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Mittwoch, 29. Dezember 2010

Zum Roman "Blindlings" von CLAUDIO MAGRIS

6.Dezember 2010

Lieber Claudio Magris,

über Triest und unsere schöne freundschaftliche Begegnung, Ihre Einleitung, Ihre einfühlsam-wissende Moderation, das Gelungene des gemeinsamen Lese-Abends in Triest, das Runde dann durch den Abendessen- und Gesprächs-Abschluss zusammen mit Paola und Alexandra, - alles, habe ich wieder Ihnen zu verdanken: Auch sonst freilich mein literarisches Ankommen in Italien, mit dem „Auschwitzapotheker“ vor allem, und der Vorbereitung von „Transsylwahnien“!

Jetzt aber ist Ihr Roman „Blindlings“ da (Hanser 2007, dtv 2009), auch in mir, in meiner Schreib-Biografie, und verändert diese wieder. Das Buch hat in mir wie ein Stil- Erkenntnisblitz eingeschlagen, und ich bewundere Ihre Intuition, dass Sie mir das Buch unbedingt mitgeben wollten! Es gehört zu mir! Ja genau in diese schmerzhafte Kerbe des historischen Wahnsinns schlägt es rein. Und ich will es auch schnell sagen: Es fällt auf einen so fruchtbaren wartenden Boden, wo die „Rote Hölle“ nun nach dem „Apotheker“ wuchs. Doch gibt es noch eine ganz ungewöhnliche Faszination, einen bisher so nie gesehenen Rahmen
von „Transkommunikation“ und „Reinkarnation“!! (Sie haben ja mein Buch dazu).- Dieses alles verbindet sich und führt, davon bin ich überzeugt: zum vielleicht wichtigsten europäischen (zeitgeschichtlichen) Roman! Zu einer bisher (von mir jedenfalls) nirgends gelesenen absolut notwendigen Stilalchemie heute!

. Es greift auch einem noch ausstehenden, aber so wichtigen neuen Paradigma vor, und sollte als Vorbild einer neuen Geschichtsbetrachtung dienen, die freilich nur von der Literatur (vorgreifend) eingelöst werden kann. Und das haben Sie getan, und sonst in Europa noch niemand.
In Amerika vielleicht Thomas Pynchon, doch bei weitem nicht so überzeugend und auch so eingeschmolzen alles Not Wendige, auch die neue Physik, also LESBAR und überzeugend bei Ihnen!

Von der großen Schönheit vieler Szenen, die mir Glücksgefühle der Berührung beschert haben, so die Meeres- und Walfischszenen, überhaupt das Meer und die Schiffe, die Sturmschilderungen, das ist so STARK, dass es vielleicht nur ein Mensch vom Meere schreiben konnte, oder die Szenen der Hexenverbrennung, überhaupt von den filmischen Schnitten durch alle Epochen, ganz zu schweigen!

Triest! „Blindlings,“ ein neuer aber ganz anderer Joyce oder Conrad. Und durch die Furchtbarkeit tragischer Schicksale entdecke ich auch Parallelen zu Virgil Gheorghiu „25 Uhr“, doch das ist ein viel schwächeres Buch.

Und das alles in einem einzigen Gedankenstrom fast eines Kollektivbewusstseins! Der dichteste Ort des Alls: der menschliche Kopf, hier fast Prototyp oder Phänotyp! Und doch abenteuerlich und spannend. Das ist großartig in diesem Zusammenfinden, und dieses nur, weil da ein geborener Erzähler am Werk ist, einer, der auch „theoretisch“ „Bescheid weiß“ und alles kennt, es aber „vergisst“ und im Erzählen ankommt! Im durchdachten Erzählen und Jetzt des LEBENs aller Zeiten! Kein Zufall, dass die Literatur von Wissenden, auch im Theoretischen und Poietischen Beschlagenen, wie Sie und Eco, erneuert wird, neu gefasst und erfasst wird, als Avantgarde eines kommenden Stils, der ein kommendes Paradigma widerspiegelt Nur, Sie sind im Stil radikaler und wegweisender, doch von der Lesergemeinde, wohl auch von den Kritikern noch nicht erkannt und fassbar. Der Stil ist absolut revolutionär, und setzt neue Maßstäbe, ist so ungewohnt, dass man zuerst einen Schlag erhält, sich das Bewusstsein, die Lese- und Literaturgewohnheit, auch die eines Schreibers wie mir, sich umstellen muss, neu stellen muss!

Aber so geht es; Blindlings ist im Verhältnis zu seiner Bedeutung viel zu wenig bekannt. Und ich schließe mich ein, fühle mich verantwortlich, dass ich „Blindlings“ nicht selbst entdeckt habe!
Die Kollegin Herta Müller erhält für ihre Stilrüschen und ihren „Widerstand“ im längst Vergangenen, den Nobelpreis und nicht Sie. Doch es ist ja noch nicht aller Tage Abend!

Ich möchte so gerne etwas dazu beitragen! Doch meine Kräfte sind schwach. Ich kann vorerst in der großen Presse nur so etwas wie eine Rezension als eine Art „Aufruf“ anbieten, wohl nicht mehr. Höchstens Krüger hilft mit. Leider ist auch das Buch als Taschenbuch schon älter. Und das Original sogar 5 Jahre alt.
Doch eigentlich sollte das überhaupt nicht wichtig sein!

Ich bin nun wohl einer der ersten Autoren, der in Ihnen das Vorbild sieht, und mein nächstes Buch nun ganz in diesem Zeichen angefangen habe.
Indem ich parallel zur „Roten Hölle“, das ja wie der „Apotheker“ in gleicher Struktur auch eine Art Dokumentarroman sein sollte, nun dieses neue Buch über die Securitate und die rote Hölle hinaus schreiben will. Dabei möchte ich den Folterfaden und Gefängnisfaden durch die Qual der Geschichte ziehen, eben auch als „Gedankenstrom“ eines Einzelnen, einer durch das Erlittene zerstörten Seele in der Heilanstalt. Jedoch nun mit Szenen in all den vielen Jahren zum Thema, auch zu Auschwitz, entstandenen und noch unveröffentlichten Texten, so dass mein neues Buch, ich nenne es vorerst „ANGST“, wieder eine Collage zum Thema wird, freilich im Stil völlig verändert!

Lieber Claudio Magris, meinen ganz großen freundschaftlichen Dank für dieses Buch
Und die vielen so wunderbaren Anregungen, die ich durch Sie erhalten habe!
Ganz herzlich
Immer Ihr Dieter Schlesak



15.12. 2010

Lieber Dieter,
Ihr Brief hat mich glücklich, glücklich gemacht. Blindlings enthält einen großen Teil meines Lebens, meines Fühlens und Denkens,. Ich habe viele Jahre daran gearbeitet. Eben auch wegen der Schwierigkeiten der Form, der Unmöglichkeit, eine irrsinnige, gebrochene Geschichte ordentlich und verständlich zu erzählen. Ja, es ist ein Buch oder wenigstens ein Thema und eine Tragik, das es verbindet. Natürlich wäre ich glücklich, wenn Sie darüber schreiben würden, sehr glücklich.
Nächstes Jahr denken wir an Transsylwahnien. Ihnen und Ihrer Frau Alles Liebe und Gute. Bis auf bald! Claudio

21./25. Dezember 2010
Lieber Claudio,
Ja, ich werde weiter über „Blindlings“ schreiben. Freilich anders als in Rezensionsform, denn wie ich sehe, haben ja in Deutschland, in der Schweiz in Österreich schon 2007 alle großen Zeitungen sehr positiv über diesen wunderbaren Roman geschrieben, der ja von Ragni Maria Gschwend auch sehr schön übersetzt wurde. (Wir kennen sie, Lindes Kollegin, Linde ist ja selbst Übersetzerin aus dem Italienischen, hat viel übersetzt!)
Aber meine Art an das Buch heran zu gehen wird anders sein, ganz persönlich und als Notizen eines Autors, der da etwas entdeckt, was sonst nirgends zu finden ist!
Und es dann in einer Zeitschrift veröffentlichen; in meinem Blog (www.schlesak.blogspot.com) wird es, wie auch mein erster Brief, sowieso enthalten sein und auch in meinen Tagebüchern.

Es ist ja auch so: ich habe mich jahrelang mit Patientenkunst und mit Heilanstalten beschäftigt, über das Gesetz 180, Basaglia, sogar ein ganzes Buch bei Rowohlt herausgebracht (die geöffnete Anstalt Arezzo „dokumentiert“). In meinem Leben zwischen Ost und West ist es ja so, dass ich in der roten Zeit zuerst in Bukarest wie in einem Irrenhaus gelebt habe, dann durch die Aussiedlung und den Kulturschock nochmals gefährdet war, und mich nur Schreiben gerettet hat, einige der Kollegen, so Rolf Bossert, haben mit dem Tod bezahlt. Alexander (Klosterneuburg bei Leo Navratil), vielleicht der bekannteste schreibende Patient, fragte mich sogar: „Sind Sie auch?“
Dies also der Urgrund, warum mich „Blindlings“ so angerührt und für neues Schreiben („Angst“) geöffnet hat. Schon dieser MDP-Hintergrund: Ich bin viele berührt mich zutiefst und der Fragezeichen-Beginn.

Es ist seltsam, doch ich habe von Anfang an, seit Sie auch so nah durch den „Capesius“ kamen, doch es war ja schon bei der ersten Begegnung in Triest 1988 wohl, eine freundschaftliche Wahlverwandtschaft gespürt, die ja auch durch Triest (wo ich mich übrigens wie „zu Hause“ fühle, die Grenze, die k.und k.-Atmosphäre, als gehörte Siebenbürgen immer noch im Untergrund dazu, zwei meiner Großonkel haben in Triest studiert, und Sie haben ja all das tieferliegend Atmosphärische und Prägende schon im „Habsburgischen Mythus“ und immer mehr herausgearbeitet, nun in „Blindlings“ wie ein großer synthetischer Schlussstrich auf mich zukam.
Und ich fühle mich dabei auch mit „Transsyl-wahnien so nah. Und es würde mich ganz glücklich machen, wenn wir im nächsten Jahr wieder zusammen in diese Zone an Literaturabenden eintreten würden!

Ganz herzliche Grüße nach Triest von uns beiden aus unserem kleinen Agliano (alieno:der Fremde)
Auch viele liebe Weihnachts- und Neujahrsgrüße und Wünsche
Von
Dieter


NOTIZEN zu „Blindlings“

Wenn man in das Buch, wie in ein Leben eintritt, nicht einfach so „zusammenfassend“ darüber hinweg schreibt, als ginge es nur um ein überschaubares „Buch“, irrt man sich in der „Gattung“, dieses ist mehr als ein Buch, will es andauernd überschreiten, weil kein Leben fassbar ist, schon gar nicht solch ein Leben. Und die Gattung? Die fehlt, weil es dauernd um Fehlendes geht. „Was fehlt dir“- heißt ja krank sein.

Schon die ersten Seiten haben es in sich. Der Patient ist so alt wie meine Mutter, 1910 geboren, hat also die Hölle des 20.Jhdt. Mit 82 (1992) also erst eingewiesen? Klingt gar die Altersdemenz dieses blutigsten Jahrhunderts der Geschichte mit.

Schon gleich am Anfang erweist sich jeder bekannte Stil problematisch. Und doch wird’s gleich durchkomponiert, mit der „cartella clinica“, der Zellerfahrungen, der Arbeitslager als „Motive“, die durchklingen, und antiwilhelmeisterlich ein „hic et non“ setzen.

Gleich zwei Stilparallelen aus meinem Schreibleben fallen mir ein, denn ich will ja „Blindlings“ auch als Spiegel, nein als einen Spiegelsaal sehn, diese Notizen als Kollegengespräch, wobei wir beide „viele“ sind, sie aufbrechen lasen, das Ich also
Gleich aufgelöst wird, und nur Assoziationen gelten lassen.

Aus der Heilanstalt Arezzo brachten wir ein Manuskript einer Kranken mit, die 1914 zwangseingeliefert wurde und 65 Jahre im Irrenhaus verbrachte: Adalgisa Conti. Wir haben ihre Briefe an den Arzt als Buch herausgebracht.

Genau um solche Briefe eines Kranken, Salvatore Cippico, der durch Gefängnisse, Irrenhaus, Lager, auch Dachau, aber vor allem Titos Strafinsel Goli Otok, eine zerstörte Psyche hat, an seinen Arzt, den er „Cogoi“ nennt, oder ist es nicht der Arzt, sondern er selbst?handelt es sich. Nichts ist sicher, nicht einmal die Namen oder die Personen! Salvatore sich aber auch mit einem Dänen Jörgenson aus einem andern Jahrhundert vermischt, überhaupt wie ein Wiedergeburtswesen durch die Zeiten geistert, bis ins alte Rom, also wie eine kollektive Figur agiert, ähnlich wie mein Adam aus dem „Capesius“.

Denn ich denke von Anfang an an „Capesius, der Auschwitzapotheker“ bei dem es unmöglich war zu erzählen, daher eine Collage entstand und Stellvertretererzähler, wie Adam nötig wurden.

Schön hat das große „Lamento“ dieses irren Gedankenstroms die ZEIT beschrieben, dass Salvatore:
"wie im Delirium" seine Lebensgeschichte auf Band spricht. Im Verlauf dieses hoffnungsvernichtenden Monologs rechne er mit allen Utopien ab. Am Ende sei er verschwunden und nur noch das Tonband da. Wir erfahren, dass der Held mit dem sprechenden Namen Salvatore Cogoi an allen revolutionären Fronten des 20. Jahrhunderts gekämpft und gelitten hat - Spanischer Bürgerkrieg, Weltkrieg, Konzentrationslager und Titos Gefängnisinsel. Daher ziehe sich auch das Grauen der verschiedenen Todeslager der ideologischen Systeme wie eine Blutspur durch die Suada dieses Heimatlosen, dessen Ich von der "Flutwelle der epochalen Schrecken" zerstört worden sei. Trotz der geschilderten Verheerungen muss das Buch von großer Schönheit sein… (Kristina Maidt-Zinke)

Genau. Nochmals drei Momente, die dieses Buch wie zu meinem eigenen machen. Diese Kunst des Verschwindens. Und das übriggebliebene Tonband. In „Transsylwahnien“ das Spiel am Ende des Buches mit der „Tatsache“ im Flugzeug, das bei einem Absturz im Buch, das Buch verschwinden würde. Der Autor aber in der „Wirklichkeit“ überlebt.
Und dann: Das Gift der Ideologien, der Versuch, ihnen zu entkomme. Sie, ja alle Utopien als blutige Illusionen zu entlarven. Was im „Capesius“ besonders drastisch geschieht. In der „Roten Hölle“ auch für den Kommunismus mit seiner Securitate gilt!
Dabei ist Salvatore Kommunist, hat unter den Kommunisten vor allem zu leiden! Was besonders absurd, aber auch erhellend ist und bleibt.
Ich muss daran denken, wie mir schallendes Gelächter der Securitateleute beim Verhör entgegenschlug, als ich treuherzig bekannte: „Was wollt ihr, ich bin doch Kommunist!“ So blauäugig, als hätte es die „großen Säuberungen“ nicht gegeben, und als wären nicht die Hauptgegner des Gulag-Kommunimus die gläubigen Kommuni-sten selbst.

Wie oberflächlich doch die Rezensionen sind, so in der NZZ (Richter), wo nicht einmal der Name der Hauptfigur richtig geschrieben worden sind: dazwischen mischen sich Wahnvorstellungen, in denen Cippio sich mit Jorgen Jorgensen verwechselt, einem dänischen Dichter, der 1803 in Tasmanien eine britische Strafkolonie gründete und drei Wochen lang König von Island war, fasst der Rezensent den komplexen Stoff zusammen. Für Richter bietet der Roman so etwas wie die "Summa" aus dem bisherigen Werk des Autors. (…) Tief beeindruckt ist der Rezensent von Magris' Fähigkeit, seinen umfangreichen Stoff zu bewältigen

Die Identitätsverwirrungen sind wichtiger. So dass Salvatore gleichzeitig auch JUrgenson ist, der 1803, Hobart Town, die Strafkolonie in Tasmanien gegründet hat, wo 1910 dann Salvatore noch einmal geboren wird. Irrenphantasie oder Wahrheit. Jedenfalls Roman.

Ich habe solche Zeitauflösungen mehrfach probiert, sie sogar zum Programm erhoben.
Im Roman „Der Verweser“ praktiziert, wo eine Figur im sechzehnten Jahrhundert im Torre Matilde von Viareggio lebenslang eingemauert wird, dort, um sich zu retten im Finstern auf die Mauer die Lebensgeschichte des heute lebenden Autors Templin projiziert, dieser wiederum erinnert, als Wiedergeborener sein Leben als Nicolao Granucci in Lucca. Im Roman „Vlad, die Dracula Korrektor“ häufen sich solche Wiedergeburtsszenen. Und in meinem Essayband „Zwischen Himmel und Erde. Gibt es ein Leben nach dem Tod“ (2010), versuche ich mit reichhaltiger Bibliographie Indizien und theoretische Grundlagen dafür zu finden, das wir alle mehrere Leben leben, auch für „Ich bin Viele“..

Und heute Nacht fielen mir Irrenhausgedanken zu „Blindlings“ ein, dass auch Pastior „eingeliefert“ worden war, träumte ich, und dass wir uns umarmten und streichelten. Ich dann bei einem OP-Fest, zu einem Text von ihm, der aus vier Kapiteln bestand, der aber unauffindbar war, etwas sagen, ja, erfinden sollte.

Und dann eine Hommage an „Blindings“, der Anfang meines Romans „Angst“:


1
Ich heiße „Ich“ und bin ein kranker Mensch, sagen sie! Wer aber ist nicht krank? Nur die Toten sind „gesund“.

Bald wird die Spritze kommen. Der Nadelmund mit einem Tropfen an der Spitze, rausgelassene Luft, zugelassener Schmerz, die Nadel tief in den Bauch. Heute wieder die Platten auf der Brust, ein Schlag, du bäumst dich auf. zwischen Mühlsteinen. Bald kommt die Schwester... nicht Korn, der Körper wird zwischen den Platten zerrieben und gemahlen... Da geh ich lieber aufs Meer hinaus, eine Kajüte, sogar am Meeresgrund ist besser. Kabine mit Hängematte, kein Gitterbett. Meer, Meer in Triest oder auch hier in V. Lieber vom Felsen ein Kopfsprung und gespaltener Schädel, als die kalten Metallelektroden an der Stirn, die mich zuckend abhorchen, ausspionieren, um nachher dem Doktor zu berichten. Das Meer tut so etwas nicht, es ist zu groß, es weiß schon alles. Die Gitterstäbe aber, das Leintuch, die Kissen, sogar mein Atem horchen mich aus; nichts als Spitzel und IMs um mich. Nur wenn ich die Augen schließe, mir die Ohren zuhalte, den Mund fest verschließe, scheinen sie aufzuhören, mich zu beobachten. Ich sehe es genau, jetzt dies Bildschirmfenster… immer blickt es mich, alles blickt mich frech und grinsend oder hohlwangig und zum Sterben müde, an, blickt meinen Blicken als Spion zurück!
Es bleibt das Zahnfleisch, rot, nicht nur weil der Skorbut auch hier bei den Ex-Fischern von San Fruttuoso abgeschafft wurde ,die Stimmung am 1. März, wenn der Himmel bewölkt und das Meer schwarzblau bewegt ist, es ist fast das gleiche wie vor hundert Jahren. Und ich sehe auch Mario wie er zaubert und peitscht, die Dinge tanzen lässt, wenn ich das doch auch könnte! Mich aber bringen sie um! Dabei heisst es doch, sie seien „Gottes Werk“, wie ich übrigens ja auch, und wir gehörten zusammen, sollten uns lieben. Salvidan , kalvidan, Brahma! Alles. Blödsinn!

2
Ich schließe also die Augen, höre die vielen Phantome der Ars lettera, lange unendlich lange Fahnen von Berichten… aus einer Höllenmaschine wie ein riesiger Anus. Endlich aber was Schönes und Leises: ein Motorboot und noch eins, Wassermotorrad, wahnsinnig schön, weil reallaut, Verkehr wie mittags der Berufsverkehr in Rom. Ich hatte Gottseidank die Ohren nicht mehr zugehalten, das höllische Summen war weg; und ich höre mir das Wasser an, wie es schlägt und rauscht. Wie damals im minoischen Kreta als die Welt rot unterging. Wir waren da gerade beim Liebesakt; wie hieß sie nur, wie hieß sie nur… Es war doch eben jetzt!

Aber ich täusche mich, das Wellengebraus hört Mich, ich höre mich, im Ohr ist der kleine Herrgott, Herr ICH. Furchtbar, nie allein sein zu können! Nur Spitzel, Spitzel, Spitzel. Von oben aus dem Himmel grinst „Stein Otto“ durch einen Wolkenspalt und sagt: Ich seh dich! Du versteckst dich ganz umsonst! Und der „Leopold“ neben ihm, stapelt eine Riesenleiter aus Büchern bis herab zur Erde, ganz unten „Das Kapital“ als Bettvorleger, legt sich ganz flach wie ein brüllendes Bärenfell an meine Füße, und der alte Leopold aus Cernowitz, mein bester Freund damals, sagt: Du warst ganz schön blöd, mir alles zu erzählen. Und jetzt wieder! Schreib doch nicht so viel, bekenne nichts! Ich les alles, kopiere es mit der Minolta. SIE bekommen alles, alles. Und sie drehen dir daraus einen Strick, nein eine schön tönende Klavierseite, die schneidet tief in den Hals, bevor du erwürgt bist! Dazu „Silviu“ im Morgenmantel mit einem Dolchgesicht, mein Lehrer. Er macht eindeutige Gesten. Er greift mir an den Hosenschlitz. Und auch „Walter“, der plötzlich einen IM-Tango mit „Tatiana“ hinlegt, die mir ihre Schwarze wie einen flüsternden Mund am Ohr von Jordan zeigt, der sie leckt! Und alle singen lachend die „Internationale“ mit Endgezisch auf Rumänisch. Ich liebte sie einmal diese Sprache…!


Und lese nun heute wieder weiter, ich sage keine Datum, weil ja jeden Tag „heute“ ist, es also für alle Tage gibt, auch wenn heute der 23. Dezember ist.
Ich bin also auf S. 152 und gerade ist von der absolut fortschrittlichen Wirkung des Gefängnisses die Rede, weil man so viel da lernt, vor allem auch den Abschied, aber auch, dass nicht das persönliche Leid zählt, sondern das aller. Gemeinsinn also lerne man „Diese Stationen sind die des Fortschritts, man steigt mit erhobenem Kopf auf, es ist unser gemeinsamer Weg, die Milchstraße unserer Pilgerfahrt samt Heil.“ Sogar zur Securitate würde ich das sagen. Man gewinnt als Autor, ja, als Einzelner an Bedeutung, an Wert, so vom Staat beachtet und beobachtet zu werden. Wie wenig gilt man dann im Westen und in „Freiheit“. Da kommt dann alles Menschliche, die condition humaine schlimm auf uns „privat“ zu, der Tod, diese andere, schlimmere Angst.

Doch noch etwas wird gesteigert: die Wahrnehmung in der Zelle ist stark konzentriert. Und – jeder lernt, dass Kultur, Geist der wichtigste Widerstand sind. Einige sprachen sogar von „unseren Universitäten“, denn in Gemeinschaftszellen wurde heftig gelernt, es wurden Vorträge gehalten, Seminare, Diskussionen gab es. Wenn auch nicht gerade im Foltergefängnis „Piteṣti“, wo sich die Insassen gegenseitig Tag und Nacht quälten.




Einen Tag später ist Heilige Nacht dann wohl. Und ich mache mir „Blindlings“ zum Geschenk, denn die Assoziationen, die mich glücklich machen und meine Depressionen vergessen lassen, laufen weiter wie die Parallelen. Und entdecke in Kapitel 22, dass er sich auch mit Salvatore, was ja Retter heisst, alles aneignet und „einverleibt“ mit diesem Hunger auf Welt; so auch die Autobiographie des Dänen, der Hobart Townes 1803 gegründet hat, die er im Hinterzimmer eines Antiquariats liest, und sofort als seine eigne entdeckt, er also Johansen IST! Wie er dann auch der später Wiedergeborene Salvatore, wie ich die von Nicolao Granucci in der Biblioteca Statale von Lucca, mir auch sofort klar war, dass ich doch mal Nicolao gewesen war. So hat Salvatore plötzlich viele genaue Details vor allem von den vielen Schiffsfahrten. So mit der Alexander ums Kap Horn.

Und noch etwas wird mir klar, es gibt keinen Anfang und kein Ende, weil es keine Zeit gibt, die nichts als Menschenillusion ist; so ist es auch egal, wo man das Buch aufschlägt und liest, wenn ich jetzt auf S. 367 bin, so finde ich genau die Liebesgeschichten, die ja eigentlich Todesgeschichten sind, mit den Galionsfiguren, so mit „Maria“, die er persönlich mit der Axt köpfte, im Meer versinken ließ, „Galatea“ oder „Rebecca“, die Galionsfigur eines Walfangschiffes, die sie am Ufer begruben mit „Leichenbier“ begossen. Samt Requiem. Maria aber wurde den Haien übergeben und dem Meer. Verliert bald jede Form, wird ein Stück Holz, wie auch der Mensch, von Fischen zerfressen, ein Stück unkenntliches Fleisch. Und muss an Shelley denken, der hier vor Viareggio ersoff, der auch nur durch Bücher, die er in der Rocktasche trug, erkenntlich war, Byron verbrannte ihn dann hier am Strand.

So wie ich schreibe, ähnlich wie „Blindlings“ strukturiert ist, lese ich auch, niemals schön eine Seite nach der anderen, von Anfang an, sondern meist vom Ende her, dann in der Mitte, vielleicht die Anfangsszene am Schluss.

Doch dieser Schluss, die totale Befreiung, die der Absenz, wenn das Zimmer leer ist, wenn auch die Patientenakte verschwunden ist, alle Gesetze, nach denen Leben funktioniert.




Rezensionsnotiz zu „Blindlings“:
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.01.2008
Beeindruckend, aber auch ein wenig zwiespältig scheint Pia Reinacher dieser Roman von Claudio Magris. Sie bewundert die komplexe, musikalisch komponierte Erzählstruktur des Werks, den Reichtum an starken mythologischen Bildern und den unbändigen Strom der Sprache. Im Mittelpunkt sieht sie einen Mann mit gespaltenem Bewusstsein, der in einer psychiatrischen Klinik in Triest seine ausufernde, abenteuerliche Lebensgeschichte berichtet, immer getrieben von der Suche nach der eigenen Identität. In diesem Erzählschwall spiegeln sich für Reinacher Schrecken und Schönheit, Wirrnis und Erleuchtung des europäischen Jahrhunderts. "Unerwartet" wachsen dem Leser in ihren Augen "Einsichten" zu. Allerdings tut ihr der Autor mit den zahllosen Anspielungen aus Mythologie, Literatur- und Menschheitsgeschichte zu viel des Guten. So fühlt sie sich bisweilen überfahren von der "Überfülle an geballtem Wissen".
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 08.11.2007
Als ausgesprochen heilsam hat Rezensentin Kristina Maidt-Zinke die Lektüre dieses Romans empfunden, obwohl es sich aus ihrer Sicht um "ein gewaltiges Lamento", einen "gnadenlosen Abgesang" auf das 20. Jahrhundert handelt. Schauplatz ist Maidt-Zinke zufolge eine psychiatrische Anstalt an der Peripherie von Triest, wo ein Patient seinem Arzt "wie im Delirium" seine Lebensgeschichte auf Band spricht. Im Verlauf dieses hoffnungsvernichtenden Monologs rechne er mit allen Utopien ab. Am Ende sei er verschwunden und nur noch das Tonband da. Wir erfahren, dass der Held mit dem sprechenden Namen Salvatore Cogoi an allen revolutionären Fronten des 20. Jahrhunderts gekämpft und gelitten hat - Spanischer Bürgerkrieg, Weltkrieg, Konzentrationslager und Titos Gefängnisinsel. Daher ziehe sich auch das Grauen der verschiedenen Todeslager der ideologischen Systeme wie eine Blutspur durch die Suada dieses Heimatlosen, dessen Ich von der "Flutwelle der epochalen Schrecken" zerstört worden sei. Trotz der geschilderten Verheerungen muss das Buch von großer Schönheit sein, woran der Rezensentin zufolge im Deutschen auch die Übersetzerin einen beachtlichen Anteil hat. Und beeindruckende Frauengestaltten, an denen Claudio Magris die Klagewelle immer wieder brechen lasse.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 18.10.2007
Den Roman "Blindlings" preist Steffen Richter begeistert als wohl bisher bestes Werk von Claudio Magris. In dem Bericht, den Salvatore Cippio seinem Psychiater in einer geschlossenen Anstalt bei Triest von seinem Leben gibt, versammeln sich die Schrecken des 20. Jahrhunderts; der italienische Kommunist Cippio erzählt von Dachau, wo er als Partisan von den Nazis inhaftiert wurde und von der Gefängnisinsel Goli Otok, wo er unter Tito von den eigenen Genossen eingesperrt wurde, dazwischen mischen sich Wahnvorstellungen, in denen Cippio sich mit Jorgen Jorgensen verwechselt, einem dänischen Dichter, der 1803 in Tasmanien eine britische Strafkolonie gründete und drei Wochen lang König von Island war, fasst der Rezensent den komplexen Stoff zusammen. Für Richter bietet der Roman so etwas wie die "Summa" aus dem bisherigen Werk des Autors. Tief beeindruckt ist der Rezensent von Magris' Fähigkeit, seinen umfangreichen Stoff zu bewältigen und trotz der zahlreichen Abschweifungen, in denen sich der Autor ergeht, seiner Geschichte einen überzeugenden Rhythmus zu geben. Am Ende lobt er noch die Übersetzerin Ragni Maria Gschwend, an die dieser Roman hohe Ansprüche gestellt habe.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 09.10.2007
Weniger wäre hier mehr gewesen, meint Lothar Müller zu diesem aus der Spur laufenden Zeitroman von Claudio Magris. Was der Autor an Historischem aufnimmt (die jugoslawische Strafinsel Goli Otok zum Beispiel), um die Irrwege der italienischen Linken zu verarbeiten, erscheint dem Rezensenten im "monströsen Monolog" der Erzählerfigur erst authentisch uneins, bald jedoch zu sehr der Privatmythologie des Autors folgend, als dass er sich an einen roten Faden halten könnte. Magris' "Leidenschaft für die Literatur des Meeres" katapultiert den Text für Müllers Begriffe etwas übers schöne Ziel eines "europäischen Gesamtromans" hinaus.

Claudio Magris: Blindlings. A.d. Ital. v. Ragni Maria Gschwend. Hanser, München. 416 S., 24,90 €. – Der Autor stellt seinen Roman am 23.9. um 20 Uhr in der Akademie der Künste am Pariser Platz vor.

Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2009.

Freitag, 17. Dezember 2010

Die "Aktionsgruppe Banat" in den Akten der Securitate. Sinn und Form November/Dezember 2010

Dieter Schlesak
17.Dezember 2010


Sehr geehrte, liebe Frau Dr. Kienlechner,

eben habe ich Ihren ausführlichen und sehr genau recherchierten Artikel über die „Aktionsgruppe“ gelesen und einiges Neues und Wichtiges erfahren, das mir auch in meiner Arbeit und in der nun notwendig gewordenen Aufarbeitung des eigenen Werkes, ja , des eigenen Lebens auf dem dieses Werk beruht, neue Denkanstöße gibt, ein Werk, das ja mit den beiden Diktaturen, braun und rot, sowie mit den Folgen, dem Exil umgeht. (Vgl.– www.dieterschlesak.de). Wobei ich eben an einem Securitate-Buch („Die rote Hölle“) arbeite, und nicht wenig, mir vor allem jetzt durch den Fall Pastior, der mich bespitzelt hatte, sehr viel an aufzuarbeitendem „Akten-Material“ über die Gulag-Securitate-Epoche vorliegt. Die darauffolgende Securitate-Epoche war dagegen „sanfter“, wenn auch in der Spitzeltätigkeit intensiver.

In William Totoks Buch „Die Zwänge der Erinnerung“ ist auch einiges an Information enthalten, wie ich damals (in den siebziger und achtziger Jahren) vom Westen aus versucht hatte, der „Aktionsgruppe“ mit meinen Mitteln beizustehen!

Mir liegt viel daran, dass Sie dieses wissen, da Sie sich ja nun ausführlich mit der „Aktionsgruppe“ in jener schwierigen und gefährlichen Phase befasst haben, und sich einige kleine Fehler in Ihren Aufsatz eingeschlichen haben.

So etwa: Dieter Schlesak, einem „in der BRD lebenden rumäniendeutschen Schriftsteller“ gelangte Totok-Brief und Material zum Artikel in der FR vom 10.Juli 1976 nicht irgendwie „in die Hände“, sondern wurde mir von der Familie und Freunden damals zugeschickt, um etwas zu unternehmen, damit Willi und die andern der Aktionsgruppe geschützt werden; ich habe dann einen Artikel „Kulturpolitik mit Polizeieinsatz“ verfasst und veröffentlicht. In diesem Artikel hatte ich, wie Sie richtig schreiben, auf Verlangen der Aktionsgruppe, „dekonspiriert“, nämlich, dass Totok und Ortinau als „Doppelagenten“ wirkten.

Weiter: Es handelt sich bei der Veröffentlichung in der FR zu den zwei wichtigsten Momenten der Unterdrückung , eben jenen der „Dekonspiration“ und jenen der Befreiung William Totoks, nicht um zwei verschiedene Artikel. Bei jenem, der angeblich auf einem Totok-Brief beruhte, den Wichner „der Presse zugespielt“ haben soll, handelt es sich um den gleichen Artikel, nämlich um meinen Artikel vom 10. Juli in der FR. Es stimmt auch nicht, dass durch Ernest Wichner oder wen auch immer „in den anderen westlichen Ländern“, die „Öffentlichkeit darüber informiert“ wurde, sondern es handelte sich um eine Veröffentlichung in „Le Monde“, die ich über meinen Freund, den Romancier Dumitru Tepeneag, der in Paris lebte, in „Le Monde“ untergebracht hatte, der dann parallel, als „Aktion“ also, mit dem FR-Artikel erschien und ( wenn auch nur als Notiz) einen ähnlichen Inhalt hatte!

William Totok wurde dann auch nicht irgendwann „im Sommer“ entlassen, sondern gleich nach Erscheinen des Artikels in der FR und der Notiz in „Le Monde“. Von einer „Verwarnung“ weiß ich nichts. Willi Totok wurde vor eine Kommission geladen, wo sogar ein General den Vorsitz führte, und sollte nun den FR-Artikel dementieren, einen Text verfassen und der Zeitung zuschicken, aber auch mit anderen bekannten Rumäniendeutschen im In- und Ausland Kontakt aufnehmen, und sie bitten, gegen diesen Artikel anzuschreiben, was William Totok tapfer verweigerte. Es gibt dazu einen ausführlichen „Maßnahmeplan“ der Securitate, den mir Totok zugeschickt hat. Ich kann Ihnen diese ganze ausführliche Akte per mail zukommen lassen. Oder auch Willi Totok könnte dieses tun.

In meiner eigenen Akte, die ich jetzt eingesehen habe, ist ebenfalls eine maßlose Verfolgung gegen mich nachzulesen; ich befand mich 1976 Gottseidank schon im Westen, diese Verfolgungsakte, die freilich auch wegen anderer „Delikte“, vor allem wegen meines „illegalen Grenzübertritts“ (transfugul),Zeitungsartikel, Radiosendungen etc. gegen das Gulag-Rumänien und dann auch das Ceauṣescu-Regime angelegt wurde, führte letztlich dazu, dass ich als „persoana nondeziderabila“ und „Staatsfeind“ „erfasst“ wurde, und ein Militärgericht mich (in Abwesenheit) zu sieben Jahren Haft verurteilte.

Es gibt viel zu zitieren. Und das alles gehört ganz sicher zu Ihrem Thema „Die Aktionsgruppe Banat in den Akten der Securitate.“

Ich habe vor, im März für mein Buch „Die rote Hölle“ einen Essay mit viel Aktenmaterial zu diesem Thema zu schreiben, da sich in meinem Nachlass auch viele Briefe und Tonbandbriefe von Nikolaus Berwanger, mit dem ich befreundet war, befinden, die die späte Phase der „Aktionsgruppe“ neu beleuchten könnten. Ihren wichtigen Aufsatz werde ich dabei gern und oft zitieren.

Ihnen alles Gute und schöne Grüße nach Berlin

Von Dieter Schlesak

Dr.h.c. Dieter Schlesak,
Pieve 327. Agliano
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In Deutschland: Tizianweg 5, 70192 Stuttgart
schlesak@tiscali.it; dieter.schlesak@gmail.com
www.dieterschlesak.de ; schlesak.blogspot.com

Donnerstag, 9. Dezember 2010

ZU PASTIOR Interviews und mein Radiogespräch

Herta Müller: Pastiors andere Seite verbittert mich

Herta Müller lernt einen anderen Pastior kennen.
Berlin (dpa) - Nach der Enthüllung neuer Spitzelvorwürfe gegen den Schriftsteller Oskar Pastior (1927-2006) zeigt sich seine langjährige Kollegin und Freundin Herta Müller (57) «verbittert».
Die Berichte des früheren rumänisch-deutschen Literaturredakteurs Dieter Schlesak, nach denen Pastior in den 60er Jahren Autorenkollegen für den rumänischen Geheimdienst Securitate bespitzelt habe, hätten ihr Bild Pastiors verändert, sagt die Literaturnobelpreisträgerin in einem exklusiven dpa-Interview.
Wie reagieren Sie auf die neuen Vorwürfe gegen ihren langjährigen Freund Oskar Pastior?
Herta Müller: «Ich bin entsetzt. Mit den Gefühlen muss ich allerdings selbst fertig werden, das Hauptproblem sind die Tatsachen. Die neuen Berichte haben mein Bild über Oskar Pastior verändert. Mit der Unschuld ist es nun vorbei. Ich werde ihn nicht mehr in Schutz nehmen können und diese neuen Fakten entsprechend einordnen müssen.»
Haben Sie die Enthüllungen von Dieter Schlesak überrascht?
Herta Müller: «Ja, denn bisher hatten man in der Securitate-Zentrale in Bukarest keine Spitzelberichte gefunden. Ich glaubte bisher, Pastior habe wie tausende anderer "Inoffizieller Mitarbeiter", die in den 50er und 60er Jahren unter dem Druck der Haftandrohung standen, durch eine Verpflichtungserklärung versucht, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Man unterschrieb, lieferte aber dann keine Berichte. Solche Fälle gibt es tausende aus jener Zeit. Diese Annahme hat sich als Irrtum erwiesen. Ich halte es nun für wahrscheinlich, dass es weitere Berichte von Oskar Pastior gibt.»
Dennoch bleibt der Fall Pastior ein tragischer Fall...
Herta Müller: «Es die Geschichte eines Menschen, der aus einem sowjetischen Lager in die Unfreiheit entlassen wurde. Er war in einem Spagat gefangen zwischen seiner Homosexualität und den Erpressungsmöglichkeiten der Securitate wegen sieben Gedichten, die er über das Lager geschrieben hatte. Sie wurden ihm zum Verhängnis, galten als anti-sowjetische Hetze.»
Ihr Buch «Atemschaukel» beruht auf Pastiors Schicksal. Würden Sie das Buch in Kenntnis dieser neuen Vorwürfe heute anders schreiben?
Herta Müller: «"Atemschaukel" beruht hauptsächlich, aber nicht nur auf Pastiors Erinnerungen aus dem Lager. Ich hatte das Bedürfnis, das Buch zu schreiben und hatte vorher schon recherchiert und mit anderen Personen Gespräche geführt. Es wäre zu der Zusammenarbeit mit Oskar Pastior wohl nicht gekommen, wenn ich von seiner Verstrickung mit der Securitate gewusst hätte. Ich habe drei Jahre lang mit ihm an dem Buch gearbeitet, wir wollten es sogar gemeinsam als Autoren herausgeben. Wir haben viel über seine Kindheit vor dem Lager gesprochen, aber kein Wort über die Zeit danach.»
Hat es von Pastior keine Andeutungen über seine Zusammenarbeit mit der Securitate gegeben?
Herta Müller: «Es gab von ihm nie einen Hinweis auf dieses Kapitel in seinem Leben. Ich habe jetzt den Eindruck, Pastior hatte damit für sich innerlich abgeschlossen. Die Akten in Bukarest waren damals noch nicht zugänglich. Pastior hatte sich ja nach dem Wechsel in den Westen dem bundesdeutschen Verfassungsschutz, der CIA und dem britischen Geheimdienst "restlos anvertraut", wie es auf einem handschriftlichen Zettel steht, den wir nach seinem Tod in der Wohnung gefunden haben. Der Verfassungsschutz sagt, er habe keine Akten mehr aus dieser Zeit. Vielleicht finden sich bei den Alliierten noch seine Erklärungen von damals.»
Dieter Schlesak hat angedeutet, dass Pastior für das Schicksal des siebenbürgischen Lyrikers Georg Hoprich verantwortlich sein könnte, der verhaftet wurde und 1969 Selbstmord beging.
Herta Müller: «Das beruht nur auf Hörensagen, dazu gibt es bisher keine Dokumente und ich finde es unverantwortlich von Schlesak, aus Behauptungen solch schwere Vorwürfe zu erheben. Den IM "Stein Otto", wie Pastiors Deckname lautete, gab es noch nicht, als Hoprich 1961 verhaftet wurde. Sollte es allerdings stimmen, dass Pastior später Hoprich nach der Haft bespitzelt hat, wäre das fürchterlich. Bisher wurde nur Hoprichs Gerichtsakte gefunden, in der "Stein Otto" nicht vorkommt. Seine Securitate-Akte ist noch nicht gefunden worden.»
Welche Konsequenzen haben die Enthüllungen nun für Sie persönlich?
Herta Müller: «Es gibt Oskar Pastior zweimal. Ich lerne erst jetzt den zweiten kennen. Und das verbittert mich. Ich gehe davon aus, dass wir von der Pastior-Stiftung bei unserer nächsten Sitzung eine Forschergruppe beauftragen werden, das ganze Umfeld Pastiors zu untersuchen. Und wir müssen uns jetzt zur Aufgabe machen, die Verstrickung von Schriftstellern und Geheimdienst in der Diktatur - auch an Oskar Pastiors Beispiel - zu untersuchen. Aber das geht nicht von heute auf morgen. Die Öffentlichkeit muss Geduld haben. Dafür braucht es Zeit.»
Interview: Esteban Engel, dpa

Wichtiges Radiogespräch zum FALL:

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DIE VERKEHRTE WELT IN DER WIR LEBEN
Gesteigert noch durch den Securitate- und Nazisumpf
Vergangenheiten, die nicht vergehn

Wer sich mit der sogenannten „Öffentlichkeit“ einlässt, mit den Medien, der Presse, und meint, auf diese Weise Recht und Gerechtigkeit zu finden, Wahr-heit und Wahrhaftigkeit in einer Welt von Rachsucht und Lüge, Ellenbogen-technik und Machtkämpfen herzustellen versucht, Lügen oder gar Rufmord entgegenzuwirken sucht, ist sehr blauäugig. In der Welt der Literatur nicht weniger als in jener der Politik. Gestern las ich einen erhellenden Artikel in der „Südddeutschen“ (8.12.), wo die Rolle der Rache bei wichtigen deutschen Politkern untersucht wurde; der Schlamm, der da hochkam, ist erschreckend.
Aber die Sache ist ja alt und ist bekannt. Karl Kraus hat in „Literatur und Lüge“, den Begriff „Journaille“ geprägt für Unlauterkeit, Verantwortungslosigkeit und Demagogie in der Presse und mit Hilfe der Presse. Man weiss, mit Meinungsmache, Gerüchten und Lügen, noch schlimmer, Halbwahrheiten und Verdrehung von Tatsachen, kann eine Hexenjagd gestartet werden, die schon Menschen in den Tod getrieben hat. Wenn nun diese Beziehungshölle gar auf keiner „normalen“ Politik oder Literatur, sondern im Trüben von Geheimdienstpraktiken und ihren Intrigen basiert, ist der erreichte Wahnsinnseffekt ins ungemessene noch gesteigert und doppelt gesteigert durch die Unkenntnis der manipulierten Öffentlichkeit und der Leser, die von diesem infernalen Untergrund keine Ahnung haben.

Auch wenn die gegenwärtige Securitate-Diskussion noch nicht dieses Ausmaß erreicht hat, muss sie gleichwohl in diesem Rahmen gesehen werden.

Erstaunlich finde ich etwa, dass mein Artikel „Schule der Schizophrenie“ ( FAZ-Feuilleton vom 16. November), wo ich durch einen anfangs aus Fairnessverfassten Verteidigungsartikel zum Fall des IM-Oskar Pastior, nach Entdeckung der Ausmaßes einer historischen Schuld Pastiors, zur Korrektur gezwungen war; dass diese Entlarvung eines IM, ich fand gefährliche Spitzelberichte des ehemaligen Freundes Pastior, in meiner Bukarester Akte, so einen Wirbel, vor allem auch gegen mich, eine Verdrehung von vielen Tatsachen, ausgelöst hat, wundert mich zwar, aber langsam längst nicht mehr!

Denn ich hatte ja nach Einsicht in meine Akte in Bukarest über den auf mich von der Securitate angesetzten ehemaligen Freund und IM „Stein Otto“, Oskar Pastior, als Opfer dieses Spitzels berichtet, und aus meiner Securitate-Opferakte zitiert. Und nun wird nicht der Täter, sondern sein Opfer angegriffen, als müsste dieses sich für die Entlarvung rechtfertigen! Immer wieder wird dabei der Fall des Pastior-Freundes Georg Hoprich, den möglicherweise „Stein Otto“ bespitzelt hat, als Argument zitiert, als hätte ich auch diesen Fall, Pastior als bewiesen angelastet. Das Gegenteil ist wahr, und wer lesen kann , der lese nochmals genau nach: Ich hatte in meinem Artikel, nichts anderes getan, als den Fall Hoprich als Beispiel für den Umgang mit diesen Geheimdienst-Akten, die eine Beziehungshölle sind, zur Vorsicht bei jeglicher Securitate-Philologie angemahnt. Zur Vorsicht gemahnt, da dieser Fall Hoprich nicht bewiesen ist, sondern nur auf Zeugenberichten beruht. Es scheint so, als wollten diese Kommentatoren von der Hauptschuld Pastiors, einen Kollegen durch seine Berichte ans Messer geliefert zu haben, ablenken, alles auf ein Nebengleis schieben. Mir, dem „Stein Otto“-Opfer, das als „Staatsfeind“ und Widerständler damals in den sechziger Jahren, als Pastior Zuträger der Securitate war, auch wegen seiner Aussagen, vor einem Prozess stand, drohte Gefängnis, ja, sogar die Todes-strafe.

Schlimmer noch, dieser DS, ehemaliger „Staatsfeind“ des roten Regimes, der von der Securitate-Paranoia, ich war damals Redakteur der Zeitschrift „Neue Literatur“, als Umstürzler geführt, wird nun von einem Spitzel der Securitate „Moga“ und „Marin“, der damals als Redakteur der gleichen Zeitschrift, Zuträger und Securitate-Ohr bei der Zeitschrift war, attackiert und verleumdet. Es war ein gefährliches Leben damals für alle, auch weil es diese Agenten gab, die die Securitate-Paranoia oft auch in eignem, ja, Karriereinteresse, schürten. Der Geheimdienst führte mich, wie aus meiner Akte jetzt hervorgeht, und lässt mich in der Rückschau erzittern, als angeblichen Anführer einer Gruppe von jungen Poeten, die den Umsturz planten, als einen Umstürzler und Westagenten, weil ich kleine Gesten des Widerstandes, vor allem auch die „feindliche Ideologie“ der Moderne, der modernen Poesie in der Literatur propagierte, versucht hatte, in Metaphern verpackt, gefährliche Wahrheiten über das Regime an den Leser zu bringen, und meine Mitarbeiter ebenfalls dazu anleitete. Mehrere Agenten, darunter auch „Stein Otto“, aber auch „Leopold“ (Alfred Kittner), viele Freunde von mir, nährten in Spitzelberichten diesen absurden Geheimdienstverdacht, ich sei „Staatsfeind“ und Umstürzler. Ich war in einem dichten Beobachtungsnetz von „Freunden“ gefangen, lebte wie der Reiter über den Bodensee. Wenn ich das damals gewusst hätte, wie gefährlich ic lebte, hätte ich gar nicht mehr meinen Alltag leben können! Aber abgesehen von mir, alle diese „Kollegen“ (Pastior, Kittner, Stephani, ein „Walter“, eine „Tatiana“ und Dutzende andere, die Klarnamen sind mir noch lange nicht bekannt!) machten sich einer zerstörerischen, ja, historischen Diversion schuldig, und das ist im Falle Oskar Pastior besonders schlimm, ja, abgrundtief absurd, denn es war die Geburtsstunde der modernen rumäniendeutschen Literatur, die viel später durch einen raffinierten und neuen Stil, der in jener Hölle gewachsen war, mit Herta Müller zum Nobel-preis führte!

Der damalige Spitzel „Moga“ und „Marin“ hat nun aus Rache, weil ich ihn in meinem FAZ-Artikel vom 16.11. enttarnt hatte, versucht, in eine langen Selbstbezichtigungschrieb ebenfalls in der FAZ, ausgerechnet mich, aber auch Herta Müller, „gleichzuschalten“ und zu „Gesinnungsgenossen“ zu machen, bei mir eine „Vorlaufakte“, die man auch „Drohungsakte“ nennen kann, zu einer „umfangreichen Täterakte“ umgedichtet. Wieder der absurde und unglaubliche Tenor: Die Opfer sollen zu Tätern gemacht werden, die Täter zu Opfern?

Aber es kommt noch besser, der berüchtigste und „berühmteste“ Neonazi der Rumäniendeutschen, Gerd Zikeli, ehemaliger Mitarbeiter von Remer (der schlug den Aufstand vom 20. Juli nieder), rechtsradikaler Hetzer und Auschwitzleugner mit Einreiseverbot in die Schweiz und nach Österreich, benutzt die Gelegenheit, auf die er wohl lange gewartet hat, kein Wunder, da ich ein weltweit erfolgreiches Anklage-Buch über den siebenbürgischen Auschwitzapotheker Capesius veröffentlicht habe, griff mich in einem FAZ-Leserbrief (3.12.) als „Linker“ an und versuchte mich, den von der Securitate Verfolgten, zum „Kommunisten“ zu machen.

Rache, überall nur Rache und Intrigen, Verfälschungen von Tatsachen, Ver-leumdungen und Lügenmärchen zuhauf. Das Modell der „Journaille“ und „Beziehungshölle“ stimmt genau, ein Schlamm und Sumpf, vor dem es einen nur ekeln kann!

Die Frage aber bleibt: Sollen sich die Opfer, die in den sechziger Jahren verfolgt wurden und die „Stein Otto“ und andere als IM entlarvt haben, nun etwa rechtfertigen müssen, die Täter aber (in meinem Falle waren auf mich sechs „angesetzt“, darunter „Stein Otto“, doch im Ganzen vielleicht vierzig) einfach vergessen werden?






Erstaunlich finde ich, dass mein Artikel „Schule der Schizophrenie“ (Feuilleton vom 16. November), so einen Wirbel, vor allem auch gegen mich ausgelöst hat. Denn ich hatte ja nach Einsicht in meine Akte in Bukarest über den auf mich von der Securitate angesetzten ehemaligen Freund und IM „Stein Otto“, Oskar Pastior, als Opfer dieses Spitzels berichtet, und aus meiner Securitate-Opferakte zitiert. Und nun wird nicht der Täter, sondern sein Opfer angegriffen, als müsste dieses sich für die Entlarvung rechtfertigen! Immer wieder wird dabei der Fall des Pastior-Freundes Georg Hoprich, den möglicherweise „Stein Otto“ bespitzelt hat, als Argument zitiert, als hätte ich auch diesen Fall, Pastior als bewiesen angelastet. Das Gegenteil ist wahr, und wer lesen kann , der lese nochmals genau nach: Ich hatte in meinem Artikel, nichts anderes getan, als den Fall Hoprich als Beispiel für den Umgang mit diesen Geheimdienst-Akten, die eine Beziehungshölle sind, zur Vorsicht bei jeglicher Securitate-Philologie ange-mahnt. Zur Vorsicht gemahnt, da dieser Fall Hoprich nicht bewiesen ist, sondern nur auf Zeugenberichten beruht. Es scheint so, als wollten diese Kommentatoren von der Hauptschuld Pastiors, einen Kollegen durch seine Berichte ans Messer geliefert zu haben, ablenken, alles auf auf ein Nebengleis schieben. Dem „Stein Otto“-Opfer, der als „Staatsfeind“ und Widerständler vor einem Prozess stand, drohte Gefängnis, ja, sogar die Todesstrafe.

Schlimmer noch, dieser ehemalige „Staatsfeind“ des roten Regimes, der von der Securitate-Paranoia, ich war damals Redakteur der Zeitschrift „Neue Literatur“, als Umstürzler geführt, wird nun von einem Spitzel der Securitate „Moga“ und „Marin“, der damals als Redakteur der gleichen Zeitschrift, Zuträger und Securitate-Ohr bei der Zeitschrift war, attackiert und verleumdet. Es war ein gefährliches Leben, auch weil es diese Agenten gab, die die Securitate-Paranoia oft auch in eignem, ja, Karriereinteresse, schürten. Der Geheimdienst führte mich, wie aus meiner Akte jetzt hervorgeht, und lässt mich in der Rückschau erzittern, als angeblichen Anführer einer Gruppe von jungen Poeten, die den Umsturz planten, als einen Umstürzler und Westagenten, weil ich kleine Gesten des Wider-standes, vor allem auch die „feindliche Ideologie“ der Moderne, der modernen Poesie in der Literatur propagierte, versucht hatte, in Metaphern verpackt, gefährliche Wahrheiten über das Regime an den Leser bringen wollte, und meine Mitarbeiter ebenfalls dazu anleitete. Mehrere Agenten, darunter auch „Stein Otto“, aber auch „Leopold“ (Alfred Kittner), Freunde von mir, nährten in Spitzelberichten diesen absurden Geheimdienstverdacht, ich sei „Staatsfeind“ und Umstürzler. Sie machten sich einer zerstörerischen, ja, historischen Diversion schuldig, und das ist im Falle Oskar Pastior besonders schlimm, ja, abgrundtief absurd, denn es war die Geburtsstunde der modernen rumäniendeutschen Literatur, die viel später durch einen raffinierten und neuen Stil, der in jener Hölle gewachsen war, mit Herta Müller zum Nobelpreis führte!

Der damalige Spitzel „Moga“ und „Marin“ hat nun aus Rache, weil ich ihn in meinem FAZ-Artikel vom 16.11. enttarnt hatte, versucht, in eine langen Selbstbezichtigungschrieb ebenfalls in der FAZ, ausgerechnet mich, aber auch Herta Müller, „gleichzuschalten“ und zu „Gesinnungsgenossen“ zu machen, bei mir eine „Vorlaufakte“, die man auch „Drohungsakte“ nennen kann, zu einer „umfangreichen Täterakte“ umgedichtet. Wieder der absurde und unglaubliche Tenor: Die Opfer sollen zu Tätern gemacht werden, die Täter zu Opfern?
Aber es kommt noch besser, der berüchtigste und „berühmteste“ Neonazi der Rumäniendeutschen, Gerd Zikeli, ehemaliger Mitarbeiter von Remer (der schlug den Aufstand vom 20. Juli nieder), benutzt die Gelegenheit, auf die er wohl lange gewartet hat, kein Wunder, da ich ein weltweit erfolgreiches Anklage-Buch über den siebenbürgischen Auschwitzapotheker Capesius veröffentlicht habe, attackiert mich in einem FAZ-Leserbrief (3.12.) heftig. Zikeli, rechtsradikaler Hetzer und Auschwitzleugner mit Einreiseverbot in die Schweiz und nach Österreich, griff mich in einem FAZ-Leserbrief als „Linker“ an und versuchte mich, den von der Securitate Verfolgten, zum „Kommunisten“ zu machen.
Mir ging und geht es in erster Reihe um die Schuld von „Stein Otto“, nicht um den Fall Hoprich und die andern Fälle. Sollen sich die Opfer, die in den sechziger Jahren verfolgt wurden und die „Stein Otto“ und andere als IM entlarvt haben, nun etwa rechtfertigen müssen, die Täter aber (in meinem Falle waren auf mich sechs „angesetzt“, darunter „Stein Otto“, doch im Ganzen vielleicht vierzig) einfach vergessen werden?

Dr. h.c. Dieter Schlesak, Camaiore



Der ältere Artikel lautete:


In meinem Artikel „Schule der Schizophrenie“ (Feuilleton vom 16. November) habe ich nach Einsicht in meine Akte in Bukarest über den auf mich von der Securitate angesetzten IM „Stein Otto“, Oskar Pastior, berichtet. Dabei habe ich als Beispiel für den Umgang mit diesen Geheimdienst-Akten, die eine Beziehungshölle enthalten, anhand des Falles Georg Hoprich zur Vorsicht bei jeglicher Securitate-Philologie gemahnt.

Mein Artikel hat viel Erinnerungsstaub aufgewirbelt. Eine ganze Gemeinde von Verteidigern Hoprichs, um den es mir gar nicht in erster Linie ging, klagt mich nun an, den IM „Stein Otto“, also Oskar Pastior, verleumdet zu haben, indem ich ihn der Mitschuld am Selbstmord von Georg Hoprich bezichtigt hätte. So wird von der eigentlichen Schuld Pastiors abgelenkt.

Zum Fall Georg Hoprich und meinen Anmerkungen im Artikel dazu muss gesagt werden, dass dieser Fall noch nicht durch Aktenbelege aufgeklärt wurde, da weder ich, noch der Münchner Wissenschaftler Stefan Sienerth oder der Sohn Hoprichs noch Experten der Oskar-Pastior-Stiftung die fraglichen Akten bisher einsehen konnten.

Meine Darstellung des Falls Hoprich wollte ich als Möglichkeit gelesen wissen, niemals als bewiesene Tatsache; deshalb habe ich den Konjunktiv verwendet. Ich bitte alle, die noch Zweifel daran haben, meinen Text in dieser Zeitung nicht nur oberflächlich, sondern genau zu lesen. Dort schreibe ich: „Alles bleibt nur Annäherung, auch im Absurden: Das muss uns zur größten Vorsicht bei den Einschätzungen der Spitzeltätigkeiten anhalten. Manches gleicht eher einem Dokumentarroman als einem Tatsachenbericht, den man wissenschaftlich lesen könnte - so auch bei der Tragödie Hoprich, die Pastior, der diese Freundschaft ebenso wie die zu mir, offenbar zu Spitzelzwecken ausgenützt hat, mit zu verantworten hat.“ All das, auch das „mit zu verantworten“, steht unter diesem Fragezeichen, dass es nicht als Tatsachenbericht gewertet werden darf. Falls noch Zweifel bestehen, erkläre ich hiermit noch einmal, dass ich mit diesem Fall Pastior nicht zusätzlich belasten und ihm keinesfalls die Mitschuld am Selbstmord von Georg Hoprich geben wollte. Für die ungenauen Formulierungen, die zu diesem Missverständnis führen konnten, entschuldige ich mich.


Angegriffen wurde ich (in der FAZ) aus Rache vom skrupellosen IM „Moga“, Claus Stephani, den ich in meinem Artikel entlarvt hatte; indem er eine "Vorlaufakte", wie es sie zu Tausenden gibt, in der Hoffnung, die Betreffenden gewinnen zu können, zu einer "Täterakte" macht, und von einem bekannten Neonazi, Gerd Zikeli, rechtsradikaler Hetzer und Auschwitzleugner mit Einreiseverbot in die Schweiz und nach Österreich, der mich als Linker angriff und zum Kommunisten machen wollte.

Mir ging und geht es in erster Reihe um die Schuld von „Stein Otto“, nicht um den Fall Hoprich. Sollen sich die Opfer, die in den sechziger Jahren verfolgt wurden und die „Stein Otto“ und andere als IM entlarvt haben, nun etwa rechtfertigen müssen, die Täter aber (in meinem Falle sind auf mich „angesetzt“ sechs, darunter „Stein Otto“, doch im Ganzen vielleicht vierzig) einfach vergessen werden?

Dr. h.c. Dieter Schlesak, Camaiore




--
Dr.h.c. Dieter Schlesak,
Pieve 327. Agliano
I-55041 Camaiore, Italien
T.0039/0584951214. Fax 951907
Mobil: 00393356508780
In Deutschland: Tizianweg 5, 70192 Stuttgart
schlesak@tiscali.it; dieter.schlesak@gmail.com
www.dieterschlesak.de
schlesak.blogspot.com
www.geocities.com/transsylvania

Montag, 6. Dezember 2010

Brief an Claudio Magris zu seinem großen Roman "Blindlings", den jeder lesen sollte!

Endlich wieder etwas anderes, endlich LITERATUR und nicht immer wieder der Stress mit der Securitate und allen Plattheiten und "Beziehungshöllen".

Lieber Claudio Magris,

über Triest und unsere schöne freundschaftliche Begegnung, Ihre Einleitung, Ihre einfühlsam-wissende Moderation, das Gelungene des gemeinsamen Lese-Abends in Triest, das Runde dann durch den Abendessen- und Gesprächs-Abschluss zusammen mit Paola und Alexandra, - alles, habe ich wieder Ihnen zu verdanken: Auch sonst freilich mein literarisches Ankommen in Italien, mit dem „Auschwitzapotheker“ vor allem, und der Vorbereitung von „Transsylwahnien“!

Jetzt aber ist Ihr Roman „Blindlings“ da (Hanser 2007, dtv 2009), auch in mir, in meiner Schreib-Biografie, und verändert diese wieder. Das Buch hat in mir wie ein Stil- Erkenntnisblitz eingeschlagen, und ich bewundere Ihre Intuition, dass Sie mir das Buch unbedingt mitgeben wollten! Es gehört zu mir! Ja genau in diese schmerzhafte Kerbe des historischen Wahnsinns schlägt es rein. Und ich will es auch schnell sagen: Es fällt auf einen so fruchtbaren wartenden Boden, wo die „Rote Hölle“ nun nach dem „Apotheker“ wuchs. Doch gibt es noch eine ganz ungewöhnliche Faszination, einen bisher so nie gesehenen Rahmen
von „Transkommunikation“ und „Reinkarnation“!! (Sie haben ja mein Buch dazu).- Dieses alles verbindet sich und führt, davon bin ich überzeugt: zum vielleicht wichtigsten europäischen (zeitgeschichtlichen) Roman! Zu einer bisher (von mir jedenfalls) nirgends gelesenen absolut notwendigen Stilalchemie heute!

. Es greift auch einem noch ausstehenden, aber so wichtigen neuen Paradigma vor, und sollte als Vorbild einer neuen Geschichtsbetrachtung dienen, die freilich nur von der Literatur (vorgreifend) eingelöst werden kann. Und das haben Sie getan, und sonst in Europa noch niemand.
In Amerika vielleicht Thomas Pynchon, doch bei weitem nicht so überzeugend und auch so eingeschmolzen alles Not Wendige, auch die neue Physik, also LESBAR und überzeugend bei Ihnen!

Von der großen Schönheit vieler Szenen, die mir Glücksgefühle der Berührung beschert haben, so die Meeres- und Walfischszenen, überhaupt das Meer und die Schiffe, die Sturmschilderungen, das ist so STARK, dass es vielleicht nur ein Mensch vom Meere schreiben konnte, oder die Szenen der Hexenverbrennung, überhaupt von den filmischen Schnitten durch alle Epochen, ganz zu schweigen!

Triest! „Blindlings,“ ein neuer aber ganz anderer Joyce oder Conrad. Und durch die Furchtbarkeit tragischer Schicksale entdecke ich auch Parallelen zu Virgil Gheorghiu „25 Uhr“, doch das ist ein viel schwächeres Buch.

Und das alles in einem einzigen Gedankenstrom fast eines Kollektivbewusstseins! Der dichteste Ort des Alls: der menschliche Kopf, hier fast Prototyp oder Phänotyp! Und doch abenteuerlich und spannend. Das ist großartig in diesem Zusammenfinden, und dieses nur, weil da ein geborener Erzähler am Werk ist, einer, der auch „theoretisch“ „Bescheid weiß“ und alles kennt, es aber „vergisst“ und im Erzählen ankommt! Im durchdachten Erzählen und Jetzt des LEBENs aller Zeiten! Kein Zufall, dass die Literatur von Wissenden, auch im Theoretischen und Poietischen Beschlagenen, wie Sie und Eco, erneuert wird, neu gefasst und erfasst wird, als Avantgarde eines kommenden Stils, der ein kommendes Paradigma widerspiegelt Nur, Sie sind im Stil radikaler und wegweisender, doch von der Lesergemeinde, wohl auch von den Kritikern noch nicht erkannt und fassbar. Der Stil ist absolut revolutionär, und setzt neue Maßstäbe, ist so ungewohnt, dass man zuerst einen Schlag erhält, sich das Bewusstsein, die Lese- und Literaturgewohnheit, auch die eines Schreibers wie mir, sich umstellen muss, neu stellen muss!

Aber so geht es; Blindlings ist im Verhältnis zu seiner Bedeutung viel zu wenig bekannt. Und ich schließe mich ein, fühle mich verantwortlich, dass ich „Blindlings“ nicht selbst entdeckt habe!Sie haben den Nobelpreis verdient. Doch es ist ja noch nicht aller Tage Abend!

Ich möchte so gerne etwas dazu beitragen! Doch meine Kräfte sind schwach. Ich kann vorerst in der großen Presse nur so etwas wie eine Rezension als eine Art „Aufruf“ anbieten, wohl nicht mehr. Höchstens Krüger hilft mit. Leider ist auch das Buch als Taschenbuch schon älter. Und das Original sogar 5 Jahre alt.
Doch eigentlich sollte das überhaupt nicht wichtig sein!

Ich bin nun wohl einer der ersten Autoren, der in Ihnen das Vorbild sieht, und mein nächstes Buch nun ganz in diesem Zeichen angefangen habe.
Indem ich parallel zur „Roten Hölle“, das ja wie der „Apotheker“ in gleicher Struktur auch eine Art Dokumentarroman sein sollte, nun dieses neue Buch über die Securitate und die rote Hölle hinaus schreiben will. Dabei möchte ich den Folterfaden und Gefängnisfaden durch die Qual der Geschichte ziehen, eben auch als „Gedankenstrom“ eines Einzelnen, einer durch das Erlittene zerstörten Seele in der Heilanstalt. Jedoch nun mit Szenen in all den vielen Jahren zum Thema, auch zu Auschwitz, entstandenen und noch unveröffentlichten Texten, so dass mein neues Buch, ich nenne es vorerst „ANGST“, wieder eine Collage zum Thema wird, freilich im Stil völlig verändert!

Lieber Claudio Magris, meinen ganz großen freundschaftlichen Dank für dieses Buch
Und die vielen so wunderbaren Anregungen, die ich durch Sie erhalten habe!
Ganz herzlich
Immer Ihr Dieter Schlesak

Donnerstag, 2. Dezember 2010

Jetzt als FAZ-Leserbrief: Korrigierte Fassung des Briefes vom 2.Dezember„STEIN OTTO“ (OSKAR PASTIOR) IST IN DER FAZ VOM 16.11. NICHT DER MITSCHULD AM SELBSTMORD VON GEORG HOPRICH VERDÄCHTIGT WORDEN. Ein Dementi

In meinem Artikel „Schule der Schizophrenie“ (Feuilleton vom 16. November) habe ich nach Einsicht in meine Akte in Bukarest über den auf mich von der Securitate angesetzten IM „Stein Otto“, Oskar Pastior, berichtet. Dabei habe ich als Beispiel für den Umgang mit diesen Geheimdienst-Akten, die eine Beziehungshölle enthalten, anhand des Falles Georg Hoprich zur Vorsicht bei jeglicher Securitate-Philologie gemahnt.
Mein Artikel hat viel Erinnerungsstaub aufgewirbelt. Eine ganze Gemeinde von Verteidigern Hoprichs, um den es mir gar nicht in erster Linie ging, klagt mich nun an, den IM „Stein Otto“, also Oskar Pastior, verleumdet zu haben, indem ich ihn der Mitschuld am Selbstmord von Georg Hoprich bezichtigt hätte. So wird von der eigentlichen Schuld Pastiors abgelenkt.
Zum Fall Georg Hoprich und meinen Anmerkungen im Artikel dazu muss gesagt werden, dass dieser Fall noch nicht durch Aktenbelege aufgeklärt wurde, da weder ich, noch der Münchner Wissenschaftler Stefan Sienerth oder der Sohn Hoprichs noch Experten der Oskar-Pastior-Stiftung die fraglichen Akten bisher einsehen konnten.

Meine Darstellung des Falls Hoprich wollte ich als Möglichkeit gelesen wissen, niemals als bewiesene Tatsache; deshalb habe ich den Konjunktiv verwendet. Ich bitte alle, die noch Zweifel daran haben, meinen Text in dieser Zeitung nicht nur oberflächlich, sondern genau zu lesen. Dort schreibe ich: „Alles bleibt nur Annäherung, auch im Absurden: Das muss uns zur größten Vorsicht bei den Einschätzungen der Spitzeltätigkeiten anhalten. Manches gleicht eher einem Dokumentarroman als einem Tatsachenbericht, den man wissenschaftlich lesen könnte - so auch bei der Tragödie Hoprich, die Pastior, der diese Freundschaft ebenso wie die zu mir, offenbar zu Spitzelzwecken ausgenützt hat, mit zu verantworten hat.“ All das, auch das „mit zu verantworten“, steht unter diesem Fragezeichen, dass es nicht als Tatsachenbericht gewertet werden darf. Falls noch Zweifel bestehen, erkläre ich hiermit noch einmal, dass ich mit diesem Fall Pastior nicht zusätzlich belasten und ihm keinesfalls die Mitschuld am Selbstmord von Georg Hoprich geben wollte. Falls es ungenaue Formulierungen, die zu diesem Missverständnis führen konnten, gab, bedauere ich diese.

Mir ging und geht es in erster Reihe um die Schuld von „Stein Otto“, nicht um den Fall Hoprich. Sollen sich die Opfer, die in den sechziger Jahren verfolgt wurden und die „Stein Otto“ und andere als IM entlarvt haben, nun etwa rechtfertigen müssen, die Täter aber (in meinem Falle sind auf mich „angesetzt“ sechs, darunter „Stein Otto“, doch im Ganzen vielleicht vierzig) einfach vergessen werden?
Angegriffen wurde ich aus Rache vom IM „Moga“, Claus Stephani, den ich in meinem Artikel entlarvt hatte; und von einem bekannten Neonazi, Gerd Zikeli, rechtsradikaler Hetzer und Auschwitzleugner mit Einreiseverbot in der Schweiz und Österreich, der mich als Linker angriff und zum Kommunisten machen wollte.


Dr.h.c. Dieter Schlesak, Camaiore

Samstag, 27. November 2010

Aus: Hans Bergel Existenzgeißel Securitate, „Thilo“ Hoprich und Oskar Pastior.

Meine Erfahrung im Umgang mit der Securitate während beider Epochen der kommunistischen Ära in Rumänien - Gheorghiu-Dej 1945-1965, Ceauşescu 1965-1989 - umfasst die Zeitspanne 1947 bis 1990. Mit dem Datum 01.10.1947 versehen, liegt mir die Kopie einer unter der Nummer 17.839 vom Staatsanwalt Ilie Pârvu in Temeswar/Timişoara, Banat, auf meinen Namen ausgestellten „Entlassungsbevollmächtigung aus der Haft“ vor und vom 15.05.1990 datiert die Anweisung eines Obersten der Securitate Kronstadt/Braşov, Siebenbürgen: mein Dossier, das „nicht mehr von Interesse ist“, der „archivalischen Aufbewahrung“ anzuvertrauen; Unterschrift unleserlich.
Zwischen den beiden Daten liegen drei Verhaftungen und drei Prozesse nebst Verurteilungen aus politischen Gründen - die letzte 1959 zu 15 Jahren Zwangsarbeit -, liegen fast pausenlose Beobachtungen durch die Securitate auch nach meiner Emigration 1968 aus Rumänien, ungezählte „Einladungen zu Gesprächen“ mit Securitate-Offizieren in Kronstadt, Bukarest, Klausenburg/Cluj und Hermannstadt/Sibiu, insgesamt über sieben Kerkerjahre sei es in Ketten, sei es bei mörderischen Arbeiten in den Donausümpfen, Verhöre mit körperlicher Folter bis hin zu Knochenbrüchen, Verbannung in die Donausteppe, Berufsverbot, Schikanierungen der Familie, Hausdurchsuchungen, Beschlagnahme sämtlichen Besitzes, der Plan, mich 1983 wegen menschenrechtlich motivierter bukarestkritischer Publizistik aus Deutschland nach Rumänien zu entführen, etc.; die Folgen dieser Vita für die Familie - Eltern, Ehefrau, drei Kinder - nicht mitgerechnet. Das meiste davon geht aus Akten hervor, deren Kopie ich besitze, ich schilderte es in Texten wie „Der Schwarze Fürst“, „Violeta“, „Frauen auf meinem Weg“ u.a. (in „Am Vorabend des Taifuns“, Berlin 2010).
Mein Dossier aus über einem halben Jahrhundert „Umgang mit der Securitate“ beträgt nahezu 10.000 DIN-A-4-Blätter, auf denen mein Leben beginnend mit der Teilnahme an der bewaffneten antikommunistischen Résistance in den Karpaten während der ersten Nachkriegsjahre bis zur Wende 1989/90 aufgezeichnet wurde - teils lückenhaft, teils von erschreckender Dichte und Präzision, wobei sich auf gelegentlich gespenstische Weise Ungeheuerliches mit Lächerlichem mischt.
Damit hängt zwangsläufig auch die Befürchtung zusammen, Situationen falsch darzustellen oder - was ich für schlimmer halte - in den Akten vermerkten Personen Unrecht zu tun. Bei 41 (einundvierzig) IM, die allein in der Zeitspanne zwischen meiner letzten Haftentlassung, 1964, und meiner Emigration, 1968, als „Berichterstatter“ mit und ohne Codenamen auf mich angesetzt waren, erscheint mir dies Risiko unvertretbar. Das gilt ebenso für die in Deutschland von 1968 bis 1989/90 dem Auslanddienst der Securitate schriftlich und mündlich über mich referierenden IM: nicht wenige von ihnen lieferten widersprüchliche Texte ab. Hinzu kommt schließlich die Feststellung, dass die Akten nicht entschlüsselbare Unregelmäßigkeiten aufweisen: Situationen, deren Gefährlichkeit mir eindringlich in Erinnerung ist, blieben ohne Vermerk, hingegen finden sich breite Ausführungen zu Lappalien.
Die Kenntnis dieses - hier grob skizzierten - Hintergrunds ist erforderlich, um meine Anmerkungen zu Oskar Pastior zu werten, sie sollen zu Klärung und Präzisierung in einer Episode beitragen, die aus meiner Sicht lediglich eine von vielen ist.

Im Jahr 1989 besuchte mich in meiner Münchner Redaktion Frau Mathilde „Thilo“ Hoprich, die Witwe des 1969 durch Selbstmord ums Leben gekommenen siebenbürgischen Lyrikers Georg Hoprich (*1938). Frau Hoprich war in zurückliegenden Jahren Arbeitskollegin und Freundin meiner Schwester gewesen und von dieser veranlasst worden, sich in einer „Lebensfrage“, wie sie sagte, an mich zu wenden. Die Frau war an Krebs erkrankt und wusste um ihre eingeschränkte Lebenserwartung. Auf die abenteuerlichen Einzelheiten kommt es nicht an, die ich während eines Drei-Stunden-Gesprächs erfuhr, sie sollen an anderer Stelle festgehalten werden. Mitteilenswert jedoch dies: Es ging in dem Gespräch um die Dichterfreundschaft ihres Mannes mit Oskar Pastior. Die vom Tod gezeichnete, sehr ernste Frau gab mir die Kopie eines Schriftstücks zu lesen, das von der Securitate-Dienststelle Hermannstadt/Sibiu aufgesetzt war. Ein „Feststellungbescheid“, in dem Georg Hoprich als politisch mehrfach verdächtiges „Element“ dargestellt wurde: Er habe „regimefeindliche Diskussionen“ geführt, in Gedichten „nationalistischen Inhalts“ die Partei „verleumdet“ u.a.m. Samt und sonders dazumal brandgefährliche Notationen. (Siehe Beilage.)

Frau Hoprich war weder bereit, mir den „Feststellungsbescheid“ oder „-text“ noch eine Kopie davon zu überlassen. Ihr Zustand verbot mir die Frage nach den Gründen. Mit ihrem Einverständnis durfte ich schließlich eine Übersetzung aus dem Rumänischen machen. Gemeinsam verfaßten wir eine Erläuterung, die ich zusammen mit dem „Bescheid“ und dem darin inkriminierten Gedicht „Schweigen“ in Heft 1/1990, S. 13-14, der von mir mitherausgegebenen Zeitschrift „Südostdeutsche Vierteljahresblätter“, München, veröffentlichte. - Über Hoprichs tragisches Schicksal hinaus sind diese Mitteilungen zunächst wenig erheblich.

Hoprich hatte nach dreijähriger Haft, 1961-1964, im Jahr 1967 ein Germanistikstudium beendet, war jedoch weiterhin im unsichtbaren Lichtkegel der Securitate-Be- obachtung geblieben. Mit seiner Familie in Heltau/Cisnădie lebend, gehörte er in den geheimpolizeilichen Zuständigkeitsbereich der Securitate Hermannstadt, von der er - so Frau Hoprich - ebenso wie sie sporadisch vorgeladen wurde. Bei einer der Vorladungen gelangte sie nicht nur in den Besitz des „Feststellungsbescheids“, sondern auch der Information, dass die fraglichen Gedichte ihres Mannes durch dessen Freund Pastior der Securitate bekannt geworden waren. Wörtlich: „Außer Georg, mir und 'Ossi' kannte niemand einige der Gedichte. Ich schwöre es.“ Aus meiner Sicht gab es umsoweniger einen Grund zum Zweifel an der Eröffnung, als ich zu jenem Zeitpunkt bereits ähnliche - freilich nur ungefähre - Informationen über Pastior hatte. In ihrer gefassten, ruhigen, vielleicht vom unausweichlichen Ende überschatteten Art erweckte die Frau in keiner Weise den Eindruck, mit ihrer Mitteilung zu hausieren. Sie starb an der Krebserkrankung. Der „Feststellungsbescheid“ oder „-text“ trug das Datum „martie 1967“, „März 1967“. Nach dieser Begegnung sah ich Frau Hoprich nicht mehr.

Zu meinen Gründen, Oskar Pastiors Namen in der genannten Veröffentlichung zu verschweigen, gehörte neben Frau Hoprichs Wunsch, es Zeit ihres Lebens dabei zu belassen, die Absicht, Pastior, mit dem ich seit der Schulzeit bekannt war, bei Gelegenheit auf die Situation anzusprechen; bei unseren Begegnungen wich er regelmäßig aus. Hinzu kommt wesentlich, dass die Dinge zu jenem Zeitpunkt bei weitem nicht so spruchreif waren, wie sie es heute sind. Doch im Licht der Aktenerkenntnisse nicht zuletzt Dieter Schlesaks (siehe FAZ , 16.11.10 ) gewinnt Frau Hoprichs Eröffnung im Herbst 1989 Bestätigung und Gewicht. Gleichzeitig sehe ich mich gedrängt, mit meiner Kenntnis zur Vervollständigung des Bildes beizutragen. Natürlich bin ich mir des Umstands bewusst, dass meiner Ausführung die Fußnote mit dem Hinweis auf die Quelle fehlt - Siegfried Unselds kürzlich entdeckter Niederschrift vom 16.10.1977 über die Begegnung mit Helmut Schmidt und anderen (siehe Die Zeit, 11.11.2010, S. 59) fehlt sie ebenso. Sollte nicht einer der Zugriffe „Interessierter“ auf die Dossiers der Securitate-Niederlassung Hermannstadt das Hoprich betreffende „Fcststellungs“-Skript beseitigt haben, wird es eines Tages beharrlichen Aktenforschern in die Hände fallen, publik werden und allzu laute Zweifler eines Besseren belehren.

Diese Aufzeichnung machte ich sine ira et studio. Ein halbes Jahrhundert Securitate als Existenzgeißel verbieten mir Spielereien mit Erlebtem und Erfahrenem. Auch ist es dem Gegenstand nicht angemessen, mit billiger Vokabel zu polemisieren; des preisgekrönten Dichters Gesamtgestalt unter geändertem Zeichen neu zu beleuchten, sei Kennern überlassen.
______________________
Dr.h.c. Hans Bergel, München, ist Schriftsteller und Publizist. 1977 erschien „Der Tanz in Ketten“, bis „heute der komplexeste, subtilste und kenntnisreichste Roman über den kommunistischen Terror in Rumänien“ (Ana Blandiana), 2006 „Die Wiederkehr der Wölfe“, der Roman der Abrechnung mit dem Nationalsozialismus, 2010 der Band „Am Vorabend des Taifuns. Geschichten aus einem abenteuerlichen Leben.“

Schweigen

Von Georg Hoprich (1938-1969)


Wir schweigen, was wir nicht vergessen.

Der Becher steht gefüllt mit Leid.

Wir stehen starr, wenn andre essen.

Wir sind entfernt und ausgereiht.



Der Nächste schleppt sich wie gebrochen.

Wir sind ein Weh, das bitter haucht.

Wir haben immer stumm gesprochen.

Die wirre Nacht ist nicht verraucht.



Das graue Dasein, das wir führen,

bleibt schwer wie Erde, dumpfe Welt.

Wir sind ein blasses Volk. Wir ernten

die Tränen von dem Bitterfeld.

(Aus dem Rumänischen:)
„Feststellungstext. - Der Obengenannte (Georg Hoprich; die Redaktion), ein der Gesellschaftsordnung und dem Staat der Rumänischen Volksrepublik feindlich gesinntes Element, entfaltete in der Zeitspanne von 1956-1961 in den Reihen der Studenten Tätigkeiten der Aufwiegelung gegen das volksdemokratische Regime in der Volksrepublik Rumänien, dessen Ende er voraussagte. - Sowohl durch die regimefeindlichen Diskussionen, die er führte, als auch durch das Verfassen und Verbreiten von Gedichten nationalistischen Inhalts verleumdete er die Politik der Partei und der Regierung der Volksrepublik Rumänien hinsichtlich der Lösung des nationalen Problems ... So äußerte er in Gesprächen, dass die nationalen Minderheiten in der Volksrepublik Rumänien, und insbesondere die deutsche Minderheit, unterdrückt würden, dass sie weder Rechte noch Freiheiten hätten, und dass durch Maßnahmen der staatlichen Behörden die Auslöschung dieser nationalen Minderheit bezweckt würde, - Gleichzeitig machte er die Realisierungen des sozialistischen Regimes im wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Bereich verächtlich. - Er schrieb mehrere Gedichte feindseligen und nationalistischen Charakters ... So verbreitete er die Gedichte ,Schweigen' (siehe oben; die Redaktion), ,Siebenbürgen' und andere ...“

(Aus „Südostdeutsche Vierteljahres-
blätter“, 1/1990, S. 13-14, München)

DIE PRESSE zum Pastior-Fall

20.11.2010
Wie sich Oskar Pastior auf den Teufel eingelassen hat
16.11.2010 | 18:20 | NORBERT MAYER (Die Presse)
Der rumänisch-deutsche Dichter Dieter Schlesak hat sein Securitate-Dossier gesichtet. Es belastet einen berühmten einstigen Freund schwer.
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AUS DEM ARCHIV:
Dieter Schlesak (*1934) ist ein sanfter Mann. Der Siebenbürgener, der Rumänien vor vier Jahrzehnten aus politischen Gründen verlassen hat, weiß um die Graustufen der Moral. Anfang November zeigte der Dichter im Rumänischen Kulturinstitut in Wien, wie Me-chanismen der Unterdrückung und Terror funktionieren. Er las aus seinem Auschwitz-Buch „Capesius“. Im Gespräch war stets auch die zweite Diktatur latent vorhanden, unter der Dichter wie Schlesak, Oskar Pastior (1927–2006) oder Herta Müller (*1953) leiden mussten, die sie ins Exil trieben: die kommunistische.
Nun hat Schlesak am Dienstag in der „FAZ“ eine aufsehenerregende Korrektur zu seinem einstigen Freund Pastior angebracht. Dieser Dichter, der sich 1968 über Wien in den Westen absetzte, war im September 2010 posthum als Mitarbeiter des rumänischen Ge-heimdienstes Securitate enttarnt worden. Schlesak hat den Toten im Wochenblatt „Die Zeit“ (23.9.) noch verteidigt, nicht ohne auf die Foltermethoden des Regimes einzugehen. Nur aus Schwäche oder vielleicht Feigheit sei Pastior (Deckname: „Stein Otto“) Spitzel geworden. Ihn, Schlesak, mache wütend, wie jüngere Kollegen oder gar Westdeutsche „sich anmaßen, über unser Leben von damals um 1959 bis 1964 zu urteilen!“ Dieses „späte Wiederauftauchen des Teufels Securitate kann meine freundschaftlichen Gefühle für Oskar Pastior jetzt nach seinem Tode nicht beeinträchtigen!“
Inzwischen aber hat Schlesak, der in den 1960er-Jahren als Redakteur der rumänischen Zeitschrift „Neue Literatur“ ständigen Repressionen ausgesetzt war, in Bukarest sein Se-curitate-Dossier eingesehen. Er weiß nun, dass Pastior viel stärker als bisher angenommen historische Schuld auf sich geladen hat. Schlesak will sie nun nicht verschweigen. Er schildert auch die Tragödie Georg Hoprichs. Dieser junge Dichter war ebenfalls von Pastior bespitzelt worden. Wegen eines einzigen „staatsfeindlichen“ Gedichtes kam Hoprich für Jahre ins Gefängnis. Nach seiner Entlassung nahm er sich das Leben. Zuvor aber hatte ihn Pastior in Hermannstadt mehrmals besucht, ausgehorcht und Berichte verfasst. Der verfolgte, traumatisierte Lyriker brachte sich aus Angst vor einer neuerlichen Verhaftung um.
Schlesak hat sich nie vom Geheimdienst anwerben lassen. „Da war Pastior ein anderes Kaliber, er schaffte es, mich als ,Freund‘ spielend auszuhorchen“, schreibt Schlesak, dem von seinem Spitzel „Dekadenz“ und „Umsturzgedanken“ unterstellt wurden. Er interes-sierte sich nämlich für die „westdeutsche Moderne“.
Das Interesse am Fall Pastior ist auch deshalb so groß, weil er eng mit der deutsch-rumänischen Nobelpreisträgerin Müller verbunden war. Ihr Roman „Atemschaukel“ (2009) basiert auf mündlichen Erzählungen des väterlichen Freundes Pastior über fünf Jahre Haft in einem Sowjetlager. Gemeinsam haben sie an dem Werk gearbeitet. Zum Fall befragt, zeigte Müller in der „FAZ“ (18.9.2010) Wut, Trauer, Verständnis: „Ich kann mir Pastior nicht als emsigen Denunzianten vorstellen, es war pure Qual.“ Er sei der skrupulöseste Mensch gewesen, den sie kenne. Vielleicht bedarf auch diese prominente Ansicht einer Revision. Die traurige Geschichte ist noch nicht zu Ende erzählt.

Freitag, 26. November 2010

Opfer, die Securitate-Täter entlarven, werden inzwischen deshalb angeklagt, die Täter aber geschützt. Und alles wird verharmlost

Gestern (25.11.2010) ist ein Interview mit Iris Radisch in der Zeit erschienen. Ich hatte es abgesegnet, obwohl mir viel aus meiner Position und den notwendigen Hintergrundinformationen herausgestrichen wurde. Nicht aber aus den Fragen. Ich hatte es „abgesegmet“, denn ich hatte nun genug von dieser leidigen Sache, wo ich mich andauernd rechtfertigen musste. Denn ich wurde für meine "furchtbare" Tat als Opfer, einen Täter "Stein Otto" (Oskar Pastior), der mich in der rumänischen Gulagzeit lebensgefährlich bedroht hatte, auf die Anklagebank versetzt.. Und dieses nur, weil ich diesen Täter entlarven wollte; auch genug Beweise dafür in meinen Akten habe.



Richard Wagner hat Recht in einem in der Achse des Guten veröffentlichen Artikel, dass sich nun die Opfer verteidigen müssen, während die Täter in Schutz genommen werden!



All das in der ZEIT Veröffentlichte klingt jetzt, auch nach dem Beitext von Radisch, von dem ich nichts wusste, und wo sie es auch (bewusst?) versäumt hatte wenigstens die Worte von Herta Müller einzusetzen, dass sie nun, nachdem ich diese Entdeckung der Spitzelberichte von Pastior im Klarext veröffentlichen konnte, nichts mehr zur Verteidigung von Pastior tun könne. Es wäre das Minimum gewesen, um den wirklichen Stand der Diskussion um „Stein Otto“ (Oskar Pastior“) als Ausgangspunkt einer weiteren Debatte zu dokumentieren, und nicht wieder von Alpha anzufangen, als hätte niemand etwas von dieser Debatte gewusst! Bekannt ist doch in der deutschen Öffentlichkeit, dass keiner, auch die Freunde Pastiors, die ja die Materie besser kennen als Iris Radisch, meinen Bericht in der FAZ und die entdeckten Aktennachweise angezweifelt, sondern sehr bestürzt, ja,verstört reagiert haben! Ja, man muss sich wirklich als Selbstbetroffener schmerzlich auskennen und alle Details wissen, um aus einer wissenden Position diese harten Fragen stellen zu können! So ist auch dieses Interview ausgefallen, nämlich zuerst völlig neben der Realität: als wäre ich, das Opfer, der Angeklagte, und der Täter „mein“ Opfer! Es war eine harte Knochenarbeit, bis ich Frau Radisch nach langem Hin und Her (es gab mindestens 5 Interviewfassungen!) endlich den Stand der Dinge klar machen konnte, und dieses einigermaßen den Tatsachen „hinreichende“ Interview entstanden ist; und sie als Abchlußurteil meinte, ihre Leser könnten dem Interview nur entnehmen, das alles wahnsinnig kompliziert und sehr schwer verständlich sei!

Dienstag, 26. Oktober 2010

Sachlich bleiben. Diskussion mit Richard Wagner. Zwei Epochen der Securitate

Lieber Richard,
als hättest du mich mit irgendjemandem verwechselst in deiner Mail, kommt es mir vor; so fällt es mir schwer, dir zu antworten; vielleicht finde ich später einmal Zeit und auch den richtigen Ton. Jetzt, da ich sehe, dass du dich für mein Werk interessierst, möchte ich dir nur geduldig einiges erklären, damit Du ein wenig besser Bescheid weißt!

Ich arbeite hier einsam in einem Weiler, den ich nicht zufällig gewählt habe: ganz nahe von Sant´Anna, einem von der SS ausgelöschten Bergdorf, nicht im ehemaligen Stasiundgestapoberlin. Hier, wo ich mein Buch über den siebenbürgischen Auschwitzapotheker Capesius geschrieben habe, das du ja kennst, du hattest meine Lesung daraus im Berliner Literaturhaus moderiert; hier schreibe ich auch über das andere Trauma, die Rote Hölle, ein Buch, das ähnlich aufgebaut ist wie der „Capesius“, der unter den Sachsen zu einiger Aufregung geführt hat. Für jemanden der nur die halbe Wahrheit sieht, ist die ganze immer unangenehm.

Was nun dieses neue Buch betrifft: Und die neue Aufregung. Auch hier ist der einzige Ausweg Sachlichkeit. Auf die Sache und nicht auf persönliche Verletzlichkeiten muss eingegangen werden, aber das weißt du ja. Ich werde mich im nächsten Jahr nochmal ausführlich mit dem Thema beschäftigen ;daher bin ich dir eigentlich dankbar, dass Du das Ganze nochmals angestoßen hast.
Um wirklich wahrheitsgemäß zu schreiben, gehört (auch für einen kritiker) als erstes, das „krinein“ (das Unterscheiden und Unterscheidungsvermögen, die Dinge genau auseinanderzuhalten, und das Ganze sehen!), das aber ist nicht möglich nur im schnellen journalistischen Aktualitätsstil. Und da muss ich auf etwas besonders hinweisen; ich werde in deinem langen Artikel in der „Achse des Guten“ unter-scheidungslos einfach mit Namen und Zusammenhängen zusammengepackt, wo ich nicht hingehöre! Ich glaube, auch das weißt du, kannst es nicht vergessen haben, wie ich eurer Gruppe, im Gegensatz zu den beiden anderen Namen, in schwierigen Zeiten geholfen, euch unterstützt habe. Willi Totok habe ich sogar 1986 durch Medienhilfe aus dem Gefängnis geholt (vgl den ganzen Fall und min Verhältnis zur Aktionsgruppe in: W. Totok, Streiflichter. Aus den Hinterlassenschaften der Securitate, hjs, herbst 2010 S.50-57. Und W. Totok, Die Zwänge der Erinnerung.) Daher bitte ich dich, da es auch deinem Artikel und seiner Glaubwürdigkeit nur schadet, meinen Namen herauszunehmen, was ja bei blogs möglich ist.

In der hjs, da wirst du meine Einstellung und meine Solidarität mit euch dokumentiert nachlesen können. Und daran hat sich nichts geändert. Dass ich nicht kritiklos bin und eure etwas übertriebene Medienshow und die Einseitigkeit nicht so recht goutieren kann, das und eine eigene Meinung auch Freunden gegenüber, ist doch wohl noch erlaubt. Die Einteilung und Gegenüberstellung der zwei Securitateperioden war der Wahrheit wegen notwendig. Ihr wart auch in jener Ceausescu- Zeit vom ganzen Zusammenhang der Opferseite her gesehen, nicht sehr wichtig! Das lässt sich in den Quellen nachlesen, etwa im "Raport Final" (Humanitas, 2007, aber auch in den büchern von Marius Oprea, Romulus Rusan usw.). (Übrigens der große rumänische Roman über jene Zeit fehlt, wenn man "Ostinao" nicht gelten lassen will, dafür gibt es aber eine wichtige Memoirenliteratur, denk nur an "Jurnalul fericirii" u.a.)

Ich bin leider einer der letzten Augenzeugen für beide Epochen! Daher fühle ich diese Verpflichtung der Aufarbeitung besonders! Viel Zeit habe ich nicht mehr!!! Und beim Pastiorartikel (Die Zeit, 23.09)war es äußerst wichtig, eigene Erfahrung einzubringen! Ich habe Oskar verteidigt, nicht die Securitate! Wie kannst du so etwas sagen? Das war wohl Ironie, oder? Falls nicht, bitte ich dich, lies die Sachen genauer!

Ich bin ein friedfertiger Mensch und gehe auch mit dir auf keinen Streit ein. Doch die SACHE ist mir wichtig, mit ephemeren persönlichen Eitelkeitsauseinandersetzungen möchte ich nichts zu tun haben!

Der Ingenieur und Autor Ursu kommt bei mir überall vor, auch andere Mordfälle. Er war ein typischer Folterfall der sog. Divisa Z, „operatiuni umede“ in der Calea Rahovei 37-39, noch aus der Dej-Zeit übernommen! Im Buch wird der Fall genau untersucht, auch das unmögliche Gerichtsverfahren von heute. Und sogar in einem Gedicht, das ich Bossert gewidmet habe, kommt er vor, weil mir sein Fall besonders nahe ging.
... zu Hause
ein Dichter erschlagen vom Staat, wir sahn ihn
er lag im Sarg, nur von unsern Gedanken getragen,
mit einem Loch in der Stirn.

Die Sache mit den "Luxusdissendenten" war doch eher ironisch gemeint. Von manchen wie ein Witz aufgenommen. ich dachte du kannst Zwischentöne hören. In den neueren Fassungen gibt es das Wort schon lange nicht mehr, da es zu diesen Missverständnissen geführt hat, Samson hat mich darauf aufmerksam gemacht; und auch anderes ist in der neuen Fassung, die jetzt erscheinen wird, gestrichen, weil ich auch den Ton ganz objektiv haben möchte, da es mir nicht um Polemik, sondern um die Sache geht!

Lassen wir bitte die Verletzlichkeiten ruhn. Und bleiben wir objektiv! Die Zeit drängt!!!!
Ich möchte keinen persönlichen Streit mit dir. Und dich bitte ich auch, Attacken zur Person zu unterlassen! Ich werde auf so etwas von jetzt an nicht mehr eingehen!

Schöne grüße und alles gute auch für deine Arbeit und in deinem Leben! Und ich hoffe weiter auf den Erhalt guter Beziehungen, die wichtiger, produktiver und der Sache dienlicher sind als unnötiger unfruchtbarer persönlichen Streit! Für jeden sachlichen kritischen Hinweis zur Korrektur in meinen Arbeiten bin ich dir dankbar! Auch wenn es um Fehler in Daten, Zitaten etc. geht!

Dieter Schlesak

--

Freitag, 24. September 2010

Zu Oskar Pastiors Lyrik. GedichtGedichte an den Rand geschrieben.

24.September.
Ob das ein Leben ist im Bildschirmauge/ sonst Nichts?

Doch jetzt lese ich Gedrucktes, ich kann es mit der Hand anfassen, das Papier, darüber streichen: In die Akzente (zum 70 von Oskar Pastior, als er noch lebte) schrieb ich gestern an den Rand:


OSKAR ZU, MEIN GEÖFFNETES POESIE GEDÄCHTNIS
Zwischentöne und Pastieurisierte Über-Setzungen

Tagebuchgedichte

(Klammer dazu: Schon als Oskar Pastior starb, konnte ich es nicht fassen. Der zweite Schock war dann fast ähnlich groß, also auch eine Art Tod? Als ich Unfassbares erfuhr: dass Oskar IM war und auch mich bespitzeln sollte! “Mein Freund, Der Securitatespitzel Oskar Pastior.“ (DIE ZEIT 23. .September 2010) Es geht mir näher, als ich es anfangs zugeben wollte: - Oskar ein IM der Geheimpolizei? Ich muss dies nachklingen lassen, und ich kann es nicht glauben oder gar fassen. Und ich muss mich abschreiben oder ihn? Tief hineintauchen auch in LyrInnererinnert. Es, was war, nicht wahr? Er ist ja tot. Und besucht mich nun als Geisterhafter tagnächtlich. Auch schön…!) Ja, er ist in mir, und seit Tagen denk ich nur noch in Gedichten. Ohr Würmer manchmal… Die bohren aber).

I

Pastieur/ bei Melchior im Weg/ Bähzüllus Wunhiet/ Wund glied / Pastiör/ Pass tier in die Getter Uhr/ die Schlagschlacht Terra krängende Tür/ vor Weg aufs Maul nicht mehr schaun, eher aufs Keins Mal.

24.September 2010.
In die Akzente-Nummer (zum 70 von Oskar als er noch lebte) schrieb ich zum damals gelassen wenigstens Ver Fassten gestern hinein:

AUS GANG ZERSTÖRTE NEGATION

1 These oder Tanz mit Thesi
UN-Sinn ist in seinem Verschickel zuhauf/ sogar Haufen…/ was Spass mach/ ist nur: Wenn man den Sinn kennt./ Und lacht. Bei ihm/ nur breitgestreut das Chaos und Vieles wies vom Hundeersten ins Tausendste, genau/ Un-verständnis samt/ Wörtlichnehmen/ zum Lachen, was da raus kommt?/ Manchmal. Redundanz/ Radunz, Worttanz mit Thesi aus Belleschdorf/ und Distanz als Absicht/ und das verstimmt. Sein IST ist Zeit Verlust./ Schwach auch das Spiel/ etwa: „Schässburg aber ist das Andere von Dessaus Halle“/ Des-Aus? Meint er das Abseits/ sogar im Satz?/ Oder die Regionalliga als Kannsarm./ Ich bin dafür das Eine/ zu-samm wie ein Kränzchen/Nix Tod!/ zum Fox Trott (Kain Hund!) zu führen./ Main Ein Wand: Aber das Andere ist/ nicht der Un-Sinn/ und „Mannig-Faltige/ sogar beim alten Kant/ das Höchste ist IST/ der Innere Sinn/ in uns: ebenbildlich also sei das Ich, das Du, der Funke/ der uns leben lässt, auch/ in höchster Verzweiflung. So etwas wie ER in uns. Das höchste Gut sogar/ das Gegen Teil von Oskars MannIch-Faltungs-Chaos? Ich bin, also IST er?

Das kann er/ ganz schön gewitzt/ übers Vers Ohr hauen/ auf den Schreib Arm nehmen… und weiss/ jaja immer die Null und das weisse Blatt als Brudervorsich:


2 Anti Thesi. Damen Wahl:

Auch wenn er um dies Eine ja auch kreist. „denn sinn gibt auch was sinn nimmt uns sinn gibt was auch sinn nimmt.“ Juja/ am Lebens Ende noch mal /Sinn des Gehens. / Oder seine Holopoeme. „Einen Text möglichst so zu machen, dass jeder Teil das Ganze enthält.“/ Wie die holographische Bildplatte mit einem Pferd (Pegas?)/ die dich tatsächlich gerade bei ihm/ platt macht. „Und dann nimmt man den Hammer und zerschlägt diese Platte/ und plötzlich ist das Pferd auf jedem Splitter zu sehen. Also: jeder Splitter enthält dann wieder das ganze Pferd.“ Pegas und Gott? Und: „sinnbeladen nämlich, lautend.“/ Erst wenn er liest/ ange spannt (Pegas) ent lässt/ versteht man ihn. Eine Leserin: in.

„… eine Ästhetik des „Missverständnisses“, die aufgestellt werden müsste“- weil’s das Viele ist/ welch ein Zusammenhalt? Wichtig nur: Der Text bin ich/ „

Und meines hier zu ihm/ an kommend:
Molekül
Mole kühl, so viel
Wasser bis zum Hafen.

Bist du mein Traum?
Aber der Text ist ER!


3 ZWEITES TEIL. Rockt Thesi: DES GANZEN JETZT
ANTITHESE und SYNTHESE ALSO?

Begeistert ein Nach-Lesen/ nach der Verstimmung/ OP-Stimmung Offen Halt? Halt! Schon könnte ich ein Buch „An Hand von Oskar“ schreiben:

Terzine oder Abgrund, stammt von ihm:…“meine Wechselbälger in Dreizeilerstrophen angeordnet sind – ein kleines optisches Signal dafür, worum es mir (…) wohl in allen diesen Gedichten geht: „…um mein Löcken wider die unselige Bipolarität in Sprache und Denken, und in durch Sprache und Denken doch auch geformten Umwelt … und eben die verquere Logik, die ausufernden Wortketten, und auch optisch die Dreierstrophen als eine Möglichkeit, gegen diese binäre, bipolare Art des Denkelns und Sprechens – aus der wir ja nicht herauskönnen … - anzugehen. Und auch der Spaß daran, das widersinnige Lachen … ja, der Digitaldenker, der soll ausgetrieben werden, diese Binärpulsare, Bösendorfer, Ja-Nein-Asketen usw. bis weit hinter die Pointe.“ Oder Pinte?

Oweh, und mitten im Digitalen, Janein sind wir im Pc (also doch hier/ wo wir uns gerade befinden?!) und Internet und Mailmachen gelan dent, tut weht der Zeitstohl…Dr. dent. Nah, versiuchs mal, zieh dir diesen Zahn: heute, nichts als nur noch Digitale, Bildschirmstirnen… Das wärt doch einfach Kopfab!
.
Und gegen Oskars „unselige Bipolarität“ ließe sich/ sogar zum so schön nachträglich Kommentieren finden: ganz/ mit meiner Poetik der holografischen Mikrophysik / der dreiwertigen Logik, ja/ Quantenlogik: Dann siehst du es doch endlich: Oskars Poesie und Holografie ist Widerstand und unser Gut!

So also mir gesandt, schon land.
So also bei mir gesagt, schon lang:

„Moderne Literatur ist undenkbar ohne radikales Sprachspiel, erwachsen aus radikaler Sprachskepsis; heute weiß sie mehr denn je davon, dass sich der Baum wundern würde, wüsste er, dass wir ihn "Baum" nennen; und doch glauben wir immer noch daran, wir hätten in diesen vier Buchstaben etwas WIRKLICHES, und wir bilden uns etwas darauf ein, wenn wir "Bewußtsein" oder gar "Gott" sagen. Wittgenstein empfiehlt als Alternative Schweigen, Benjamin die unsichtbare, aber spürbare "Aura" und den "Schock", Joyce die "Epiphania"; und George Steiner meint - weit zurückgreifend - all dies kulminiere in Arnold Schönbergs Oper "Moses und Aaron", dem Aufschrei des Erweckerpatriarchen Moses: "Oh Wort, du Wort, das mir fehlt." Das Fehlende also erst sage aus, was ist.

Ausgerechnet der Stotterer (der Sprachbehinderte) Moses erhielt am Sinai von dem "Einen Gott" die Tafeln, Mutationen des Namens (JHWH); ein Sinngeflecht, das wie ein "Baum" angeordnet gewesen sein soll, die sogenannte schriftliche Thora - oder die fünf Bücher Mose. SCHRIFT - aber das Sinai-Ereignis ist unbeschreiblich, wie auch die deutsche Bibelübersetzung, genau wie jede andere normale Übersetzung, nur eine Annäherung, eine sehr approximative Deutung sein kann, da die hebräischen Worte zugleich auch Zahlen sind, also Ausdruck von Proportionen, das riesige Sinngeflecht eines Gesamtzusammenhanges, das eine Struktur ausdrückt, keine willkürliche, vom Geschehen abgetrennte Wort-Semantik ist.


HIMMEL HERRGOTT. VÖGEL. Ja. FRAU SPRACHE
Wie geht das? Aber ja: Liebesakte täglich. klar und
wahr. Nicht im Lexikon nur/ sondern im Himmel: wirklich./ Aufs gemeinsame Kommen: Musik: auf Ganz klingt es nur!
Auf Gebot/ ein Zehntes? Nackte Hochzeit fiebert,
arg geht die V ins Maß der Augen/ des Voyeur. Was aber nur-sichtbar ist/ das ist es nicht.

Ist: Wahnsinniges Stimmen Gewirr aber
von Floskel und Bedeutung, löchert uns doch
die Schwester Sprach Maschine.

Frau Sprache aber zeigt ES mir/ Das Eine anders IST.
Ich fließ...


RAHMEN Weiße
Rahm der Greise
Mit Tonsur.

Russisch Puppen
Wie erinnert
Pup das Kind.

Die Zwei als Volk
Die Drei als Gott

Und unten Un-Eins das Viel
Da wimmert es.


Das Bildverbot, ja, Aussageverbot geht auf die Einsicht zurück, dass wir im Grunde nicht einmal das, was sichtbar ist, geschweige denn das Unsichtbare im sichtbaren Augen-Bild festlegen und aussagen können und dürfen. Wir machen uns ein Bild, schneiden das Abgebildete aus dem großen Zusammenhang, trennen, isolieren, verfälschen also. Ja, wir verlieren damit die Fähigkeit zum Offenen, also zu den angesprochenen Mutationen des kosmischen Zusammenhanges, mit dem wir und alles, was wir wissen, denken, benennen, auch ahnen können, zutiefst verbunden sind! Wer nämlich benennt, teilt, verlässt das Eine, geht in einer Innen-Außen-Beziehung ins Reich der Zwei über.

So beginnt auch die Bibel mit der Zwei: Bereschith bara, Im Anfang schuf: B ist die Zwei. Doch so gesehen, lässt sich Annäherung ans Eine, den "Sinn", und sei es in einem einzelnen Grashalm, nur im Sinngeflecht selbst vollziehen, an das wir über unsere Intuition "angeschlossen" sind. Aber diese "Gnade Gottes" scheint auch in unserer Sprache, wenngleich in abgeschwächter Form als SINN gespeichert zu sein. Mit dem flash des immer besseren Verstehens der Zusammenhänge, des Ein-Leuchtens sind Glücksgefühle verbunden, die sich mit dem Grad der Nähe zum Zentrum von Sinn ekstatisch verstärken. Das Sinnlose, bruchstückhaft zusammenhanglose "Unten" aber schmerzt.

Jenes Glück der Eins-Nähe empfand ich als „Anwesen“. Wir würden zwar da unten mit-fließen/ aber besser oben/ wunderbar immer im Anwesen: nicht abwesend./ Das Quälende aber hat uns/ die Störung Leben:


„Auch die Blaubeere, auch das Blut der Fische,
auch der Lehm am Fluss verwirrt die Vorschau
und löscht die Zeichen im Plan.
Ebbe und Flut, des Mondes Kommen und Gehen,
verwirrt, (…)
Das Sitzen wurde zur Weltordnung erklärt;
(“Grenzstreifen“, 1968)

Vom Ekel damals, ging auch Oskar aus.. sein, unser größtes Trauma, die Losung, nicht nur die Zellenherrin Securitate… sie war das Pendant…

OP: Eigentlich alles/ poetologische Versuche, die den Sätzen entlaufen.
Des Geistes Kind/ das Gegenstück und Innereien des Gegenfests Grammatopolis und Partein.

„Klumpatsch“ auch: Avortus-Hieb/ Abgehn vom Befehlsstand und / Lust an Befehlsverweigerung:/ Fleischeslust,. Na schau./ Worttiefe Kost und Köstlichkeiten/ im Nicht-Wissen Reichsein/ auch im Altersuntergang. Und grad im Warten auf das Ende.

„Neben der Kausalität existiert also ein viel wichtigeres, umfassenderes Weltprinzip: Gleichzeitigkeit und Sinn, auch Synchronizität und "sinnvoller Zufall" genannt. Die alten Chinesen kannten schon, ähnlich wie heute die Quantenlogik und die sogenannte Holistik, neben der Kausalität die Verbindung der Dinge durch SINN (Tao). Und je näher wir diesem Zentrum des Einen im Tao kommen, desto dichter wird das Geflecht von Einzel-Sinn auch im Ereignis. Zufall z.B. ist nur der (noch) unerkannte Zusammenhang. Laotse, der Autor des Buches vom Tao te King, nennt TAO auch das Nichts, weil es den Gegensatz zur sinnlichen Wirklichkeit ausdrückt: "Dreißig Speichen umgeben eine Nabe:/ Auf dem Nichts daran beruht des Wagens Wirkung./ Man macht Schüsseln und Töpfe zu Gefäßen: Auf dem Nichts darin beruht des Gefäßes Wirkung./ Man höhlt Türen und Fenster aus an Zimmern,/ Auf dem Nichts darin beruht des Zimmers Wirkung./ Darum: das Etwas schafft Wirklichkeit,/ Das Nichts schafft Wirkung."

„Ich glaube, diese Gebilde sind (vom Entstehen her gesehen) nichts anderes als hin und wieder zu Papier gebrachte Strecken eines Sprachflusses, eines Kontinuums, dem Organischen und Fließenden verwandt, also auch ohne feste Anfangs- und Endpunkte. Wie sollte man so etwas betiteln.“ (OP, „Jalousien. Schnitzeljagd).

Die Hopi kennen keine Substantive, nur Fließendes als Bezeichnung des Flusses Welt.

Der Sinn aber wird durch die Sinne verdunkelt, ebenso durch den zerschneidenden Begriff, weil diese nur Äußeres, nur das "Etwas", nicht aber das Nichts, die Leere wahrnehmen können, die für das Wahrnehmen der nichtkausalen Weltformel jenseits des reduktiven Ego-Verstandes viel wichtiger ist. “ (Aus: „Nachwort“ zu „Lauter letzte Tage“, unveröff..)

In „Jalousien aufgemacht“ gefundene eigene Gedichte: „An den Rand geschrieben“ -

Ich dacht´entgiftet sei ich
niemals schuldig.

RANDPHÄNOMEN AUFGEMACHT 90:
ist ein Üben mit dem Ü
als wär ich wieder Kind / mit Ben und Hadschi Prost!
eşti Oma Ben./ Das kluge Kleinhirn
von früher/ Gedächtnis. Und bald Zuhause in Alz Heim
wirst du gereimt Sein.
Damals noch gründig gründlich gründet
Gründe den Grund/ ab Buch dass Zufall
ein Kind ist.

Welches Ist
deine Farbe?/ Grün grün grün
sind alle meine Farben, und meines
ein Blatt, das durchlässt.
Die Membrane als Beweis.

Das ist der Innen Reim, den ich auf
dein Verschickel mach.

Dazu die Außen Schale.
Und wir beide/ der Tote und der Untote
Laufen/ durchs Grün davon.


AUF DEM BEIBACKZETTEL MIT FOTO:

WENN ICH ZU ENDE GEHE, fort
Aus der Autobahn
Gefahren ist gut
das Wort staunt/ stapft sich aus
aber der Rand/ der Unfall brachte
mich hinaus, das die Entfernung wachse
aus der ich stamme, mein Aus.

Hier aber bin ich alt./ die Landschaft
bleibt Aliagno, meine Fremde/ zu Haus
Und ich der ist, der
sitzt und redet, fährt, im Augen Schein
erwachsen?
Nein! Ich bin doch gar nicht, wenn ich
fahre, wer fährt, der ist gefährlicher
zu Haus.

(Heute: Bewusster Augenblick/ als ich die Treppe hinab/ ging wie jetzt im Leben:/ dachte: halt den Augenblick/ an. Wenn er jetzt kommt/ ein Kreisel ist die Wiederkehr/ hab ich’s getan/ Umkehr jener Treppenstufen; hinauf? Oder: wir leben so dahin, stündlich, täglich…/ als hätten wir ewig Zeit… Und jetzt als Überlebender weiter/ dieses so, als Oskar noch nicht tot war:
Sein Vater war mein Zeichen Lehrer/ im Zeichen-Saal. Beachte das Doppel: )

FRAU UND MANN DIE HALMENFRESSER, DIE HALMEN MESSER

Die Mitte, wo sie wächst, das harte Gras,
ich kam, ich bin ihm zu getan, tut weh
und glitscht wie Meeres Grund, ein Drehen -
es saugt, wir sind bewegt, dem andern zu.
Und Wahnsinn ohne Maß, der Hals , der Kuss
an jedem Ende ist das Gras, du hörst, es wächst
im Mund, hörst du, es ist verkehrt,
ein Plus, ein Und ist es/ das Kreuz.


Und er, S, 43 Petrarca, „… wahrscheinlich aus einem beliebigen Film, Bukarester Jahre): der Junge, das Mädchen haben einen Grashalm im Mund (waagerecht), an dem sie kauen, wetteifernd, wer zuerst schneller beim anderen, also in der Mitte (beim Kuss) angelangt ist. Von beiden Seiten her auf eine Mitte zu. Und nun Kafkas entgegen gesetzte Aussage: von der Mitte aus (auf der Vertikalen, die Schwenkung um 90 Grad!) nach beiden Seiten: das ist doch herrlich! Was entsteht, ist nämlich ein Zeichen +.“ Also bleibt uns ein Und/ und ein KREUZ.

Halm, der Kuss, das Weh
Im Gras
verkehrt

Doch wie schön ist die Ruhe! Jetzt. Im Tod ist man/ in der Mitte angekommen:

Ich dacht´ entgiftet zai ich
niemals schuldig
da war dies Weibstück das mich ungeduldig
ans Stoff-Seil hing und
auf, indem ich bin der, der ich bin.
Viel mehr noch:
innerstes Fließen/ und hab
das immer im Sinn.