bilderflut zurechtfinden. "Ökologie" bekommt eine ganz neue, umfassende Bedeutung, die weit über die Bemühungen der Grünen hinaus geht. Bestimmte Indianer fällten Entscheidungen für ihren Stamm unter dem Gesichtspunkte, welche Auswirkungen diese für die Nachkommen in der siebten Generation haben wird. Werden wir endlich als Menschen "bewußt" handeln, weil wir wissen, wir werden unsere Zukunft selbst gestalten?
Urplötzlich, ohne Vorwarnung oder Erklärung beginnt der Weißkittel mit geschäftiger, wissender Miene Fragen zu stellen, die außerhalb des Persönlichen liegen. Die erste Frage lautet, was sagen Sie zu folgendem Satz: "Wenn der Esel aufs Eis geht...
Natürlich ist klar, der Arzt möchte irgendwelche Aussagen, die er sich dann für ein Gutachten zurechtzimmern, zurecht deuten kann.
Schweige.
Die Gesichtsmienen meines Gegenübers erstarren, Boshaftigkeit und Zorn spiegeln sich darin. Immer wieder fordert er mich auf, etwas zu sagen.
Der Versuch, den Arzt zur Vernunft zu bringen, ist fehlgeschlagen. Der Herr Psychiater spielt verrückt, wird zur potentiellen Gefahr, wird unberechenbar.
Es scheint, nur Makellosigkeit der eigenen Seele kann vor Unheil bewahren, wird weiterhelfen. Obwohl der Arzt weiß, die Antworten erfolgen nur aus Zwang, können also nie für die Erstellung einer Diagnose hergenommen werden, stellt er eine zweite Rätselfrage: "Wer im Glashaus sitzt .... .
Schweige. Immer wieder werde ich gedrängt, eine Antwort zu geben. Sage dann nur, vielleicht habe ich mich zu weit auf das Eis gewagt da die Politik wohl für meine jetzige Situation verantwortlich ist.
Ergreife dann die Initiative, breche jedes weitere Gespräch ab. Frage nur noch, was er wegen der angekündigten Medikamentierung unternehmen werde. Verweise darauf, es bestünde eine große Unsicherheit, wie mein Körper bei einer Zwangsabspritzung reagieren wird. Sage dem Arzt ins Gesicht, ich hätte keine Angst vor den politischen Machenschaften, er solle mich sofort freilassen, da es keinen Grund für einen Zwangsaufenthalt gäbe. Der Stationsleiter ignoriert die Frage der Freilassung, gibt auch keinen Grund für meinen Aufenthalt an, doch mit Grimm in der Stimme sichert er zu, es werde vorerst keine Medikamentierung geben. Beschwere mich zum Schluß über die elendige Station. Es müsse sofort eine Verlegung vorgenommen werden. Auch solle er prüfen, warum bei meiner Einlieferung zwei Arzte, welche die Weißkittel wohl waren, unabhängig voneinander behaupteten, ich sei schon früher in einer Psychiatrie, sogar stationär gewesen. Der Arzt telephoniert aufgeregt wegen der Beschwerde bezüglich der Unterbringung im Bezirkskrankenhaus herum. Offensichtlich sind alle Plätze belegt. Schließlich wird vereinbart, einen Patienten auf die Zahnabteilung zu verlegen, damit ein Platz frei werde. Dies konnte aber erst am nächsten Tage realisiert werden. Ohne Vorwarnung erfolgt der nächste Angriff. Er wolle eine körperliche Untersuchung vornehmen, verlangt der Arzt mit fester Stimme, Eindruck schindend. Lehne dieses Ansinnen strikt ab. Er habe kein Recht dazu, Hand an meinen Körper zu legen, so meine Abwehr. Ein paarmal während dieser Begegnung stöhnte der Mann wiederholt auf, das Gesicht verzerrt sich vor Schmerz, die Hand greift an das Knie. Von Anfang an lieferte der Herr ein makaberes Bild, weil er seinen Fuß nachschleppte. Ob ein Unfall oder eine Krankheit die Schmerzen hervorrief, war unklar. Wollte zuerst Mitgefühl, Anteilnahme zeigen, mein Bedauern ausdrücken, doch ich unterließ dies. Wer weiß, ob Menschlichkeit als versuchte Einschmeichelei gewertet worden wäre. Bei staatlichen Psychiatern ist man ja nie sicher, was in ihren Gehirnen gerade vor sich geht, um in deren Menschenbild zu verbleiben. Verlange von dem Arzt die Zusage für ein Telephonat. Zuvor war von den Pflegern der Station wiederholt ein Anruf an die Ehefrau verwehrt worden. Retten konnte nur Öffentlichkeit. Völlig entnervt schickt mich der Arzt zurück auf die geschlossene Station, nachdem er zusicherte, die Erlaubnis für einen Anruf zu erteilen. Klar war die Verweigerung, meine Ehefrau oder einen Anwalt zu informieren, eine Verletzung einschlägiger Gesetze. Selbstverständlich handelten Pfleger und Ärzte im Auftrag des ärztlichen Direktors, der alleine für meinen Zwangsaufenthalt rechtlich zuständig ist. Mittlerweile änderte der Gesetzesgeber die Rechtsposition. Nun muß jedem Zwangseingewiesenen sofort nach Einlieferung ein Anruf zur Außenwelt zugestanden werden. Weder hat der Arzt einen medizinischen Grund für den Zwangsaufenthalt genannt, noch wurde der richterliche Beschluß des Amtsgerichtes vorgelegt. Der einzige Hinweis auf die Motive, den Sinn des Aufenthaltes, war in der Begrüßung durch den Arzt zu finden, er wolle mein 'Denken' mit einem Medikament ändern.
Wechseln wir an dieser Stelle den Schauplatz des Geschehens.
Nach dem Abtransport durch die Polizei, dauerte es keine Stunde und ein Beamter des Landratsamtes, eine Beamtin des Jugendamtes begehrten Einlaß in unser Heim.
Es wurde die Forderung an die Ehefrau herangetragen, sie solle die Kinder sofort zur Schule schicken. 'Jetzt erst recht nicht', reagierte die Mutter der Kinder. Sie hatte den Einweisungsbescheid gelesen, da der Richter ihr eine Abschrift von der Polizei überreichen ließ.
Ich hatte bewußt kein Schreiben geöffnet, da gegen die Polizei keinerlei Einspruch rechtswirksam ist. Sie hätte auf jeden Fall bei einer Weigerung mitzukommen, weil der Gerichtsbeschluß fehlerhaft sei, Gewalt angewandt. Zu diesem Zeitpunkt war es klüger, die Einzelheiten der Machenschaften im Dunkeln zu lassen, um in den kommenden Situationen ungestört intuitiv zu reagieren. Erst nach der Entlassung aus der Psychiatrie wurde der Inhalt des richterlichen Einweisungsbescheides bekannt.
Vorsorglich hatten wir im Vorfeld des Polizeitermins beschlossen, ein überregionales Zeitungsblatt einzuschalten. Während die Beamten noch versuchten, die Mutter zu überreden, einem Schulbesuch zuzustimmen, klingelten zwei Journalisten an der Haustür. Mit betretenen Mienen überließen die Staatsdiener das Feld der Presse. In früheren Schreiben an Behörden war versichert worden, wir würden weder Presse, noch Gerichte bemühen. Letztere, weil wir den Gerichten einfach kein Vertrauen entgegenbringen konnten. Die Kaste der Richter hatte ihre Vergangenheit, ihre kollektive Schuld aus dem Dritten Reich ohne Gewissensbisse sehr schnell vergessen, entzog sich der Verantwortung.
Einen Tag nach der Festnahme erschien ein seitengroßer Artikel über unseren Schulstreik, überregional. Ein Mitarbeiter eines Nachrichtenbüros schmuggelte sich später in das Bezirkskrankenhaus, machte Photos Die Hintermänner der Zwangseinweisung haben in ihrem Kalkül die Reaktion meiner Ehefrau, der Presse übersehen. Die Kraft des Weiblichen, welche sich in der Not immer bewährt, kam den Männern, den Machern in die Quere. Sie glaubten, sie hätten leichtes Spiel, schließlich 'besaßen' sie den Staatsapparat, während die Eltern des Schulkreuzstreikes isoliert schienen.
Endlich, Stunden nach der Einlieferung in die Psychiatrie darf ich zu dem öffentlichen Telephon, welches sich außerhalb der mit einer Stahltür gesicherten Station befindet. Natürlich sind auch in diesem Bereich alle Türen zur Außenwelt fest verriegelt. Wir hoffen, die Einschaltung der Presse werde das Schlimmste verhüten. Erfahre, meine Ehefrau hatte über einen Bekannten die Adresse einer Anwältin erhalten. Leider war erst am nächsten Tag ein Termin frei. Jahre nach diesen Ereignissen haben Rechtsanwälte dieser Stadt einen Notservice eingerichtet, da wiederholt an Wochenenden Bürger der Justiz ohne Rechtsbeistand ausgeliefert waren. Wenn man am Freitag eine solche Aktion veranstaltet, wie bei uns durchgeführt, dann ist es schwer, noch einen Anwalt zu erreichen. Der Staatsapparat schafft rechtswidrig vollendete Tatsachen, deren Entstehung dann später im nachhinein schwerer zu überprüfen ist. Wenn ein Bürger zu sog. Irren gesteckt wird, ohne jegliche Vorbereitung, ohne Angaben von Gründen etc., dann darf normalerweise mit einem 'Durchdrehen' gerechnet werden. Das war der Plan der Hinterfotzigen. Im Nachhinein wäre ein Rechtfertigungsgrund für die Zwangseinweisung schon gefunden worden.
Wieder zurück in der besonders gesicherten Station des Bezirkskrankenhauses suche ich einen nikotinfreien Raum. Auf den Fluren und in dem großen Aufenthaltsraum rauchen fast alle Insassen ihre Glimmstengel. Wir befinden uns auf einer reinen Männerstation. Man hat einen kleinen Teil des großen Raumes abgeteilt. Er ist ungeheizt. Eine Bitte, Beschwerde diesbezüglich ruft nur ein Achselzucken hervor. Sitze da, überdenke die Situation. Aus menschlicher Sicht gesehen, ist sie aussichtslos.
Bisher hatten drei verschiedene Menschen unabhängig voneinander behauptet, Dokumente würden einen früheren Aufenthalt in der Psychiatrie belegen.
Das angebliche Gutachten des Dr. W. (9 Jahre später durch anwaltliche Akteneinsicht uns bekannt geworden) aufgrund dessen der Richter mich einweisen ließ, sagte klar und deutlich, es müsse bei positiver Diagnose unbedingt eine Therapie, auch gegen meinen Willen, eingeleitet werden. Da ich mit einer fertigen Diagnose, ohne Untersuchung wohlgemerkt, in diesem gesicherten Nervenkrankenhaus empfangen worden war, gibt es ohne Hilfe von Außen keine Chance, einer Zwangsmedikamentierung zu entkommen. Es mochte der Stationsarzt noch zögern, diese sofort durchzuführen. Möglicherweise mußte er das Risiko einer gravierenden Komplikation befürchten, besaß er kein Wissen über Yogatechniken, den Wechselwirkungen mit Psychopharmaka. Wahrscheinlich holte er sich bei Kollegen Rat. Natürlich sicherte er sich als Befehlsempfänger erst ab. Schließlich trug rechtlich nur der ärztliche Direktor Verantwortung für meine Person. Der Stationsarzt mußte also alle seine weiteren Schritte erst mit Dritten absprechen, die neue Situation abklären. Vielleicht hatten bereits Journalisten im Krankenhaus angerufen, war es zu riskant, ein klassisches 'Abspritzen' durchzuführen. Der Fall Seler wurde öffentlich .... ...
Da landauf landab gepredigt wird, das Frauenverständnis im Islam sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, muß darauf verwiesen werden, auch das Papsttum, das Priestertum ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Die Katholische Kirche kämpfte massiv gegen die Demokratie, gegen den Fortschritt der Menschheit.
Auch die Katholische Kirche ist, wie der Islam in wesentlichen Teilen nicht mit unserer Verfassung zu vereinbaren.
Ernst Seler"

Sonntag, 17. Januar 2010

Dieter Schlesak, IN WELCHER ZUKUNFT LEBEN WIR? Die "ontologische Zensur".Über die Notwendigkeit einer zweiten Aufklärung

1
„Ontologische Zensur“? Ja, so würde ich die Zensur in unserem „Lebenssystem“ nennen; sie ist viel subtiler und tiefer reichend als die platte politische Zensur, sie reicht tief in die Psyche, und gehört in den Bereich der „Seelenpolizei“ und der Alltagsintoleranz („Spinner“). Oder auch in die Angst der Medien, dass sich jemand an die Stirn tippen könnte bei einer Veröffentlichung.

Noch zu Kants Zeiten gab es eine Brücke zwischen Weltzeit und Lebenszeit durch die Selbstverständlichkeit, mit der von einer wirklich existierenden Transzendenz und einem Überleben des Todes ausgegangen wurde; es gab diese Selbstverständlichkeit in allen Geschichtsepochen. Erst seit dem Zeitalter der Moderne gibt es den radikalen Bruch zwischen Lebens- und Weltzeit. Gott ist tot, oder Gott ist der Tod (Hegel), und damit auch Kants „Höchstes Gut“ gestorben?
Nicht nur der französische Philosoph Louis Althusser, die besten Köpfe im Westen, wie Foucault oder Derrida, George Steiner, Paul Virilio oder am genauesten vielleicht Jürgen Habermas in seiner schon 1984 erschienenen Untersuchung „Die Krise des Wohlfahrtsstaates und die Erschöpfung der utopischen Energien“, haben auf das Scheitern der Moderne und ihres Fortschrittsgedankens seit 1789 hingewiesen; und diese Skepsis gab es schon in der „Dialektik der Aufklärung“ von Horkheimer und Adorno. Was neu ist und bei Althusser bis in den Wahnsinn hinein durchlebt wird, spricht auch Habermas aus, dass nämlich „die Erschöpfung utopischer Energien nicht nur eine der vorübergehenden kulturpessimistischen Stimmungslagen anzeigt, sondern tiefer greift. Sie könnte eine Veränderung des modernen Zeitbewusstseins überhaupt anzeigen.“ Dass sich nämlich die „Struktur des Zeitgeistes und der Aggregatzustand der Politik“ radikal verändern, dass wie vor 200 Jahren „die Paradieseshoffnungen mit der Verzeitlichung der Utopien ins Diesseits eingewandert sind“, so würden heute „die utopischen Erwartungen ihren säkularen Charakter verlieren“ und möglicherweise wieder transzendenten, grenzüberschreitenden Charakter annehmen, wie Habermas vermutet, um diese These dann sogleich zurückzunehmen, als habe er Selbstverrat geübt.

Wird hier ein Irrlauf wieder gut gemacht, dieses ruinöse postneoliberale Projekt wenigstens im Denken zurückgenommen? Inzwischen hat es sich sogar ökonomisch zurückgenommen, es ist eindeutig gescheitert! Aber mit welchen Kräften, die nicht nur vom Menschen gemacht sind, die er aber provoziert hat, müssen wir rechnen? Ein neues, sehr aufschlussreiches Buch dazu vom deutschen Soziologen Hartmut Rosa liefert dazu viel Material und tiefe Analysen, be-schreibt, wie die Irritation des ganz persönlichen Zeitempfindens in Stress und Zeitnot anzeigt, dass dieser Irrlauf sich umkehrt, die Unmöglichkeit, dass unser Biotop diese tödliche Beschleunigungsdynamik aushalten kann, macht eine radikale Veränderung notwendig.
Rosa zeigt, wie diese neue Chronokratie mit dem Tod zusammenhängt, da seit der Neuzeit, aus der der Überlebensglaube des Todes langsam und einmalig in der Geschichte total verschwand, Weltzeit und Lebenszeit enorm auseinanderklaffen, es angeblich nachgewiesener Weise, kein Überleben des Todes mehr gibt. Nur noch Ersatz dafür: Hetze, Zeitnot durch Zeitbeschleunigung eintritt, weil die kurze Lebenszeit „ausgefüllt“ werden muss, und als einzige Chance, tausend parallele, verdichtete, reisende, fernsehende, erotische, seinsbesitzende, geldgierige, genussintensive quantitative Leben geführt und bewältigt werden müssen, anstatt eines ruhigen, das seine angelegte Wachstumsmöglichkeit und Entelechie reifen lässt. Nein, gelebtes Leben wird verdeckt durch das Chaos der schnellen Angebote, in einem kollektiven Wahnsinnsdynamismus durch technische Möglichkeiten und kapitalistische hochrhythmisierte, weltzerstörerisch wach-sende und sich potenzierende Wirtschaft, die nicht die Ursache, sondern das Instrument des beschleunigten Glücksversprechens der Menschheit ist, technische Möglichkeiten, die die verlorene „Ewigkeit“ kompensieren und ersetzen sollen. Nun schon als Masseninfektion bis zu den Milliarden-Weltpopulationen von China und Indien. So wird das kurze Leben nicht genützt, sondern mit Oberflächen vertan! Denn Hyperbeschleunigung und angebliches „Auskosten“ der kurzen Lebenszeit überwinden den Tod nicht, sondern führen ihn eigentlich schon als ungelebtes Leben in jeden Augenblick als Hast und Hetze eines Sklaven- und Scheinlebens ein! Es ist der reine Betrug mit verheerenden seelischen und Lebens-Konsequenzen für den Einzelnen!

Und man könnte sich vorstellen, dass dieses hyperbeschleunigte Lebenssystem, das uns das Leben frisst, in dem Moment fallen müsste, wo klar wird, dass seine Basis, der Glaube ans totale Diesseitsparadies, vor allem, dass ein Überleben des Todes nicht zur Natur und zu unserer Natur gehört, zusammenbrechen müsste. Aber wie nach einem vertrackten Gesetz des Gegenteils wird genau durch diese Beschleunigung das Ende und der Sprung in eine neue (oder die alte) Qualität der Transzendenz wieder hervorgezaubert, durch natürliche Umkehr befördert. Rosa nennt dieses im Tempodrom ausgelöschte Leben ein „Sisyphusunternehmen“, das auch scheitern muss, weil durch Erfindungen, Techniken, Methoden, die die gesteigerten Lebens-Optionen und Weltmöglichkeiten erzeugen, auch deren Optionen ins Ungemessene, also durch menschliche Möglichkeiten ins Unerfüllbare wach-sen; wer kann sie noch „ausleben“ und „benützen“, schon die beschleunigende Konsumgewohnheit des TV-“Zappings“ zeigt´s im Banalen an, zeigt den Wahnsinn, überall im Schnellen dabei sein zu wollen. Die Brücke, also Lebenszeit und Weltzeit zu synchronisieren scheitert immer deutlicher, und der Wettlauf hat erst so richtig begonnen.
Doch damit nicht genug: Ein noch viel wichtigerer Aspekt der Beschleunigungs-Technik zwingt diesen nur fürs Kapital profitablen Versuch, den Tod mit irdischer Beschleunigung zu überwinden, dass mit dieser Supertechnik eine Welt hergestellt wird, die sich selber aufhebt und die Wahrheit an den Tag bringt, die Realität der Transzendenz immer näher bringt.
Wird also gerade mit diesen Instrumenten nun aufgedeckt, dass es zwischen Weltzeit und Lebenszeit doch eine Brücke gibt, ja, diese zusammengehören, wenn Welt Geist (Information) ist, der nicht als Geist erscheint, materielle Dinge, denen alle nachrennen, um angeblich ein „erfülltes Leben“ zu haben, diese Dinge wie schon längst in den traditionellen Gesellschaften bekannt, nur die Oberfläche sind!?
Denn es zeigt sich ja gerade durch diese Beschleunigung ins Unmessbare und Überlichtgeschwinde, des mit den erfundenen Techniken herbeigeführte An-eine-Grenze-Gekommen-Seins nun in anderen Tiefen und immer deutlicheren Gewissheiten, dass wir an einer Zeitgrenze angekommen sind, die Zeit auslöscht, wie es auch bei Steiner oder Virilio anklingt, und wie es vor allem die moderne Quantenphysik und ihre längst im Hintergrund der Geschichte wirkende im-materielle Licht-Realität anzeigt. Es lässt sich nicht mehr leugnen, dass jetzt schon dieses heute geführte Konsumdasein, aber auch alte Theorie, Alltagsdenken und Politik hinterherhinken, dass das Unsichtbare heute mehr denn je die neue Hirnsyntax der Geschichte ist. Nicht nur die Tatsache der Vernichtung ist da, sondern damit verbunden ein radikaler Bruch mit der Körperwelt. Der Kern der Welt kommt zum Vorschein, seine Immaterialisierung ist in vollem Gang. Wenn nicht alles täuscht, steht eben gerade durch die enorme Bescheunigung seit einiger Zeit schon ein Paradigmenwechsel an. Unser Weltentwurf scheint gerade durch enorme technische Möglichkeiten Zeit und Raum und das Sichtbare aufzuheben, an eine Grenze gekommen zu sein, wo es auf gewohnte begriffliche oder anschauliche und sinnliche Weise der Welt, die auch das Kapital reproduziert und Grundlage seiner Produktion ist, es so nicht mehr weiter geht. „Die Wissenschaft führt an eine Schwelle von Erfahrung, die sich der Meditation, aber nicht der Reflexion erschließt“, heißt es schon bei Carl Friedrich von Weizsäcker, „dies ist vernünftig. Das begriffliche Denken kann einsehen, dass es den Grund seiner Möglichkeit nicht begrifflich bezeichnen kann.“ Wenn hier also die Grenze unseres bisherigen Weltentwurfs ist, wie soll es dann weitergehen? Auf die gleiche Weise, wie Quantentheorie, Elementarteilchenphysik und Relativitätstheorie das vorherige, das Newtonsche Weltbild, damit das Kausalitätsgesetz, die bisherige Vorstellung von Raum und Zeit in Frage gestellt haben, müssten nun heute geltende „Naturkonstanten“, die wichtigsten sind die „Lichtgeschwindigkeit“ und die Heisenbergsche „Unschärferelation“, die die Möglichkeit des Forschers einschränken, überschritten werden. Dieses wäre - auch nach Ansicht von Experten der Ansatz für den nächsten Weltentwurf: „Die Verbote der Überlichtgeschwindigkeit und der überreinen Fälle (Heisenbergs Formeln) fordern aber... den Forscher geradezu auf, nach den verbotenen Vor-gängen zu suchen“. Tatsächlich ist schon jetzt der Wissenschaftsentwurf bei der Überlichtgeschwindigkeit angekommen, denn die Überschreitung der Lichtgeschwindigkeit ist in dem uns bekannten Bereich der Welt nur mentalen Prozessen möglich. Und diese Prozesse sind es heute, die mit einer durchschlagenden Evidenz Geschichte machen: Denken wird objektiv, lernt sich als mathematische Struktur selbst denken, erfährt sich als Ort, wo Naturgesetze offenbar werden, wird praktisch und beherrscht im Gerät die Natur und die Gesellschaft. Die Tatsache, dass es gelingt, durch mathematische Strukturen so weit vorzudringen, z.B. „Materie“ als „integrale Differentialrechnung in einem vierdimensionalen Raum“ zu fassen (nach Planck), in geistige Prozesse aufzulösen, zeigt deutlich, dass der Mensch und sein Wissen in eine andere, als in die Körperwelt gehören.
Doch diese Selbstverständlichkeit auch eines Überlebens und einer Rückkehr in jene im Denken schon von Platon entdeckte Geister- und Geisteswelt, aus der der Mensch gekommen ist, wie sich Geburt und Tod in einem Zirkel schließen, dass eben Zeit zyklisch, nicht linear ist, wie es alle traditionellen Gesellschaften wussten und auch lebten, konnte die Moderne und das Geldsystem aus dem Bewusstsein vieler Menschen nicht löschen; ähnlich wie auch in der roten oder der braunen Zeit hat das „Alte“ in besonderen Nischen überlebt.
Und seltsamerweise ist es der weniger „angekränkelte“ Teil der Menschheit, der durch Naturnähe und Nähe zu den Quellen des Lebens findet. Sogar bei Jünger finde ich: Es gehe um „jenen Glauben, dessen wir im Innersten bedürfen - nämlich mit der Welt verschworen zu sein.“ Dass wir der Unsicherheit und dem Chaos der „Zeit“ Herr werden, also uns bewusst sind, dass die „Zeit“ Verwirrung in der Täuschung ist, eine Falle. Wie Negativität und Misstrauen auch. Die zur Hetze und zum Nichtleben führt und uns zu Untoten macht, zu lebenden (vor allem männlichen) Leichen!

2
Es ist schwierig, diesen Widerspruch in ein paar Worten zu beschreiben, nämlich den Abgrund zwischen dem, was das Denken und das Handeln - bis hin zu den Politikern, Managern und Universitäten - heute bestimmt, eine sichtbare, körperliche Welt, und den Dimensionen, auf die unsere gesamte Umwelt aufgebaut ist, nämlich eine Welt aus Geist, die nicht als Geist erscheint, zu analysieren, auch nur eine Sprache, Begriffe für etwas begrifflich letztlich nicht Fassbares zu finden; etwas, das etwa die Quanten-Logik vorgedacht hatte, etwas, das auch im historischen Bereich durch Gulag, KZ, Hiroshima und heute als ökologische, dann als Krankheits- und Hunger- Katastrophe, als Schock ins Leben der Menschheit getreten ist, zu begreifen schwierig, weil heute, im Gegensatz zu den Diktaturen, wo die Scheinwelt „klar“ und deutlich und einsehbar war, heute verhüllt und unerkennbar und völlig undeutlich verwischt in einem pseudodemokratischen Nebel liegt, wo Information vor allem Desinformation ist, und das Verschweigen und Verheimlichen von Tatsachen zum alltäglichen Grundgeschäft des Systems gehört!
Vielleicht gilt heute keine politische, sondern eine generelle, eine „ontologische Zensur“ und ein ganz anderer, kaum fassbarer Grenzgang, an dem freilich die Politik und die vielleicht schrecklich „naiven“ und unwissenden Machtstrukturen verheerend und tödlich schmarotzen. Möglicherweise ist es das erdvernichtende tödliche Nichtwissen von geistig-informativen (und bis zur Informatik und Genforschung reichenden Wissensmöglichkeiten, ja, das naive Arbeiten mit diesen Zaubermitteln der Zivilisation zu Sozial- und Kriegstechnik und Desinformation, die jedes Konzept von Politik und Widerstand auch auflöst und eine Lähmung im Wohlleben erzeugt, anstatt dass zumindest die Wissenden und Intellektuellen wie im Katze-Schlange-Verhältnis entsetzt in den Abgrund entsetzt in den Abgrund starren! Überlegen wir mal die Tatsachen: Das, was uns heute umgibt, ist ja eine völlig andere, immaterielle Welt an einer unvorstellbaren Grenze (wieder die „Grenze!“) zu einem neuen Weltmuster und Paradigma. Denken wir nur an unsere "elektronischen Haustiere“, Computer, Radio, Fernsehen usw. Sie beruhen auf Formeln, die einmal "Einfälle", Intuitionen von genialen Menschen waren, es sind ähnliche "Gedankenblitze" wie in der Kunst, aus einem großen kosmischen Informationssystem, das alles bestimmt. Das Nicht-Materielle, das "Geistige" bestimmt heute mehr denn je alles, was geschieht, mentale Prozesse machen mit einer durchschlagenden Evidenz Geschichte, Denken wird "objektiv", lernt sich als mathematische Struktur selbst denken, erfährt sich als Ort, wo Naturgesetze offenbar werden, wird praktisch, beherrscht im Gerät die Natur und Gesellschaft. Völlig im Gegensatz dazu beherrscht der krasseste Materialismus die Köpfe und das Handeln. Die Menschen der Gegenwart bewegen sich und handeln in dieser neuen immateriellen Umgebung weiter so, als wäre es immer noch die alte Körperwelt.
Schlimmer noch, wenn wir zum Thema zurückkehren, und also konkret werden: Im Historischen zeigte es sich als Katastrophe und Untergangsgefahr der alten Körperwelt: Und im Prinzip gehe ich davon aus, bin auch davon überzeugt, dass sich schon 1901 eine radikale Wende angekündigt hat, der Beginn der neuen Wissenschaft, die Quantentheorie, 1905 dann Einsteins grundlegende Theorie. Es war die Zeit als meine Grosseltern heirateten; dann kam bald Verdun -, ohne Technik, also Wissenschaft völlig ausgeschlossen! Alles weitere eben auch nur durch Technik möglich: Im Gefolge des Krieges und seiner Kombination mit Armut: Stalin, dann Hitler (der die Armut besser aufzuheben verstand durch Krieg! Und Rüstung! Also „besser“ als Stalin war!), schließlich die zweite große Katastrophe mit Stalingrad, und dem Höhepunkt der Zivilisations- und Geschichtszerstörung: Auschwitz, Hiroshima (Atombombe als der Höhepunkt des eben Geschilderten!), die im Historischen einen radikalen Bruch auch in die Geschichte brachten, das im Undenkbaren und Unvorstellbaren sichtbar gewordene Jahr 1901 und 1905, die auch im menschlichen Erfahrungsraum Grenzgang waren: jede bisherige Erfahrung bis hin zum Grundlegendsten: Zeit, Raum und Kausalität auflösten, nichts mehr konnte so sein, wie es einmal jahrtausendelang gewesen war!

Was bleibt? Nach der totalen Demontage des Aussen, des Sichtbaren, der Faktizität, nur noch die Instanz der Erkenntnis, des Gewissens und der Kunst, der einzelne integre Mensch? Schon Kafka wußte, in einer Umkehrung des schlechten Künstlergewissens, dass nach all dem, was an Grauen und Schrecken in der „Realität“ geschehen ist, sich die Realität vor der Kunst und dem Geist zu rechtfertigen habe, und nicht diese vor ihren gefährlichen Wahn-Oberflächen, dass der Einzelne eine "ungeheure Welt im Kopfe" habe, dass auch das "Nichts" der Literatur, ihr unmögliches Unternehmen, ein "Ansturm gegen die letzte irdische Grenze" sei.

3

WER ABER VERTEIDIGT DIESE IRDISCHE GRENZE? WAS IST “NORMAL”, WAS IST “UNNORMAL”, gar geistig krank, wer bestimmt das, wer legt es fest? Die jeweilige Gesellschaft? Und steht dabei die Psychiatrie im Dienst als „Seelenpolizei“? Zu diesem Schluss musste ich nach dem Leben in einer Diktatur, der roten, ihrer „politischen Heilanstalten“, durch mein Wissen um die Psychiatrie der Nazis, der Ermordung „lebensunwerten Lebens“, die Ausgrenzung, Zwangseinweisungen, geschlossene Anstalten auch in der De-mokratie kommen. Grenzprobleme. Zensur, Ideologien, begleiteten mein Leben, im Osten die politische Zensur, im Westen die „ontologische Zensur“ und die Kunst und Literatur als „Narrenfreiheit“, die im kommerzialiserten Alltag, vor allem im Arbeitsleben nicht gilt. Ja, nicht einmal in der offiziellen Wissenschaft, wo Angst umgeht, vom Wissenschaftsbetrieb und der Universität als „Spinner“ oder auch nur als „Abweichler“ gebranntmarkt zu werden. Ja diese „Zensur“ gilt sogar in noch tieferen Bereichen, in Erkenntnis- und Seelenbereichen einer bestimmten historischen Zeit menschheitlicher Entwicklung, die der deutsche Physikerphilosoph Carl Friedrich von Weizsäcker als „kulturbedingte Blickbeschränkung“ benannte. Diese Zensur gilt zwar subtiler, doch wie eh und je auch heute. Zwar werden keine Ketzer mehr verbrannt, doch „Unnormale“ ausgegrenzt, zumindest diffamiert, notfalls in Heilanstalten „verwahrt“, auch wenn sie nicht wirklich krank sind.
Doch freilich, krank kann man in diesen Grenzbereichen schon werden, wenn Verdrängungen und durch Sozialisierung eingebaute „Filter“, die die Psyche auch schützen, durchbrochen werden. Und die jenem, der sie unter Schock überschreitet, unkontrolliert und unvorbereitet, tatsächlich gefährlich werden kann, Wie etwa in exzessiven meditativen Praktiken oder auch ihn großen Gefahrenmomenten und unter Leidensdruck wie es auch zwei der Gugginger Künstler der art brut-Patientenkunst in Stalingrad geschehen ist. Der sie aber gerade unter diesem öffnenden Schock krank und zugleich zu Künstlern gemacht hat, wie es ja bei sehr vielen auch „normalen“ oder sagen wir lieber: nicht psychiatrisierten Künstlern und Dichtern geschehen ist. Nennen wir nur Hölderlin, der freilich auch sein halbes Leben als Patient verbrachte.
Dass jetzt alle Beteiligten dieser Kriegsgeneration verstorben sind, dass auch die durch den Zweiten Weltkrieg (hier speziell: Stalingrad!) traumatisierte Generation nicht mehr da ist, stellt sich die Frage, ob diese mangelnde historische Schock-Erfahrung heute nicht dazu geführt hat, dass sich die Korrelation zwischen der Schwere des Traumas und der Stärke der Ausdruckskraft in den Gedichten / Bildern sehr verschoben hat. Nicht nur in der Patientenkunst! Und allgemein muss von einer Kunstabschaffung oder zu einer Kommerzialisierung der Kunst und Kultur und von einer Verarmung geredet werden.
Mich hat in jener anderen Zeit (es war 1974-1984) ein außerordentliches Buch in meinen kunstpsychiatrischen und auch parapsychologischen Recherchen, die die menschlichen Erfahrungs- und Erkenntnisgrenzen erforschten, begleitet. Das Buch „Psychiatrische Aspekte des Schöpferischen und schöpferische Aspekte der Psychiatrie“ (1975) stammt von Gaetano Benedetti, worin klar wird, dass jene „Blickbeschränkung“ überschritten werden muss, um durch Öffnung in gefähr-liche Berührungssphären des „Unnormalen“ „Utopischen“ „Abgründigen“ eben „gesundheitsgefährdend“ Kunst oder Dichtung entsteht. Schon Rilkes „Brief an einen jungen Dichter“ spricht vom Mut, sich diesen Sphären zu nähern: „Das ist im Grund genommen der einzige Mut, den man von uns verlangt: mutig zu sein zu dem Seltsamsten, Wunderlichsten und Unaufgeklärtesten, das uns begegnen kann. Dass die Menschen in diesem Sinne feige waren, hat dem Leben unendli-chen Schaden getan: die Erlebnisse, die man ´Erscheinungen` nennt, die ganze so genannte `Geisterwelt`, der Tod, alle diese uns so anverwandten Dinge, sind durch die tägliche Abwehr aus dem Leben so sehr hinausgedrängt worden, dass die Sinne, mit denen wir sie fassen können, verkümmert sind. Von Gott gar nicht zu reden“.
Für den Umgang mit dieser gefährlichen Grenze hat die Literaturwissenschaft, ähnlich wie die Psychiatrie, besondere Methoden und Techniken entwickelt, um etwa das „Übernatürliche“, das wesentlich für weite Teile der Weltliteratur ist, abzuschieben.
So gehört eigentlich meine Beschäftigung mit Künstler-Patienten zur Erforschung der eignen Schaffensbedingungen als Autor und Dichter, etwa die Frage: Welche Unfähigkeit machte heute die Ideologie der Gesundheit möglich? Und welches ist eigentlich die Krankheit der Gesunden? Und so auch die Begegnung mit schreibenden und malenden Patienten etwa im österreichischen Landeskrankenaus für Psychiatrie, die heute mit ihrer „zustandsbestimmten Kunst“ inzwischen zur „Art Brut“ gehört. Damals, es war das Jahr 1976, begegnete ich den Patientenkünstlern in offener und neugieriger Solidarität als Kollege. Und so wurde ich vom Dichter Alexander (Ernst Herbeck) auch gefragt:
R: Waren Sie schon einmal Patient?
D. Nein, noch nicht. Noch nicht…
R. Waren Sie schon einmal Patient?
D. Ja, eine Zeitlang, fürchtete ich, es zu sein…
In den Jahren 1974 und bis etwa 1984, zehn Jahre also, hatte ich mich Problemen des Grenzbewusstsein zugewandt. Am schmerzhaftesten und zu einer unerträglichen Nähe, die zu Albträumen führte, war die Beschäftigung mit der Seelenpolizei Psychiatrie, und mit den eingesperrten Patienten, den langen Besuchen in den Heilanstalten von Gugging/ Klosterneuburg, Lausanne, Florenz, Überlingen. Ich versuchte damals über das Radio, über Stunden und Anderthalbstunden-Sendungen mit meinen Recherchen zu wirken. Im Süddeutschen Rundfunk Stuttgart erschienen mehrere Sendungen, so „Reise zum Wahnsinn“ (1977), „Corboror Iscrix., Kunst der Wahnsinnigen und die Gesellschaft,“ SFB/WDR/ NDR, 1977, im Westdeutschen Rundfunk dann „Der Umstand selbst ist dieses Lied“ (1980), wo die Patienten selbst zu Wort kamen, vor allem aber in einem groß angelegten Hörspiel „Königin, die Welt ist narr“ im dreidimensionalen Hörraum, das von drei großen Sendeanstalten ausgestrahlt wurde und eine intensive Diskussion auslöste.
Und dann auch: „Weit zu gehen, nie mehr wiederzukehren. Zeit und Wahnsinn im Leben des italienischen Dichters Dino Campana (1885-1932)“, Hessischer Rundfunk 6.12.1983.
Doch die Grundlage für alle diese Untersuchungen hatte ich durch ein Buch gelegt, dem lange Aufenthalte in der geöffneten Heilanstalt von Arezzo vorangegangen waren („Sozialisation der Ausgeschlossenen. Praxis einer neuen Psychiatrie “ zusammen mit Agostino Pirella, Rowohlt 1975), das in Deutschland damals eine Pionierrolle gespielt hat, und zur Veränderung der Zustände in den Heilanstalten und bei der Entwicklung einer „Gemeindepsychiatrie“ mit beigetragen hat. Es war damals eine fruchtbare, bewusstseinsverändernde und hoffnungs-volle Zeit auch für Utopien, ein Nachlang von 1968, wo in Italien die „ Psichiatria Democratica“ , initiert von Franco Basaglia in Görz, zu einem Gesetz (dem berühmten „lege 180“) geführt hatte, die Heilanstalten geöffnet wurden. Die „Psichiatria Democratica“ gibt es heute noch, und sie hält jährlich Kongresse ab, gibt eine Zeitschrift heraus, wirkt durch ambulante Dienste, Patientenhäuser etc. Allerdings hat das Öffnen der Heilanstalten, die Tendenz, Patienten nicht mehr zu isolieren, sie auch in den Krankenhäusern und in den Familien mit den Gesunden zusammenleben zu lassen, sich nicht durchsetzen können.
Doch es ist nicht nur die Unmöglichkeit dieser Forderung oder das generelle Scheitern der Antipsychiatrie und jeder Achtundsechziger Initiative, es gibt generell eine Gegenbewegung seit 1991, seit dem Ende der der Weltteilung, und einer einzigen, ungehemmt wirkenden Kapitalwelt, die jede „Utopie“, jede Dissidenz gegen das Bestehende leugnet.
Und was unser Thema betrifft: ist eine Umkehr ins Reaktionäre einer statischen, rein biologieorientierten Psychiatrie heute eingetreten, die nicht weit von den finsteren Zeiten des Elektroschocks (er wird wieder angewandt!) und Lobotomie denken lässt. Wie in allen Kulturbereichen ist auch die Anstaltspsychiatrie einer gesellschaftlich und geistig entwicklungs- und substanzbestimmten, menschlicher Autonomie und Freiheit abgeneigt, betreibt Anpassungsstrategie. an eine angeblich „von Natur“ gegebene hirn- oder erbbedingte Krankheit. Auch in Gugging gibt es jetzt nur noch eine „Sozialhilfeeinrichtung „Haus der Künstler“, die soll ausschließlich „Therapiezwecken“ dienen. Und es wird betont, dass es heute kein "kunstpsychiatrischer" Ansatz mehr sei, sondern nur noch eine Form der Sozialtherapie. Soll nun etwa al-les rückgängig gemacht werden, was die Patienten eben durch Grenzüberschreitung des Gewohnten, auch im Verhalten, im Denken und der Phantasie an KUNST, der Art Brut, geleistet haben? Die Beschäf-tigung mit dem bildnerischen Ausdruck psychiatrisierter Patienten, die Anfang des 20. Jahrhunderts in Frankreich mit Marcel Réja (L'Art chez les fous, 1907) begann, in der Schweiz von Walter Morgenthaler (Ein Geisteskranker als Künstler (Adolf Wölfli), 1921), dann von Hans Prinzhorn (Bildnerei der Geisteskranken, 1922) fortgeführt wurde, haben zur Anerkennung der „Zustandsgebundenen Kunst“ und ihrer Künstler beigetragen. Nach dem Zweiten Weltkrieg dann der Schweizer Psychiater Eugen Bleuler und der österreichische Psychiater Leo Navratil. Navratil. Dieser hat mit den zur Art Brut zählenden Künstlern Alexander, Johann Hauser, Oswald Tschirtner, August Walla und anderen Künstler aus Gugging die Patientenkunst wieder bekannt gemacht, die die europäische Kunststile außerordentlich bereichert.
Diese Abwertung heute der Patientenkunst ist auch eine Zurücknahme der Antipsychitrie-Erfolge von 68 und bis in die achtziger Jahre.
Eines muss man freilich sehen: Es mag sein, dass auch die Psichiatria Democratica übers Ziel hinausgeschossen ist, indem sie nur auf „Rückführung“ aus der Isolation in die Familie und Gesellschaft setzte, Nosologie und Pharmakatherapie ganz negierte, so wie jetzt eine totale Gegenbewegung hinein in den von den Linken geläugneten Bereich passiert. Doch wir konnten mit eignen Augen sehen, wie eine große Zahl der bisher gefangen gehaltenen Patienten, frei in die Gesellschaft zurückgekommen, nach kurzer Zeit gesund wurde. Und be-eindruckend etwa war das Schicksal und die Heilung einer dreiund-neunzigjährigen Patientin, Adalgisa Conti, über die wir ein Buch herausgegeben haben („Im Irrenhaus“, Neue Kritik, 1979), die seit 1914 in der Heilanstalt dahinvegetiert hatte, alle Furchtbarkeiten mitmachen musste, zum Teil jahrelang an einen Tisch gefesselt, für „immer“ bei den sogenannten „Chronischen“ stumm im eignen Kot hockte, und dann wie Adalgisa durch ihre Freiheit wieder „nomal“ wurde. Ihr Ehemann hatte sie 1914 einweisen lassen, um ungestört mit seiner Geliebten zu leben. „Fünf Jahre Ehe – 65 Jahre Heilanstalt“ hieß meine Sendung über Adalgisa Conti im Süddeutschen Rundfunk 1979. Nicht nur die „Psichiatria Democratica“, sondern die gesamte Anti-psychiatrie“ (David Cooper ,Ronald D. Laing, Thomas Szasz ,Franco Basaglia, Erving Goffman Félix Guattari, Gilles Deleuze) hat darauf eingewirkt, dass heute das Bewusstsein für die Stigmatisierung psychisch kranker Menschen geschärft worden ist., es einen kritischeren Umgang mit Nosologie und Terminologie gibt, eine. starke Verkür-zung der Verweildauer und genauere Kontrolle der so genannten Zwangseinweisungen und Zwangsanhaltungen erreicht wurde. Die 1991 von der UN-Generalversammlung angenommenen Prinzipien für den Schutz von Patienten, ist ebenfalls ein Erfolg der radikalen Antipsychiatrie-Bewegung.

Samstag, 16. Januar 2010

Zwischen Himmel und Erde.Gibt es ein Leben nach dem Tod?

Liebe Freunde, liebe Leser, gehen Sie auch mit der Frage um, ob es ein Leben nach dem Tode geben kann? Ich habe mich ein Leben lang damit beschäftigt, und die vielen (generationsbedingten) Todesfälle unter Freunden, Bekannten, auch der Tod meiner Mutter, als Ufassbarkeit erlebt, die vielen Epitaphe für jeden und die Unvorstellbarkeit dieses Abschieds, Epitaphe, die ich geschrieben habe, zeugen dafür und lassen die Frage akuter und brennender werden; dieses auch im altneuen Sinn einer notwendigen Vorbereitung darauf. Denn die alten Weisheiten haben recht, ein richtig gelebtes und erfülltes Leben ergibt auch einen eigenen und erfüllten Tod.

Inzwischen aber gibt es auch viele Indizien der Wissenschaft, dass nach dem körperlichen Tod nicht alles "aus" ist!

Mein neues Buch "Zwischen Himmel und Erde. Gibt es ein Leben nach dem Tod?" ist nun nach seiner Veröffentlichung als e-book, nun auch als Buch (beim Bod Verlag) greifbar und kann in jeder Buchhandlung bestellt werden. vorerst bei buch.de. Doch ab dem 17. Februar ist es auch bei Amazon. de online bestellbar.



Hier als LESEPROBE Inhaltsverzeichnis und Einleitung:


Dieter Schlesak

ZWISCHEN HIMMEL UND ERDE
Gibt es ein Leben nach dem Tod?


Es gibt mehr Ding´ im Himmel und auf Erden, als eure Schulweisheit sich träumt…
There are more things in heaven and earth … than are dreamt of in your philosophie.

Shakespeare, Hamlet, 1. Akt, 5. Szene




INHALT

Einleitung Die ernsteste Frage der Welt……………………

ERSTER TEIL. Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde, als sich unsere Schulweisheit träumen lässt.

Gibt es ein Leben nach dem Tod? Der Philosoph Immanuel Kant und der Hellseher Emanuel Swedenborg ………………………

Talkshow mit Tabuthemen und Totenstimmen ……………

Das Unheimliche als das Heimische. Unglaubliches geschieht. Zur Geschichte und Erforschung des Übersinnlichen …………

Gott, der Solipsist. Leben, mein göttlicher Traum?

Liebe ist Leben für immer. Über die unheimliche Kommunikation zwischen Diesseits und Jenseits in der Literatur und Parapsychologie ...........................................

Lichtgeschwinde Geräte an der Grenze zwischen Leben und Tod. Hoffnung auf die große Metamorphose der Erde. Eine Notwende? Sind die Totenstimmen, dieser Durchbruch durch die Wand der Dimensionen, nur geträumt. Doch ist die Welt nicht mein göttlicher Traum? .............................................................

ZWEITER TEIL. Nachtgedanken

So verschieden kann der Tod in uns sein …………………….

Nahtoderlebnisse II. Reisen ……………………………………

Seelenflug, ein Märchen oder eine Ahnung von Heimkehr: „Out of the body experiences“ (OBE). Der Doppelgänger. Das Tabu der Letzten Wirklichkeit. Mut zur Letzten Wirklichkeit und zum Selbst-Sein. Verdrängungen, Literatur- und Gesellschaftslügen…………………

Normal und unnormal
Psychiatrie, die Seelenpolizei. Ein Blick in die Heilanstalten

Vergottung des Phantoms Körper. Zurück zu „Neodarwinismus“, „Erbbiologie“ und Lobotomie? Anstatt der Engel die Botenstoffe? Die Hirnforschung als Ideologie des „Neuen Zeitalters“............
Nahtoderlebnisse III …………………………………………

Chronokratie, unsere Zeitkrankheit ………………………

DRITTER TEIL. Kontakt mit der andern Seite der Welt?

Weine nicht mehr, hoffe nur. Eine Wand des Schreckens fällt

Was ist das, die Instrumentelle Transkommunikation? …………

Vom Glück des Nicht-Seins. ………………………

Das „Tibetanische Totenbuch“ und das helle Licht. Phasen des vorweggenommenen Todesprozesses. Kann man die große Reise üben und Sterben lernen? ……………………

Die Zweite Aufklärung. Boykott der Geschichte und der bisherigen Erkenntnis. In welcher Zukunft leben wir? …………

Der Autor ……………………………………………



EINLEITUNG.

Die ernsteste Frage der Welt. Und warum stellen wir sie heute anders als noch vor zwei Jahren

Warum sind diese Fragen, zwar nie veraltet, aber besonders heute wieder ganz aktuell geworden. Und die Frage: Warum soll ich solch ein Buch wie dieses heute lesen? lässt sich leichter beantworten als noch vor einem Jahr.
Mein Sohn fragte mich: Vater, wie sollen wir jetzt weiterleben, alle Utopien, auch die des Geldes sind ja gefallen! Ich hab keine Orientierung mehr, woran kann man sich noch halten? Sogar meine Gegner und Feinde haben verloren!
Ich weiß es seit lange, antwortete ich, doch ich habe es immer wieder vergessen. Es klingt kompliziert, doch es ist ganz einfach: Das, was alle meinen, gering schätzen oder vergessen zu können, ist das Wichtigste. Es drückt sich in der Kunst und in der Religion aus Vom All-Einen, dem SEIN, wir gehören dazu: wir SIND DA, und das ist ein Wunder! Das ist gar nicht selbstverständlich und davon nämlich müssen wir ausgehen: Denn es ist das Rätsel, das uns leben lässt, alles bestimmt. Das in Anderer Sprache als in der des Alltags sich äußert; die Alltagssprache ist Seiendes, Daseinsdummheit; die Kunst, die Musik, die Poesie und die LIEBE allein berühren den Grund jenes „Seins“, das uns sein lässt, uns denkt, uns möglich macht. Und wehe, du mischt dich falsch und nur mit dem Verstand, gar der „Wissenschaft“ und der Technik und mit ihren Analysen da ein, lässt es und deine innere Stimme nicht zu, und mischt dich ein mit Begriffen in einen Bereich, wo Begriffe nichts zu suchen haben! Du störst und zerstörst, genau wie im Fluss eines Gedichtes, das sich auch selbst schreibt, wenn die Sprache es will und es auch tut, wir sind nur das klingende Instrument. Das Desaster dieser Welt war und ist die Folge solcher andauernden Einmischung! Alles, was IST, wird von dieser obersten Macht des “Seins“ bewegt und gestaltet. Die Menschheit aber hält sich für gescheiter, lebt und arbeitet gegen dieses Gesetz an, Tag für Tag, jeder Einzelne und alle zusammen!
„Wissenschaft“ ist durch Heisenberg und Planck auch nahe an dieses Urmuster des Seins oder des EINEN herangekommen; und so besteht die Hoffnung, dass auf diesem Umweg auch der „Alltag“, die Seinsdummheit, die Wand, die uns vom Grund trennt, verändert wird. Dass es dieses Neue gibt, dass es auf uns wartet, weil wir es sind und schon in uns tragen, „ebenbildlich“, auf das die Menschheit fast durch alle ihre Katastrophen zuhält, zusteuert.
Moral hilft nicht weiter, es ist etwas Größeres, Umfassenderes, was beachtet werden, ins Zentrum gestellt werden muss! Tod und Sterben sind die Erkenntnisquelle, und sie sind es in allen Zeiten in der „ars moriendi“ immer gewesen. So hat kürzlich Ulla Unseld-Berkéwicz in ihrem Todes-Erlebnis und Grenz-Buch „Überlebnis“ (2008), ihre Erfahrungen beim Tode ihres Mannes beschrieben, und in einem Interview mit der FAZ nochmals zur Sprache gebracht : Und sie hat ihre Erfahrungen und Sprachlosigkeiten auch reflektiert, darüber nachgedacht, was wir vom Tode und vom „Überlebnis“ wissen können, und auch die Erkenntnisse der Naturwissenschaft an dieser Grenze mit einbezogen. So diese erstaunliche Möglichkeitsbegründung des Überlebens: „Und da habe ich bei den Physikern was Interessantes gefunden: Elektronen zum Beispiel sind unzerstörbar und existieren von Anbeginn. Wolfgang Pauli fand in den zwanziger Jahren heraus, dass diese winzigen Teile Wissensspeicherchen haben, die wissen, ob sie einander schon mal begegnet sind. Und das lässt dann zum Beispiel den Schluss zu, dass die Elektronen eines Körpers nach dessen Auflösung wieder zusammenfinden könnten durch irgendein Signal vielleicht (…) Auferstehung heißt, das Muster dessen, was da tot liegt und vergangen in der Materie, wiederherzustellen und es in seine Schwingung zu versetzen. Auch die großen Kybernetiker Norbert Wiener und John von Neumann gingen seinerzeit von der Annahme aus, dass alle Lebewesen Muster seien, übertragbare Botschaften, die sich für immer selbst erhielten.“

Carl Friedrich von Weizsäcker ist dafür der beste Wegweiser und Erbe dieser sich anbahnenden Traditionsernte, der in einem Aufsatz über den Tod schrieb: "Aber das Sittliche ohne das Heilige ist nicht lebensfähig; es ist die Forderung ohne ihre Ermöglichung. Die selbst verzehrende Anstrengung der bloßen Moral kann kaum umhin, wenn sie wahrhaftig bleibt, böse oder verzweifelt zu werden."
Diese neue Ratlosigkeit schafft einen leeren Ort, wo alles neu beginnen könnte! Sie könnte eine Veränderung des modernen Zeitbewusstseins überhaupt anzeigen. Dass sich nämlich die „Struktur des Zeitgeistes und der Aggregatzustand der Politik“ radikal verändern, dass wie vor 200 Jahren „die Paradieseshoffnungen mit der Verzeitlichung der Utopien ins Diesseits eingewandert sind“, so würden heute „die utopischen Erwartungen ihren säkularen Charakter verlieren“ und möglicherweise wieder transzendenten, grenzüberschreitenden Charakter annehmen, dies schrieb ein Nachfolger der linken „Frankfurter Schule“ Adornos und Horkheimers Jürgen Habermas noch kurz nach dem millenaren Zeitbruch von 1989.vermutet.
Wird hier ein Irrlauf wieder gut gemacht, dieses ruinöse postneoliberale Projekt wenigstens im Denken zurückgenommen? Inzwischen hat es sich sogar ökonomisch zurückgenommen, ist eindeutig gescheitert! Aber mit welchen Kräften, die nicht nur vom Menschen gemacht sind, die er aber provoziert hat, müssen wir rechnen? Es sind die alten Kräfte, de vergessen wurden, von denen man meinte, man könne sie einfach nur belachen und ausklammern! Es geht u eine neue Haltung heute zum Problem Leben und Tod, um ein Verschieben der Grenze zwischen ihnen! Und was stellt diese Verschiebung in Frage? Unser angemaßtes Wissen, als wüssten wir „alles“ schon, und darauf ist die moderne Zivilisation gegründet, auf eine Lüge also!

Friederike Mayröcker, die über achtzigjährige österreichische Lyrikerin, sagte in einem Interview, der tote Ernst Jandl, ihr Lebensgefährte, habe ihr beim Schreiben geholfen, so, als wäre er noch da, aber wo denn sonst sollte er sein, nur in ihrem Innern? Jedenfalls habe er ihr schreiben geholfen, er war ja selbst Lyriker. Doch dann zweifelte Friederike Mayröcker wieder, und befragte ein Medium. Das Medium habe mitgeteilt, Jandl sei gut aufgehoben! Dann aber habe Jandl angeblich „Friederike“ zu ihr gesagt. „Er hat aber nie Friederike zu mir gesagt… Die Wahrheit ist, er ist weg, ganz weg (…) Ich hasse den Tod. Ich weiß, dass ich knapp vor diesem Tor stehe. Mit achtzig muss man immer damit rechnen. Das ist eine furchtbare Vorstellung. Ich kann es mit nichts vergleichen, eine strangulierende Vorstellung. Bald wird man nicht alles erfahren können, was man noch gerne erfahren möchte. Wohin kommt das alles, was man gedacht hat? Was man empfunden und gemacht hat?“
Und die Welt gehe weiter, auch ohne uns, sagt Friederike Mayröcker: „Das ist eine Unbegreiflichkeit“. „Es ist einfach aus.“
Stimmt das? Frage ich mich. Ich frage es mich schon seit sehr langer Zeit, eigentlich seit ich mir meiner selbst bewusst bin. Aber seit das Alter droht, nimmt die Zeit rasant ab.

Und Ulla Unseld-Berkéwicz, die lebendig erlebten Schmerz-und Todesgedanken beim Todes ihres Mannes, ganz eingenommen ist (»Die Liebe ist des Menschen Sehnsucht nach Unsterblichkeit. Um Unsterblichkeit zu erleben, müssen Liebe und Tod erlitten sein.«). Sie weiß, dass wir über den Tod nicht reden können, dass wir ihn erfahren müssen: „ ... es geht darum, dass am Ende das Staunen steht genauso wie am Anfang, dass der Todesmoment alle Vorstellung übertrifft und dass bei uns, die wir das miterleben, überleben, ein großes Staunen einsetzt, das nie wieder aussetzt. Es geht darum, dass wir anders leben müssen, um zu verstehen, was der Tod ist, was mit den Toten geschieht. Religion und Naturwissenschaft geben uns die Hinweise.“
Und dass nur hier auch der Beginn von Kultur sein kann: „Ohne Metaphysik gibt es keine Kultur. Und die Kultur ist da am stärksten, wo es um die Idee der Unsterblichkeit der Seele geht.“
Man sehe und staune, dieses ist auch die Grundidee des späten Immanuel Kant.
Zeit? Sichtbarkeit? Darf uns diese schrecken? Was ist sie überhaupt, gibt es sie? Die heute mögliche Antwort ist: Nein. Oder besser: Ohne uns gäbe es sie gar nicht. Eine frappierende Einsicht sagt uns doch: Die Lichtwelt entsteht dadurch, dass Photonen, Lichtteilchen, die keine Materie sind, sondern reine Information, also eigentlich reiner Geist, auf „Dinge“ treffen, die erst in unserem Auge „sichtbar“ werden; also ohne uns bliebe alles reine Finsternis. Nur weil Lichtteilchen auf anderes, in sich rasend schnell kreisendes, aber „gefrorenes“ Licht, das wir „Materie“ nennen, trifft, absorbiert, von uns aufgenommen und so gedeutet wird, gibt es überhaupt Helligkeit. Die sichtbare, feste Welt ist also Geist, die nicht als Geist erscheint, wir inmitten zugehörig zu dem Unsichtbaren also, die alles „sichtbar“ machen? Warum sollten wir uns also dann fürchten?
Der Alltagsverstand jedenfalls und unsere gewohnte Erfahrung ist ungeeignet dazu, um mit der Frage nach dem Tod umzugehen.
Und dieses Buch möchte nach möglichst plausiblen Antworten auf diese quälende Frage suchen.

Das ganze Buch ist abrufbar unter: http://www.ciando.com/shop/book/bib/index.cfm/fuseaction/bib/bok_id/21446/cat_id/255/cat_nav/255/Titel/Zwischen-Himmel-und-Erde-Gibt-es-ein-Leben-nach-dem-Tod-/ISBN10/3939845892/ISBN13/9783939845898

Auch über HTTP.//www.dieterschlesak.de

Oder Band 1 als print vorbestellen:
http://www.buecher.de/shop/buecher/zwischen-himmel-undf-erde/schlesak-dieter/products_products/detail/prod_id/28141580/lfa/quicksearch-product-10/


Ich möchte Euch darauf hinweisen, dass mein Interesse und meine Aufarbeitung der roten und der braunen Diktatur nicht nur auf schmerzvollen Traumta beruht, sonder dass ich auch einen Zusammenhang sehe zu einer historischen Veränderung des Bewusstseins durch schockartige Erlebnisse in diesen Diktaturen. Auschwitz etwa hat nicht nur das Leben, das Denken, die Geschichte verändert, ebenso wie der GULAG, sondern auh der Tod wurde verändert.

Da ich bei der Autorin Ulla Unseld-Berkéwicz in ihrem tiefsinnig-schmerzvollen Buch "Überlebnis" (2008)über den Tod ihres Mannes, so viel Wahlverwandtschaftliches fand, schrieb ich ihr, nachdem sie auch mein Manuskript haben wollte: "Sie sehen, wie "doppelgleisig" ich fahre, denn meine Diktatur-Schockerleblebnisse führen zur "Transzendenz und Besinnung auf die Grenzen und Grenzräume, ähnlich wie es auch Celan, Walter Benjamin oder Gersholm Scholem gedacht und beschrieben haben. Bei Hölderlin heisst dieser Vorgang sogar "Vaterlandstage: "Vaterlandstage ist die Umkehr aller Vorstellungen und Formen". Ich habe es als Motto meines ersten Romans der Trilogie "Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens" (Benziger, 1986)gewählt.

Und ich schrieb ihr, der Kollegin und wunschverlegerin:

Liebe Frau Ulla Unseld-Berkéwicz, liebe Frau Karduk,

nun freue ich mich, dass Sie das Manuskript auch in Berlin haben möchten; ich weiss ja von Ihren "Umzugswirren", wir haben das alles, so weit über die Presse zugänglich, in Gedanken begleitet. Berlin war ja der Ursprung, und weil wir diese "alte" Geschichte samt den "Trennungen" damals nach dem Krieg aus erster Hand hier erfahren konnten, wir waren befreundet mit Gottfried Bermann-Fischer, der nur 200 Meter von uns entfernt in Camaiore/Pieve wohnte, und uns viel über jene Berliner Zeit erzählt hat, es gibt einen Haufen Kassetten davon, wußten wir einiges auch aus der Geschichte des Suhrkamp Verlages.

Freilich auch die ganze Nazi-und Emigrationsgeschichte.
Immer habe ich im Leben, auch in Bukarest die Bukowina-Kollegen und Celan, das Glück solcher Freuhndschaften gehabt und war so sehr motiviert, darüber zu schreiben. Auch wenn ich ja, was meine Herkunft betrifft (vielleicht gerade deshalb darüber schreiben musste!), da ich leider von der "anderen Seite", der "Täterseite" her komme. Und sogar der Auschwitzapotheker aus meinem Herkunfts-Nest stammt, mit meinen Eltern befreunde war, mich bis in meine Kindheit verfolgt. Enzensberger und Norman Manea rieten mir, darüber zu schreiben. Das hatte ich ja schon, seit über 30 Jahren - an diesem Trauma gearbeitet. Verarbeitet. So ist auch mein "Auschwitzapotheker", ja, meine ganze "Transsylvanische Trilogie" entstanden. Jetzt der dritte Roman "Transylwahnien" (Wahnien also).
"Capesius, der Auschwitzapotheker" ist 2006 bei Dietz in Bonn erschienen.Und hat seine "Weltreise" angetreten,er wird jetzt von den größten Verlagen in New York und London (Farrar Straus, Faber) Barcelona (Seix Barral) (Paris Denoel) Portugiesisch in Brasilien, dann Prag, Amsterdam, Jerusalem u.a. übersetzt. In Bukarest, Budapest,Krakau, Mailand ist es schon erschienen.
Sie sehen, wie "doppelgleisig" ich fahre, denn meine historischen Schocks führen zur "Transzendenz und Besinnung auf die Grenzen und Grenzräume, ähnlich wie es auch Celan, Walter Benjamin oder Gersholm Scholem gedacht und beschrieben haben. Bei Hölderlin heisst dieser Vorgang sogar "Vaterlandstage: "Vaterlandstage ist die Umkehr aller Vorstellungen und Formen". Ich habe es als Motto meines ersten Romans der Trilogie "Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens" (Benziger, 1986)gewählt.

Daher hat mich auch ihr "Überlebnis" so fasziniert, Liebe und Tod, dieser Schmerz auch als Geschenk, das Mitgenommensein, aber auch Mitgenommenwerden über alle denkbaren Grenzen hinaus... Und ich konnte gar nicht anders, ich habe viel daraus in "Zwischen Himmel und Erde" zitiert.

Ich lege Ihnen auch das letzte Buch der Trilogie: "Transsylwahnien" (2009) bei, (obwohl Sie dieses möglicherweise schon haben?!), es ist ein Buch zum Tode meiner Mutter...
Denn Tod und Liebe, das Dazwischen, auch der „Spalt“ sind auch mein Lebensthema. Ich habe viele Lyrikbände dazu (Lippe Lust, Herbst Zeit Lose, Tunneleffekt, Heimleuchten (2009), Der Tod ist nicht bei Trost (2010). Und das letzte Buch vorerst zu unserem Thema „Mein Krebsgang“, ein Überlebenstagebuch (2010, in Vorbereitung). Die Todeserfahrung durch Krebs, den ich überwinden konnte mit Meditation und alternativer Therapie (im Geistigen, auf das Informationsmuster meines Körpers zurückgreifend!)

So lege ich Ihnen wunschgemäß "Zwischen Himmel und Erde", an dem mein Herz besonders hängt (Ich konnte nicht anders, in die neueste Fassung ist nun auch "Überlebnis" und Ihr Interview eingegangen). Da ist ein langes Leben auch von Vorteil. Ich kannte noch Prof. Bender, habe mit ihm diskutiert, ihn interviewt, in seiner Zeitschrift vom Freiburger Lehrstuhl veröffentlicht, vor allem die Studie: "Die historischen Grundlagen der Grenzwissenschaft" (1978). Schon früh haben mich diese Themen fasziniert.
Und ich glaube, da gibt es eine Wahlverwandtschaft, die mich sehr freut. Und ich schätze die wissende und intuitiv-ahnungsvolle Tiefe Ihres Buches als Vorwegnahme einer neuen Zeit!
»Die Liebe ist des Menschen Sehnsucht nach Unsterblichkeit. Um Unsterblichkeit zu erleben, müssen Liebe und Tod erlitten sein.«

Mit herzlichen Grüßen aus Camaiore/Lucca nach Berlin
Ihr Dieter Schlesak

Donnerstag, 14. Januar 2010

SECHZIG-JAHRES-FEIER DER GÖPPINGER MARKTAPOTHEKE (Mit Kalender)

Dieter Schlesak

SECHZIG-JAHRES-FEIER DER GÖPPINGER MARKTAPOTHEKE (Mit Kalender)
Feier der „zivilen“ Nachkriegsapotheke des Auschwitzapothekers Dr. Victor Capesius

Auschwitz? Auschwitzapotheker? Capesius? Nie gehört! Sind wir schon in der Zukunft angekommen? Die „Neue Württembergische Zeitung“ in Göppingen feiert. Sie feiert das sechzigjährige Bestehen, der „Marktapotheke“ in Göppingen, sie hat sogar einen Kalender herausgegeben, in dem die Markt-Apotheke schön abgebildet und gefeiert wird: 60 Jahre Auschwitzapotheker: die Apotheke in Göppingen. Ein Jubelfest. „Göppinger. In den Goldenen Fünfziger. Die Guten Taten“. Es ist nicht zu glauben! Diese Apotheke wurde vom Auschwitzapotheker, der das Zyklon B verwahrte und „ausgab“ selbst an der Ermordung von Zehntausenden von Menschen beteiligt war, gegründet, und zwar, wie es im Prozess heißt, mit dem von ihm geraubten Gold, das von den herausgerissenen Zähnen der Ermordeten stammte. Er hat sogar noch zusätzlich einen „Schönheitssalon“ in Reutlingen „gegründet“, soviel Gold hatte er aus Auschwitz mitgebracht, das nach der Gründung der Marktapotheke, noch Gold für die Schönheit, pardon, den „Schönheitssalon“ übrig blieb! Wann wird dieser nun gefeiert?
Ich habe die Dokumente dazu in meinem Dokumentarroman „Capesius, der Auschwitzapotheker“ (Dietz, Bonn, 2006), veröffentlicht. In „Capesius, der Auschwitzapotheker“ sind Teile aus der Anklageschrift abgedruckt, auch was das geraubte „Gold“ betrifft. Capesius wurde auch wegen dieses Raubes verurteilt.

„Die NWZ sieht keinen Zusammenhang zwischen der Gründung der Apotheke und ihrem Gründer“, schrieb mir Werner Renz vom Fritz-Bauer-Institut Frankfurt, wo die Prozessakten des Auschwitz-Prozesses aufbewahrt werden. Hier der Brief des Chefredakteurs der NWZ Göppingen, ein Ort, der Kenner aufhorchen lässt, an das Fritz-Bauer-.Institut: „

Victor Capesius, der Gründer der „Marktapotheke“ wurde im Auschwitzprozess als Auschwitzapotheker zu neun Jahren Haft verurteilt, die er auch abgesessen hat.
Mit ihm und seiner Frau habe ich in der Marktapotheke 1976 und 1978 ein durchaus „historisch“ zu nennendes Gespräch über seine Tätigkeit als Auschwitz-Apotheker geführt. Es ist im Roman „Capesius, der Auschwitzapotheker“ zu großen Teilen abgedruckt. Es gibt aber seine Stimme im Gespräch, das in der gefeierten Marktapotheke zu Göppingen geführt wurde, also in „ seiner“ Apotheke, und als Marktapotheken-Gespräch bezeichnet werden kann, durchaus authentisch, aufgezeichnet auf CD und hörbar, es lässt sich auch beim Fritz-Bauer-Institut (Werner Renz), wo es archiviert ist, bestellen.
In diesem Marktapotheken-Gespräch heißt es unter anderem:

CAPESIUS (in Göppingen): „Ja, aber es sind 200 000 oder 250 000 gleich ins Gas gegangen, die haben nichts zu essen bekommen.“

In etwa 900 Tagen kamen über 600 Todeszüge mit über einer Million Juden und ca. 20.000 Sinti und Roma in Auschwitz an. Tag für Tag, Tag und Nacht waren die SS-Leute an der Massenvernichtung beteiligt. Die meisten Opfer gingen direkt ins Gas. Wenn die Türen 20 Minuten nach dem Einfüllen von Zyklon B geöffnet wurden, fanden die Häftlinge, die zu ihrer Räumung abkommandiert worden waren, bis zu 2.000 ineinander verkeilte nackte Leichen. Säuglinge, Kinder und Kranke, totgetreten auf dem Boden; dort breitete sich das Gas zuerst aus. Darüber lagen die Frauen, ganz oben die kräftigsten Männer. Um Geld zu sparen, wurde meist nicht genug Zyklon B eingeworfen, so dass die Tötung bis zu zwanzig Minuten dauern konnte und die schwächsten Opfer in ihrem Todeskampf unten blieben.

Aus dem Roman "Securitate". Erste Folge

Es ist mir klar, ich muss heute, wie versprochen, aus dem Roman SECURITATE etwas in den Blog stellen, eine Szene, die aus einer besonderen Erfahrung kommt.
Das Material habe ich nun gesammelt, es sind etwa 300Seiten. Ich überlege, was ich heute wählen soll: Ich entscheide mich für das heftigste Trauma, es ist die Verhaftungsszene und der Traum in der Zelle nach dem Verhör. Doch im Zentrum steht diese Diabolik des „Gewissens“ oder des schlechten Gewissens, das anerzogene Schuldgefühl, das der Staat damals gehörig bei unserer Autoren-Generation ausnützte, eine schizophrene Seelenfolter, die blind machte, und die fast metaphysische Ausmaße annahm, eben in die Zone des „Glaubens“ und der Glaubensfähigkeit reichte, es aber in der Gulag-Zeit nur „Überzeugung“ heißen durfte und sich mit fürchterlicher Angst vermischte.


Dieter Schlesak,

Die teuflischen Mechanismen der Securitate-Verhöre in den sechziger Jahren: Seelenfolter.
Aus meinem neuen Roman SECURITATE. (In Arbeit)

(Vgl auch diewsen Text in der ZEIT vom 14.Januar:http://community.zeit.de/)


„ …es blitzte mir, wie ein anderes Feuer durch den Kopf: Mircea! Ja, klar, deshalb hatten sie mich doch damals in Bukarest geholt. Ich sah das schmale Gesicht, die intelligenten leuchtenden Augen Mirceas vor mir. Bei Gertrud, Ediths Schwester, in ihrer kleinen Mansarde am Rosettiplatz im siebenten Stock. Ich saß mit Mircea etwas abseits auf einem Sofa in der ärmlichen Mansarde. Mircea hatte ein paar beschriebene Blätter seiner Aktentasche entnommen; ich las und erschrak: es waren Satiren auf den Diktator. Ob ich es wagen würde, die harmlosesten vielleicht, irgendwie in der Zeitschrift, wo ich damals Redakteur war, „unterzubringen?“ meinte er. Ich sah mich um und sagte flüsternd: „Ja! Aber ich müsste mehr davon sehen. Um im Versteckspiel mit der Metapher die Zensur hinters Licht führen zu können!“ Zum Glück aber hatte ich dann keine der Seiten mit mir genommen. Am nächsten Morgen schon kamen SIE, war Mircea von ihnen verhaftet und mit dem Auto, verhängte Fenster, nichts mehr war zu sehen gewesen… abgeführt worden…
Und damit begann auch meine Angst- und Verhörsphase mit „IHNEN“.

Es war ein Abend gewesen, auch diesmal mit Zeno, in unserer Lieblingspinte, einem fensterlosen Kellerraum. Zeno Salmens Gesicht vor mir, Zeno mit der runden Omabrille, wie eine doppelte Lampe die dunklen Augen. Zeno. Auch er erzählte gern. Und dichtete. Schrieb. Auch unter Lebensgefahr - die „Röllchen.“ Und so war er seelisch am Leben geblieben. Nur so kannst du mich jetzt noch vor dir sehn, Herr Genosse! So alberte er mit dem tödlichen Ernst. Doppelbödig seine podolisch-jüdische Intelligenz. In den Augen immer ein kleiner Schalk. Wir tranken aus Wassergläsern Moskowskaja Wodka. Er erzählte von Eliade, „was, du kennst Pe strada Mântuleasa nicht?“ und dann flüsternd: „Du mußt die Geschichte unbedingt lesen, es ist so, als wäre es deine und Mirceas Geschichte!“ Und Zeno sah mich komisch von der Seite an: „Da ist ein Held, der andauernd Geschichten erzählt, die SIE zu entschlüsseln versuchen, die Geheimpolizeiphilologen…“ „Die Geheimpolizeiphilologen?“ „Ja. Du kennst sie noch nicht?“ Und wieder sah er mich an, als wäre ich ein Baby. Und so war das, als wir dann hinaustraten auf die Straße, wer hatte mitgehört? Plötzlich kam ein Mann auf uns zu, schrie uns an: „Ich habe genau gehört, was ihr geredet habt, ich zeig euch an, ich ruf die Polizei!“

Immer wieder kommen diese Szenen mit Mircea hoch... mit den Manuskripten ... seinen Satiren. Eine Woche nach Mirceas Verhaftung holten SIE auch mich. Das Verhör am Anfang, das Verhör. Du zitterst. Du schreist. „Ich weiß nichts“, schreist du. „Du weißt“, brüllen sie dich an. „Wir wissen es, dass du es weisst, red, du verdammtes Schwein! Wo ist dieses dreckige Buch, wo ist das Manuskript von Mircea Palaghiu? Er hat alles gestanden, er hat alles gesagt, wir wissen alles, hier...“ Und der Knollengesichtige zieht eine Schublade auf, „hier, siehst du dieses Protokoll, da steht alles schwarz auf weiß: steht; bestätige es und du bist frei. Frei! Wo hast du es versteckt, das Drecksmanuskript. Dein Freund ist längst dort, wohin er hingehört: du weißt, die Hölle, der Kanal, du, sein Komplize, du weißt. Die Hölle der Kanal. Du, sein Komplize, Staatsverrat, rede oder du darfst ihm Gesellschaft leisten.“ Und so war es dann, auch ich kam für eine Zeit in diese Wahnsinns-Mühle… Und die Narbe am Unterleib, die manchmal noch brennt, sich zu bewegen scheint, zeugt immer noch davon… wie ein Bauchschuss war´s… nein, nicht im Verhörraum geschah es, es war unten im Keller, da wirst du für das Verhör präpariert … von Mitgefangenen…

Doch es ist in tieferer Abgrund, es reicht in andere Dimensionen als nur ins Sichtbare und so Fassbare, ich hab mich ja aus solcher Schwäche andauernd auch schuldig gefühlt, ähnlich wie Tasso der Kirche gegenüber, weil er nicht glauben konnte. Seine Selbstanzeige. Sein Wahnsinn. Ich kann das verstehen. Im Kommunismus ist die stärkste Gewalt das missbrauchte, fehl gelenkte Glaubensbedürfnis. So hab ich mich schuldig gefühlt, weil ich meine Zweifel hatte, weil ich das "Absolute", also die soziale Revolution nicht engagiert genug mitgemacht hatte, mich letztlich unfähig gefühlt hatte - auf allen Ebenen, das Unvollkommene am Staat, das Unrecht, die Verhaftungen, die Securitate usw. mit "Klassenkampf" und notwendigem Kampf wider die "Feinde" zu rechtfertigen, war mir doch genau bewusst, dass diese "Feinde" auch in mir selbst waren, ja, meine Substanz ausmachten. FEIND also, der ich wirklich war! So schloss sich ein diabolischer Zauberzirkel. Und ergab ein seelisches Inferno. Aber es war schlimmer: ich wagte es mir gar nicht zu erklären, und schon gar nicht, es mit jenem hehren Ziel zusammenzubringen, sondern hasste diesen Staat und seine Verbrecherpartei insgeheim bis in meine Träume; das Unbewusste war davon infiziert. Diabolische Erklärungen und Absicherungen dieser allen gemeinsamen Komplexe lagen in der Ideologie bereit: und der Zauberzirkel schloss sich wieder: meine Zweifel, meinen Hass führte ich dann auf meine "ungesunde Herkunft" zurück, diabolisch genug: alles was an biographischer Schwäche, an persönlicher Schwäche da war, zu Gunsten des Systems und für Schuldgefühle eingesetzt werden konnte. So war es auch bis hinein in die Verstrickungen, dass ich als solch ein "idealistischer" Stalinist Kollegen bekämpfte, da sie dem aufgezwungenen Schema gemäß nicht "richtig dachten" - aus Herkunftsgründen, wie ich meinte. Dabei sprachen sie aus ihrer Substanz heraus, ich aus meinem aufgesetzten diabolischen Gedankengebäude, das wir auch noch "Überzeugung" nannten, und wo ich also ein "Überzeugter war! Alles nur ein seelischer Zwang, denn eigentlich war ich ein unpolitischer Mensch, wollte in mich selbst und in mystische Literatur- Phantasien über das Rätsel des Daseins versinken, dort fand ich meine Schwingungsfähigkeit wieder, die vom Alltag gestört und unterbrochen wurde, dass mich Ekel überkam. Doch hier entstand dann wieder Schuldbewusstsein, weil ja all diese privaten Träume als bindungslose Dekadenz hart abgelehnt wurden. Zenos Verhaftung in Freiheit, die unsichtbare Verfolgung, war ein genaues Abbild meiner Lage. Doch bei einer Verhaftung erhältst du einen Schlag: es ist wie bei einer Todesnachricht. Angst kam hinzu, weil wir uns bei einer Festnahme ertappt fühlten. wenn auch nie auf frischer Tat; ich hasste den Staat, doch gestand ich mir diesen Hass nicht ein. Hatte Angst, diesen Hass hochkommen zu lassen, ja, maskierte ihn, wie die anderen, mit Ja-Sagerei, Jubel, fand krumme Wege zu Staats-Gunsten im DENKEN-.

Das Auto mit den zugezogenen Vorhängen; ich höre meinen Atem, ich spüre meine Hände, das glatte Vinillin wie ein Tier an den Händen, wenn ich mich am Sitz festhalte. Es riecht nach Schweiß. Ich schwitze, wenn ich Angst habe. Ich bin wie gelähmt. Ich werde ihnen sagen, ich bin doch Marxist! Und sie werden laut lachen, roh grölen. Witze reißen. Alles hat sich verändert. Das Straßenbild ist nicht zu sehen, die Geräusche sind nicht mehr vernehmbar oder so gedehnt, so zugespitzt, ein Autohupen zum Beispiel, als wäre jeder einzelne Laut abgetrennt, aus der Welt herausgeschnitten, so, als gehörte ich nicht mehr dazu. Es ist ein schöner, warmer Septembernachmittag, beharrlich Schweigende sitzen neben dir. Du bist wahnsinnig nervös. Prüfungssekunden zu Stunden gedehnt, bis du ganz erschöpft bist. Du bist eine schwache Natur. Du bist kein Held. Ein komplizenhaftes Verhältnis mit den Leuten in Zivil, die aber eine unheimliche Uniform ist, zwischen Verhaftetem und Geheimdienstleuten stellt sich etwas teuflisch- koboldhaft Vertrautes her. Ekel. Doch als wäre das Erbrochene neu geschluckt. Du machst mit. Fast untertänig. Lieferst dich ihnen aus, akzeptierst den Zustand ohne Protest, keiner hat einen Haftbefehl vorgezeigt, und du denkst nicht einmal daran, ihn zu verlangen. Rechte? Ha. Du hoffst, es sei nur ein "Versehen", sagst es, beteuerst deine Unschuld. Hast alle Zustände. Der Eingang, in den der Wagen jetzt einfährt, scheint so eng zu sein, dass du nicht durchkommst, doch du kommst natürlich durch, nur früher, war es undenkbar, dass du allein da hineinkommen kannst. Und gingst lieber auf die andere Seite der Straße. Der Vorhang hat sich verschoben, du siehst einen Lieferwagen, ein Brautpaar vor einer Kirche mit großen gelbroten Sträußen, zwei Männer streiten, doch alles summend und wie ein Traum, du gehörst nicht mehr dazu. Das Eisentor schließt sich. Du wirst eine Treppe hinaufgeführt, doch es ist keine Treppe, es ist eine Nerventreppe, es ist jetzt nichts mehr voraussehbar, es können die schlimmsten, dir die unvorstellbarsten Dinge zustoßen. Jede gewohnte Geste, etwa wenn du eine Verabredung hast, eine Freundin triffst, alles ist vorausschaubar, hier nicht. Genau jene Sicherheit, jene Überzeugung, die du meintest von ihnen zu erhalten, haben gerade sie jetzt zerschlagen. Von jetzt an nur noch Zweifel. Der Boden wankt….“